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Dianchen
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#136

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Autor: Dianchen
Hauptcharaktere: bleibt vorerst noch offen :baeh:
Inhalt:
Eine junge Frau, gezeichnet vom Kampf um Leben und Tod, von der Hoffnung und Kraft verlassen, lernt auf einer Station im Krankenhaus eine andere Frau mit einem ähnlichen Schicksal kennen. Zwischen den beiden Frauen entwickelt sich eine tiefe und enge Freundschaft, die sie dazu bringt, fortan gemeinsam den Kampf um das Überleben anzutreten. Sie gehen gemeinsam durch den Alltag und versuchen dem Tod zu entkommen.
Raiting: 16 Jahre
Spoiler: Nein
Chapter: noch offen
Geschrieben: 2009/2010
Disclaimer: Alle MLT Charaktere sind Eigentum von Nine Network, The South Australien Film Corporation and Millenium Televison. Diese Fanfic wurde lediglich zum Spaß geschrieben und nicht um damit Geld zu verdienen. Jegliche Ähnlichkeiten zu Lebenden und Toten Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Alle weiteren Charaktere sind Eigentum des Autors.

In The Arms Of An Angel .||. Chapter 1
Wie jeden Tag ging die junge Frau diesen kahlen Flur des Krankenhauses entlang. Die Wände, in einem ausdruckslosen sterilen Weiß gestrichen, engten sie ein und ließen ihr kaum genug Sauerstoff zum Atmen. Jedes Mal bescherte ihr dieser Gang eine Gänsehaut, die so schaurig war, dass es schon kaum mehr zu ertragen war. Jeden Tag von neuem stieg ihr der Geruch von Krankheit und Tod in die Nase. Ihr Körper erzitterte und für einen Moment musste sie sich an den blanken Metallgriffen, die an den Wänden angebracht waren, festhalten. Sie kannte die Prozedur. Es würde im nächsten Moment wieder vergehen. Wieder nachlassen. Bis zum nächsten Mal.

Nachdem sich ihr Körper wieder etwas beruhigt hatte und sie nicht mehr Gefahr lief, in sich zusammenzusacken, setzte die zierliche Frau sich wieder in Bewegung und schob diesen furchtbar quietschenden, metallenen Ständer, an dem ein Beutel hing, gefüllt mit irgendeinem giftigen Cocktail, vor sich her. Sie schlürfte über den Gang der Station 81. Wie jeden Tag. Sie hatte ja nichts anderes vor. Wie auch? Ihr Leben war kein Leben mehr. Längst hatte sie das letzte Fünkchen Hoffnung verloren. Das letzte Fünkchen Hoffnung eines Tages wieder unbeschwert auf dem Rücken eines Pferdes zu sitzen und in den Sonnenaufgang zu reiten. Das letzte Fünkchen Hoffnung sich quälend und mit Arbeit zu gehäuft dem doch so wundervollen Tag zu widmen. Nie wieder würde sie jede nur erdenkliche Minute oder gar Sekunde schwerelos sein können. Glücklich und gesund. Tränen rannen der jungen Frau über ihr, so sehr von der Krankheit, gezeichnetes Gesicht.

Wieder schüttelte sich ihr Körper und wieder musste sie stoppen, um sich an den kalten, metallenen Griffen der trostlosen Wände festzukrallen. Wann würde diese Quälerei endlich ein Ende haben? Wann würde sie endlich von dieser Welt gehen dürfen? Wieso war ihre Zeit noch immer nicht gekommen? Nach all den Monaten?

Jäh wurde sie aus ihren Gedanken gerissen, als eine rothaarige Frau an ihr vorbeirauschte, die in etwa das gleiche Alter haben musste wie sie selbst. Sie drehte sich um und sah der Rothaarigen mitfühlend hinterher. Wahrscheinlich war dieser Frau das gleiche Schicksal begegnet. Vor etwas mehr als einem Jahr verließ auch sie mit schnellen Schritten die Station 81 und hatte sich geschworen, nie in ihrem Leben wieder zurückzukehren. Nie wieder. Doch das Schicksal hatte nicht mitgespielt. Es hatte zu geschlagen. Langsam, quälend und erbärmlich. Nur ein halbes Jahr später stand sie wieder auf dem Gang dieser Station. Dieses Mal mit einer Reisetasche im Schlepptau, in der ihre einzigen Sachen für die restlichen Tage, Monate oder gar Jahre ihres Lebens gestopft waren.

Diese Station 81 sollte doch eigentlich eine Station der Hoffnung und des Lebens sein. Sie sollte doch Leben retten und nicht Leben zerstören. Es sollte doch ein Ort sein, wo Lebensfreude, Geborgenheit und Gemeinschaft die Vorherrschaft haben. Und nicht, Schmerz und Trauer und Angst. So drückte es zumindest der Name aus. Sonnenschein.

Während diese junge Frau sich über den Tod Gedanken machte und zum wiederholten Male in einer Situation steckte, in der sie sich nichts sehnlicher wünschte, als zu sterben, schlug das Schicksal wieder einmal erbärmlich und hoffnungslos zu. Am anderen Ende der Stadt Melbourne. Dort rückte der Tod wieder ein Stückchen näher und versuchte sich den Körper einer weiteren jungen Frau zu krallen.

Knapp 8 Millionen Menschen waren es bisher pro Jahr. Weltweit. Vom gleichen Schicksal betroffen und mit ähnlichem Verlauf. Auch für diese junge Frau, die mitten auf irgendeiner grauen, trostlos erscheinenden Straße zusammenbrach, begann nun der Kampf ums Überleben. In jenem Augenblick als der Tod versuchte sich in ihren schwachen Körper zu schleichen und sich an ihm festzukrallen. Aber noch war der Sieg nicht errungen und der Kampf nicht verloren. Sie wurde entdeckt und in das Krankenhaus gebracht.
Auf die Station 81.
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Dianchen
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#137

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In The Arms Of An Angel .||. Chapter 2
Der Mond stand noch am Himmel. Die Krähe schimpfte wie immer und unterhalb des Balkons tat der Abfalldienst lärmend seine Pflicht. Auf dem Gang standen Petunien, Rittersporn und Astern, weiter hinten ein Haselnussstrauch. Die Station hatte eher etwas von einer Kurklinik. Die Stimmung unter den Schwestern war ausgelassen. Alles eben ein wenig anders als auf anderen Stationen. Man nahm sich ein wenig mehr Zeit, ging auf jedes einzelne Schicksal intensiver ein. Wie an jedem Tag folgte auch an diesem der gleiche routinemäßige Ablauf. 7 Uhr Wecken und Bettenmachen. Kaffeeduft auf dem Flur, quietschende Schuhsohlen, Rollwagen mit Frühstück waren im Anmarsch. Gemäßigte Betriebsamkeit. Die Routine der Frühschicht weckte die Patienten. Das ging flott und frisch, nicht hektisch und schon gar nicht unfreundlich. Die Laune der Patienten war blendend, fast schon unnatürlich gut. Man fragte nach Befindlichkeiten, scherzte über das Altern und lachte lauthals.

Der alltägliche Ablauf wurde an diesem Tag jedoch von einem nicht dazugehörenden Geräusch gestört. Ein kurzes piependes Läuten und die Fahrstuhltüre sprang auf. Dann ertönte ein surrendes, lang gezogenes Rollen von Gummirädern auf dem frisch gebohnerten Linoleumfußboden und drang über den langen Stationsflur in die offen stehenden Zimmer.

Die blonde Frau saß wie jeden Tag um diese morgendliche Zeit am Tisch, der unterhalb des Fensters stand und stocherte in ihrem Essen herum. Appetitlosigkeit war ihr ständiger Begleiter geworden. In den letzten Wochen wurde sie immer schlimmer. Die Ärzte drohten ihr schon mit einer Ernährung mittels Sonde. Dann müsste ihr ein Schlauch direkt durch die Bauchdecke in den Magen gelegt werden. Sie wollte essen, jetzt erst recht. War sie doch schon genug gestraft mit ihrem ständigen Begleiter, dem metallenen, kalten Ständer. Wie würde das denn aussehen, wenn sie auch noch mit einem Beutel, der an ihrem Körper schlaff herunter hing, über den Flur lief?

Das Quietschen der Gummirollen auf dem Fußboden im Flur verstummte. Nun hob die junge Frau ihren Kopf und blickte auf die Türe ihres Zimmers. Wenige Sekunden später kamen zwei Schwestern in das Zimmer gehuscht und schoben ein frisch bezogenes Bett hinein. Eine dunkelhaarige Schwester kam direkt auf sie zu gelaufen und schob die trostlosen Vorhänge zur Seite. Sie öffnete das Fenster. Augenblicklich erhellte sich der Raum und fröhliches Vogelgezwitscher drang in die Ohren der blonden Frau. Mit großen Augen blickte sie der Schwester entgegen. Sie hasste es. Sie hasste es, wenn auch nur etwas Licht und so sehr verdammte, normale Geräusche in das Zimmer gelangten. Die Schwester blickte auf und musterte sie einen Augenblick lang.
„Wie geht es Ihnen heute?“, fragte sie mit ihrer sanft klingenden Stimme. Die blonde Frau zuckte mit den Schultern und wandte sich wieder ihrem Essen vor sich auf dem Tisch zu. Die andere, etwas ältere Schwester kam nun ebenfalls auf die blonde Frau zugelaufen. Sie war die gute Seele der Station. Eine Schwester mit Herz. Und einem stets offenen Ohr für Jedermann. Eine Schwester, die ihren Beruf vollkommen ernst nahm und ihn liebte. Ja, sogar für ihn lebte. Ihr Name war Sophia. Der Name passte zu ihr, denn sie war die Älteste von allen.

„Das ist Schwester Jasmine“, stellte Sophia ihre Kollegin vor. „Sie hat heute ihren ersten Tag und möchte natürlich alle hier in unserer großen Familie kennen lernen.“ Sofia schenkte der blonden zierlichen Frau ein liebevolles Lächeln. Diese sah nun doch wieder auf und inspizierte die dunkelhaarige Schwester mit einem durchdringenden Blick.
Auch Jasmine lächelte der blonden Frau zu und setzte sich einen Moment zu ihr an den Tisch. „Sie bekommen ab heute ein wenig Gesellschaft. Vielleicht möchten Sie ihrer neuen Zimmergenossin einen guten Tag wünschen“, klang wieder diese sanfte Stimme in die Ohren der blonden Frau.

Jasmine zeigte auf die Türe des Krankenzimmers. Dort saß in einem dieser klapprigen Rollstühle eine Frau mit leuchtend roten, krausen Haaren. Sie fielen ihr wild ins Gesicht. Das vermittelte ihr eine gewisse Unbändigkeit. Die blonde Frau durchzuckte ein Blitz. Kalter Schauer lief ihr den Rücken hinab. Das ist doch die Rothaarige, die am vergangenen Tag über den Krankenhausflur gerauscht ist, stellte sie erschrocken fest. Diese Frau wirkte noch so frisch und lebendig und wild. Und trotzdem hatte die Krankheit ihre ersten Spuren hinterlassen.

„Kommen Sie nur näher, Ms. Hall“, sagte Sophia und streckte der Rothaarigen ihre Hand entgegen. Sie winkte sie zu sich heran. Doch statt sich mit dem rollenden Gefährt in Bewegung zu setzen, zog Stevie sich mit den Händen auf ihre Beine und trat ein wenig zögerlich in den Raum. Sie ging die paar Schritte auf die drei Frauen zu.
Sofia schüttelte amüsiert mit dem Kopf und zog ihren schmalen Mund zu einem sanften Lächeln. „Sie beide werden sich sicher gut verstehen“, fuhr die ältere Schwester fort und blickte immer noch lächelnd abwechselnd von einer zur anderen Frau.

Stevie schenkte der blonden Frau ein Nicken zur Begrüßung und wandte ihre Augen wieder ab, ließ sie in diesem schrecklichen, sterilen Zimmer umherwandern. Erblickte an den Wänden viele bunte Bilder und auf dem Nachttischchen der zukünftigen Mitbewohnerin etliche Fotos aus glücklichen Tagen. Stevie wollte lächeln beim Anblick der Bilder, doch konnte sie nicht. Es schmerzte so sehr und passte nicht in die Situation. Zu lächeln. Glücklich und unbeschwert zu sein. Stevie hatte gar nicht mitbekommen, wie sich die beiden Schwestern wieder zurückzogen. Erst als die Frau über ihrem Essen sie ansprach, wurde sie in die Realität geholt.

„Weswegen bist du hier?“, wurde Stevie gefragt. Einen Moment blieb sie regungslos stehen und blickte die Frau vor sich an.
„Weil diese idiotischen Quacksalber meinen, ich hätte eine Krankheit, die nur in diesem Irrenhaus zu heilen sei.“ Stevie verdrehte genervt die Augen und seufzte tief.
Die blonde Frau nahm die Antwort hin und sah Stevie aufmerksam entgegen. Sie versuchte zu sehen, wie es in deren Innern auszusehen mochte. Doch so sehr sie sich auch bemühte etwas zu entdecken, es gelang ihr einfach nicht.
„Verstehe“, sagte sie schließlich. Ihre neue Zimmergenossin wollte wohl nicht darüber sprechen. Doch war sie froh, fortan ein wenig Gesellschaft zu haben. Denn nicht immer hatten Freunde und Familie Zeit ihr einen Besuch abzustatten und wenn sie ehrlich war, dann ist ihr das bisher immer sehr Recht gewesen.
„Und warum meinen sie, du wärst hier am besten aufgehoben?“, fragte sie dann doch weiter nach.

Stevie seufzte erneut auf. Die Frau schien sehr neugierig zu sein. Dabei war sie selbst so gar nicht auf Kaffeeklatsch aus. Sie drehte sich herum und ging auf das Bett mit dem weißen, blanken Gestell zu. Sie setzte sich drauf und stöhnte leicht auf. In diesem Ding sollte sie also schlafen? Sie kam sich vor wie in einem Lazarett mit Massenabfertigung. Diese Betten, sofern man sie als solche bezeichnen konnte, waren scheußlich. Quietschten fürchterlich und hatten nicht ein bisschen Federung in sich. Viel zu hart und unbequem. Stevie schüttelte mit dem Kopf und stand wieder auf.

„Da gewöhnt man sich dran“, erklang wieder die fremde Stimme. Stevie blickte die Frau an und musterte sie einen Moment lang. Sie sah schrecklich aus. So sehr gezeichnet von der Krankheit. Sie fragte sich, ob es wohl jedem so ging, der hier gefangen war, ob alle hier so aussahen und ob sie selbst wohl auch irgendwann so aussehen würde. Sie schüttelte wieder mit dem Kopf und ging auf den Tisch zu. Setzte sich auf einen Stuhl. Wieder stöhnte sie auf. Der Stuhl war genauso hart und unbequem wie zuvor diese Lazarettmatratze.
„Daran dann wohl auch“, sagte Stevie schlicht.
Die blonde Frau lächelte. Ihre neue Zimmergenossin gefiel ihr. Auch wenn sie nicht sonderlich gesprächig war, aber sie würden sich dennoch bestimmt gut verstehen. Davon war sie überzeugt.
„Ich bin Tess“, sagte sie schließlich und reichte Stevie die Hand.
Stevie schluckte. Blickte auf die Hand, die sich ihr entgegenstreckte. Wer weiß schon was passiert, wenn sie diese berühren würde? "Was ist die Ausrede bei dir?“, fragte sie stattdessen.
Tess zog verlegen ihre Hand zurück und wandte sich wieder dem Herumstochern in ihrem Essen zu. „Ich warte auf das Ende“, murmelte sie kleinlaut und versuchte ihre Tränen zu unterdrücken. Sie hatte wirklich genug Leid erfahren und war es satt, die Stunden Tag für Tag verstreichen zu lassen, da diese sich endlos in die Länge zogen.
„Warum?“, erklang wieder Stevies Stimme in dem Raum.
Tess zuckte resigniert mit den Schultern. Warum ist sie wohl schon hier? Sicher nicht zum Vergnügen. „Die Ärzte meinen, sie könnten nichts mehr tun.“
„Quacksalber“, erwiderte Stevie und verdrehte die Augen. Sie blickte Tess an und spürte, dass es ihr schwer fiel, daran zu glauben. Sie hatte die Hoffnung längst aufgegeben. Jegliches Leben schien aus ihr gewichen. Irgendwie war Stevie diese Situation gerade unheimlich. Sie blickte wieder auf den Nachttisch mit den Fotos.„Wer ist das?“

Tess hob den Kopf an und folgte dem Blick von Stevie. Sie lächelte. Nick… Sie vermisste ihn so manches Mal schrecklich. Am liebsten würde sie jeden Tag mit ihm zusammen sein wollen. So wie früher. Doch sie hatte gesagt, er solle sie nicht mehr so häufig besuchen kommen. Tess wollte nicht, dass er sie so sah.
„Das ist Nick“, beantwortete sie schließlich die Frage und lächelte etwas verträumt. „Aber er besucht mich nicht oft“, warf sie schnell noch hinterher.
„Warum nicht?“ Stevie verstand nicht Recht. Die beiden schienen auf den Fotos sehr vertraut.
Tess blickte Stevie nun wieder an. Seltsam war die Frau schon irgendwie. Erzählte nicht viel. Schon gar nicht über sich. Aber Fragen stellen, das lag wohl in ihrer Natur. Eigentlich war sie selbst immer diejenige, die alles erfragen und erforschen musste.
„Du bist ganz schön neugierig“, erwiderte Tess und sah, wie Stevie etwas zusammenzuckte. Tess fragte sich, was das Geheimnis dieser Frau war. Sie kam ihr so schroff, aber doch liebevoll vor. Wahrscheinlich war Stevie eigentlich gar nicht so, wie sie sich nach außen hin gab. Tess wurde in ihren Gedanken von einer Schwester unterbrochen. Diese blickte in das Zimmer der Frauen hinein, fragte nach dem Befinden und lächelte, ehe sie wieder verschwand.
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#138

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In The Arms Of An Angel .||. Chapter 3
Das Läuten des Telefons hallte durch das kleine Cottage. Langsam öffnete Alex die Augen. Einen Moment dauerte es, bis er realisierte, dass es kein Traum war, sondern Realität. Der junge Mann blickte zur Seite auf den kleinen Wecker und seufzte. Es war viel zu früh für irgendwelche Plaudereien am Telefon. Jedoch surrte das Klingeln des Telefons nervig und munter weiter. Mühselig und gähnend schwang er seine Beine unter der warmen Decke hervor und stellte sie auf dem nackten, kalten Boden ab. Er reckte und streckte sich, ehe er seinen vom Schlaf noch zu trägen Körper in eine aufrechte Haltung positionierte und auf die verschlossene Zimmertüre zu bewegte. Die Klinke gerade in der Hand haltend, hörte Alex ein Poltern und dann die Stimme seines Bruders.
„Mensch Alex, du hast wohl heute Nacht auch Schnecken verspeist“, klang es müde und mürrisch über den Flur. Im nächsten Augenblick verstummte das Klingeln des Telefons und Alex hörte, wie Nick mit jemanden sprach. Wenn er denn nun schon einmal wach und auf den Beinen war, dann konnte er genauso gut auch das Frühstück herrichten.

Alex schlürfte in seinen Latschen über den kleinen Flur in die Küche und betätigte mit noch halbgeschlossenen Augen den Knopf der Kaffeemaschine. Ein immer lauter werdendes Surren ertönte, das rasch zu einem Aufkochen und Blubbern führte und wenige Momente später plätscherte der Kaffee in die Glaskanne hinunter. Alex stütze sich mit den Händen auf der Anrichte der Küchenzeile ab und schloss wieder die Augen. Das war bei Weitem nicht seine Zeit. Welcher normale Mensch stand auch schon um 5 Uhr morgens auf? Er sicher nicht. Jedenfalls nicht für gewöhnlich.
„Wenn du so weiter machst, dann knickst du noch ein und schlägst dir vermutlich noch deinen wunderhübschen Kopf auf“, hallte wieder Nicks Stimme durch die morgendliche Stille. Alex grummelte etwas Unverständliches vor sich her und hob seinen schweren Kopf an, griff nach zwei Tassen. Er stellte sie auf dem kleinen Tisch ab, der inmitten der kleinen, gemütlichen Küche stand und ließ sich auf einem der umstehenden Stühle nieder. Wie ein Schluck Wasser schmiegte sich sein Körper an das harte, kühle Holz und die Arme fielen Richtung Bodenfliesen herab.

Nick stand an den Türrahmen gelehnt und beobachtete seinen Bruder amüsiert. Er grinste und stieß sich etwas von dem weißen Holz ab. Im Gegensatz zu Alex war er ein Frühaufsteher und es machte ihm normalerweise nichts aus am Morgen den Kaffee zu brühen, ehe sich Alex dann auch langsam aus dem Bett quälte. Nick lief hinüber zum Fenster und öffnete es weit. Die frische Luft strömte in den stillen Raum hinein. Schlagartig riss Alex die schweren Augenlider wieder auf und versuchte so böse und giftig drein zu schauen wie möglich. Was ihm nicht wirklich leicht fiel um diese menschenunmögliche Zeit.
„Hey Nick, bist du noch zu retten? Willst du, dass ich einen Herzinfarkt bekomme?“, wetterte Alex und griff sich dabei mit der rechten Hand an die Brust. Alex holte tief Atem und blickte wieder auf, zu Nick. Dieser zuckte nur mit den Schultern und grinste vor sich her. Er war froh, dass die frische, kühle Luft ihre Wirkung anscheinend nicht verfehlt hatte. Er ging auf seinen Bruder zu, der noch immer mit der Hand an der Brust da saß, und setzte sich an den hellen Kiefernholztisch. Ein Quietschen des trockenen Holzes auf dem gebohnerten Linoleumfußboden ertönte. An diesem Morgen schmerzte es in Alex´ Ohren und alles in seinem Körper zog sich zusammen.
„Wie… mehr als ein Schulterzucken hast du nicht zu sagen?“, fragte Alex verblüfft und stand schließlich wieder von seinem Stuhl auf. Der Kaffee war nun endlich durchgelaufen. Wenn Alex erst einmal Kaffee getrunken hätte, würde es auch wieder aufwärts gehen. Mit der Glaskanne bewaffnet setzte er sich wieder zurück an den Tisch und goss die beiden Tassen voll. Kaffeeduft stieg empor und setzte sich in den feinen Nasen der beiden Männer fest.

„Wer weiß… vielleicht leg ich es ja drauf an“, kam es von Nick. Doch das Grinsen wich noch immer nicht aus seinem Gesicht. Er liebte es, seinen Bruder aufzuziehen, gerade in den Morgenstunden. Wenn Alex noch nicht ganz beisammen ist, war es am Amüsantesten.
„Super“, rief Alex aus. Das war ja mal wieder typisch für Nick. „Du meinst, ich sollte lieber genauer hinsehen, was ich esse?“
„Gut möglich.“ Wieder kam ein leicht unbeteiligtes Schulterzucken von dem jüngeren der beiden Männer. Nick hob seine Tasse an und trank einen Schluck von der brühenden, braunen Flüssigkeit.
„Verstehe“, erwiderte Alex trocken. „Den Alten bist du losgeworden und nun fehl nur noch ich, was?“ Alex schüttelte ungläubig mit dem Kopf.
„So sieht es aus“, antwortete Nick und nahm wieder einen Schluck aus dem Porzellantopf. Nick schien mit seiner teilnahmslosen und emotionslosen Miene total in Schwarze zu treffen. Alex´ Kopf schoss schlagartig in die Richtung seines Bruders und er sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. Dieser jedoch brach in schallendes Gelächter aus. Am Morgen konnte man Alex alles auf die Nase binden, er glaubte jedes Wort und nahm es auf die Goldwaage. Das war einfach zu köstlich. Nun war es an Nick, der ungläubig mit dem Kopf schüttelte. Es funktionierte doch immer wieder.

Alex jedoch sah seinen Bruder nur aus zusammengekniffen Augen böse an und senkte dann seinen Blick. Alex´ Hände umfassten eisern den blauen Kaffeepott. Sie drehten das Gefäß in sich. „Wer war da am Telefon“, fragte Alex dann, ohne aufzublicken.
Augenblicklich verstummte das schallende Gelächter von Nick und auch er starrte nun gedankenverloren auf seine Hände, die sich ebenfalls um das Stück Porzellan krallten.
„Das Krankenhaus. Sie haben…“, erwiderte Nick leise. Seine Stimme brach. Tränen kämpften sich aus den Drüsen nach außen. Alex´ Herz begann wild zu hämmern. Er hatte furchtbare Angst. Angst, dass jeden Tag die Nachricht kommen könnte, es würde vorbei sein. Er legte seinem Bruder eine Hand auf die Schulter. Auch wenn er sich selbst nicht immer stark genug fühlte, so wollte er es zumindest für Nick sein. Er sollte nicht das Gefühl haben, dass er allein war mit diesem Schicksal.
„Was…was…“ Alex wusste nicht, wie er weiter sprechen sollte, ohne augenblicklich selbst in Tränen auszubrechen.

Die Tatsache, dass die beiden Brüder nicht sehr oft nach Melbourne fuhren, bedeutete ja nicht automatisch, dass Tess´ Schicksal an ihnen spurlos vorüber ging oder sie es vergessen hatten. Im Gegenteil. Beinahe jeden Tag hörten sie etwas aus dem Krankenhaus. Sei es nur eine Nachricht über Tess´ noch immer permanente Ablehnung einer weiterführenden Behandlung, wie etwa die Chemotherapie. Doch nicht nur das Telefon, welches fast jeden Tag klingelte, machte den beiden Männern bewusst, dass Tess weit weg war. Es gab noch einen weiteren Grund, der die Brüder immer an sie denken ließ. Claire. Die gemeinsame Tochter von Nick und Tess. In den letzten Wochen wurde es immer unerträglicher für Nick. Zumal Claire in einem Alter war, indem es sicher nicht immer einfach war. Aus dem Krabbelalter heraus und die ersten Gehversuche hinter sich, sprach sie schon einige Wörter deutlicher, als diese in ihrer ganz eigenen, unverständlichen Sprache. Doch so sehr Nick auch versuchte sich voll und ganz seiner Tochter zu widmen, konnte er nicht gegen die stete Erinnerung an Tess ankommen. Und dachte er erst einmal an Tess, war es auch schon wieder vorbei mit seiner Fassung. Nicks immerzu wechselnder Gemütszustand brachte das kleine Mädchen durcheinander.

„Nick?“ Alex´ Stimme holte den jungen Mann aus seinen Gedanken. Er sah fragend zu seinem Bruder. „Was haben die Ärzte gesagt?“
Nick zuckte ein wenig zusammen. Er wünschte sich so sehr, dass es endlich mal gute Neuigkeiten geben würde. Neuigkeiten über Tess´ Meinungsänderung. Neuigkeiten über die Veranlassung auf eine weiterführende Behandlung auf ausdrücklichen Wunsch der Patientin. Doch wieder schien ein weiterer Tag ohne die erhofften Neuigkeiten zu vergehen.
„Sie haben gesagt, dass es eine neue Zimmergenossin gibt“, erwiderte Nick und blickte auf. In Alex´ Augen. „Wieder eine Frau, deren Schicksal besiegelt ist.“
Alex seufzte und ließ den Druck auf Nicks Schulter fester werden. Aufmunternd versuchte er zu lächeln. Auch wenn es egoistisch klingen mag, vielleicht hatte es ja einen Sinn und es war Schicksal.
„Aber das ist doch gut“, brachte Alex dann schließlich etwas zögerlich hervor. „Ein kleiner Fortschritt.“

Nick sah seinen Bruder mit großen Augen an. Was sollte das denn bewirken? Worin lag der Fortschritt, wenn es wieder eine Frau getroffen hatte, der es nicht anders ging wie Tess? Nick schüttelte mit dem Kopf und entriss sich der Berührung seines Bruders. Er stand auf und ging hinüber zum Fenster. Die Sonne erhob sich am Horizont und tauchte das Land in ein beruhigendes Ambiente. Die Vögel begannen ihre Lieder zu zwitschern, sobald die ersten Sonnenstrahlen auf die kalte Erde trafen. Auf den Blättern des großen Eukalyptusbaumes vor dem Fenster erstreckte sich der frische Tau und gab ein prächtiges Farbenspiel her. Wieder drang ein tiefes Seufzen durch die Küche des kleinen Cottages.
„Willst du nach Melbourne fahren“, fragte Alex und erhob sich ebenfalls von seinem Stuhl.
„Weiß nicht“, erwiderte Nick mit belegter Stimme und blickte weiter in die Ferne. Sie waren schon zwei Tage nicht mehr bei Tess gewesen. Es wäre gut, wenn sie sich wieder einmal blicken ließen. Wenn es nur nicht jedes Mal so verdammt schwer wäre, sie zurückzulassen.
„Wir könnten Claire mitnehmen.“ Alex war neben seinen Bruder getreten und blickte ebenfalls über das Land. Er legte seinen Arm um dessen Schultern.
Nick jedoch schüttelte mit dem Kopf. „Du weißt doch, Tess möchte nicht, dass Claire sie so sieht.“ Nick löste sich abermals aus der Umarmung seines Bruders und lief aufgeregt in der Küche umher. Alex nickte. Jedoch verstand er weder Tess noch seinen Bruder in dieser Sache. Die Kleine würde ja doch eines Tages alles erfahren. Wenn es dann erst einmal zu spät war und Tess…
Alex schüttelte mit dem Kopf. Nein, daran sollten sie keinen einzigen Gedanken verschwenden. Vielleicht gab es ja doch so etwas wie ein Wunder und alles würde gut werden.

„Nick, aber irgendwann musst du deiner Tochter erklären, was mit Tess ist. Wenn sie nicht…“ Alex brach ab und holte schwer Atem. „Wieso nicht jetzt gleich? ... Heute?“
Nick hielt in seiner Bewegung inne und starrte seinen Bruder an. „Alex, denk nicht mal daran! Tess lebt und das ist alles was im Moment zählt.“
„Wie du meinst. Wenn das mein Kind wäre, dann…“ Weiter kam Alex nicht, denn Nick unterbrach ihn sogleich aufbrausend.
„Verdammt“, schrie er und schlug mit der blanken Faust gegen das Holz des Türrahmens. Er spürte, wie sein Bruder innerlich zusammenzuckte. „Claire ist aber nicht deine Tochter! Du hast es ja nicht auf die Reihe bekommen. Stattdessen lässt du dich ausnehmen wie eine Weihnachtsgans.“
Nick war so wütend auf sich, auf Tess, auf das Krankenhaus. Er bemerkte gar nicht, wie ausfallend und gemein seine Worte klangen. Bis Alex ihm einen festen Faustschlag gegen die Schulter gab, sodass er mit voller Wucht gegen den Pfosten knallte. Sein Bruder rauschte beleidigt davon und verließ wenige Augenblicke später aufgebracht das Cottage.

Verdammter Nick! Niemand konnte etwas für seine Scheißsitutaion und schon gar nicht Alex selber. Jedoch musste es immer in gegenseitiger verbaler und körperlicher Auseinandersetzung enden. Alex hasste es. So sehr. Er hatte die Nase voll von den Beleidigungen, die er sich täglich anhören musste. Sollte Nick sich doch den Boxsack nehmen. Auf ihn einprügeln, ihn beschimpfen. Wenn es ihm doch danach jedes Mal besser ging.
~~~ To Be Continued ~~~
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