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Dianchen
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Joined: Mon Dec 01, 2014 1:41 pm
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#43

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Autor: Dianchen
Hauptcharaktere: Stevie/Nick
Inhalt: Stevie und Nick helfen sich gegenseitig über ihren Verlust hinweg...
Spoiler: Nein
Chapter: 1
Geschrieben: Januar 2012
Disclaimer: Alle MLT Charaktere sind Eigentum von Nine Network, The South Australien Film Corporation and Millenium Televison. Diese Fanfic wurde lediglich zum Spaß geschrieben und nicht um damit Geld zu verdienen. Jegliche Ähnlichkeiten zu Lebenden und Toten Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Alle weiteren Charaktere sind Eigentum des Autors.
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Das herzhafte Lachen der beiden Jungen schallte durch den Innenraum des Isuzu. Vor wenigen Minuten hatten Nick und Alex sich heimlich aus dem elterlichen Haus geschlichen, nachdem sie die Schlüssel des Wagens aus der Jackentasche ihres Vaters entwendet hatten.

Wenn Harry Ryan ihnen auf die Schliche kam, dann würde es fluchende Schimpfworte, gefolgt von einer ordentlichen Tracht Prügel hageln. Aber das war den beiden Jungen in diesem Moment ganz gleich. Das Adrenalin, welches durch ihre jugendlichen Körper strömte, war noch viel zu frisch, als dass sie sich jetzt schon mit den Konsequenzen auseinandersetzen wollten. Außerdem stand ihnen noch etwas Großes bevor, weswegen die beiden Brüder erst auf diese Idee gekommen waren.

Eigentlich war es eher auf Nicks Mist gewachsen. Er hatte Alex seit Tagen schon in den Ohren gelegen, dass er unbedingt auf dieses Rodeo in Fisher wollte. Immer wieder hatte Nick gebettelt und gedrängelt, bis Alex schließlich nachgab und ihn am Morgen in der Früh aus dem Schlaf gerüttelt hatte. Noch halb verschlafen blickte Nick in die verschmitzten Augen seines älteren Bruders und konnte ihm nicht genug Dankbarkeit entgegen bringen.

Eines Tages hatte er in der Schule aufgeschnappt, wie einer seiner größten Konkurrenten auf dem Schulhof damit herumprahlte, wie lange er sich auf einem wilden Bullen halten konnte. Die Mädchen machten seither große Augen, wenn sie Jeffrey lässig über den Hof stolzieren sahen und tuschelten und kicherten hinter vorgehaltener Hand, sobald er ihnen gerissen zu zwinkerte. Das hatte Nick erst auf diese Idee gebracht, denn seither liefen die Mädchen dem überheblichen Jeffrey scharenweise hinterher und jede wollte mit ihm an der Seite auf das kommende Schulfest gehen, das die langen Sommerferien einläuten sollte. Es waren nur noch knapp zwei Wochen und Nick hatte noch immer keine Verabredung zu diesem Fest. Dabei war es so wichtig, mit einem Mädchen dort aufzutauchen, wenn man etwas auf sich hielt. Aber schon Morgen würde sich das Blatt gewendet haben, denn dann, da war Nick sich ganz sicher, wäre Jeffrey vergessen und man würde nur noch von Nick Ryan und die aufregendsten Sekunden des Rodeos von Fisher reden.

Mit stolzgeschwellter Brust und straffen Schultern saß Nick nun in dem Pickup seines Vaters und fuhr mit Alex nach Fisher. Schon bald würden sie ankommen und dann würde ein ganz neuer Lebensabschnitt für ihn beginnen. Aber nicht nur für ihn, sondern auch für seinen Bruder. Denn wenn man erst einmal über Nick Ryan und den Bullen sprach, dann würde man auch von seinem Bruder Alex sprechen.

Die Mittagssonne stand hoch am Himmel und ließ ihre Strahlen heiß auf die Erde fallen, als Nick und Alex endlich Fisher erreichten. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis es endlich soweit war. Nick rutschte aufgeregt in seinem Sitz umher und konnte es kaum erwarten, bis er endlich von dem Rausch des Rodeos mitgerissen wurde. „Hey Nick, du machst mich ganz kirre mit deinem Rumgezappel“, stieß Alex hervor und hielt seine blauen Augen angestrengt auf die Straße, auf der Suche nach einem vernünftigen Parkplatz. Doch anstatt seinem Bruder eine Antwort zu geben, riss Nick seine rechte Hand in die Höhe und richtete seinen Zeigefinger auf eine Parklücke, die direkt vor ihnen immer näher kam.
„Da“, stieß er aufgeregt hervor, „nimm diese dort.“ Alex trat scharf auf die Bremse und mit einem Satz kam der Wagen ruckartig zum Stehen. Die beiden Jungen wurden mit Schwung nach vorne geschleudert und konnten von Glück sagen, dass sie sich den Sicherheitsgurt umgeschnallt hatten.
Nick verdrehte genervt die Augen. „Mann, kannst du nicht besser aufpassen?“, wetterte er und stieß Alex mit der Faust gegen die Schulter.
„Dann sag du das nächste Mal eher Bescheid, wenn du einen Parkplatz siehst“, brummte Alex zurück und brachte das Auto in der Parklücke zum Stehen.

Kaum hatte er den Schlüssel aus dem Zündschloss gezogen, stand Nick schon in einer Menschentraube und ließ seine Augen aufgeregt umherwandern. Alex schüttelte mit dem Kopf. Er hatte ja keine Ahnung, wie viel dieses Rodeo tatsächlich für seinen kleinen Bruder bedeutete. Mit geweiteten, funkelnden Augen blickte Nick um sich. Ein Lächeln zierte seine Lippen und sollte wohl von nun an noch eine ganze Weile in seinem jungendlichen Gesicht zu sehen sein.
*****
Das dumpfe Aufsetzen des Flugzeuges riss Nick aus seinem unruhigen Schlaf heraus. Die kleine Cessna tuckerte über den Sandplatz, mit den kleinen Kuhlen und Hügeln, und schüttelte seine Insassen ein wenig durch. Aufgeregtes Kindergeplapper drang dumpf in die Ohren von Nick.

Träge und mühsam drehte er seinen Kopf in die Richtung, aus der dieser unaufhaltsame Redeschwall auf ihn einwirkte. Claires Augen leuchteten wie kleine Diamanten. Neugierig verfolgte ihr Blick die endlose Weite des Outback aus dem winzigen Fenster des Flugzeuges. Sie war so gefesselt von den neuen Eindrücken, der neuen Umgebung, und doch kannte sie den wahren Grund für den Besuch in Australien nicht.

Für das kleine Mädchen war die Welt kunterbunt, das Leben noch aufregend und schön. Sie verstand noch nicht, wie grau, trist und ungerecht es so manches Mal werden konnte. Das Flugzeug stoppte und schon war Claire kaum noch in ihrem Sitz zu halten. Auch Tess konnte nicht länger in dem kleinen beengten Raum bleiben und stieg mit Claire gemeinsam aus der Cessna aus.

Nick brauchte noch einen Moment. Er hatte sich das Widersehen mit all ihren Freunden, die Rückkehr nach Australien, seiner Heimat, immer anders vorgestellt. Bisher hatte ihn die Arbeit jedoch so sehr in Anspruch genommen, dass es einfach keine Möglichkeit gegeben hatte, wenigstens zu Besuch zurückzukehren. Noch immer war es für Nick unmöglich und schwer zu begreifen, was sich in seinem Leben zu getragen hatte. Noch vor wenigen Wochen wäre ihm nicht einmal im Traum eingefallen, dass es schon bald zu einem tragischen Unfall kommen würde und dieser ihm den sicheren Boden unter den Beinen wegreißen würde. Er hatte schon einiges erlebt, eine Menge durchgemacht, und ist oft auf die Füße gefallen.

Doch stets ist Nick Ryan wieder aufgestanden, hat gekämpft und am Ende einiges erreicht. Er hat gezeigt, dass er ein Kämpfer, ein Steh-auf-Männchen ist und sich nicht so schnell unterkriegen lässt. Nur dieses Mal schien es schwieriger, als alles andere bisher in seinem Leben zu sein. Dieses Mal war nicht nur ein wichtiger Mensch aus seinem Leben gerissen und ihm genommen worden, sondern auch ein Teil von ihm selbst gestorben. Alex und er waren nicht nur Brüder, sie waren schon immer mehr als das. Auch wenn sie hin und wieder ihre Differenzen miteinander hatten, so konnten sie sich trotzdem stets aufeinander verlassen.

Nick ließ seinen Blick aus dem kleinen Fenster hinaus gleiten, sah, wie Claire aufgeregt umherlief und ihrer Puppe voller Stolz ihre neue Heimat präsentierte. Ein tiefer Seufzer entkam aus seinem Innern. Nick wusste, dass er sich nicht ewig in der kleinen Cessna verstecken konnte, er musste sich früher oder später der Realität stellen. Es fiel ihm schwer, sehr schwer sogar. Bisher war das Ereignis, der Tod seines Bruders, für ihn immer noch eine Illusion gewesen. Etwas, was nicht wirklich passiert sein konnte. Doch nun schien die Realität immer weiter mit rasender Geschwindigkeit auf ihn zuzukommen. In Argentinien war das alles so weit weg, er war weit weg. Aber jetzt, hier in Australien, überrollte ihn die Wahrheit wie eine Lawine.

Nick setzte einen Fuß nach dem anderen auf den sandigen Boden und bemerkte, wie die eisige Klammer, die sich seit der schrecklichen Nachricht um sein Herz gelegt hatte, immer fester und enger wurde. Nick hatte Mühe, sich sicher und aufrecht auf den Beinen zu halten, vernahm den schnellen Herzschlag und die winzigen, kalten Schweißperlen auf der Stirn. Er hatte gewusst, dass es nicht einfach werden würde, aber er hatte auch nicht erwartet, dass die Emotionen so heftig über ihn hereinstürzen würden.

Tess blinzelte durch die warmen Sonnenstrahlen und war sofort an Nicks Seite, stützte ihn, als sie sah, wie viel schwerer es für Nick war. Tess musste nichts sagen, sie war einfach nur für ihn da und er wusste, dass sie es immer sein würde. Ganz egal, wie schlecht es ihr selbst dabei erging.

Die Fahrt nach Drovers Run und auch die letzten, restlichen Stunden des Tages zogen an Nick vorüber, ohne dass er es bewusst wahrnahm. Und als sich die Schatten der Nacht über das Land legten, wusste er nicht mehr, wie er diesen Tag und auch die vergangen Tage verlebt und überstanden hatte.

Tess schlief schon eine Weile, doch er, er lag noch immer wach. Seit Wochen kannte Nick es nicht anders, seit ihn die schlechte Nachricht in Argentinien erreicht hatte. Wenn er dann doch einmal den Schlaf fand, dann wälzte er sich unruhig hin und her oder wurde von Albträumen heimgesucht und schreckte schweißgebadet hoch.

Vorsichtig richtete Nick seinen Kopf zur rechten Seite und beobachtete Tess einen verstohlenen Moment lang beim Schlafen. Wieder einmal stellte er fest, dass es vermutlich das größte Glück war, sie an seiner Seite zu haben. Ohne Tess wäre so manche Situation in seinem Leben wohl unerträglich und schwer gewesen. Sie gab ihm den sicheren Halt, sie war sein Fels in der Brandung. Leise seufzte Nick auf. Er konnte sich ein Leben ohne Tess und ihre gemeinsame Tochter nicht mehr vorstellen. Es war einfach unmöglich, zu überleben, wenn er eines Tages einen von beiden verlieren würde. Leise schlug Nick die Bettdecke zur Seite und verließ das Bett. Er musste versuchen, innerlich zur Ruhe zu kommen. Versuchen, irgendwie auf andere Gedanken zu kommen. Damit ihn endlich der ruhige und dringend benötigte Schlaf heimsuchen konnte.

Bewaffnet mit einer dampfend heißen Tasse Tee, ging Nick hinaus auf die Veranda in die Stille der Nacht. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Normalerweise war dies eine typische Frauensache und passte eher zu Tess und den Mädels, aber doch nicht zu ihm. Er hatte sich noch nie mitten in der Nacht eine Tasse Tee gemacht, um sich anschließend auf die Veranda von Drovers Run zu setzen und in die Dunkelheit zu blicken.

Ein Geräusch, das leise Knarren von weichem Holz, ließ ihn herumfahren und seine Augen richteten sich auf die Silhouette, die er auf der Rattanbank ausmachen konnte.
„Kannst du auch nicht schlafen?“
Stevie schüttelte stumm mit dem Kopf. Sie atmete tief durch und seufzte auf. Schon am Abend beim Essen hatte sie kaum ein Wort gesprochen und nun, nachdem Nick sich neben seine Schwägerin setzte, wurde ihm erst richtig bewusst, wie schwer es gerade für Stevie sein musste.

Er hatte seinen Bruder, einen Teil von sich selbst, verloren, doch Stevie, sie hatte alles verloren. Stevie hatte nicht nur ihren Ehemann, den Vater ihres Sohnes verloren, sondern auch ihren besten Freund, ihren Seelenverwandten, und vermutlich auch ihren gesamten Lebensinhalt.

Seit Nick Stevie kannte, war sie auf der Suche nach etwas gewesen, das ihr Leben ausmachen konnte. Sie hatte lange gebraucht, um es zu finden und schien in Alex das Sinnbild gefunden zu haben. Und nun hatte das Schicksal es ihr nur wenige Monate später wieder entrissen.

Es ist einfach nicht fair, dachte Nick aufseufzend und blickte Stevie von der Seite her an. Das bläulich graue Licht des Mondes schien auf ihr Gesicht und ließ ihre Augen stumpf und endlos leer erscheinen. Schon lange nicht mehr hatte Nick solch einen Ausdruck in den Augen eines Menschen gesehen und es machte ihm Angst.
„Kommst du damit klar?“, fragte Nick schließlich und vergrub seine Hände, die dampfende Tasse umschließend, in seinem Schoß. Jedoch zuckte er innerlich leicht zusammen. Diese Frage war gut gemeint, aber unglücklich gewählt.

Wieder schüttelte Stevie erst stumm mit dem Kopf. „Manchmal glaube ich, ich befinde mich auf einem untergegangen Schiffswrack. Ich konnte mich zwar aus dem Wrack befreien, aber mir fehlt die Kraft, an die Wasseroberfläche zu schwimmen. Ich glaube, ich hab vergessen, wie man schwimmt.“ Aus tränenbenetzen Augen sah sie zu Nick auf.

Auch in seinen Augen schwammen endlich die ersten Tränen der Trauer. „Ich weiß. Du musst einfach versuchen, wieder schwimmen zu lernen. Genauso wie ich“, erwiderte Nick und blickte sie aus seinen Augen genauso an, wie Alex es einst getan hatte.

Diese verblüffende Ähnlichkeit kam so plötzlich, dass es sie aufschrecken und ihren Blick abwenden ließ. Nick zog Stevie einfach in seine Arme und drückte sie fest an sich. Stevie schloss die Augen. Ihr Körper entspannte sich und schmiegte sich an den seinen heran. Es tat so unglaublich gut, endlich wieder eine starke, beschützend männliche Nähe zu spüren.

„Seit Alex … “, begann Stevie schließlich und brach mitten im Satz wieder ab. Sie holte tief Luft. „Seit diesem Tag habe ich jede Nacht den gleichen Traum.“ Nick zuckte zusammen, was wiederum zur Folge hatte, dass Stevie ihre Augen öffnete, sich von ihm löste und ihn fragend ansah.
„Ich auch“, entgegnete er beinahe lautlos und begann von seinem Traum, den er seither Nacht für Nacht durchlebte, zu erzählen.
*****
Es waren nur noch wenige Minuten, bis Nick an der Reihe sein würde und sein Können auf einem wilden Bullen unter den wachen Augen hundert von Schaulustigen unter Beweis stellen konnte. Die Aufregung stieg mit jeder Sekunde immer mehr und Nicks größte Sorge in diesem Moment stellten nicht etwa dieser Ritt und die Zeit auf dem Bullen dar, sondern diese, dass Alex all das nicht miterleben würde.

Vor Stunden hatten sich die beiden Brüder getrennt. Während Nick interessiert den anderen Teilnehmern bei ihren Wettkämpfen zusah, war Alex mit einem Mädchen ins Gespräch gekommen und seither nicht wieder aufgetaucht. Er hatte versprochen, rechtzeitig wieder bei ihm zu sein. Doch noch immer fehlte jede Spur von Alex. Die Nervosität hatte nun bald die Aufregung besiegt und die Macht übernommen. Es war so ungemein wichtig für Nick, seinen Bruder in unmittelbarer Nähe zu wissen. Er brauchte ihn als seelische Unterstützung.

Dann endlich entdeckten seine Augen, wie Alex sich einen Weg zu ihm hindurch bahnte. Erleichterung bereitete sich in ihm aus.
„Wo hast du solange gesteckt?“ Nick versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, wie nervös er plötzlich schien. Alex setzte sein typisches schiefes Grinsen auf und klopfte seinem Bruder beruhigend auf die Schulter.
„Ich bin doch noch pünktlich, nur keine Panik“, gab er lässig zurück. Nick hingegen nuschelte etwas vor sich her und machte sich, dicht gefolgt von Alex, auf den Weg zur Startaufstellung.

Aufgeregt lief er von einer Seite auf die andere, während der letzte Teilnehmer vor ihm auf den Wettkampfplatz entlassen wurde. Wie eine Raubkatze, die sich überlegte, wie sie am besten auf ihre Beute zu springen konnte, tigerte Nick umher.
„Meine Güte, Nick!“, rief Alex aus. Eine ganze Weile hatte er ihn nun beobachtet und festgestellt, dass sein kleiner Bruder doch viel nervöser schien, als er zu geben wollte. „Du musst das nicht machen, das weißt du, oder?“ Alex legte ihm zur Beruhigung eine Hand auf die Schulter.
„Aber ich will es so“, zischte Nick zwischen zusammengepressten Lippen hervor und schmetterte die Hand seines Bruders von sich. Alex sah die Härte und Entschlossenheit in seinen Augen, bemerkte das Funkeln. Doch mit einem Mal wurden sie weicher und nahmen wieder ihre typische Farbe an. Alex folgte dem Blick von Nick und drehte sich grinsend wieder zu ihm zurück. „Alles klar, ich verstehe.“
„Es ist wichtig für mich“, sagte Nick und rollte mit den Augen. Alex hatte ihn durchschaut, aber was machte das schon? Schließlich war dieses Mädchen nicht der Hauptgedanke gewesen, der ihn zu dieser Idee getrieben hatte, sondern sein heranreifendes männliches Ego. „Charleene hat nichts damit zu tun.“
„Schon gut, schon gut“, winkte Alex ab und konnte das Grinsen in seinem Gesicht nicht wegwischen.

Er hatte sich schon gedacht, dass hinter dem ganzen Tamtam, das Nick veranstaltete, nur ein Mädchen stecken konnte. Dennoch schüttelte Alex ungläubig mit dem Kopf und sagte sich, dass er vermutlich so gehandelt hätte. Aber Nick war einfach nicht der Typ für solche rauen, ungehobelten Egotrips. Dass kleinere Geschwister den Großen nacheiferten, war Alex schon bewusst, aber doch nicht sein kleiner Bruder Nick. Der machte so etwas für gewöhnlich einfach nicht, im Gegenteil, er belächelte ihn meist, wegen seiner Art sich durchs Leben zu schlagen.

Ein Mann kam auf die beiden Jungen zu und wies Nick seinen Platz in dem metallenen Pferch auf einen vor Angst schnaufenden Bullen zu. Das wilde Tier wurde mit dicken, starken Seilen in Schach gehalten, damit es nicht schon vor der großen, spektakulären Show durchgehen konnte. Ein letzter freundschaftlicher Schlag von Alex auf seine Schultern und ein Blickaustausch zwischen den Brüdern, bevor Nick seine Position tief durchatmend auf dem mächtigen Rücken des Bullen einnehmen würde.

Für einen winzigen Augenblick schloss Nick seine Augen und ließ sich die kommenden Sekunden durch den Kopf gehen. Von nun an, eigentlich schon seit er den Schritt in Richtung des metallenen Pferches gewagt hatte, veränderte sich sein Leben drastisch.

Nick war froh, dass er diesen Moment mit seinem Bruder teilen konnte. Er straffte die Schultern, sog noch ein Mal tief die Luft der Umgebung ein und öffnete seine Augen wieder. Er richtete seine Pupillen noch ein letztes Mal auf Alex, um sich seiner Unterstützung gewiss zu sein und musste feststellen, dass sein Bruder schon wieder in ein Gespräch mit diesem rothaarigen Mädchen vertieft war.

Nick ließ ein Seufzen aufkommen. Alex hatte es allen Anschein nach nicht nötig, sich auf einen wilden Bullen zu wagen, Sekunden der Anstrengung mutig durchzuhalten und sich anschließend in dem Meer von Glückwünschen und Anerkennung zu baden. Sein großer Bruder brauchte nur seine Wimpern aufschlagen lassen und sein unwiderstehliches Grinsen aufzusetzen und schon hatte er alle Anerkennung, die er brauchte und wollte und die Mädchen liefen ihm scharenweise hinterher. Manchmal beneidete Nick ihn für seine Anziehungskraft und seine Gelassenheit, seine Frechheit und Direktheit. Aber er hatte sich nun mal dazu entschlossen gehabt, seinen Mut und seine Männlichkeit auf dem Rücken eines schwitzenden Bullen zu beweisen und genau das würde er auch tun. Es gab jetzt einfach kein zurück mehr.
*****
Auch Stevie durchlebte diesen einen Tag jede Nacht aufs Neue, zwar aus einer anderen Perspektive, aber es war derselbe Tag. Für sie war es die erste Begegnung, die sie seit Alex´ Tod Nacht für Nacht immer wieder durchlebte. Der entscheidene Moment in ihrem Leben, den sie bis zu ihrem Zusammentreffen mit ihrer besten Freundin Claire nicht vergessen hatte. Und auch danach war dieser Moment nicht erloschen, sie hatte ihn nur weggeschlossen, in irgendeinem Gewinde ihres Hirns abgespeichert und erst jetzt wieder hervorgeholt.
„Was glaubst du, warum ausgerechnet dieser Tag in Erinnerung geblieben ist?“
„Weiß nicht.“ Nick zuckte mit den Schultern und nestelte mit seinen Fingern an dem Rattan der Bank.
„Ich meine bei mir scheint es irgendwie logisch, aber für dich muss dieser Tag doch der Schlimmste in deinem Leben gewesen sein.“
„Ich denke, es ist nicht das, was Alex gesagt hat oder was an dem Tag geschehen ist.“ Nick schloss seine Augen und atmete tief durch. „Ich glaube, es ist die Tatsache, dass wir da das letzte Mal unbeschwert und glücklich waren. Wir waren Kinder und vor allem waren wir Brüder.“ Nick seufzte nun auf und blickte in die Ferne.

In seinen Augen brannten Tränen. An all den Tagen, seit die Nachricht vom Tod seines Bruders ihn erreicht hatte, konnte er nicht ein einziges Mal weinen. Manchmal fragte er sich, ob es gut oder schlecht ist. Aber nun war es soweit und Nick wusste, dass dies endlich der Beginn der Trauer war. Er wusste, dass nun der Abschied für ihn nicht unbedingt leichter sein würde, aber er würde es schaffen, damit irgendwie fertig zu werden. Wahrscheinlich sollte es so sein. Womöglich musste er erst wieder nach Australien zurückkehren, wo er verwurzelt war, um mit der Trauer beginnen zu können.

Stevie räusperte sich und blickte einen Moment auf ihren Schwager. Sie fröstelte plötzlich und doch schien sich in ihrem Innern die Wärme wieder auszubreiten. Sie wusste, nun konnte sie wieder anfangen zu leben. Nick hatte ihr dabei geholfen und dafür war sie dankbar. Sie schenkte Nick ein Lächeln und verabschiedete sich von ihm. Der Schlaf würde sie schon bald heimsuchen.
*****
Mit stolzgeschwellter Brust saß der jüngere Ryan hoch oben auf dem schniefenden, schwitzenden Bullen. Sein Herz schlug laut und schnell in seiner Brust. Nick konnte keinen Unterschied zu dem vor Angst schlagenden Herzen des Bullen und seinem eigenen ausmachen. Das Funkeln in den blauen Augen des jüngeren der Ryan Brüder schien noch mehr zuzunehmen, als ein breitschultriger Mann in seine Richtung sah und versuchte, mit seinen ruhigen Augen ein Zeichen seinerseits zu erhaschen, damit es losgehen könnte.

Die Zuschauermenge heizte die Stimmung immer mehr auf und war schon beinahe nicht mehr auf den Holzsitzen der Tribüne zu halten. Sprechchöre rauschten durch die Menge und letzte Wetteinsätze wurden hastig entgegengenommen. Dann endlich hob der Mann mit den breiten Schultern, der in unmittelbarer Nähe des Bullen stand, seine rechte Hand in die Höhe.

Das Zeichen zum Start war gegeben. Die metallenen Gatter sprangen zu beiden Seiten auf und der Bulle war schon kaum mehr zu halten. Tapfer versuchte Nick, das Gleichgewicht zu halten. Seine Hände hielten das raue Seil mit aller Kraft fest, mit dem er sich auf dem Rücken des Bullen hielt. Er würde nicht loslassen, bis zum Ende würde er nicht loslassen.

Nicks Gesichtszüge waren angespannt, seine Fersen drängten sich hart in die Flanken dieses monströsen Tieres hinein. Der Bulle schrie und sprang aufgeregt umher. Mit voller Angst und Wut ließ das Tier seine Hinterbeine immer wieder in die Höhe schnellen. Das straffe Seil, das Nick noch immer fest um seine Hände gebunden hielt, zog tiefe feste Striemen blutig in die zarte Haut der Finger. Nick war wie betäubt und spürte den Schmerz nicht. Das Adrenalin schoss durch seinen Körper, wie ein reißender Fluss.

Er wusste nicht, wie lange er schon auf dem Bullen saß, aber es war ja auch ganz gleich, denn noch hatte er die Kraft, um sich wenigstens halbwegs aufrecht zu halten. Außerdem war das Gefühl auf dem Rücken dieses wilden Bullen zu sitzen und die Anfeuerungsrufe und der Jubel der Zuschauermenge viel zu berauschend, als dass Nick sich in diesem Moment noch Gedanken um die Zeit machen wollte. Er genoss einfach diesen rauschenden Augenblick und war schon jetzt unglaublich stolz auf sich selbst. Denn noch nie hatte es ein Vierzehnjähriger gewagt, sich mit den großen Rodeolegenden zu messen.

So langsam kam der Schmerz, den das raue Seil in seinen Fingern verursachte, auch bis ins Gedächtnis und machte es immer schwieriger für Nick, sich weiterhin aufrecht auf dem Rücken des wilden Tieres zu halten. Seine Kraft ließ immer mehr nach. In einer Sekunde der Schwäche hatte Nick seinen Körper nicht mehr unter Kontrolle und wurde somit mit voller Wucht in den staubigen Sand auf den harten Boden geworfen.

Der Bulle war außer sich und ließ immer wieder seine Hinterbeine in die Luft schnellen, um sie dann mit gleicher Geschwindigkeit wieder zurück auf den Boden zu katapultieren. Nick war noch so benommen und erschrocken von dem plötzlichen Sturz in die Tiefe, dass er gar nicht schnell genug reagieren konnte. Ein Hinterbein des wild gewordenen Bullen traf ihn schmerzhaft in die Hüfte hinein. Das Letzte, was Nick sah, war das aufgeregte Schnaufen des wilden Tieres.
Das Letzte, was Nick hörte, war die plötzliche Stille und dann wurde es dunkel.
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Die Sonne ging langsam auf und Nick hatte wieder einmal nicht geschlafen. Jedoch war er nun sicher, dass die vergangene Nacht die letzte schlaflose Nacht gewesen war. Nick zog die Knie eng an seinen Körper heran und blickte auf das langsam erwachende Land. Dieses Land war einfach atemberaubend schön. Es verbarg viele Erinnerungen, gute wie auch schlechte. Aber das Wichtigste und Schönste an diesen Erinnerungen und auch an dem Land war letztendlich die Tatsache, dass es ein Zuhause darstellte. Und so war es auch. Es würde zwar schwer werden nur mit den Erinnerungen zu leben, aber sie waren endlich wieder zu Hause angekommen, endlich wieder auf Drovers Run.
~~~ The End ~~~
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