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Dianchen
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Chapter 29
„Tess ist alles in Ordnung?“ Regan kam zurück auf den Stationsflur gelaufen, in beiden Händen zwei Becher Kaffee. Sie blickte die blonde Frau an, die, den Kopf in ihren Händen abstützend, haltlos vor sich hin schluchzte. Tess zitterte am ganzen Leib und konnte sich nicht mehr zurücknehmen. Tränen flossen ihr in Sturzbächen über das schon gerötete, leicht gereizte Gesicht. Regan legte ihr beruhigend einen Arm um die Schulter und zog sie an ihren eigenen, vor Angst noch immer bebenden, Körper. Behutsam strich sie Tess über den Rücken und versuchte sie zu beruhigen, sich auch selbst mit dieser Geste zur Ruhe zu bringen.
„Hast du Alex erreicht?“ Tess sah mit geröteten, brennenden Augen auf und nickte stumm. Was sollte sie auch sagen? Im Moment waren ihre Gedanken einzig und allein bei ihrer Freundin, die mutterseelenallein in diesem kahlen, kalten Zimmer lag und sich nicht mehr rührte. Mit einem sehnsuchtsvollen und bittenden Blick sah sie auf die Türe aus mattem weißem Milchglas, welche die Aufschrift „Zutritt verboten!“ trug. Der Arzt, mit dem Regan gesprochen hatte, verwies die beiden Freundinnen wieder von der Intensivstation hinunter. So Leid ihm diese Sache auch getan haben mochte, er hatte einfach keine andere Möglichkeit. Regan und Tess waren nun einmal nicht dazu berechtigt, sich dort aufzuhalten. Er hätte ihnen gerne den Gefallen getan und sie auf der Station und somit bei der Freundin gelassen. Zumal das für die Genesung von Stevie so ungemein wichtig war. Aber Vorschrift ist nun mal Vorschrift. Auch wenn er diese in eben solchen Fällen besonders hasste.
„Gut. Wenn Alex erst einmal hier ist, dann fällt uns sicher etwas ein“, sprach Regan beruhigend weiter, da sie merkte, dass Tess nicht nach Reden war. Aber viel kam ihr auch nicht in den Sinn. Wie sollte sie ihre Cousine beruhigen, wenn sie doch selber nicht wirklich mit der Situation zu Recht kam? Sie würde genauso gerne lieber bei Stevie am Bett sitzen und ihr gut zu reden, anstatt hier auf diesem kalten Flur der Station nutzlos herumzusitzen. Das veranlasste sie nur dazu, viel zu viel über ihre momentane Beziehung zu ihren Schwestern nachzudenken und genau das wollte sie eigentlich verhindern. Bisher hatte Regan sich keine Gedanken darüber gemacht, weil sie einfach zu enttäuscht gewesen ist. Sie hatten sich seit dem Tod ihrer Eltern aus den Augen verloren. Grace und Jaz waren unterwegs, um auf dem Rücken eines Pferdes ihr Lebensglück zu finden, während sie selbst sich in ihre Arbeit gestürzt hatte. Bisher hatte sie das Umgraben von Erde und die Analysierung von Gesteinen vollkommen ausgefüllt. Bis sie nach Drovers kam. Hier hatte Regan nun etwas gefunden, das sie noch weitaus mehr auszufüllen schien. Nach dem Minenunglück suchte sie Ruhe und in gewisser Weise einen Zufluchtsort, wo sie all die schrecklichen Bilder verarbeiten und auch vergessen konnte. Anfangs war dies noch ein schwieriges Unterfangen gewesen, aber schon bald war es ihr möglich mit Hilfe ihrer Familie und auch neugewonnen Freunden die Schreckensbilder zu verarbeiten. Regan fühlte sich zunehmend wohl auf Drovers Run und konnte sich heute nicht mehr vorstellen, von hier wegzugehen. Zumindest nicht für eine längere Zeit.
„Regan?“ Regan schlug die Augenlider nieder, um so ihre seichten Tränen verschwinden zu lassen. Sekunden später öffnete sie diese wieder und blickte Tess an.
„Können wir nicht irgendetwas tun? Ich meine, wie soll Stevie denn wissen, dass wir da sind, wenn wir doch gar nicht zu ihr dürfen?“ In Tess´ Stimme schwang noch immer weinerliche Sentimentalität mit. Sie holte tief Atem und schluchzte.
„Wir könnten versuchen ihre Familie zu verständigen. Vielleicht gäbe es dann eine Möglichkeit“, gab Regan zur Antwort. Doch wusste sie, dass auch dann wenig Hoffnung bestand. Sie würden Stevie wohl erst wieder zu Gesicht bekommen, wenn sie wieder aufgewacht ist.
„Ja, vielleicht sollten wir das tun“, antwortete Tess und umschloss eisern mit ihren Händen den weißen Becher aus Styropor. Nachdenklich führte sie diesen an ihre Lippen und trank einen kräftigen Schluck daraus. Plötzlich schreckte Tess auf.
„Wir haben auf Drovers noch gar nicht Bescheid gegeben. Nick macht sich sicher schon Gedanken.“
„Beruhige dich, Tess. Alex hat die anderen sicherlich schon verständigt. Aber wenn es dir hilft, dann ruf ihn an.“ Regan lächelte ihre Cousine aufmunternd an. Diese nickte stumm und lief über den Flur zum Telefon.

Alex starrte stur geradeaus und umklammerte fest mit seinen Händen das Lenkrad seines Wagens. Es war noch nicht lange her, da hatte er genau denselben Weg zurückgelegt. Jetzt da er wusste, wo Stevie war und sich die ganze Zeit seiner Suche aufgehalten hatte, wusste er nicht, was ihm lieber war. Einerseits war er nun froh, dass Stevie aufgefunden wurde, anderseits jedoch wäre ihm die Option, Stevie nicht mehr wieder zu sehen im Moment lieber gewesen. Alex wusste nicht, wie es weitergehen würde. Ihm war nicht bewusst, wie schlimm es um Stevie stand oder ob sie jemals wieder aufwachen würde. Doch eines wusste Alex mit absoluter Gewissheit, er würde die Hoffnung, eines Tages wieder in ihre braunen Augen sehen zu können, nicht so einfach aufgeben. Etwas weiter entfernt, tief unter dem Horizont, konnte Alex nun schon die Silhouetten der Kleinstadt erkennen. Tief holte Alex Atem und stieß ihn in der nächsten Sekunde seufzend wieder aus. Er erreichte nun die Stadtgrenze. Je mehr er sich dem Krankenhaus näherte, desto unruhiger wurde es in seinem Inneren. Sein Herzschlag hatte sich seit Tess´ Anruf noch nicht zur Ruhe gesetzt. Nun aber schien es ihm, als würde sein Herz sich überschlagen. Er hatte furchtbare Angst davor, Stevie zu begegnen. Immerhin war Alex noch nie in seinem Leben in solch einer Situation gewesen. Er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte. Dennoch scheute er den Gang zum Eingang des Krankenhauses nicht. Alex betrat das riesige Gebäude und machte sich auf den Weg auf die Intensivstation. Der Fahrstuhl trug ihn in die dritte Etage hinauf. Alex blickte in beide Richtungen der Station und entdeckte schließlich Regan, die auf einem dieser Plastikstühle saß. Alex´ Weg führte ihn direkt auf die junge McLeod zu. Regan sprang aus ihrem Stuhl auf und fiel dem jungen Mann erleichtert um den Hals.
„Gott, bin ich froh, dass du da bist!“, sagte die Braunhaarige mit einem zaghaften Lächeln auf den Lippen, als sie sich wieder von Alex gelöst hatte.
„Gibt es schon Neuigkeiten?“, erwiderte Alex. Er wunderte sich, dass Regan hier im Flur saß und nicht bei Stevie am Bett.
„Nein noch immer nichts Neues.“ Regan ließ sich wieder erschöpft auf einem Stuhl nieder.
„Und Tess? Ist sie bei ihr?“ Alex setzte sich für den Moment neben Regan. Die McLeod jedoch schüttelte mit dem Kopf und seufzte tief.
„Die Ärzte lassen uns nicht zu ihr. Sie geben uns auch keine Informationen über Stevies Zustand.“ Regan zuckte mit den Schultern. „Wir sind eben nicht mit ihr verwandt.“
Ohne darauf zu reagieren, sprang Alex wieder von dem Stuhl auf und lief über den Flur zurück. Im Vorbeigehen hatte er in ein Zimmer gesehen, in dem einige Schwestern der Station saßen und sich unterhielten. Entschlossen klopft der junge Mann an den hölzernen Türrahmen und wartete auf eine Reaktion.
Regan beobachtete, wie Alex sich angeregt mit einer der Stationsschwestern unterhielt. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, dass er sich nicht so einfach abspeisen lassen würde und nicht eher Ruhe gab, bis sie wenigstens ein paar Informationen über Stevies Gesundheitszustand bekamen.

„Hören Sie...“ Alex blickte auf das kleine weiße Schildchen, das an dem Kittel der Dame baumelte und las den Namen derer darauf ab. „Miss Evans, ich kann Ihnen versichern, dass nur ich der Verlobte dieser Frau sein kann. Mir ist der Name des Herren ganz und gar nicht bekannt.“ Alex sah die blonde Frau vor sich mit einem zuckersüßen Lächeln an.
„Kann das Jemand bestätigen?“, fragte die Schwester daraufhin nur. So schnell gab sie für gewöhnlich nicht nach, aber bei diesen Augen, die sie ansahen, konnte sie schwer widerstehen. Alex legte der Dame eine Hand auf die Schulter und zeigte nickend in die Richtung, in der Regan auf einem Stuhl saß und gebannt die Szenerie beobachtete.
„Dann gibt es noch eine weitere Dame, die das bestätigen kann. Nur ist sie im Augenblick nicht in der Nähe. Und wenn sie wollen, dann gebe ich Ihnen noch weitere Telefonnummern.“ Die Schwester winkte ab und lächelte Alex an. Dann bat sie ihn, ihr zu folgen. Die beiden liefen an der verdutzt dreinschauenden Regan vorbei und verschwanden hinter der Türe zur Intensivstation.

Nicht lange nachdem Alex und die Schwester verschwunden waren, kam Tess wieder zurück. Regan blickte noch immer etwas durcheinander zu der weißen Milchglastüre.
„Alex hatte noch nicht Bescheid gegeben“, sagte Tess und ließ sich neben ihrer Cousine auf einen der Stühle nieder. Sie griff sich wieder den Becher mit dem Kaffe und trank einen weiteren Schluck daraus.
„Alex ist schon da“, antwortete Regan und drehte sich zu der Blondine herum.
„Wo ist er denn?“, fragte Tess nur und blickte sich um. Doch konnte sie ihn nirgends entdecken.
„Irgendwie hat er es geschafft, die Schwester zu überzeugen, ihn zu Stevie zu bringen.“
Tess blickte Regan mit großen Augen erstaunt an, atmete dann allerdings erleichtert aus. Sie war froh, dass Alex endlich da ist und auch schon zu Stevie gegangen war. So konnten sie wenigstens hin und wieder informiert werden und die Hoffnung wuchs wieder ins Unermessliche, dass Stevie schon bald wieder aufwachen würde.
„Das ist gut! Jetzt wird alles wieder in Ordnung kommen“, brachte Tess dann hervor und lächelte. Regan erwiderte das Lächeln der Blonden. Das erste Mal seit sie das Krankenhaus betreten hatten, sah sie einen leicht fröhlichen Gesichtsausdruck bei Tess. Das erleichterte ihr die Situation und sie schürte genau wie Tess wieder Hoffnung.
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Chapter 30
Alex betrat das Zimmer, in dem Stevie lag. Für einen Moment blieb er regungslos stehen und schluckte schwer. So viel Geräte und Schläuche. Seine Augen wanderten in diesem Raum umher und blieben dann bei Stevie wieder hängen. Sie sah so verändert aus, dachte Alex und löste sich aus seiner Starre. Er ging weiter in den Raum hinein und setzte sich zu Stevie ans Bett heran. Sein Herz schlug schnell und laut. Er musste diesen Herzschlag unbedingt unter Kontrolle bringen, sonst könnte Stevie womöglich noch mitbekommen, wie viel Angst er hatte. Kurz schloss Alex seine Augen und versuchte sich etwas zu beruhigen. Er saß nun hier, bei Stevie und konnte ihr helfen. Die Schwester hatte ihm berichtet, wie es der Rothaarigen in den letzten Wochen ergangen war. Sie sagte auch, dass es wichtig sei, wenn er sie berühren und mit ihr sprechen würde. Da Stevie nun schon seit sechs Wochen mehr oder weniger im künstlichen Koma lag, sei es von großer Wichtigkeit, wieder eine gewohnte Umgebung zu schaffen. Am besten wäre es, wenn sie Kleidung trug, die sie sonst auch zum Schlafengehen anzog, sie Musik hören würde, die sie sonst auch hören mochte oder gewohnte Gerüche vernahm, die sie sonst umgaben.
All diese Informationen sprudelten nur so auf Alex ein. Automatisch bat er die Schwester, sich mit Tess und Regan noch einmal in Verbindung zu setzen und sie zu beten, eben solche persönlichen Sachen zu bringen. Alex hatte nur den Wunsch bei Stevie zu bleiben und an ihrem Bett zu sitzen, um mit ihr zu reden. Er würde solange nicht wieder gehen, bis sie endlich ihre Augen wieder aufschlug.

Alex schreckte leicht auf, als jemand in das Zimmer trat. Eine Schwester kam hineingelaufen und sah sich die Werte auf dem schwarzen Monitor an. Danach schrieb sie etwas davon auf und blickte anschließend zu Stevie. Es schien alles normal zu sein. Der Blick der Schwester legte sich auf Alex´ Erscheinung und sie lächelte.
„Es ist schön, dass nun endlich die richtigen Angehörigen von dieser wunderschönen Frau gefunden wurden“, sagte sie und blickte wieder auf Stevie hinunter.
Alex versuchte sich ein zaghaftes Lächeln auf das Gesicht zu zaubern. Er wusste, es war nicht richtig, was er tat und gesagt hatte. Nur war es doch aber so, dass sie allesamt umgekommen wären, wenn sie nicht irgendwelche Informationen erhalten würden. Also hatte er nur diese eine Möglichkeit gesehen und solange die anderen mitspielten, würde er mit seiner kleinen Notlüge auch nicht auffliegen. Allerdings fragte er sich jetzt erst, was das für ein Kerl gewesen ist, der sich ebenfalls als Stevies Verlobter ausgegeben hatte. Eigentlich war er diesem Mann ja dankbar dafür, denn er hatte vermutlich aus denselben Gründen gehandelt wie Alex. Vielleicht sollte er versuchen, die Schwestern und Ärzte auszufragen über den Mann. Dann würde er sich persönlich bei ihm bedanken können.

Die Schwester ging nun zum Fenster hinüber und zog die weißen Lamellenvorhänge etwas zur Seite. Sofort drangen warme Lichtstrahlen in das sonst so kahle, kalte Stationszimmer hinein. Der Raum wirkte nun gleich viel freundlicher und wärmer. Wieder lächelte Alex der Dame entgegen. Er bewunderte diese Menschen und fragte sich, wie sie es jeden Tag aufs Neue schafften, dass sie nicht zusammenbrachen bei dem Elend, das sie tagtäglich sehen mussten. Die Schwester ging nun wieder zu dem Monitor hinüber und betrachtete ihn mit einem Lächeln eingehend. Alex wunderte sich darüber.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte er neugierig. Vielleicht würde sie ihm ja so erzählen, weshalb sie bei dem Blick auf die Werte lächelte. Die Schwester drehte sich wieder zu Alex herum.
„Ja, alles in bester Ordnung. Ihrer Verlobten geht es schon besser und so wie die Werte aussehen, ist sie auf dem besten Wege, wieder aufzuwachen.“
„Woran erkennt man das?“, wollte Alex nun wissen und versuchte auf dem Monitor ebenfalls etwas zu erkennen.
„Sehen Sie, der Herzschlag...“ Die Schwester zeigte auf eine der vielen Zahlen. Vor dieser Zahl, auf der ihr Finger nun ruhte, war ein kleines, blinkendes Herz zu sehen. Alex wunderte sich schon wieder. Diese Zahl war eindeutig zu hoch. So viel wusste er nun auch schon.
„Aber ist die Zahl dort nicht viel zu hoch?“ Die Schwester nickte und blickte wieder zu Alex hinüber.
„Der Herzschlag ist zwar etwas schneller als gewöhnlich, aber gleichbleibend“, erwiderte sie und lächelte Alex noch immer an.
„Und was hat das zu bedeuten? Ist das gesund?“
„Die Atmung ist vollkommen normal und sonst macht sie auch einen guten Eindruck, sodass es für ihren erhöhten Herzschlag nur eine einzige logische Erklärung geben kann.“
Alex blickte die Schwester nun fragend an. Sein Herz schlug gleich wieder ein paar Takte schneller. Wieder kroch die Angst ihn ihm hoch. Jedoch kam es ihm seltsam vor, da die Frau ihn ansah und dabei lächelte.
„Was genau ist das für eine Erklärung?“, fragte er dennoch und hatte noch immer panische Angst vor der Antwort. Warum, konnte er sich in diesem Moment auch nicht so recht erklären.
„Sie ist aufgeregt“, erwiderte die Schwester leger, als wäre Stevies schneller Herzschlag eine Selbstverständlichkeit. Etwas vollkommen Normales. Alex schluckte schwer. In diesem Augenblick glaubte er, dass sein eigenes Herz einen Sprung machte. Für ihn war es einer der schönsten Momente in seinem Leben. Diese Aussage der Schwester erfüllte ihn mit einem solchen Glücksgefühl, dass er nur schwer seine Tränen zurückhalten konnte. Etwas Wunderbareres hätte ihm in diesem Augenblick Niemand mitteilen können. Alex blickte nun wieder auf die schlafende Frau hinunter und lächelte Glückselig.
„Wenn Sie sie berühren oder gar Ihre Stimme verlauten lassen, dann werden Sie auf dem Monitor eine Veränderung des Herzschlages sehen können. Versuchen Sie es einmal!“, forderte die Schwester Alex nun auf.
Noch etwas zögerlich hob Alex seine Hand und legte sie auf diese von Stevie. Dabei beobachtete er die Zahl neben dem kleinen, blinkenden Herzen auf dem schwarzen Monitor eingehend. Seine Augen weiteten sich noch weitaus mehr, denn Stevies Herz schlug noch viel mehr aus. Alex hatte das Gefühl, als würde es sich beinahe überschlagen. Er zuckte zusammen und zog augenblicklich seine Hand wieder weg. Sofort beruhigte sich der Piepton wieder und ging etwas langsamer. Wieder wanderten Alex´ Augen zu Stevie, die sich noch immer nicht rührte. Noch einmal wiederholte er diese Prozedur und abermals schnellte Stevies Herzschlag in die Höhe. Er blickte nun die Schwester vor sich an.
„Aber...aber das bedeutet ja, dass Stevie diese Berührung spüren kann und dass sie die Stimmen um sich herum hören kann“, sagte Alex nun voller Freude. In seinen Augen schwammen erste, winzige Tränen. Tränen des Glückes.
Die Schwester nickte.
„Genauso ist es. Die Medizin und die Forschung sind sich nicht einig darüber und es ist auch nicht eindeutig bewiesen, allerdings gibt es solche Fälle eben hin und wieder. Wie Sie sehen, ist Ihre Verlobte das beste Beispiel dafür.“ Die Schwester lächelte Alex nun wieder an und ging um das Bett herum auf ihn zu. Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter und blickte zu ihm hinab.
„Diese Reaktion kann auch ein Zeichen dafür sein, dass sie schon bald aufwachen könnte.“
„Aber warum hat sie das nicht schon längst getan?“, fragte Alex, wandte seinen Blick jedoch nicht von Stevie ab. Er wollte es mit seinen eigenen Augen sehen und als erster mitbekommen, wenn sie ihre Augenlider wieder aufschlug.
„Nun ja, dafür kann es mehrere Gründe geben“, begann die Schwester und setzte sich einen Moment zu Alex. „Zum Einen kann es möglich sein, dass sie einfach noch nicht soweit war. Dass ihr Körper und vor allem das Gehirn noch nicht in der Lage waren, diesen einen entscheidenden Impuls zu geben. Zum Anderen dauert es eine Zeit, bis ein Mensch aus dem künstlichen Koma wieder erwacht. Manch einer findet schneller wieder zurück und manch einer eben etwas langsamer. Andere wiederum gar nicht. Sie fallen dann in ein natürliches Koma und wachen vielleicht nie wieder auf.“
Alex nickte verständnisvoll. So langsam ergab auch alles einen Sinn. Dennoch war es ungewöhnlich und auch unheimlich. Aber man machte im Leben ja oft Erfahrungen zum ersten Mal und konnte somit nur daraus lernen und versuchen zu verstehen.
„Warum musste sie denn überhaupt in ein künstliches Koma versetzt werden?“, fragte Alex weiter.
„Bei schweren Krankheiten oder Unfällen reagiert der Körper oft panisch. Es schrillen sozusagen alle Alarmglocken auf einmal. Körpereigene Rettungssysteme werden völlig überfordert und es kommt zu schwerem Stress. Dadurch kann ein lebensbedrohlicher Zustand eintreten. In solchen Momenten werden Menschen oft bewusstlos. Damit schützt der Körper sich selbst. Das künstliche Koma erfüllt genau die gleiche Aufgabe. Die Kontrolle wird dann von diesen Apparaten übernommen. Bei ihrer Verlobten war eben genau dieser Punkt erreicht. Ihr Körper ist einfach zu überfordert gewesen, durch die starken Verletzungen und Prellungen. Da hat man sich eben dazu entschlossen, sie in ein künstliches Koma zu versetzen, damit der Körper wieder zur Ruhe kommen und genesen kann“, versuchte die Schwester so einfach wie möglich zu erklären. Beim Blick auf den jungen Mann stellte sie fest, dass es so ziemlich ratterte in seinem Kopf. Aber er schien zu verstehen, denn trotz dessen er noch immer nicht den Blick von der Frau vor sich abwandte, nickte er ihr zu.
„Und beschleunigen kann man diese Aufwachphase, indem vertraute Geräusche, Berührungen und Düfte im unmittelbaren Umfeld vorhanden sind“, ergänzte Alex die Erklärung der Schwester mit den Informationen der anderen Schwester, die ihn zu Stevie geführt hatte.
„Genau. Das ist ganz wichtig, um sie wieder in die normale, gewohnte Umgebung einzuführen. Sie sozusagen neugierig zu machen, auf das was ihr bevorsteht. Wenn sie nur so viel vertraute Sachen wie nur irgend möglich um sich herum vernimmt, dann wird sie sich heimisch fühlen und somit auch schneller wieder erwachen.“
Die Schwester erhob sich nun wieder von ihrem Stuhl und blickte noch ein letztes Mal zu Stevie.
„Ich lasse Sie beide nun wieder alleine. Wenn Sie noch irgendwelche Fragen haben oder Unklarheiten auftreten, ich bin im Zimmer am Anfang des Ganges auf der rechten Seite. Sollten Sie es wünschen, dann kann ich Ihnen auch ein Zimmer und ein Bett zu Verfügung stellen.“
Alex schüttelte entschlossen mit dem Kopf. Er würde dieses Zimmer nicht eher wieder verlassen, bis Stevie aufgewacht war. Die Schwester gab ihm mit einem Nicken zu verstehen, dass sie ihn verstand und verließ das Krankenzimmer wieder durch die Türe, durch die sie Minuten zuvor gekommen war.

Nun war Alex mit den Eindrücken und Informationen wieder allein. Die ganze Zeit über hatte er Stevies Hand nicht losgelassen. Er hielt sie fest in seiner. Für Alex war es eine komische Situation mit jemand zu sprechen und zu wissen, dass derjenige nicht antworten würde. Nun aber, nachdem ihm bewusst vor Augen geführt wurde, dass Stevie die Stimmen und die Anwesenheit der Menschen um sich herum wahrnahm, fiel es Alex um einiges leichter, sich mit Stevie zu unterhalten.
„Stevie...“, begann er nun leise zu sprechen. Er holte tief Atem. Sein Blick wanderte wieder zu dem schwarzen Monitor hinüber. Er wollte sehen, wie sie reagierte. Wollte wissen, ob ihr Herz genauso raste, wie sein Eigenes. „Ich hab dir gesagt, ich möchte den Rest meines Lebens mit dir verbringen und das habe ich ernst gemeint. Vollkommen ernst. Ich kann nicht mehr ohne dich leben und das will ich auch gar nicht mehr.“
Während Alex sprach, hatte er den Monitor immer im Blickfeld. Stevies Herzschlag war schon höher als vorher, allerdings war Alex ja auch noch nicht ganz fertig. So sprach er weiter und wandte dabei seine blauen Augen nicht von ihr ab.
„Ich geh hier nicht eher weg, bis du endlich aus deinem Tiefschlaf erwachst. Und wenn ich dafür den Rest meines Lebens auf diesem harten Stuhl verbringen muss.“ Alex machte wieder eine kurze Pause und atmete mehrmals vernehmlich durch.
„Wenn du also Mitleid mit mir armen, alten Mann haben solltest, dann darfst du ruhig deine Augen wieder öffnen und mich mit deinem Blick angiften. Du solltest dabei allerdings nicht vergessen, sie beängstigend eng zusammen zu kneifen. Am liebsten wäre es mir, wenn du dann auch noch beide Hände in die Hüften stemmst.“
Auf Alex´ Gesicht breitete sich ein Lächeln aus. Ja, so liebte er sie doch am meisten. Wenn sie so Stevie typisch da stand, diesen Blick drauf hatte und einen kessen Spruch auf den Lippen.
„Ich liebe dich, Stevie!“ Alex erhob sich von dem Stuhl und beugte sich zu Stevie hinunter. Er gab ihr einen seichten Kuss auf die Lippen. Sein Herzschlag beschleunigte sich augenblicklich noch weitaus mehr, da er das Piepen, welches aus dem Gerät herauskam, noch viel schneller und deutlicher vernahm als jemals zuvor, seit er diesen Raum betreten hatte.
„Also Dornröschen, nun ist es an der Zeit, dass du deine Augen öffnest. Denn so geht das Märchen. Der Prinz küsst die Prinzessin wach und es ward Hochzeit gefeiert“, flüsterte Alex und blickte fest auf Stevies Augen hinab. So starr, dass er im ersten Moment glaubte, sich das Lidzucken ihrerseits einzubilden.
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Chapter 31
Stevies Augen flackerten jedoch noch immer und so langsam schlug sie die Lider wieder auf. Alex hatte sich in dieser Zeit nicht von der Stelle gerührt und hielt in seiner gebeugten Haltung inne. Er hatte Angst, dass sein Herzschlag und abrupte Bewegungen sie erschrecken könnten. Also versuchte er sich innerlich zur Ruhe zu mahnen. Stevie blickte ihn mit ihren braunen Augen an. Alex lächelte ihr entgegen.
„Hey Dornröschen“, sagte er leise und setzte sich langsam wieder auf den Stuhl zurück. Noch immer hielt Alex ihre Hand fest und wandte den Blick von Stevie nicht ab. Die Rothaarige allerdings blickte weiterhin starr an die weiße Decke hinauf. Alex´ Herzschlag setzte sich noch nicht ruhiger fort. Irgendetwas schien äußerst merkwürdig. War Stevie tatsächlich wieder aufgewacht und nahm sie all dies um sich herum jetzt auch wieder normal wahr? Oder hatte sie einfach nur die Augen wieder geöffnet, weil man es von ihr verlangte?
„Stevie?“, sprach Alex leise und sanftmütig. Er drückte ihre Hand fest in seine und strich ihr mit der anderen Hand sanft über den Handrücken. Die nächsten Sekunden liefen wie ein schlechter Film ab und zogen sich für Alex in eine endlose Länge. Sie waren furchtbar und total angsteinflößend. Auf dem Monitor schien sich der Piepton schon beinahe zu überschlagen und schoss in eine schwindelerregende Höhe. Stevie riss sich aus Alex´ Griff und versuchte sich mit eben dieser Hand die Kanüle aus der linken Armbeuge heraus zu ziehen. Alex sprang von seinem Stuhl auf.
„Hey, hey Stevie!“, versuchte er beruhigend auf die Rothaarige einzureden und legte seine Hand auf die Ihrige. Er blickte sie liebevoll an und lächelte. Ihre Augen waren weit aufgerissen und blickten orientierungslos in der Gegend herum. Alex erkannte in ihren Augen schreckliche Angst. Die Furcht davor, was mit ihr geschehen war und noch geschehen würde. Sie wusste nicht, was das alles zu bedeuten hatte. Das wurde Alex in diesem Moment klar.
„Du brauchst keine Angst zu haben. Ich bin ja da.“ Alex lächelte noch immer und blickte ihr tief in die Augen. Er fuhr ihr behutsam mit dem Finger über die Wange und strich eine Strähne ihres Haares aus dem Gesicht.
„Ich bin hier und lass dich nicht allein. Ich geh nicht wieder weg, Stevie. Hab keine Angst, ok?“, wiederholte Alex noch einmal nachdrücklich. Er bemerkte, wie sich der Griff ihrer Hand wieder lockerte und sie versuchte wieder ruhiger zu atmen. Alex nahm abermals ihre Hand in seine. Er drückte sie kurz und lächelte noch immer.
„Stevie, ich werde jetzt eine Schwester rufen. Diese wird sich dann die Werte ansehen, ok? Ich weiß, du möchtest dich gerne erkenntlich zeigen. Aber im Moment geht das noch nicht. Wir könnten uns darauf einigen, dass du bei Ja einmal zwinkerst und zweimal bei Nein. Einverstanden?“ Alex´ Augen wichen nicht aus ihrem Blick und Stevie schloss für einen kurzen Moment die Augen, um sie wenige Hundertstelsekunden später wieder zu öffnen. Innerlich atmete Alex erleichtert aus. Er drückte auf die Klingel und setzte sich auf den Rand des Bettes. Vielleicht hatte Stevie auch einfach nur panische Angst bekommen, weil sie ihn nicht mehr sehen konnte, dachte Alex. Deshalb war er umso erleichterter, als wenige Sekunden später die Schwester das Zimmer betrat. Die Frau ging auf den Monitor zu und notierte sich die Werte in die Akte. Dann drehte sie sich zu Stevie herum.
„Es ist schön, endlich in diese Augen sehen zu können. Ich hab schon viel davon gehört“, sagte die Schwester und lächelte Stevie dabei an.
„Ein wenig müssen sie noch durchhalten. Ich werde den Stationsarzt nun benachrichtigen und dann können wir vermutlich das hier heraus nehmen, ok?“ Die Schwester zeigte auf den Tubus, der noch in Stevies Mund feststeckte. Die Rothaarige schloss für kurze Zeit ihre Augen, um diese sogleich wieder zu öffnen.
„Das soll heißen, dass Sie verstanden worden sind. Stevie hat mit einem Zwinkern geantwortet.“ Alex saß mit stolzgeschwellter Brust noch immer auf dem Bett und drückte lächelnd Stevies Hand. Die Schwester nickte und bat Alex vor dem Zimmer auf dem Flur Platz zu nehmen. Jedoch hatte sie Stevie dabei vollkommen vergessen. Die Werte von Stevie zeigten sofort eine starke Veränderung an. Außerdem drückte sie die Hand von Alex noch fester, so fest wie sie konnte. Alex schüttelte mit dem Kopf.
„Ich kann leider nicht gehen. Sie lässt mich nicht gehen. Sehen Sie?“ Alex lächelte Stevie nun an. Er würde nicht gehen, er hatte es ihr doch versprochen. Die Schwestern und Ärzte müssten also mit ihm Vorlieb nehmen. Zumal Stevie ihn sowieso nicht gehen lassen würde. Außerdem hatte Alex Panik, dass Stevie einfach wieder die Augen schließen würde, so viel Angst wie in ihr steckte.
„Einverstanden, aber nur solange bis der Arzt da ist, dann muss Ihr Verlobter leider aus dem Zimmer herausgehen. Damit wir unsere Arbeit machen und Sie dann die bestmögliche Weiterbehandlung bekommen können.“ Stevie zwinkerte einmal kurz und daraufhin verschwand die Schwester mit einem Lächeln im Gesicht wieder aus dem Zimmer.

Gerade als Tess und Regan in den Fahrstuhl steigen wollten, erreichte sie die Nachricht von Stevies Erwachen. Freudig fielen die beiden Frauen sich in die Arme. Nun war es auch an Regan, Freudentränen zu vergießen. Dass es nun doch relativ fix von statten ging, damit hätte keiner der beiden gerechnet. Sie konnten nur hoffen, dass soweit auch alles in bester Ordnung mit der Freundin sei. Sofern es in diesem Zustand möglich wäre. Bewaffnet mit einem frischen Kaffee setzten sich die Frauen wieder auf die Stühle im Krankenhausflur und warteten angespannt auf irgendwelche Neuigkeiten. Nicht lange danach öffnete sich die schwere Milchglastüre und Alex kam auf sie zugelaufen. Ein breites Lächeln zierte sein Gesicht. Total erleichtert und etwas erschöpft ließ er sich neben Tess und Regan auf einen der Stühle nieder und bettete den Kopf in seinen Händen. Erst jetzt schien die ganze innerliche Anspannung und Angst aus seinem Körper zu weichen, sodass ihm mehrere Schluchzer entkamen. Er zitterte fürchterlich am ganzen Leib.
„Hey. Alles in Ordnung? Geht es Stevie gut?“ Tess legte Alex zur Stärkung eine Hand auf die Schulter. Sie wusste, dass sie Alex die Zeit geben musste. Es muss unvorstellbar schlimm gewesen sein. Sie selbst hatte ja nur wenige Minuten bei Stevie verbracht und das war schon ausreichend gewesen, sodass sie dieses Erlebnis wohl nie wieder in ihrem Leben vergessen würde. Alex hob seinen Kopf und blickte in die beiden Frauengesichter, die ihn gleichermaßen gespannt und erwartungsvoll anblickten.
„Soweit ist alles in Ordnung. Der Arzt ist jetzt bei ihr“, sagte Alex und wischte sich die ersten Tränen, die ihm über die Wangen liefen, fort. „Es war so furchtbar. Ich habe noch nie in meinem Leben solch eine erschreckende Angst in den Augen eines Menschen gesehen wie bei Stevie, als sie mich nicht mehr sehen konnte. Ihre Augen blickten orientierungslos umher. Sie hatte solch eine Angst, dass sie sich schon sämtliche Schläuche aus dem Körper ziehen wollte.“ Alex machte eine Pause, denn wieder schossen ihm die Bilder in sein Hirn. Tess und Regan blickten ohne jegliche Regung zu Alex. Sie schluckten schwer. Niemand kann sich auch nur im Geringsten vorstellen, wie viel Angst ein Mensch haben muss, wenn er wieder zu Bewusstsein kommt und so viele Schläuche in den eigenen Körper münden.
Nach minutenlangem Schweigen öffnete sich die Milchglastüre abermals. Nun trat ein Arzt heraus und gesellte sich zu den drei Wartenden. Sofort sprang Alex aus dem Stuhl heraus auf und blickte den Arzt erwartungsvoll an. Dieser begrüßte die beiden Damen und blätterte anschließend in der Akte, die er in den Händen hielt.
„Sofern es die Situation zulässt, geht es Ms. Hall gut. Ich denke, wir warten die kommenden Stunden noch ab, ob sie nicht doch wieder ein Rückfall erleidet und können sie dann noch heute auf eine normale Station verlegen“, gab der Arzt bekannt. Er strich sich massierend über die Stirn. Bei Alex und den beiden Frauen war eine deutliche Erleichterung zu vernehmen. Dennoch wussten alle drei, dass noch nichts wirklich überstanden war. Noch konnte es einen Rückschlag geben und Stevie könnte wieder in einen komatösen Zustand verfallen. Wieder hieß es warten. Die Zeit, die so quälend vorüber zog, noch einmal durchmachen. Nur, dass es nun eben noch ein zusätzliches Bangen gab.
„Wird es denn Einschränkungen geben? Also physisch und psychisch gesehen?“
„Soweit kann man das noch nicht genau feststellen, dazu müssten neuere Untersuchungen erfolgen. Damit können wir allerdings erst Morgen beginnen“, beantwortete der Arzt vorsichtig die Frage.
„Besser Sie fahren vorerst nach Hause und schlafen sich aus. Hier können Sie ja doch nichts machen.“ Der Arzt nickte den Besuchern freundlich zu. „Wenn sich etwas Neues ergibt, dann werde ich Sie sofort informieren.“ Damit verschwand der Mann im weißen Kittel wieder hinter der schweren Türe aus Milchglas.
Alex jedoch schüttelte vehement mit dem Kopf. Wie sollte er schlafen können, wenn er doch stets daran denken musste, wie es Stevie wohl so ganz allein mit der Situation ging. Er würde ja doch keine Ruhe finden. Zu Hause.
„Aber ihr beide solltet zurück fahren und euch ausruhen. Ich bleibe hier“, gab Alex fest entschlossen zu verstehen.
Nur unter Protest ließen Tess und Regan sich davon überzeugen, dass es wohl das Beste wäre, wenn sie nach Drovers zurückfuhren und etwas schlafen würden, um neue Energie zu schöpfen. Alex musste allerdings das Versprechen abgeben, dass er sich dann am darauffolgenden Tag auch etwas Entspannung und Ruhe gönnen würde. Um die beiden Damen dazu zu bewegen nach Drovers zu fahren, gab er ihnen dieses Versprechen. Jedoch würde Alex nicht nach Hause fahren, ganz sicher nicht. Nicht, solange er sich nicht wirklich sicher sein konnte, dass Stevie tatsächlich über den Berg war.

Tess und Regan schwiegen die erste Zeit im Auto auf dem Weg nach Drovers. Beide hingen sie ihren Gedanken nach. Es war wohl nicht schwer zu erraten, dass sie beide in Gedanken ganz bei Stevie waren. Trotzdessen im ersten Moment eine unglaubliche Last von den Frauen abfiel, wirkten sie noch immer angespannt. Jeden Augenblick konnte die Nachricht eintreffen, dass es einen Rückfall gab und Stevie wieder ins Koma gefallen war. Diese Angst würde wohl in den nächsten Tagen ein ständiger Begleiter sein.
„Tess, ich habe durch diese ganze Situation um Stevie einen Entschluss gefasst“, begann Regan und versuchte sich so gut es ging weiterhin auf die Straße zu konzentrieren. Tess nickte und blickte Regan gespannt an. Sie wusste insgeheim, was nun unmittelbar folgen würde.
„Ich werde mich auf die Suche nach meinen beiden Schwestern machen.“ Regan seufzte tief. Seit sie das Krankenhaus betreten hatten und es sich herausstellte, dass nicht Grace sondern Stevie diejenige war, die dort in dem Bett lag, hatte Regan sich dazu entschlossen gehabt. Sie war sich nicht sicher, ob Tess mit ihrem Entschluss klarkommen würde. Sie hoffte auf das Verständnis ihrer Cousine.
„Das ist gut!“, sagte Tess mit einem zaghaften Lächeln auf den Lippen. „Wirklich gut.“
„Weißt du durch diese ganze Angst ist mir klargeworden, dass das Leben einfach zu kurz ist, um sich wegen Nichtigkeiten aus den Augen zu verlieren und den Rest des Lebens nicht mehr miteinander zu sprechen. Gerade in solchen Situationen wird einem klar, wie wichtig die Familie ist und auch der Zusammenhalt.“
„Du hast vollkommen Recht, Regan. Ich würde nicht anders handeln, wie du es jetzt machen möchtest.“ Tess legte ihrer Cousine eine Hand auf die Schulter und nickte ihr aufmunternd zu. „Such die beiden und sprech dich mit ihnen aus. Vielleicht bringst du sie einfach mit nach Drovers.“
Regan lenkte den Pick Up auf den Hof von Drovers und drehte sich, nachdem sie den Motor abgestellte hatte, zu Tess.
„Und es ist wirklich in Ordnung für dich?“, fragte die Braunhaarige. „Ich meine, dass ich mich gerade jetzt, in dieser Situation, auf die Suche nach meinen Schwestern begebe? Immerhin brauchst du jede Arbeitskraft hier auf Drovers. Zumal wir nun diesen Auftrag bekommen haben.“
„Nein, wirklich! Es ist vollkommen in Ordnung. Mach dir keine Sorgen! Wir werden jede Menge Arbeit haben, das ist klar, aber wir schaffen das schon. Irgendwie hat es bisher ja immer geklappt. Außerdem ist Nick auch noch da.“
„Schon, aber...“
Tess hob die Hand und unterbrach Regan sogleich wieder.
„Kein Aber. Wir schaffen das, ganz sicher.“
„Ok“, sagte Regan schlicht. Dennoch hatte die McLeod ein schlechtes Gewissen. Sie wusste, dass es hart werden würde für die Mädels. Zumal sie nun auch noch diesen Vertrag mit der australischen Feinkostkette abgeschlossen hatten.
„Weißt du schon wo du anfängst?“, fragte Tess und stieg aus dem Auto aus. Regan folgte ihrer Cousine ins Haus hinein.
„Nicht wirklich. Aber vielleicht sollte ich mal im Internet nachforschen. Ich weiß nur, dass Jaz sich irgendwo in Europa aufhält und Grace...“ Regan zuckte mit den Schultern. Grace trieb sich wahrscheinlich auf irgendeinem Rodeo herum. Allerdings wo genau, dass würde wohl schwer werden, es heraus zu finden.
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#84

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Chapter 32
Die Hände um das Lenkrad geschlungen, wippte die junge Frau freudig mit dem Kopf im Takt zur Musik und trällerte laut einen Song mit, der zurzeit zu den meistgehörtesten des Landes zählte. Sie freute sich schon auf die Gesichter der Frauen, wenn sie auf Drovers aufschlug. Wie schon beim ersten Mal, als sie in diese Gegend kam, brauchte sie wieder eine kleine Auszeit von ihrer Welt. Einer Welt, die nur aus Wettkämpfen, anschließenden Fototerminen und Dinnerpartys bestand, ihr somit viel zu wenig Zeit zum Leben ließ. Sie war jung und nun auch wieder ungebunden. Aber davon ließ sie sich nicht unterkriegen. Ungebunden hieß ja nicht automatisch, voll und ganz in Selbstmitleid zu verfallen. Jedenfalls nicht sie. Vielmehr war sie der Typ Frau, der sich durch eine Trennung im Beziehungsleben nicht unterkriegen ließ und sofort wieder Anschluss finden würde. Jedoch nicht in nächster Zeit, zumindest nicht geplant. Nun würde sie sich eine Auszeit gönnen und das nicht nur in Sachen Liebesbeziehungen. Die junge Frau bog nun in die Straße ein, die sie direkt nach Drovers Run führte. Je weiter sie sich ihrem Ziel näherte, desto aufgeregter wurde sie. Viele Monate waren verstrichen seit sie das letzte Mal in dieser Gegend gewesen ist. Mit gemischten Gefühlen fuhr sie nun die Auffahrt hinauf und stoppte schließlich ihren Mietwagen auf dem Hof. Einen Moment blieb sie noch im Auto sitzen und blickte um sich. Viel verändert hatte sich in der letzten Zeit eigentlich nichts. Dieser Ort hatte noch immer diese gewisse Magie, die wärmstes Wohlbehagen im Innern eines Menschen hervorrief. Erinnerungen stiegen der jungen Frau wieder auf und sie musste unwillkürlich lächeln, aber auch aufsteigende Tränen unterdrücken. Die Umstände waren nicht gerade die Besten gewesen, als sie diesen Ort damals verlassen hatte. Aber sie konnte nun in dieser Situation nur das Beste daraus machen und hoffen, dass über die Zeit hinweg alle Wunden geheilt waren. Ein tiefer Seufzer entwich der jungen Frau, ehe sie voller Elan mit den Handballen gegen das Lederüberzogene Steuerrad schlug und schließlich aus dem Mietwagen ausstieg. Mit noch zögerlichen Schritten lief sie über den Hof direkt auf das Haupthaus zu. Das Herz pochte wild in ihrer Brust und das Atmen fiel ihr schwer, ihre Hände waren mit einem dezenten Schweißfilm überzogen, als sie um die Ecke bog und auf die Veranda stieg. Die junge Frau ließ noch einmal ihren Blick umherschweifen, ehe sie voller Tatendrang und mit allem zusammengetragenen Mut das alte Haus betrat. Ihr Weg führte sie durch das Esszimmer in den kleinen Flur hinein. Die alten Dielen knarrten bei jedem Schritt. Dennoch ging sie mit Bedacht langsam und so leise wie möglich ihres Weges weiter. Sie hörte Stimmen aus der Küche und atmete noch ein letztes Mal vernehmlich durch, ehe sie sich schließlich dazu aufraffte und in die um diese Zeit schon belebte Küche entschwand.

Lautes Gebrabbel und herzhaftes Lachen rissen den jungen Mann aus seinem doch unbequemen und unruhigen Schlaf heraus. Diese harten Plastikstühle waren nun nicht wirklich das Wahre. Eigentlich hatte Alex nicht vorgehabt, auch nur ein Auge zu zumachen. Allerdings zogen sich die wartenden Stunden so dermaßen in die Länge, dass ihm irgendwann die Lider immer schwerer wurden und er in einen Dämmerzustand versank. Alex reckte und streckte sich. Knochen knirschten und knackten. Er schüttelte sich kurz, ehe er sich schließlich doch auf den Weg machte und einen Kaffee holte. Etwas komisch war das schon alles. Alex hätte nicht gedacht, dass es bis zum Morgen dauern würde, ihm neue Informationen zu geben über Stevies Gesundheitszustand. Gerade ließ er sich wieder auf einen dieser Plastikstühle nieder mit einem frischen, heißen Kaffee in der Hand, als ein Arzt den Flur betrat. Sofort sprang Alex wieder auf und verschüttete dabei etwas von dem Kaffee. Er schenkte dem jedoch nicht so sehr viel Aufmerksamkeit. Viel wichtiger war es für ihn ja nun, etwas über Stevie zu erfahren, nachdem man ihn die ganze Nacht ohne jegliche Informationen gelassen hatte. Der Arzt gab grünes Licht und berichtete, dass man Stevie demnächst auf eine normale Station verlegen würde. Dann kämen im Laufe des Vormittages noch sämtliche Untersuchungen hinzu und alles Weitere müsste danach noch besprochen werden, wenn die Ergebnisse da waren. Alex war erleichtert. Stevie hatte also die Nacht schadlos überstanden und nun würde sie womöglich keinen Rückfall mehr bekommen. Aber auch wenn sie die Nacht überstanden hatte, ohne jegliche Komplikationen, hieß das noch lange nicht, dass Alex sie auf der Stelle mit nach Hause nehmen könnte. Die nächste Zeit würde schwer werden und sie würde wohl viel Geduld und Durchhaltevermögen abverlangen. Sechs Wochen Koma war schließlich eine verdammt lange Zeit. Eine Zeit, in der sich zwar der Körper eines Menschen wieder normalisieren und stabilisieren konnte, jedoch aber die anderen Dinge vernachlässigt wurden, wie etwa die Motorik. Stevie würde nach den Wochen im Krankenhaus noch nicht wieder nach Drovers zurückkehren können. Je nach den Ergebnissen der Untersuchungen müsste sie zur Rehabilitation und womöglich wieder laufen und sprechen lernen. So wie eben bei einem kleinen Kind, wieder ganz von vorne beginnen. Der junge Mann seufzte hörbar. Der Arzt versprach Alex, dass er, sobald Stevie verlegt worden ist, wieder zu ihr könne. Damit verschwand der Mann im weißen Kittel wieder und ließ Alex allein zurück. Auch wenn dieser wusste, er würde vermutlich keinen Bissen herunter bekommen, zwang Alex sich dazu, in die Cafeteria zu gehen und es wenigstens zu versuchen, etwas zu essen. Jedoch kam ihm seltsamerweise wieder dieser Mann in den Sinn, der sich die Wochen zuvor ebenfalls als Stevies Verlobter im Krankenhaus ausgegeben und aufgehalten hatte. Alex ging also auf das Schwesternzimmer zu und bat die Schwester diesen Mann unter einem Vorwand wieder ins Krankenhaus kommen zu lassen.
„Sie können Anzeige erstatten“, sagte die Schwester mit einem Lächeln auf den Lippen.
„Nein, nein, das ist nicht notwendig. Ich möchte diesen Mann einfach nur kennen lernen und mich bei ihm bedanken“, gab Alex zu verstehen und rieb sich mit der Hand über die Schläfen. Die Schwester blickte den jungen Mann mit ihren Kulleraugen erstaunt an. Dann schüttelte sie mit dem Kopf. So etwas hätte sie nicht erwartet. Für sie war es schon eine Straftat gewesen, aber wenn die Angehörigen von Stevie sich das gefallen ließen und keine Anzeige erstatten wollten, dann konnte sie auch nichts dagegen tun. Jedoch tat die Schwester Alex diesen Gefallen und rief Noah an und bat ihn ins Krankenhaus zu kommen, da es Neuigkeiten geben würde.

Noah saß in seinem Hotelzimmer und fragte sich, wieso ausgerechnet er angerufen wurde. Er hatte gedacht, da nun die wahren Freunde und Angehörigen von Stevie gefunden wurden, würde er nie wieder etwas von Stevie hören. Deshalb erstaunte ihn dieser Anruf aus dem Krankenhaus doch sehr. Noah konnte allerdings auch nichts gegen seine momentan aufsteigende Neugierde tun und hatte sich auf den Weg ins Krankenhaus gemacht. Mit gemischten Gefühlen betrat Noah das Krankenhaus und wenig später schon die Station, auf der er lange Zeit verbracht hatte.

Als das Läuten der Fahrstuhltüre erklang, hob Alex seinen Kopf und blickte in die Richtung, aus der die Schritte kamen. Ein Mann, etwa im selben Alter, lief mit quietschenden Schritten über den mit Linoleum belegten Fußboden direkt auf das Schwesternzimmer zu. Alex konnte sich nicht wirklich sicher sein, ob dies dieser Mann war, der sich ebenfalls zuvor als Stevies Verlobter ausgegeben hatte. Dennoch hatte er so ein Gefühl und dies bestätigte sich schließlich, als eine der Schwestern in die Richtung zeigte, in der Alex auf dem Stuhl saß. Mit einem merkwürdigen Gefühl im Bauch sah Noah auf den Mann, auf den die Finger der Schwester zeigten, und ging schließlich noch etwas zögerlich auf ihn zu. Er bereitete sich innerlich auf das Schlimmste vor. Noah hörte schon die Handschellen zuschnappen und sah stählerne Gitterstäbe vor sich schließen. Als er dann letztlich bei Alex angekommen war, erhob dieser sich von seinem Stuhl. Alex streckte Noah seine Hand entgegen und versuchte sich ein Lächeln abzugewinnen. Es war schon ein angespanntes und merkwürdiges Gefühl zwischen den Männern. Jedoch begann sich die angespannte Situation langsam zu lösen, als Alex sich bei Noah für seine Unterstützung in der Zeit, in der Niemand wusste wer die Frau tatsächlich war, die über die Wochen im Koma lag, bedankte.

Noah verließ nach einigen Stunden das Krankenhaus wieder und fuhr zurück in sein Hotel. Das Gefühl, welches sich nun in seinem Innern befand, war das ganze Gegenteil von dem, mit welchem er vor Stunden genau diesen Weg gefahren war, nur in die entgegengesetzte Richtung. Noah hätte nie gedacht, dass dieses Gespräch mit Alex so verlaufen würde. Nicht, nachdem sich für den jungen Mann herausgestellt hatte, dass er derjenige war, der tatsächlich mit der rothaarigen Frau verlobt war. Ein Lächeln zierte Noahs Gesicht und unsagbare Erleichterung machte sich in ihm breit. Es war ein schönes Gefühl zu wissen, dass Stevie wieder auf gutem Wege der Besserung war. Alex hatte Noah außerdem versprochen, ihn auf dem Laufenden zu halten. Wie er zu dieser Erkenntnis kam, das war dem jungen Mann noch immer unbegreiflich. Wahrscheinlich war Alex einfach nur froh, dass Stevie nicht alleine war in den ganzen Wochen, dass es jemanden gab, der sich um sie sorgte und sich um ihr Wohlbefinden kümmerte und sich deshalb auf diese Art bei ihm bedanken wollte, dachte Noah bei sich.

Nach der ersten euphorischen Wiedersehensfreude saßen die Mädels in der Droversküche sich nun gegenüber und schwiegen einen Moment. Für Jaz war es schon ein harter Brocken zu erfahren, dass ihre Schwester Regan bis vor wenigen Stunden noch in dem Glauben war, Grace könnte etwas zugestoßen sein. Die Erkenntnis, dass es nicht die jüngste der drei Schwestern getroffen hatte, machte die Situation nicht einfacher für Jaz. Sie und Stevie hatten zwar keinen guten Start gehabt, als sie das erste und letzte Mal auf Drovers war, allerdings wünschte man sich einen Rodeounfall mit anschließendem Koma nicht mal für seinen ärgsten Feind. Kein Mensch hatte es verdient, um sein Leben bangen zu müssen und höchstwahrscheinlich danach kein vollkommen normales Leben mehr führen zu können. Es war schrecklich. Auch für Tess und die anderen Mädels, da sie noch immer keine Nachricht von Alex aus dem Krankenhaus bekommen haben. Für einen Moment schien die angespannte Stille noch gespenstischer, die durch das surrende Klingeln des Telefons unterbrochen wurde. Mit rasant klopfenden Herzen ging Tess ins Arbeitszimmer und hob den Hörer von der Gabel...
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Chapter 33
Stevie lag ängstlich in dem Krankenbett und sah sich in ihrem neuen Umfeld um. Es war noch immer erschreckend, da bis zu diesem Zeitpunkt niemand über den Grund ihres Aufenthaltes in diesem Krankenhaus gesprochen hatte. Die Rothaarige war sich nicht sicher, ob ihre Stimme überhaupt noch vorhanden war. Diese ganze Situation schien für sie äußerst merkwürdig. Da sie auch nicht in der Lage war, sich selbstständig zu bewegen. Sie wusste ja noch nicht einmal wie ihr eigener Name war. Gab es so etwas überhaupt? Hatte wirklich jedes Individuum einen Namen? Wie kam sie überhaupt drauf, dass es das Wort Name war, welches man dazu benutzte?

Stevie wusste, dass sie sich in so einer Art Schlaf befunden hatte und sie hatte immerzu verschiedene Stimmen wahrgenommen gehabt. Oft war es eine Männliche gewesen. Diese Stimme hatte sie lange Zeit begleitet und durch sie lernte sie einen Ort kennen, an den sie sich noch zu genau erinnern konnte. Ein Ort, der ihr stets ein wohliges Gefühl bereitet hatte. Ein Ort, der so zauberhaft erschien, mit seinen unendlichen Weiten, saftigen Wiesen und den blau-silbrigen Bergwipfeln im Hintergrund. Dort hatte sie sich vollkommen frei und schwerelos gefühlt.

Wenn sie nun um sich blickte, dann sah die Rothaarige nur diese furchtbar kahlen, weißen Wände. Zur linken Seite war ein Fenster, dessen Lamellenvorhänge stur zugezogen waren. Sie konnte nicht mal einen winzigen Blick hinaus werfen. Ihre Augen entdeckten, geradeaus gerichtet, einen Fernseher, dessen schwarzer Bildschirm ihr das Gefühl vermittelte, als würde er sie die ganze Zeit beobachten. Darunter befand sich ein Tisch mit frischen Blumen. Um diesen Tisch herum standen drei Stühle aus gemasertem dunklem Holz. Zur rechten Seite befand sich die Zimmertüre, die sich in genau diesem Augenblick auf bewegte.
Ein junger Mann, bekleidet mit einem langen weißen Kittel und einem Stethoskop um den Hals hängend, betrat das Zimmer und kam mit einem freundlichen Lächeln auf Stevie zu.
„Hallo, ich bin Dr. Smith. Wie geht es Ihnen Ms. Hall?“, fragte der blonde Mann liebevoll und griff nach Stevies rechtem Handgelenk. Er legte seine kalten Finger darum und sah dabei auf seine Uhr, die er trug. Stevie schluckte und versuchte ihre Mundhöhle ein wenig zu befeuchten.
„Weshalb bin ich hier?“, fragte die Rothaarige und wunderte sich im ersten Moment, dass ausgerechnet diese Frage über ihre Lippen kam. Es war komisch die eigene Stimme zu hören. Sie war so fremd, wo sie doch die letze Zeit über immer sämtliche andere Stimmen vernommen hatte. Der Arzt notierte etwas auf einem Blatt und wandte sich anschließend wieder der Frau in dem Bett zu.
„Sie hatten einen Reitunfall mit anschließendem Koma. Um feststellen zu können, ob soweit alles in Ordnung ist, müssen wir weitere Untersuchungen machen.“ Der Arzt sah Stevie mit seinen freundlichen Augen und einem Lächeln auf den Lippen an.
„Spüren Sie das?“, fragte er anschließend, nachdem er die Decke, mit der Stevie bedeckt war, weggeschoben hatte und mit einer Art Minihammer gegen ihr linkes und rechtes Knie klopfte. Stevie erschrak im ersten Moment leicht, allerdings konnte sie sich die Antwort auf die Frage des Arztes wohl sparen.
„Aber ja“, antwortete sie dennoch und bemerkte, wie ihre Beine reflexartig zuckten. „Ich finde dieses Gefühl furchtbar. Wozu soll das gut sein?“, stellte die Rothaarige eine Frage, während der Arzt mit einer kleinen Taschenlampe in ihre Augen leuchtete.
„Ich teste nur, ob auch sämtliche Reflexe einwandfrei vorhanden sind. Haben Sie schon einmal versucht aufzustehen?“, fragte der Arzt weiter und sah Stevie erwartend an. Die Rothaarige jedoch schüttelte mit dem Kopf. Sie hatte es versucht, zumindest in Gedanken. Der Mann in dem weißen Kittel lächelte.
„Gut, dann versuchen wir es doch gleich einmal“, sagte er und half Stevie sich auf zusetzen.
Ihre Beine baumelten über dem, mit dunklen Fliesen belegten, Fußboden. Sofort drang Kälte an die Fußsohlen und ließ Stevie ein wenig frösteln. Die Rothaarige schob sich weiter an die Kante des Bettes und stellte ihre Füße auf den kalten, nackten Fliesen ab. Automatisch schüttelte sie sich und bemerkte, wie sich eine Gänsehaut rasant über ihrem Körper ausbreitete. Noch etwas unsicher und ein wenig ängstlich stieß Stevie sich vom Bett ab und stellte sich auf ihre Füße. Sie war noch leicht wacklig auf den Beinen. Allerdings stand sie. Der Arzt lächelte wieder und hakte sich bei der jungen Frau unter, um ihr so eine Stütze zu geben. Vorsichtig und zaghaft versuchte Stevie einen Schritt mit ihren wackeligen Beinen. Es war ein merkwürdiges aber dennoch erleichterndes Gefühl auf den Beinen zu stehen und auch einen Schritt nach dem Anderen zu machen. Es ging zwar langsam vorwärts, aber immerhin ging es überhaupt.
Vor ein paar Minuten noch war sie sich nicht einmal sicher gewesen, ob sie es überhaupt noch konnte. Mit der Zeit jedoch kam alles von ganz alleine. Die Rothaarige machte sich nicht mehr über alles so sehr viele Gedanken. Viel mehr nahm sie jede Reaktion, jede Handlung und jedes Wort, das ihr in den Sinn kam, als selbstverständlich hin und so ließ es sich doch angenehmer und schöner leben.

Die Untersuchungen, die nun folgten, ließ sie auch über sich ergehen und fand sich schließlich in einem Zimmer mit einer Liege und sämtlichen Geräten wieder. Neben dieser harten, etwas unbequemen Liege stand ein Monitor auf einer Art Beistelltisch. Stevie glaubte sich zu erinnern, dass sie so etwas schon einmal gesehen hatte. Sie überlegte ein paar Minuten, woher sie solch ein Gerät kannte. Bis ihr schließlich einfiel, dass sie das letzte Mal so etwas gesehen hatte, als sie mit einer jungen Frau im Krankenhaus war. Nur leider wollte ihr der Name der Frau nicht mehr einfallen. Komischerweise konnte Stevie sich aber an alle sonstigen Einzelheiten genau erinnern. Ihr fiel unter anderem ein, dass sie mit dieser Frau gebannt auf den Monitor gesehen hatte und dort so eine Art kleiner schwarz-weißer Film ablief. Plötzlich klingelte es in ihrem Hirn. Jetzt wusste sie wieder, was das war. Dieses Gerät bezeichnete man als Ultraschallgerät. Stolz lächelte die Rothaarige vor sich hin und verschränkte dabei ihre Arme auf der Brust. Sie konnte sich auch daran erinnern, dass sie selbst und diese Frau sich nach dieser Untersuchung freudig und mit Tränen in den Augen in die Arme gefallen waren. Dennoch bereitete es ihr Kopfzerbrechen, da sie noch immer nicht wusste, wer diese Frau war. Jedoch spielten sich die Bilder vollkommen klar und deutlich in ihrem Hirn ab. Stevie wurde in ihren Gedanken und Erinnerungsversuchen unterbrochen.

Der junge Arzt von vorher trat nun in diesen Raum und setzte sich auf einen Stuhl neben der Liege, auf der Stevie noch etwas angespannt lag. Er schenkte ihr wieder dieses freundliche Lächeln und blickte sie dabei sanft an.
„Also Ms. Hall, verraten Sie mir nun, wie es Ihnen geht?“, fragte er und wandte den Blickt nicht von ihr ab. Stevie seufzte tief. Schon wieder sprach er sie mit einem Namen an, der ihr ganz und gar nichts sagte. Aber da sonst niemand in diesem Raum war, musste dieser Name ihr gehören.
„Naja“, begann die Rothaarige und befeuchtete mit der Zunge kurz ihre Lippen. „Eigentlich geht es mir ganz gut. Allerdings fehlen mir so manche Sachen in meinem Gedächtnis. Sie sagten vorhin etwas von einem Unfall. Ich kann mich daran nicht erinnern. Ich weiß ja nicht einmal wie mein Name ist“, sagte Stevie traurig.
„Das ist ganz normal. Sie hatten einen Sturz und anschließend das Koma. Es braucht ein wenig Zeit, bis sie sich an alles genau wieder erinnern können. Sie werden sehen, die Erinnerungen kommen ganz schnell wieder zurück. Vielleicht sogar schneller als Ihnen lieb ist.“
„Na wenn Sie das sagen.“
Der Arzt lächelte der rothaarigen Frau entgegen. Dann nahm er sich eine Akte und blätterte kurz in dieser herum. Er blickte auf und noch immer saß dieses sanfte freundliche Lächeln auf seinem Gesicht fest.
„Wissen Sie was das ist?“, fragte er schließlich und legte die Akte wieder auf ihren Platz zurück. Stevie lächelte dem Arzt nun auch entgegen.
„Das ist ein Ultraschallgerät“, sagte sie stolz und nickte dabei unterstreichend mit dem Kopf.
„Genau. Und was glauben Sie macht man mit diesem Ultraschallgerät?“, fragte der junge Arzt weiter. Stevie schüttelte ungläubig mit dem Kopf. Hielt dieser Mann sie etwas für total bescheuert und begriffsstutzig?
„Sicher steht es nicht zum Bestaunen hier herum. Wahrscheinlich dient es zu weiteren Untersuchungen“, gab die Rothaarige patzig zurück. Dabei wollte sie doch gar nicht so überempfindlich reagieren. Jedoch machte dieser Arzt sie vollkommen nervös mit seiner lieben, netten und freundlichen Art. Wo sie selbst doch gar nicht wusste, was mit ihr los war. „Entschuldigung!“, warf sie deshalb rasch hinterher und versuchte sein Lächeln so locker wie möglich zu erwidern.
„Schon in Ordnung. Das sind ganz schön viele Informationen mit einmal gewesen, ich kann verstehen, wenn Sie leicht genervt sind. Sicher möchten Sie wissen, was das für eine Untersuchung ist, die nun unweigerlich folgen wird. Aber etwas müssen Sie sich noch gedulden.“
Stevie sah den Mann mit großen Augen fragend an. Wieso rückte der Arzt denn nicht einfach mit der Sprache heraus? Sie hatte zwar Gedächtnislücken, aber dennoch war sie ja nicht über die Zeit im Koma hinweg zu Zuckerwatte geworden. Stevie war sich sicher, dass es noch schlimmer, wie das Vergessen des eigenen Namens gar nicht kommen konnte.
„Ich werde jetzt mit dem Ultraschallgerät ihren Unterleib sozusagen durchleuchten. Sie können das Ganze dann hier auf dem Monitor mit verfolgen“, sprach der Arzt weiter. Er holte eine Plastiktube aus einem Schubfach unter dem Monitor hervor und nahm sich dann den Ultraschallkopf zur Hand. Nachdem er anschließend etwas aus der Tube auf den Kopf gegeben hatte, blickte der Arzt wieder zu Stevie.
„Das wird jetzt etwas kalt werden, also nicht erschrecken.“
Stevie nickte und blickte erwartungsvoll auf den Monitor, der nun nicht mehr das triste schwarze Bild aufzeigte. Das kalte Gel auf ihrem Bauch ließ sie kurzzeitig etwas zusammenzucken. Der Bildschirm flackerte kurz auf. Stevie konnte nun ein Bild erkennen. Was genau das allerdings war, das wusste sie auch nicht. Der Arzt schien zu bemerken, dass die rothaarige Frau zwar gebannt aber dennoch verwirrt auf den kleinen Monitor blickte.
„Das ist ihre Gebärmutter. Sehen Sie diesen kleinen schwarzen Fleck hier?“ Der Arzt zeigte auf einen kleinen Punkt, der aussah wie eine Bohne und sich von der Farbe her doch von dem Rest des Bildes auf dem Monitor genau abzeichnete. Dieser winzige Fleck, der gerade mal eine reelle Größe von etwa vier bis acht Millimeter hatte, verursachte bei Stevie mächtiges Herzklopfen. Was hatte das alles zu bedeuten, fragte sie sich immer und immer wieder, während der Arzt mit dem Ultraschallkopf noch weiter auf ihrem Bauch herumfuhr.
„Schon, aber ist es etwas Schlimmes?“, fragte die Rothaarige mit noch immer kräftig klopfendem Herzen. Der junge Arzt wandte seine Augen von dem Monitor auf die Frau zu, die ihn erwartungsvoll und leicht ängstlich anblickte.
„Das ist bei jeder Frau unterschiedlich. Kommt ganz darauf an, ob es eine freudige oder schockierende Nachricht für die Frau ist, wenn sie erfährt, dass sie Nachwuchs erwartet.“ Wieder erschien das Lächeln auf seinem Gesicht.

Stevie wusste nicht warum, aber es beruhigte sie die ganze Zeit über schon, wenn der junge Arzt sie anlächelte. Dennoch war sie alles andere als ruhig und gelassen in diesem Augenblick. Hatte sie ihn tatsächlich richtig verstanden? Sollte sie etwa ein Kind erwarten? Plötzlich fiel ihr wieder diese Situation mit der ihr bekannten namenlosen Frau ein. Diese Untersuchung damals lief genauso ab, wie ihre Eigene jetzt. Auch der Frau hatte man mitgeteilt, dass sie ein Kind erwartete. Stevie konnte sich noch zu gut daran erinnern, wie glücklich sie gewesen war. Jetzt wurde ihr auch bewusst, weshalb sie und die Frau sich weinend in die Arme gefallen waren. Diese Frau war einfach nur überglücklich gewesen und es hatte ihr solch ein wärmendes aber auch total aufregendes Gefühl beschert gehabt, das winzige Baby in ihrem Bauch zu sehen. Stevie bemerkte gar nicht, wie sich in ihren Augen Tränen gesammelt hatten und nun über ihr Gesicht liefen.
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Chapter 34/1
Ängstlich schreckte Stevie hoch. Ihr Herz schlug rasant und der Atem ging stoßweise. Für einen Moment blickte sich die Rothaarige um, versuchte das Geräusch wieder zu vernehmen, intensiver zu hören. Doch da war nichts. Eben hatte sie doch noch ein Weinen vernommen. Oder hatte sie nur schlecht geträumt? Bis auf ihren schnellen Atem und das Herzklopfen war nichts weiter zu hören. Stevie seufzte tief und atmete vernehmlich aus. Gerade war sie wieder in die weichen Kissen zurückgesunken, als abermals dieses Weinen in ihre Ohren drang. Ein Weinen, das mehr einem leisen Wimmern ähnelte und weit weg schien.

Vom Schlaf gezeichnet setzte die Rothaarige sich auf und stellte ihre nackten Fußsohlen auf dem kalten Boden ab. Träge erhob sie ihren noch müden Körper und tapste in ihren Schlappen aus dem Wohnzimmer hinaus in den Flur. Sie blickte sich um und konnte sich an keines dieser Gegenstände und Zimmer erinnern. Wo befand sie sich nur? Wie kam sie hierher? Dieses leise Wimmern wurde nun immer lauter, je mehr Stevie in den Flur hineinging.

Sie stieg langsam die Stufen der Treppe hinauf. Oben, auf der rechten Seite entdeckte die Rothaarige ein Zimmer, dessen Türe einen Spalt weit offenstand. Ein feiner Lichtstrahl tänzelte auf dem Boden, der mit dunklen Fliesen versehen ist. Vorsichtig drückte sie mit dem Finger gegen die Türe und stieß diese damit auf. Neugierig wanderten ihren Augen in dem hellerleuchteten Zimmer umher. Am Fenster waren die weißblauen Vorhänge weit aufgezogen, damit erhielt die Sonne mehr Einzug in dem warmen Raum. Links unterhalb des Fensters stand eine kleine Wiege, die sachte zum Takt der Musik wippte, welche aus der Spieluhr ertönte.

Stevie wagte einen Schritt hinein, ganz zaghaft. Dann noch Einen und noch einen. Die Rothaarige hörte sich summen, freudig zu der Melodie, die noch immer unaufhaltsam aus der Spieluhr ertönte, während sie weiter in das Zimmer hineinlief, auf die schaukelnde Wiege zu. Das leise Weinen hatte noch nicht aufgehört und Stevie war mittlerweile soweit vorgedrungen, dass sie einen Blick in das sanft wiegende Bettchen werfen konnte. Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht und der Drang das kleine Wesen auf den Arm zu nehmen, erhielt die Überhand.

Als die Rothaarige das Baby fest in ihren Armen hielt, hörte das leise Weinen auf. Neugierig wanderten die winzigen Augen über das lächelnde Gesicht der Frau, so als wenn sie schon alles wahrnehmen könnten. Stevie strich mit ihren Fingern sanft die Konturen des kleinen Gesichtes nach und lächelte summend den strahlenden Kinderaugen entgegen.

Ein Geräusch ließ die Rothaarige aufschrecken und ihren Blick von dem Baby nehmen. Ihre Augen sahen zur Türe hinüber, durch die sie wenige Minuten zuvor hereingetreten war. Eine dunkelhaarige Frau erschien und ging schnurstracks auf Stevie zu. Die Rothaarige musterte die Frau von oben bis unten. Sie war eine schlanke Frau mit freundlichen, weichen Gesichtszügen, ihre Haare fielen locker auf ihre freigelegten Schultern. Doch irgendetwas störte Stevie an dieser Frau. Sie konnte sich allerdings nicht so recht erklären, was genau sie ängstlich machte.
„Das Baby gehört mir und Alex. Wir brauchen es zum Glücklich werden.“
Der Klang dieser Worte war widerlich und abgrundtief böse. Mit einem gehässigen Lachen riss diese Frau Stevie das Baby aus den Armen und drehte sich auf dem Absatz wieder herum, um aus dem Zimmer zu laufen. Mit geweiteten Augen und weitaufgerissenen Mund starrte Stevie der Frau nach. Ein Schauer lief ihr eiskalt den Rücken hinunter. Sie wollte etwas sagen, sie wollte schreien, doch nichts kam über ihre Lippen.

Es brauchte einen Moment, bis die Rothaarige sich in Bewegung setzte und der fremden Frau nachlief. Sie lief aus dem Zimmer hinaus auf den Flur, doch sie fand diesen gespenstig leer vor. Stevie öffnete sämtliche Zimmertüren und blickte hinein, sah diese Frau mit dem Baby jedoch nicht. Sie lief hinunter und auch da war keine Spur von ihr. Erschöpft ließ die Rothaarige sich in einen weichen Sessel sinken und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Ständig hatte sie das Gesicht der Frau mit dem gehässigen Lachen auf den Lippen vor sich, sie konnte es nicht mehr aus ihrem Hirn verbannen. Immer wieder sah sie, wie diese Frau ihr das Baby entriss und diese besitzergreifenden Worte aussprach. Immer und immer wieder hallten sie durch den Raum, laut und deutlich. Beängstigend laut. So laut, dass es schon unerträglich wurde und Stevie sich schluchzend die Ohren fest zuhielt. In der Hoffnung so würde diese gehässige Stimme, gefolgt von dem fiesen Lachen, wieder verschwinden. In ihrem lauten Weinen und Schluchzen bemerkte die Rothaarige nicht, wie sich ihr jemand näherte und sich beschützend eine Hand auf ihre Schulter legte. Erst diese beruhigende Geste ließ sie aufschrecken und hochsehen.


Schweißgebadet riss Stevie ihre Lider auf und sah in das Gesicht, welches ihr gerade im Traum erschienen war. Die sanften Augen von Tess blickten lächelnd auf sie herab. Für einen Moment musste die Rothaarige sich sammeln, sie blickte um sich und erkannte, dass sie sich wieder in diesem Zimmer mit den kahlen, kalten Wänden befand. Stevies Augen wanderten zurück zu der Frau, die sie noch immer ansah und lächelte.
„Du hast schlecht geträumt, Stevie. Geht es dir gut?“, fragte sie und setzte sich neben dem Bett auf einen Stuhl.
„Ich bin nicht sicher“, entgegnete Stevie und befeuchtete mit der Zunge ihre trockenen Lippen. Sie erinnerte sich wieder an diesen Moment in dem Arztzimmer, als sie mit dieser Frau auf den Monitor blickte. Ein Lächeln erschien nun auf Stevies Gesicht.
„Wie geht es dem Baby“, schoss es aus der Rothaarigen heraus. Sie erschrak leicht bei den ausgesprochenen Worten und dennoch war es das Einzige, was ihr im Moment einfiel und auch ihre Neugierde erweckte.
Tess zuckte leicht zusammen. Damit hatte sie nicht gerechnet. Viel eher hatte sie sich darauf eingestellt, wie sie ihrer Freundin erklären konnte, in was für einer Beziehung sie zueinanderstanden.
„Was meinst du?“, fragte Tess, noch immer unsicher darüber, ob Stevie wusste, wer sie war.
„Ich weiß nicht genau, aber das ist das Einzige, woran ich mich im Moment erinnern kann. Wir haben auf den kleinen Monitor gestarrt und da war ein Baby zu sehen. Du hast geweint und gleichzeitig gelächelt. Ich war glücklich, dich so zu sehen und auch wenn ich mich an nichts anderes mehr erinnern kann, so glaube ich, dass ich mich nie so sehr gefreut hatte wie in diesem Augenblick, als wir uns weinend in die Arme fielen.“
Tess schluckte schwer und bemerkte, wie sich Tränen in ihre Augen schlichen. Die Ärzte hatten gesagt, dass Stevie an einer Amnesie litt und dass es eine Zeitlang dauern würde, bis sie sich wieder an alles erinnern könne. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass die ersten Erinnerungsfetzen so plötzlich und schnell kommen würden und noch viel weniger hatte sie damit gerechnet, dass das Erste, an was sich Stevie erinnern würde, etwas mit ihr zu tun haben könnte.
„Sie heißt Claire und ist nun schon ein Jahr alt. Nick ist ganz der stolze Papa. Er hat so manches Mal große Mühe mit ihrem Temperament mitzukommen. Aber das würde er niemals zu geben“, begann Tess lachend zu erzählen.

Während es aus Tess nur so heraussprudelte und sie von Nick und ihrer Tochter erzählte, ratterte es in Stevies Hirn unaufhaltsam. Sie versuchte die Informationen so schnell es geht zu verarbeiten, sie irgendwie zuzuordnen. Jedoch gelang ihr das ganz und gar nicht. Sie konnte sich an keinen einzigen Moment oder Namen aus Tess´ Redeschwall erinnern und das ließ sie wieder ein wenig trauriger werden. Als Stevie aber aus ihren Erzählungen einen weiteren, ihr fremden Namen, aufschnappte, zuckte sie zusammen. Alex. Diesen Namen hatte die Frau aus ihrem Traum auch erwähnt. Ein Schauer lief der Rothaarigen über den Rücken und abermals hallten die Worte der Frau in ihrem Hirn wieder. Tess bemerkte Stevies plötzliche Gemütsänderung und brach in ihren Erzählungen sofort ab. Sie blickte lächelnd auf ihre Freundin und strich ihr sanft über den Arm.
„Entschuldige! Ich rede und rede und du kannst mit dem ganzen Geschwafel gar nichts anfangen.“
„Nein gar nicht. Ich möchte alles wissen, aber könnten wir noch mal von vorne anfangen und vielleicht etwas langsamer?“ Stevie biss sich verlegen auf die Unterlippe.
„Natürlich“, antwortete Tess und rückte mit ihrem Stuhl noch ein Stückchen näher an das Bett heran. „Womit sollen wir zuerst anfangen?“ Die Frage war eigentlich viel mehr an Tess selbst gerichtet als an ihre Freundin. Sie überlegte kurz, wurde aber von Stevie in ihren Gedanken wieder unterbrochen.
„Naja, du könntest mir für den Anfang ja erst einmal deinen Namen verraten“, gab Stevie ein wenig beschämt zu verstehen und blickte auf ihre ineinander verschlungenen Finger, die sie ängstlich fest zusammendrückte. Es war ärgerlich, dass sie sich noch nicht einmal an solche Kleinigkeiten wie einen Namen erinnern konnte. Aber Tess machte diese Situation mit ihrer lockeren und freundlichen Art viel angenehmer. Stevie mochte die Wärme und die Liebe sehr, die diese Frau ihr entgegenbrachte. Sie fühlte sich wohl in ihrer Nähe und war froh, dass Tess diejenige war, der sie zuerst all diese Fragen stellen konnte, die ihr durch den Kopf gingen.
„Tess, könntest du mir ein wenig über dich und unsere Beziehung zueinander erzählen?“, fragte die Rothaarige.

Nachdem Stevie nun den Namen von der Frau wusste, merkte sie, wie sie sich immer mehr zu lockern schien. Sie lehnte sich entspannt in die weichen, flauschigen Kissen zurück und lauschte dem Klang von Tess´ Stimme. Gebannt ließ Stevie sich erzählen, wie sie sich kennen und auf eine gewisse Art und Weise auch lieben gelernt haben, wie viel Höhen und Tiefen sie miteinander durchlebt haben und wie schmerzhaft der Abschied von einer guten Freundin war. Stevie kam sich so vor, als würde sie dies alles wiederholt durchleben müssen. Es machte ihr in gewisser Weise Angst und doch erschien in ihrem aufgewühlten Innern ein kleiner Hoffnungsschimmer. Ein Hoffnungsschimmer, dass Tess ihr dabei tatsächlich helfen konnte, all ihre Erinnerungen wiederzuerlangen, auch ohne fremde Hilfe und Erklärungsversuche.

Mittlerweile waren die beiden Frauen an dem Punkt angelangt, als Tess mit Nick und ihrer gemeinsamen Tochter wieder nach Drovers zurückkehrte. Als die Blondine mit ihren Erzählungen am Ende war, herrschte einen Moment lang eine leicht bedrückende Stille. Tess sah zu Stevie hinüber und fragte sich, wie sie die Informationen wohl verarbeiten würde, ob sie vielleicht schon die eine oder andere Erinnerung an die Vergangenheit hatte. Die Stille jedoch verriet ihr, dass die Freundin wohl noch nicht soweit war. Natürlich nicht, dachte Tess schmunzelnd über sich selbst. Sie konnte nicht erwarten, dass eine winzige Erinnerung und ein paar Erzählungen aus ihrem Leben alles wieder in das richtige Lot bringen würden.

„Ganz schön viel auf ein Mal, was?“, durchbrach Tess nun die Stille und lächelte. Stevie erhob ihren Kopf und blickte auf die blonde Frau. Sie seufzte tief, erwiderte aber das Lächeln, wenn auch noch etwas zaghaft.
„Jaaa“, sagte die Rothaarige und atmete tief durch. Sie fragte sich, ob es Tess merkwürdig vorkommen würde, wenn sie sich nach Alex erkundigte. Aber dieser Traum ließ sie nicht mehr in Ruhe. Immer wieder musste sie daran denken. Gerade in Momenten, in denen die Stille Einzug hielt. Andererseits, so dachte Stevie, sie kannte ja sonst niemand anderen, den sie fragen könnte. Die Rothaarige schüttelte mit dem Kopf. Selbst wenn, sie mochte Tess und ihre liebevolle Art sehr und im Moment war sie die Einzige, die sie verstand und die bereit war, ihr zu helfen.
„Tess, wer ist Alex?“, fragte Stevie daher gerade heraus. Sofort legte sich ein breites Grinsen auf dem Gesicht der Blondine fest. Ein Grinsen, welches Stevie im ersten Moment zu verunsichern schien.
„Ich hab mich schon gefragt, wann die Sprache auf ihn kommen würde. Hast du mit Alex schon gesprochen?“
„Was? Nein, es ist nur...“ Verwirrt blickte Stevie wieder auf ihre ineinander verschlungenen Finger. So einfach, wie die Rothaarige es sich vorher noch vorgestellt hatte, war es bei Weitem nicht. Nun musste sie Tess wohl doch von dem Traum erzählen und dann wohl auch unweigerlich von dem Baby.
„Es ist nur, ich habe den Namen nun schon ein paar Mal gehört und irgendwie kommt es mir so vor, als würde er mich sogar in meinen Träumen verfolgen“, versuchte Stevie zu erklären, ließ jedoch die Sache mit dem Baby vorerst noch weg.
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#87

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Chapter 34/2
„In deinen Träumen?“, fragte Tess neugierig und ärgerte sich im nächsten Moment selbst darüber. Es gehörte sich nicht, Fragen zu stellen, wenn ihre Freundin diese doch nötiger hatte als sie selbst. Andererseits konnte sie nicht umhin, denn so war sie nun einmal. Neugierig und wissenshungrig bis ins kleinste Detail. Nach Stevies Gesichtsausdruck zu urteilen, schien ihr die Frage jedoch nicht sehr angenehm. Tess wollte sich gerade für ihre Neugierde entschuldigen, als Stevie abwehrend die Hand hob.
„Schon gut. Es mag dir merkwürdig vorkommen“, begann die Rothaarige und lächelte zaghaft. Sie hatte das Gefühl, als müsste sie dringend mit Jemanden reden. Mit Jemandem, der sie kannte, sie eventuell auch verstand. Im Augenblick, zumindest noch, schien es Stevie surreal und es bereitete ihr auch etwas Unbehagen und vielleicht war es auch Angst, die sich in ihrem Innern auszubreiten begann, aber sie hoffte auf ihre Intuition. Diese war das Einzige, was sie im Moment besaß. Stevie schloss kurz die Augen und atmete tief durch.
„Aber diese Träume sind alles, was ich im Moment habe und hin und wieder habe ich das Gefühl, als wenn die Erinnerung zurückkommt. Allerdings sind das nur solche abgerissenen Fetzen, die für mich überhaupt keinen Sinn ergeben, mit denen ich einfach nichts anfangen kann. Zumal ich ja noch nicht einmal weiß, wer diese Personen sind.“ Stevie seufzte und atmete tief durch. Tess nahm diese kleine Pause, um die Freundin noch genauer zu beobachten als zuvor schon. Sie bemerkte wie Stevie unter der Amnesie litt. Die Blondine konnte sich nicht im Geringsten vorstellen, wie der Verlust sämtlicher Erinnerungen für Stevie sein musste. Für sie selbst war es ja schon schwer, wie musste die Freundin sich dabei erst fühlen. Die Rothaarige schien sich sehr an diese Träume zu klammern. So sehr, dass es Erinnerungen sein könnten, die ihr eventuell das Leben wieder zurück geben könnten. Ihr Leben.
„Tess?“ Stevie riss die junge Frau aus ihren Gedanken heraus und blickte sie fragend an. „Geht es dir gut?“
„Ähm...ja, ich frage mich nur, was es mit deinem Traum und Alex auf sich hat.“ Stevie lächelte zaghaft. „War es so ein Traum?“, fragte Tess schließlich grinsend.
„Was? Nein! Sollte es denn einen Grund dafür geben?“
„Naja, ich sag es mal so, ich würde mich nicht wundern, wenn es so wäre.“ Stevie blickte Tess verwirrt an. Sie fragte sich, was das zu bedeuten hatte. Gab es solche Träume etwa in ihrem Leben? Mit Alex?
„Du bist schon seit Ewigkeiten mit Alex befreundet“, ergänzte Tess mit einem Lächeln auf den Lippen.
„Ewigkeiten?“
„Ja, ich glaube, seit fünfzehn Jahren, wenn nicht sogar länger. Du hast nie wirklich darüber gesprochen. Claire leider auch nicht.“ Tess seufzte. Claire hatte selten von ihrem Leben erzählt, nachdem sie mit ihrer Mutter Drovers verlassen musste. Nur ein oder zwei Mal gab es solche Momente, in denen Claire ihrer Schwester von damals erzählte. Auch nur, wenn es um Jack ging.
„Ich war ein furchtbarer Mensch“, sagte Stevie leise und senkte ihren Kopf. Sie blickte auf ihre Hände und spielte nervös mit einem Zipfel der Bettdecke.
„Aber nein, Stevie. Denk das nicht. Du warst...du bist ein ganz wunderbarer Mensch. Du hast mir sehr geholfen auf Drovers, mit Charlotte und auch damals kurz nachdem Claire gestorben war.“ Tess legte der Freundin eine Hand auf die Schulter und drückte sie kurz. „Ich bin dir unendlich dankbar, für alles was du für mich getan hast“, sagte Tess und bemerkte, wie sich Tränen in ihren Augen sammelten. Stevie blickte wieder auf und sah noch immer das Lächeln in Tess´ Gesicht und die aufkommenden Tränen. Die Worte der Freundin hatten Stevie tief berührt und nun der Blick in deren tränenbenetzten Augen. Das ließ auch Stevie sentimental werden, sodass auch ihre Augen feucht wurden. Sie hegte die Hoffnung, dass die Blondine es tatsächlich so empfand und nicht nur wegen ihrer momentanen Situation aus Mitleid sagte.
„Du hast zwar einen ungemein großen Dickschädel, aber würdest du ihn nicht besitzen, dann wärst du wohl nie auf Drovers geblieben. Ich hätte nicht solch eine wunderbare Freundin und Teilhaberin gefunden und deine Freundschaft zu Alex wäre niemals so intensiv geworden wie sie es war“, sagte Tess.
„Wieso war? Gibt es diese Freundschaft denn nicht mehr?“
„Doch, ich denke schon. Nur, du hast dich in deinen besten Freund verliebt, Stevie. Das hat alles etwas komplizierter gemacht.“
„Inwiefern komplizierter? Hat er nicht die gleichen Gefühle für mich gehabt?“
„Naja, anfangs nicht. Also zumindest nicht bewusst. Ich glaube, dass er dich schon immer geliebt hatte, aber als heraus kam, dass Fiona ihn die ganze Zeit über belog, brachen die Gefühle für dich erst richtig aus ihm heraus“, erzählte Tess weiter.
Sie war also in Alex verliebt, aber er anscheinend verheiratet, dachte Stevie. Mit Fiona. Stevie erschrak innerlich fürchterlich. Sie kannte diesen Namen nicht, aber sie wurde das Gefühl nicht los, dass dieser zu der Frau aus ihrem Traum gehörte.
„Jetzt ergibt das auch alles einen Sinn“, nuschelte Stevie. Tess blickte sie fragend an. Im ersten Moment verstand sie nicht recht, worauf die Freundin hinaus wollte, doch kam ihr der Traum, den Stevie hatte, wieder in den Sinn.
„Stevie, was ist in dem Traum geschehen?“, fragte Tess schließlich und bemerkte, dass der Gemütszustand der Freundin sich änderte, sobald das Gespräch wieder auf ihren Traum gelenkt wurde.
„Naja, es war total merkwürdig und irgendwie auch unheimlich“, begann Stevie und atmete tief durch. „Ich bin von Babygeschrei wachgeworden und dem Weinen schließlich gefolgt. Allerdings war mir nicht klar, wo ich mich befand und somit hatte ich das Gefühl, als würde es ewig dauern, bis ich das Zimmer mit der Wiege gefunden und erreicht hatte.“ Auf Stevies Gesicht erschien erneut ein Lächeln, als sie nun wieder an die kleinen neugierigen Augen dachte, die sie neugierig anblickten.
„Ich hatte dieses Baby gerade aus der Wiege genommen, als auf einmal eine dunkelhaarige Frau auftauchte. Anfangs war das Auftauchen der Frau gar nicht so komisch. Aber dann sagte sie etwas, was mir Angst gemacht hat und nicht nur das, was sie sagte, auch die Tatsache, dass sie mir das Baby aus den Armen genommen hat und dann plötzlich verschwand, war gespenstig gewesen“, fuhr Stevie fort. Was auch immer geschehen sein mag in ihrem Leben bisher, sie hatte eine ganz ungutes Gefühl, was diese Frau anging. Denn ausgerechnet dieser Satz von einer Frau, der sie sehr wehgetan haben musste, kam in ihrem Traum vor und das kurz nachdem sie erfahren hatte, dass sie ein Kind erwartete.
„Was genau hat diese Frau denn zu dir gesagt?“
„Das Baby gehört mir und Alex. Wir brauchen es zum Glücklich werden“, antwortete Stevie und blickte Tess an.
„Für mich klingt es nach Fiona. Jedoch sicher bin ich mir nicht. Dazu kenne ich sie kaum.“ Tess schluckte schwer. Wie sollte sie Stevie nur erklären, was für eine Frau Fiona war? Sie kannte Fiona selber kaum, eben nur aus den Erzählungen von Nick und Stevie selbst. Noch dazu war es irgendwie erschreckend, dass die Freundin ausgerechnet solch einen Traum hatte, in dem auch noch Fiona vorkam und so etwas getan und gesagt hat. Tess fragte sich, was es mit dem Baby auf sich haben mochte, schob es jedoch vorerst in den Hintergrund.
„Mach dir nicht so viele Gedanken darüber. Es war nur ein Traum, Stevie“, versuchte Tess sie etwas zu beruhigen und legte ihr eine Hand auf den Arm.
„Wahrscheinlich hast du recht. Allerdings muss es doch einen Grund für den Traum geben. Ich hab die Ehe der Beiden zerstört oder?“ Stevie biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte irgendwie ein schlechtes Gewissen, weshalb dies so war, das konnte sie sich selbst nicht so recht erklären. Wog Stevie jedoch die Fakten, die sie bisher kannte, ab, dann kam sie eben doch immer wieder auf ein und dasselbe Ergebnis. Sie hatte die Ehe ihres besten Freundes auf dem Gewissen und eine Frau sehr unglücklich und verbittert gemacht.
„Nein, nicht Stevie, so darfst du nicht denken. Das was geschehen ist, das musste irgendwann einmal so kommen. Diese Ehe war von vorne herein zum Scheitern verurteilt und das hatte Fiona ganz allein zu verantworten. Sie ist mit einer Lüge in die Ehe gegangen und als sie keinen Ausweg mehr sah, hat sie die Lüge mit einer weiteren Lüge versucht zu vertuschen. Dass dies nach hinten losgegangen ist, dafür konntest du nichts. Du hattest keinerlei Einfluss darauf.“ Stevie atmete etwas erleichtert auf. So wie es im Augenblick aussah, hatte sie tatsächlich nichts mit dem Scheitern dieser Ehe zu tun gehabt. Wäre es so gewesen, sie hätte vermutlich nicht damit leben können. Es verlangte Stevie noch mehr über diese Dreiecksbeziehung zu erfahren, jedoch schien ihr im Augenblick eine Sache noch viel wichtiger. Sie wusste nun zwar, dass sie wohl verliebt war und Alex erwiderte diese Gefühle anscheinend auch. Aber waren sie auch ein Paar? Diese Frage brannte Stevie auf der Zunge. Nur wusste sie nicht genau, wie sie es anstellen sollte, Tess danach zu fragen. Die Rothaarige kam sich dämlich vor, solch eine Frage zu stellen, allerdings musste sie es einfach wissen. Jedoch blieb ihr die Zeit zum Fragen nicht mehr, da sich in diesem Augenblick die Türe öffnete. Die Augenpaare beider Frauen richteten sich auf die Person, die nun das Zimmer betrat.
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Chapter 35
„Hey Alex“, rief Tess mit einem Lächeln in die Richtung der Zimmertüre.
„Ladies.“ Alex grinste den beiden Frauen entgegen. „Ich hab euch etwas mitgebracht“, sagte er und verschwand im nächsten Moment wieder aus dem Krankenzimmer. Stevie riss die Augen auf und bemerkte eine seltsame Veränderung in ihrem Innern.
„D...d...das ist Alex?“, fragte die Rothaarige leise flüsternd und versuchte so ruhig wie möglich zu bleiben. Tess sah zu ihrer Freundin hinüber und lächelte nickend.
„Kannst du dich etwa an ihn erinnern?“
„Ja, also ich meine nein. Ich habe ihn schon mal gesehen“, flüsterte Stevie und ließ die Türe des Zimmers nicht mehr aus den Augen.
„Als ich aufgewacht bin, da war er doch da, oder?“
Tess schlug sich die Hand an die Stirn und lächelte. Daran hatte sie gar nicht mehr gedacht gehabt. Alex war doch der Einzige gewesen, der letztlich zu Stevie durfte. Dennoch war die McLeod ein wenig verwundert, denn die Ärzte hatten gemeint, Stevie würde sich vermutlich nicht mal mehr an die ersten Minuten ihres Erwachens erinnern. Aber unmöglich war diese Tatsache nie, das wurde Tess in diesem Moment wieder allzu gut bewusst. Alex erschien mit dem gleichen Grinsen im Gesicht wieder in der Türe, daher nickte Tess ihrer Freundin nur bestätigend zu.
„Ich hab Kaffee mitgebracht“, meinte Alex schlicht und drückte jede der beiden Frauen jeweils einen Becher mit der brühenden Flüssigkeit in die Hand. Dann drehte er sich wieder in die Richtung der Türe, um diese zu schließen. Tess nutzte die Gunst der Stunde und erhob sich von ihrem Stuhl.
„Ich lass euch dann mal alleine“, flüsterte sie Stevie zu. Die Rothaarige schaute der McLeod mit geweiteten Augen entgegen und schüttelte mit dem Kopf.
„Nein, bitte nicht! Du kannst mich doch nicht alleine lassen mit ihm“, flehte Stevie.
„Willst du schon gehen? Ich hoffe, ich habe euch nicht unterbrochen“, kam es von Alex, der sich wieder zu den beiden Frauen gesellte.
„Uhm...nein, ich wollte sowieso mal auf Drovers anrufen. Ich hatte irgendwie noch gar keine Gelegenheit dazu“, sagte Tess und lächelte. Stevie blickte die Blondine noch immer mit flehenden Augen an. Sie konnte nicht glauben, dass diese sie wirklich alleine lassen würde mit Alex. Zumal die Rothaarige auch absolut keinen blassen Schimmer hatte, wie sie damit umgehen sollte. Geschweige denn was sie zu ihm sagen sollte. Sie wusste ja nichts über ihn, über ihre Beziehung, sofern sie denn eine hatten. So viel hatte Stevie noch nicht erfahren können. Tess verschwand tatsächlich aus dem Zimmer, sehr zum Leidwesen von Stevie. Sie fühlte sich ein wenig unbeholfen und irgendwie auch etwas angespannt. Um der merkwürdigen Situation etwas zu entkommen und sich auch abzulenken, schnappte Stevie sich den Becher mit dem Kaffee und trank einen Schluck. Augenblicklich zog sich alles in ihrem Innern zusammen. Die Rothaarige fragte sich, wie man den Kaffee nur so trinken konnte. Aber sie wollte auch nicht unhöflich sein und somit versuchte sie ihre Abneigung zu unterdrücken.
„Schmeckt gut“, schwindelte sie daher und lächelte zaghaft.
Alex war der Gesichtsausdruck von Stevie nicht ganz entgangen und riss ihr daher den Kaffee wieder aus der Hand.
„Probiere den hier, vielleicht schmeckt der besser.“ Alex reichte der Rothaarigen seinen Becher. Er hatte ja nicht ahnen können, dass sich die Gewohnheit des Kaffeetrinkens von Stevie so verändert hat. Aber das war wohl eine ganz normale Sache. Er hatte schon oft gelesen und gehört, dass Menschen nach einer so langen Zeit im Koma meist andere Gewohnheiten und Vorlieben entwickelten. Daran musste Alex sich jedoch erst gewöhnen.

„Hey Jodi, komm schnell“, rief Kate in das Haus hinein und eilte wieder zurück zu den Paddocks. Jodi, die mit Regan über den Büchern hing, schreckte augenblicklich auf. Sie blickte etwas verwirrt zu ihrer Cousine hinüber und lief anschließend aufgeregt nach draußen, dicht gefolgt von Regan. Von weitem konnten sie schon die Mädels aufgeregt umherlaufen sehen. Irgendetwas schien nicht zu stimmen.
„Was ist passiert?“, fragte die McLeod leicht außer Atem.
„Das Vieh ist getürmt. Jemand hat das Tor offen gelassen“, rief Kate nervös. Sie schwang sich auf ihr Pferd und trat diesem in die Flanken. Jodi blickte ihrer Freundin etwas verwirrt hinterher, ehe sie selbst sich ebenfalls in den Sattel ihres Wallachs begab und den Mädels hinterher ritt.
„Verdammt!“, fluchte Jodi nach einem Moment und stoppte ihr Pferd. Wie konnte sie nur so unachtsam sein?
„Was ist los?“, tönte Regans Stimme neben der jungen Frau plötzlich.
„Ich muss wieder zurück und kann euch leider nicht helfen. Ich hab Claire ganz vergessen.“
„Jodi“, versuchte Regan ihre Cousine zu unterbrechen. Doch diese redete aufgeregt und unbeirrt weiter.
„Ich hab nicht mehr daran gedacht, dass Tess die Kleine ja da gelassen hatte.“
„Jodi, ganz ruhig“, unterbrach die McLeod ihre Cousine nun energischer. „Nick hat Claire vorhin mitgenommen, als er nach Killarney gefahren ist.“
Jodi atmete erleichtert auf. Das hätte gerade noch gefehlt, wenn nun auch mit der kleinen Claire etwas nicht in Ordnung gewesen wäre.
„Das Vieh ist überall“, rief Kate den beiden Frauen zu.
„Ja, gut. Am besten wir teilen uns auf. Du und Jaz ihr reitet in die Richtung des Nationalparks und ich mach mich mit Regan auf der entgegengesetzten Seite auf die Suche nach den Kühen“, erklärte Jodi. Die Mädels nickten zustimmend und begaben sich auf den Weg, um das entlaufene Vieh wieder einzufangen.
„Und wie fühlst du dich?“, fragte Jodi und blickte hinüber zu Regan. Diese sah sie erst etwas verwundert an und zuckte anschließend mit den Schultern. Sie wusste selber nicht, wie sie sich fühlte. Es war schön Jaz nach so langer Zeit wiederzusehen, aber auch merkwürdig. Viel hatten die Schwerstern miteinander noch nicht gesprochen und wenn sie dann doch mal eine Gelegenheit hatten, dann war die Situation viel zu verkrampft und sie schwiegen mehr als sie sprachen.
„Es ist merkwürdig“, entgegnete Regan trocken. „Wir haben uns so lange nicht gesehen und doch haben wir uns irgendwie nicht viel zu erzählen.“ Regan seufzte. Sie wusste nicht einmal, was der Grund oder Auslöser dafür sein könnte. Das letzte Mal als sie sich gesehen hatten, war auf der Beerdigung ihres gemeinsamen Vaters. Schon damals hatten ich die Schwestern nicht wirklich viel zu sagen. Nur, was sollte man schon groß in einer solchen Situation reden. Jede hing mit ihren Gedanken eigens in ihrer Trauer fest und so gingen sie auseinander und sahen und hörten nichts mehr voneinander.

Tess lief über den Krankenhausflur und erreichte wenig später das Telefon. Sie tippte die Nummer von Drovers auf die kleinen, metallen Tasten ein und wartete auf das Freizeichen. Als nach mehrmaligem Läuten noch immer niemand abhob, legte Tess den Hörer wieder zurück auf die Gabel. Wahrscheinlich waren die Mädels unterwegs und gingen ihren Arbeiten nach. Ein minimales schlechtes Gewissen bereitete sich irgendwie in Tess´ Innern aus, da sie schon beinahe den ganzen Tag bei Stevie im Krankenhaus verbrachte und es würden sicher noch einige weitere Stunden werden. Umso erleichterter war die junge McLeod, dass Regan ihre Pläne, sich auf die Suche nach ihren Schwestern zu begeben, vorerst zurückgestellt hatte und da Jaz nun auch auf Drovers war, fiel es nicht unbedingt arg ins Gewicht, dass sie selbst mehr Zeit im Krankenhaus verbrachte als auf Drovers. Für einen Augenblick ließ Tess sich im Flur auf einen Stuhl nieder. Sie wollte nicht so rasch wieder in das Zimmer von Stevie hineingehen. Sie war der Meinung, dass es vielleicht ganz gut war, wenn die beiden einen Moment für sich hatten. Auch wenn Stevie sich ganz und gar nicht wohl dabei gefühlt hatte, zumal die Rothaarige ja bisher nur sie wieder etwas kennengelernt hatte.

Mit der Zeit schien sich die angespannte Stimmung zwischen Alex und Stevie immer mehr zu verflüchtigen. Wahrscheinlich lag es auch daran, dass Stevie sich zunehmend wohl in Alex´ Nähe fühlte. Es hatte irgendwie etwas Vertrautes. So erfuhr die Rothaarige noch einige Sachen mehr aus ihrem Leben. Vor allem aber Sachen von denen Tess nichts wusste. Beispielsweise, wie sie Claire und Alex vor Jahren kennengelernt hatte, wie sie gemeinsam von einer Stadt in die Andere zogen, um an sämtlichen Rodeos teilzunehmen. Auch wenn es spannend war, anderen zuzuhören, was sie zu erzählen hatten, so kroch auch immer mehr die Traurigkeit in Stevie hoch. Für sie war es so, als würde sie einer spannenden Geschichte lauschen. Es fühlte sich nicht an, wie ihr eigenes Leben, ihre selbst durchlebten Erlebnisse. Jeder konnte ihr seine kleine Geschichte über sie erzählen. Nur konnte sie sich an nichts von alledem erinnern. Stevie seufzte und sank zurück in die weichen Kissen. Für einen Augenblick schloss sie ihre Lider und atmete tief durch. Alex bemerkte, dass es Stevie schwer fiel, sich mit ihrer Situation abzufinden und legte ihr instinktiv eine Hand auf den Arm.
„Mach dir nicht so viele Gedanken darüber. Das wird schon wieder.“ Alex wusste nicht, was er anderes sagen sollte. Wahrscheinlich hörte sich das furchtbar an für Stevie. Er hatte nicht die geringste Vorstellung darüber, wie es sein musste, wenn man sich an so gar nichts mehr erinnern konnte. Stevie riss ihre Augen wieder auf und blickte einen Augenblick lang zu Alex hinüber. Sie wollte etwas sagen, aber es war ihr irgendwie nicht möglich, was wohl auch damit zusammenhing, dass sie ihren Blick nicht von seinen Augen lassen konnte. Irgendwie kamen ihr diese blauen Augen mit diesem Blick bekannt vor. Sie hatte diese schon einmal irgendwo gesehen. Nur wo genau, das wusste sie nicht. Wie auch, sie konnte sich ja noch nicht mal an ihren eigenen Namen erinnern. Wieder seufzte die Rothaarige und wich Alex´ Blick aus. Sie senkte ihren Kopf und schnappte sich einen Zipfel der Bettdecke, um diesen zwischen ihren Fingern zu drehen.
„Es ist nur so schwer, sich damit abzufinden. Diese Leere ist schrecklich und angsteinflößend“, sagte Stevie mit trockenem Mund und befeuchtete mit der Zunge ihre Lippen. „Ich möchte so gerne diese Lücke schließen, nur weiß ich nicht wie.“
„Ich weiß, Stevie. Ich weiß“, wiederholte Alex noch einmal und sah wie schwer es ihr fiel sich damit abzufinden. „ Aber du kannst es auch nicht erzwingen. Du wirst sehen, die Erinnerungen kommen von ganz alleine wieder.“
„Wann?“ Stevie blickte nun wieder auf. Alex hatte ja Recht, aber dennoch war es furchtbar schwer.
„Schneller als du glaubst.“ Alex zuckte mit den Schultern. Er würde ihr so gerne eine befriedigendere Antwort geben, aber das lag nicht in seiner Macht. Wenn er könnte, würde Alex ihr diese Last von den Schultern nehmen, nur um sie wieder glücklich zu sehen, sie wieder lächeln zu sehen.
„Alex?“, erklang Stevies seichte Stimme und holte ihn somit aus seinen Gedanken wieder zurück.
„Hmm...?“ Alex blickte Stevie an und lächelte. Die Rothaarige biss sich leicht verlegen auf die Unterlippe. Das würde nun definitiv absolut peinlich werden, aber sie konnte nicht umhin.
„Ich müsste mal wohin“, sagte sie und wich Alex´ Blick wieder aus. Dieser verstand im ersten Moment nicht ganz. Doch setzte sich sofort ein Grinsen in seinem Gesicht fest. Kurzerhand erhob er sich von seinem Stuhl und nahm Stevie auf seine Arme. Die Rothaarige wusste nicht, wie ihr geschah und sah ihn mit geweiteten Augen an.
„Alex, ich kann auch laufen, nur eben nicht ohne Hilfe“, jauchzte sie vor Überraschung. „Du kannst mich wieder runterlassen.“
„Ich trage dich auf meinen Händen wohin du willst, bis ans Ende der Welt“, erwiderte Alex und lächelte sie liebevoll an.
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Chapter 36
Die nächsten Tage vergingen schleppend. Stevie hatte gehofft, dass ihre Erinnerungen mit der Zeit wiederkommen würden, schneller als erwartet. Aber leider war dem nicht so und das ließ sie zunehmend immer trauriger werden. Auch wenn sie wusste, sie kann den Lauf der Dinge nicht erzwingen, so hatte die Rothaarige all ihre Hoffnung in die Aussage der Ärzte gesteckt und wurde daher umso bitterer enttäuscht. Morgen würde Stevie aus dem Krankenhaus entlassen werden und Tess, die nun mittlerweile beinahe jeden Tag von morgens bis abends da war, bestand ausdrücklich darauf, sie wieder mit nach Drovers zu nehmen. Die Ärzte gaben ihr Einverständnis nur unter einer einzigen Bedingung, nämlich diese, dass die Rothaarige sich weiterhin noch weitere Tage schonen muss. Das hieß, keine körperlich schweren Arbeiten verrichten und Reiten war schon gar nicht erlaubt. Aber Stevie befand sich momentan ohnehin in einer Verfassung, die ihr nicht die geringste Lust auf irgendetwas in solch einer Art bescherte. Einzig und allein Alex und Tess machten ihr das Leben im Augenblick schön und ließen sie wenigstens für ein paar Stunden am Tag vergessen, dass ihre Lebenserinnerungen nicht mehr vorhanden waren. Vom körperlichen Aspekt her ging alles schneller voran und durch die tägliche Physiotherapie konnte Stevie sich schon wieder allein vorwärtsbewegen, ohne fremde Hilfe, allerdings auch nur ein paar Minuten. Stunden konnte sie noch nicht mit Spaziergängen allein verrichten. Das Spazierengehen war zu einer ihrer größten Leidenschaften geworden und womöglich untypisch für die alte Stevie. Jedoch gab es die diese Stevie nicht mehr. Die Rothaarige war wie ausgewechselt. Die kleinen Dinge, eben Alltägliche, hatten sich in ihrem neuen Leben verändert. So mochte sie beispielsweise ihren Kaffee nicht mehr mit Zucker trinken. Aber auch sonst gab es einen starken Wandel in ihrer Persönlichkeit. Stevie war nicht mehr der Typ, der versuchte mit Problemen und Gefühlen selbst klar zu kommen. Vielmehr sprach sie über ihre Gefühle und über Dinge, die sie bewegten, die sie nicht selbst lösen konnte. Alex war dafür das beste Beispiel. Gut, sie sprach nun nicht direkt mit ihm selbst über ihre Gefühle, die ihn betrafen. Sie berichtete lieber Tess darüber, wenn sie wieder einen Traum hatte, der für sie unverständlich war oder ihr Erinnerungen zurückbrachte, mit denen sie nichts anfangen konnte. Tess war froh darüber, dass die Freundin sich ihr immer gleich anvertraute und gemeinsam versuchten sie dann, die Zusammenhänge herauszufinden. Dieser heutige Tag versprach ein wunderschöner Tag zu werden. Nicht nur, dass es angenehme, nicht so brütend heiße Temperaturen waren, sondern heute würden die Mädels auf Drovers endlich die Überraschung für Stevie vollenden, damit diese sich am morgigen Tag gleich wieder ein wenig mehr zu Hause fühlen konnte.

Tess stand schon ungewöhnlich früh an diesem Tage in der Küche und bereitete das Frühstück für die Mädels vor. Sie setzte gerade Teewasser auf, als sie ein lautes Klopfen gegen Holz vernehmen konnte. Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen blickte sie in die Richtung, aus der das Geräusch in ihre Ohren drang.
„Morgen Alex“, sagte sie mit freudig quietschender Stimmlage. „Möchtest du einen Kaffee?“
Alex nickte seiner Schwägerin zustimmend entgegen und auch aus seinem Gesicht wollte das Grinsen nicht mehr entweichen. Tess, der auch Alex´ beste Laune nicht entgangen war, blickte ihn fragend an. Doch ehe er etwas erwidern konnte, kamen Jodi und Kate in die Küche gelaufen. Augenblicklich verstummte das aufgeregte Durcheinandergeschnatter der beiden Freundinnen und sie blieben mit offenstehendem Mund mitten in dem Türrahmen der Küche stehen.
„Was ist, habt ihr einen Geist gesehen?“, fragte Alex und sein Grinsen, welches noch immer in seinem Gesicht klebte, breitete sich noch viel mehr aus. Tess blickte nun ebenfalls auf die beiden Mädels.
„Kaffee? Tee?“
„Ich war dran mit Frühstückmachen“, protestierte die blondgelockte McLeod sogleich und stiefelte, direkt gefolgt von ihrer quirligen Freundin, zum Tisch hinüber. Mit einem tiefen Seufzen ließ Jodi sich auf einem der Stühle nieder.
„Uhm...ja, entschuldige, Jodi. Aber ich konnte vor lauter Aufregung nicht schlafen und da habe ich mir gedacht, euch eine Freude zu bereiten“, entgegnete Tess mit einem Schulterzucken und stellte Alex eine Tasse mit Kaffee vor die Nase. Jodi verdrehte schon leicht genervt die Augen.
„Meine Güte, es ist doch nur Stevie und nicht der Papst. Was macht ihr denn da für ein Drama draus?“ Jodi stupste Alex in die Seite und schüttelte verständnislos mit dem Kopf. Alex reagierte gar nicht erst auf Jodis anzügliche Bemerkung. Er bekam ihren Kommentar ohnehin nicht mit, da er mit seinen Gedanken bereits schon längst im Krankenhaus bei Stevie war.
„Jodi!“, ermahnte Kate die Freundin mit strengem Blick.
„Was denn? Ist doch wahr. Wir haben doch auch nicht solch ein Trara gemacht, als Tess und Nick wieder aus Argentinien zurückkamen.“ Wieder verdrehte die Blondine die Augen. Sie verstand den ganzen Rummel, den die Anderen machten, einfach nicht. Stevie war zwar eine ewiglange Zeit nicht da gewesen, aber sie erhielt ihre Erinnerungen doch auch nicht schneller wieder, wenn sie in ein frischrenoviertes und umdekoriertes Cottage zurückkam. Kate strafte ihre Freundin noch einmal nachdrücklich mit einem strengen Blick und gab ihr mit den Augen schließlich ein Zeichen, dass diese doch solche Bemerkungen besser weder vor Tess noch vor Alex abgeben sollte.
„Also, was steht heute auf dem Tagesplan, Tess?“, fragte die Brünette dann schließlich und schenkte sich eine Tasse Tee ein.
„Was fragst du sie denn? Tess hat do... Autsch“ Jodi begann schon wieder zu piesacken, doch wurde sie dieses Mal sofort von ihrer Freundin unterbrochen, die ihr gehörig gegen das Schienbein trat. Der Kopf der Blondine schoss augenblicklich zur ihrer rechten Seite. „Was hast du für ein Problem, Kate? Ich wollte doch nur sagen, dass Tess nicht wissen kann, was heute auf dem Plan steht. Woher auch, wenn sie jeden Tag im Krankenhaus ist“, funkelte Jodi und kniff dabei die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Tess seufzte tief. Am frühen Morgen schon Jodis schlechte Laune war beinahe kaum auszuhalten. Aber sie biss die Zähne zusammen und lächelte ihre Schwester tapfer an. Froh war die Blondine nun über die kleine Unterbrechung, als Regan und Jaz die Küche betraten.
„Guten Morgen, ihr zwei“, begrüßte Tess die beiden Neuankömmlinge.
„Wie geht es Stevie?“, fragte Regan noch bevor sie auf ihrem Stuhl Platz genommen hatte. „Du warst ja gestern erst ziemlich spät zu Hause.“
„Prima. Naja, es macht sie ganz schön zu schaffen, dass sie noch immer ihr Gedächtnis nicht wieder erlangt hat.“ Tess seufzte und ließ sich in einem von den Stühlen rund um den Küchentisch nieder. „Aber das bekommen wir auch noch hin“, schloss die Blondine schließlich euphorisch.
„Gut“, antwortete Regan und schnappte sich die Kanne mit dem Kaffee. „Morgen ist Stevie ja auch wieder zu Hause, vielleicht kommt dann schneller wieder alles zurück." Regan wandte sich an ihre Schwester und deutete auf ihre Tasse. Jaz hatte als Antwort im Moment nur ein Nicken zu geben. Sie war vielmehr damit beschäftigt, Alex zu beobachten. Als Jaz vor ein paar Tagen wieder nach Drovers zurückgekehrt war, hatte sie nicht die Absicht gehabt, wieder solche Gefühle in sich aufkommen zu lassen und schon gar nicht für Alex, zumal sie erst vor einigen Wochen von ihrem Freund verlassen wurde. Aber leider kann ein Mensch nie etwas für seine Gefühle und dagegen wehren kann man sich erst recht nicht. Natürlich hatte Jaz bisher noch nichts von ihrer Zuneigung zu dem älteren Ryan preisgeben. Das könnte sie gar nicht. Zumindest noch nicht. Alex war viel zu sehr mit der Sache um Stevie beschäftigt, er würde sie vermutlich sowieso nicht ernst nehmen. Geschweige denn würde er ihr in dieser Situation eine für sie befriedigende Antwort geben können.
„Jaz?“, riss Tess sie aus ihren Träumereien wieder heraus.
„Entschuldige, was hast du gesagt?“ Jaz biss sich nervös auf die Unterlippe und versuchte den Blicken der Mädels auszuweichen, indem sie sich ihre Kaffeetasse schnappte und einen kräftigen Schluck daraus trank.
„Ich hab dich gefragt, ob du Regan dabei helfen könntest, die Schafe von der Westweide herzutreiben“, entgegnete Tess mit einem Grinsen auf den Lippen. „Jodi hat mir schon erzählt, dass du gestern nette Gesellschaft hattest.“
„Ähm...ja klar, wieso nicht.“ Jaz trank ihren Kaffee aus und erhob sich von ihrem Stuhl. „Ich geh dann schon mal die Pferde satteln.“ Damit verschwand die Blondine und ließ die anderen etwas verwirrt zurück.
„Jaz ist wohl noch in ihrer eigenen kleinen Traumwelt“, ließ Jodi kichernd verlauten.
„Also dann sind die Aufgaben für heute ja auch verteilt. Und wenn was ist, ihr wisst ja wo ihr mich erreichen könnt.“ Tess lächelte nervös. Sie hatte ein schlechtes Gewissen. So viel stand auf dem Programm und in den nächsten Tagen würde es nicht weniger werden. Aber sie musste eben Prioritäten setzen und da Jaz nun auch für die nächste Zeit auf Drovers verweilen würde, konnte sie sich voll und ganz auf Stevie und deren Genesung konzentrieren.
„Wir sind dann auch schon mal weg. Bis später dann und Grüße an Stevie“, sagte Kate. Sie und Jodi erhoben sich nun ebenfalls von ihren Stühlen und verabschiedeten sich.
„Uhm...Tut mir leid, dass ihr so viel zu tun habt und ich euch alleine lasse mit der ganzen Arbeit“, rief Tess den beiden noch hinterher, doch waren sie schon außer Reichweite.
„Mach dir keine Gedanken, Tess. Wir schaffen das schon und zur Not sind die Jungs von Killarney ja auch noch da“, versuchte Regan ihre Cousine zu beruhigen. Sie legte ihr eine Hand auf den Arm und lächelte sie liebevoll an.
„Muss denn eigentlich noch viel im Cottage gemacht werden?“
„Nah... ich hab soweit alles fertig gebracht. Nur noch ein paar Kleinigkeiten, aber die schaff ich heute Abend dann auch noch. Ihr habt so schon so viel zu tun, Regan.“
„Ok, aber ich kann dir gerne dabei helfen“, antwortete Regan nickend.
„Danke, das ist lieb. Wenn du willst, gerne.“ Tess legte nun ihre Hand auf die von Regan und lächelte sie dankbar an. Dann schaute sie auf die Uhr und sah hinüber zu Alex.
„Es ist Zeit, ich schau mal wie weit Jaz mit den Pferden ist.“ Regan erhob sich von ihrem Stuhl und lief auf die Türe der Küche zu. Sie drehte sich im Türrahmen noch einmal um. „Bis heute Abend dann“, sagte Regan zum Abschluss und verschwand aus der Küche. Tess stand nun ebenfalls auf und räumte das Geschirr in die Spüle. Die McLeod stützte sich kurzzeitig auf dem Küchenschrank ab und seufzte tief. Sie hatte keine Ahnung, wie der morgige Tag ablaufen würde und wie Stevie sich wohl fühlen würde. Vielleicht würden die nächsten Tage einfacher werden und die Freundin fand hier schneller wieder zu ihrem Gedächtnis zurück oder aber, und davor hatte Tess am Meisten Angst, Stevie würde sich unwohl fühlen und somit würden ihre Erinnerungen noch langsamer zurückkehren.
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Dianchen
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Chapter 37
Die Sonne drängte sich an den Horizont und erste Sonnenstrahlen ließen den Morgentau auf den Blättern des riesigen Baumes vor dem Fenster tänzeln. Vögel zwitscherten eifrig von Frühling und Sonnenschein, die Pferde wieherten und schnauften leise vor sich her, als Stevie an diesem Morgen die Augen aufschlug. Eigentlich ein wunderschöner Tag. Viel zu schade, um ihn im Bett zu verbringen, aber genau danach verlangte es die Rothaarige. Denn dieser wundschöne Morgen wurde von einem Ereignis überschattet, welches sie emotional gesehen, unbedingt verhindern wollte. Stevie hatte sich geschworen, nicht mehr auf ihr Herz zu hören. Nicht mehr seit sie Alex damals fast um sein Glück gebracht hatte. Es fühlte sich alles so richtig an, verstehst du? Zum ersten Mal seit Claire hab ich...mich endlich mal fallen lassen, hallte es wieder in ihrem Kopf. Die Rothaarige konnte sich noch zu gut an diesen einen Moment erinnern. Konnte sehen, wie viel Schmerz in seinen Augen zu lesen war. Damals hatte ihr Herz sich beängstigend fest zusammengezogen. So sehr, dass sie sich in genau diesem Augenblick geschämt hatte, sich dafür verabscheut hatte. Sie konnte doch auch nichts für ihre Gefühle. Und dennoch zerbrach es ihr fast das Herz, Alex so zu sehen. Stevie seufzte vernehmlich. Es tat ihr heute noch weh, wenn sie nur daran dachte. Aber sie hatte versucht, ihren Egoismus wieder gut zu machen und das Schicksal hatte da wohl auch ein wenig mitgespielt. Denn sie fand Fiona auf der Landstraße und bat sie, sich das noch einmal zu überlegen und der Liebe noch eine Chance zu geben. Fiona tat dies und nun waren sie an diesem Tage soweit, dass sie tatsächlich heiraten würden. Oder auch nicht. Wahrscheinlich würde Alex sich die Heirat doch noch einmal überlegen, wenn Fiona ihm sagen würde, dass die Schwangerschaft eine Lüge sei. Die Rothaarige konnte nicht bestreiten, dass ihr der Gedanke äußerst angenehm schien. Dennoch ging es ihr in erster Linie nicht darum, was sie gerne hätte, sondern dachte sie dabei einzig und allein an das Wohl ihres besten Freundes. Am Abend zuvor hatte Stevie geschworen, Alex alles zu erzählen, wenn Fiona das nicht selbst tun würde. Doch nun war sie sich nicht mehr so sicher, was richtig und was falsch wäre. Immerhin wollte sie nicht mehr dem Glück ihres besten Freundes im Wege stehen. Andererseits wie sollte sie damit leben können, mit der Gewissheit leben können, dass die Schwangerschaft nur eine Lüge sei und sie die ganze Zeit über davon gewusst hatte, ohne Alex etwas davon erzählt zu haben? Stevie konnte einfach nur hoffen, dass Fiona das Richtige tat. Sie klammerte sich an das Versprechen, welches Fiona ihr am Abend zuvor gegeben hatte, und betete, dass es gut gehen würde. Alles Andere würde sie sich niemals im Leben verzeihen können. Die Rothaarige schloss noch einmal die Augen und kuschelte sich zurück in die weichen Kissen. Nur noch fünf Minuten, dachte sie bei sich, während die Daunen des Kopfkissens sich sofort wieder zart an ihre Wangen schmiegten.

Der Wind blies federleicht über die Weiden. Er war angenehm, nicht zu heiß und auch nicht zu kalt. Dennoch fröstelte Stevie ein wenig. Was wahrscheinlich auch mit der Tatsache zusammenhing, dass Fiona natürlich ihr Versprechen nicht gehalten hatte und Alex nun mit ihr verheiratet ist. Stevie hatte keine Chance. Selbst wenn sie es gewollt hätte, sie hätte es ja doch nicht übers Herz gebracht und nun schon gar nicht mehr. Alex schien so befreit, so glücklich.
Stevie, natürlich wird sich jetzt vieles ändern aber mein Leben hat endlich eine Richtung erhalten und du sollst weiter dazu gehören. Du bist meine beste Freundin, hatte Alex zu ihr gesagt, als sie einen Moment für sich waren. Aber was bedeutete das schon, wenn sie ja doch nicht zu seinem Leben gehören würde, so wie sie es gerne möchte? Was brachte ihr die Erkenntnis schon, die beste Freundin zu sein, wenn sie Alex ja doch nicht alles über seine Frau erzählen konnte, sie es einfach nicht über sich bringen konnte? Stevie konnte nur hoffen, dass es niemals ans Licht kommen würde, diese fingierte Schwangerschaft nicht über ihre Lippen huschen würde und sie somit Alex wieder enttäuschen und das Herz brechen müsste.


Stevie wälzte sich mit feinen, dezenten Schweißperlen auf der Stirn hin und her und wurde plötzlich von der hereinkommenden Schwester aus ihrem Traum gerissen. Sie brauchte einen kurzen Moment, um zu realisieren, dass sie wieder einmal nur geträumt hatte, dass das alles gar nicht der Realität entsprach. Und doch war es so real, als hätte sie diese Sache schon einmal durchlebt. Die Rothaarige seufzte tief. In letzter Zeit häuften sich diese merkwürdigen Träume immer mehr und immer öfter hatte Alex damit etwas zu tun. Stevie fragte sich, und das nicht zum ersten Mal, was das für einen Grund hatte. Doch so sehr sie darüber nachgrübelte, sie kam einfach nicht auf ein plausibles Ergebnis. Nicht so lange sie ihre Erinnerungen nicht wiedererlangt hatte. Die Schwester stellte der Rothaarigen ihr Essen auf den Tisch und wünschte einen guten Appetit, dann verschwand sie wieder und ließ Stevie allein zurück. So wirklich Hunger hatte sie an diesem Tage nicht. Sie machte sich viel mehr Gedanken darüber, wie das wohl werden würde, wenn sie erst einmal auf Drovers war. Ihrem Zuhause. Tess hatte ihr erzählt, dass sie dort seit Jahren schon heimisch gewesen ist. Früher war sie nicht so, das wusste sie auch von Tess und Alex hatte auch mal etwas in der Richtung erwähnt gehabt. Nur das war es ja nicht worüber sie sich Sorgen machte. Vielmehr war es die Tatsache, ob sie auf Drovers wieder zu ihrem Leben zurückfinden würde, die der Rothaarigen etwas mehr zu schaffen machte. Stevie wurde durch ein Pochen an der Zimmertüre aus ihren Gedanken gerissen. Sie blickte auf und wunderte sich über die Besucher, die sie am heutigen Tage hatte. Normalerweise hätte Stevie mit Alex oder Tess gerechnet, aber nicht mit der Frau und dem Mädchen im Schlepptau. Die Rothaarige kannte beide nicht, aber sie mussten sie kennen. Denn das Mädchen eilte mit großen Schritten auf sie zu und umarmte sie stürmisch. Sie schien Stevie gar nicht mehr loslassen zu wollen. Doch der Rothaarigen war das schon etwas unangenehm, da sie weder das Mädchen noch die Frau zu ordnen konnte. Verlegen schaute Stevie von Einer zur Anderen und versuchte ein Lächeln aufzusetzen. Doch so recht wollte ihr das nicht gelingen, da sie sich viel zu viele Gedanken darüber machte, wer die beiden Besucher waren. Stevie versuchte so sehr ihr Hirn anzukurbeln, dass es ihr schon beinahe Kopfschmerzen bereitete.
„Kannst du dich gar nicht an uns erinnern?“, fragte Michelle ihre Schwester leicht genervt. Stevie machte es sich ja einfach, dachte sie und rollte dabei mit den Augen. Sie glaubte einfach nicht daran, dass Stevie ihre Erinnerungen verloren hatte. Früher war es die Masche ihrer Schwester, sich einfach wieder zu verdrücken, wenn es schwierig wurde und sie mit ihrer Lebenssituation nicht mehr klarzukommen schien und nun hatte Stevie sich eben etwas Neues einfallen lassen und machte mal eben auf Gedächtnisverlust.
„Leider nein.“ Die Rothaarige zuckte nur mit den Schultern. Was sollte sie dagegen tun? Sie konnte die Erinnerungen ja nicht erzwingen. Sie kamen eben nur häppchenweise zurück.
„Dann hast du also vergessen, was du getan hast? Du hast vergessen, dass du eine Tochter hast, die du abgeschoben hast und die dir jahrelang egal gewesen ist?“ Michelle hatte sich so richtig in Rage geredet. Sie vergaß sogar, dass Rose, um die es ja eigentlich auch ging, direkt neben ihr saß und sie mit großen Augen ansah.
„Könntest du vielleicht damit aufhören? Du siehst doch, dass Stevie vollkommen verstört ist“, schritt sie schließlich ein und merkte, wie ihre Stimme zitterte. Tränen schossen ihr in die Augen und sie hatte Mühe diese zurückzuhalten. Es war so schon schwer genug für alle Beteiligten, da musste Michelle ihrer Schwester auch noch Vorwürfe machen. Dabei hatte sie zuvor hoch und heilig versprochen, sich zurückzuhalten. Rose konnte ja nicht ahnen, dass Stevie so gar keine Ahnung hatte, wer sie beide waren.
„Ich schätze, du bist dann wohl die verstoßene Tochter, oder?“, fragte Stevie leise und senkte dabei leicht den Kopf. Sie hatte sich schon gedacht, dass sie in ihrem Leben nicht immer perfekt gewesen ist. Das sagte ihr auch der Traum, den sie in dieser Nacht gehabt hatte.
Rose nickte, lächelte Stevie dabei jedoch an.
„Ich würde aber nicht meinen, dass du mich verstoßen hast“, sagte sie rasch und strich Stevie mit der Hand über den bloßen Arm. Rose empfand diese Sache nicht mehr so wie früher. Anfangs war das brünette Mädchen ziemlich enttäuscht und wütend gewesen. Doch hatte sie schnell gelernt, dass die Beziehung zwischen Michelle, ihren Großeltern und Stevie nie die Einfachste gewesen ist und ihr vieles anders erzählt wurde, als es in Wirklichkeit geschehen war. So wusste Rose beispielsweise von Stevie selber, wie diese sich damals gefühlt hatte und dass sie sich überfordert vorkam. Was ja auch kein Wunder gewesen ist, immerhin war sie gerade mal fünfzehn Jahre gewesen. In einem Alter, in dem man noch nicht erwachsen genug ist, um ein Kind großzuziehen. Rose selbst fühlte sich noch lange nicht erwachsen genug und sie war nun in genau dem Alter, in dem ihre Mum sie zur Welt gebracht hatte. Rose schreckte aus ihren Gedanken heraus, als Michelle wieder auf Angriff ging.
„Und ob sie das hat“, zischte Michelle. „Ihr war es ja wichtiger, durch das Land zu ziehen, wie eine Nomadin und sich auf irgendwelchen Rodeos herumzutreiben“, wetterte sie weiter. Michelle schlug die Beine übereinander und studierte das Gesicht ihrer Schwester eingehend. Sie versuchte diese so aus ihrer Reserve zu locken. Michelle war so verbissen darauf, ihre Schwester würde ihnen nur etwas vormachen, das sie die Wahrheit gar nicht mehr erkennen konnte und somit auch nicht mitbekam, wie sehr sie Stevie vor den Kopf stieß.
„Mum, kannst du bitte damit aufhören?“ Rose war aus ihrem Stuhl heraus aufgesprungen und blickte Michelle aus zu schmalen Schlitzen geformten Augen an. Sie konnte mit ihren fünfzehn Jahren nicht ganz nachvollziehen, wie ein Mensch nur so verbohrt und verbissen sein kann. Michelle war so verbittert über die Tatsache, dass Stevie ihrer Tochter die Wahrheit offenbart hatte. Eine Sache, die sie ihrer Schwester wohl niemals verzeihen würde.

Die Rothaarige jedoch schien diese ganze Sache nur noch mehr zu verwirren. Sie verstand nicht recht, wie diese Beziehungen zueinander sind. Sie wusste ja noch nicht einmal deren Namen. Stevie seufzte laut auf. Sie war auf diese Situation nicht vorbereitet gewesen. Wenn sie doch wenigstens wüsste, wer diese beiden Frauen waren. Gut, sie hatte nun inzwischen mitbekommen, dass das Mädchen wohl ihre Tochter ist. Nur warum nannte sie dieses unfreundliche Frauenzimmer dann Mum? Wieder ratterte es in ihrem Kopf. So sehr, dass sie zunehmend enttäuschter wurde, da sie ja doch keine Erinnerungen abrufen konnte.
„Wer weiß schon, wie viele Kinder du noch auf die Welt gebracht hast, die du einfach abgeschoben und vergessen hast“, erzürnte Michelle sich weiter und giftete ihre Schwester an.
Das war nun definitiv zu viel für Rose. Aus tränenbenetzten Augen blickte sie Michelle enttäuscht an. Doch diese zeigte weder Reue noch schien sie zu bemerken, was sie von sich gab. Rose schüttelte mit dem Kopf und lief aus dem Zimmer hinaus auf den Flur. Michelle sah auf und blickte dem Teenager verwirrt hinterher.
„Rose, wo willst du denn hin?“, rief sie ihr nach. Doch diese hörte sie nicht mehr. Dann wandte sich die Dunkelhaarige wieder Stevie zu und giftete sie mit ihren funkelnden Augen an.
„Da siehst du was du wieder angerichtet hast“, zischte Michelle aus zusammengekniffenen Lippen hervor und eilte Rose hinterher. Stevie blieb allein zurück und schüttelte nur mit dem Kopf. Sie hatte zwar ihre Erinnerungen verloren und noch immer nicht wiedererlangt, jedoch besaß sie so viel Verstand, um zu verstehen, dass sie rein gar nichts mit der Missgunst zu tun hatte. Die Rothaarige hatte jedoch nicht genügend Zeit und auch nicht die Kraft, um sich eingehend darüber Gedanken zu machen. Ihr wurde plötzlich übel. Sie hielt sich die Hand vor den Mund und lief mit raschen Schritten ins Bad hinein.

„Glaubst du, sie ist genauso aufgeregt und freut sich schon wieder nach Hause zu kommen, wie wir es tun?“, fragte Tess Alex als sie gemeinsam über den Stationsflur gingen.
„Tess, du machst sie noch ganz verrückt, mit deiner Fürsorge“, grinste Alex seiner Schwägerin entgegen. Dabei wusste Alex, dass sie es nur gut meinte und wenn er ehrlich war, dann konnte er es auch kaum erwarten, dass Stevie bald wieder auf Drovers war. Dieses ständige Hin- und Herfahren zerrte wohl an aller Nerven. Tess verzog ihr Gesicht und wollte gerade ansetzen, als eine völlig verstörte Rose in die Beiden hinein preschte.
„Rose...was...“, begann Alex, stoppte aber im nächsten Augenblick wieder. Seine Kehle schien sich beängstigend zusammenzuschnüren, da er im ersten Moment glaubte, etwas könnte mit Stevie nicht in Ordnung sein. Jedoch sah er im nächsten Augenblick Michelle ebenfalls aus dem Zimmer kommen und beruhigte sich innerlich sofort wieder. Alex gab Tess nur ein Zeichen, damit sie nach Stevie sehen würde, während er sich um den verstörten Teenager kümmern konnte.
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