Hauptcharaktere: Claire/Alex
Inhalt: Wie wäre es weitergegangen, wenn Claire den Unfall überlebt hätte?
Spoiler: Nein
Chapter: 1
Anmerkung: In Anlehnung an "50 erste Dates"
Geschrieben: Mai 2011
Disclaimer: Alle MLT Charaktere sind Eigentum von Nine Network, The South Australien Film Corporation and Millenium Televison. Diese Fanfic wurde lediglich zum Spaß geschrieben und nicht um damit Geld zu verdienen. Jegliche Ähnlichkeiten zu Lebenden und Toten Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Alle weiteren Charaktere sind Eigentum des Autors.

Der Tag des Unfalls
Tess blickte in die Augen ihrer Schwester. Die sonst so blitzenden blauen Pupillen wirkten nun beinahe farblos. Die Freude und das Glück, welches sie in letzter Zeit so häufig in diesen Augen erkennen konnte, waren purer Angst und Verzweiflung gewichen. Im hinteren Teil des Pickups stieß ein herzzerreißendes Kinderweinen zu den beiden McLeod Schwestern nach vorn. Sonst war es ruhig um sie herum. Außerhalb des Wagens, der halb über der Klippe hing, hatte die gespenstische Stille Einzug gehalten. Die ängstliche Stimme von Claire drang in Tess´ Ohren. Im ersten Moment nahm sie nicht wirklich wahr, was ihre Schwester gerade gesagt hatte. Doch ein Blick in ihre Richtung verriet der McLeod, dass es nichts Gutes gewesen sein konnte. Claire zitterte mittlerweile am gesamten Körper und immer wieder fiel ihr Blick auf die Rückbank des Wagens.
Charlottes Augen waren zusammengekniffen, ihr kleiner Mund weit offen. Sie zappelte mit den winzigen Händchen und die kleinen Füßchen strampelten kräftig in der Luft. Nach einem kurzen Zögern begab Tess sich vorsichtig aus dem Auto heraus. Claire bat sie darum mit so viel Verzweiflung. Sie konnte es nicht ertragen, dass ihre Schwester und deren Tochter in Gefahr schwebten. Und so tat Tess, was sie tun musste und befreite Mebsi.
Als Charlotte in Sicherheit war, eilte Tess zu ihrer Schwester zurück und versuchte mit ihr gemeinsam das eingeklemmte Bein herauszuziehen. Doch die beiden Frauen hatten keine Chance, es war einfach unmöglich. Diese aussichtslose Situation verstärkte sich mit jeder Sekunde, in der das Auto halb über dem Abhang hing. Es würde nur noch eine Frage von Minuten, wenn nicht sogar nur noch von Sekunden sein, bis die Schwerkraft schließlich vollkommen Macht über das Auto hatte und es die Klippe hinunterstürzen würde.
Doch noch war nichts entschieden, noch hatte das Leben den Kampf gegen den Tod nicht verloren. Tess eilte zum Kofferraum des Pickups und schnappte sich das Seil, das darin lag. Sie legte mit zittrigen Händen die Schlaufe um die Anhängerkupplung und rannte mit dem anderen Ende in die Richtung des einzigen Baumes auf der Weide, die unmittelbar an die Klippe grenzte. Doch plötzlich spürte die blonde McLeod einen Ruck, wurde etwas zurückgeschleudert und hätte beinahe den Halt unter ihren Füßen verloren. Mit schmerzverzerrten Augen blickte Tess in die Richtung, in der das Auto noch immer halb über der Klippe hing und nun wieder etwas mehr gefährlich ins Wanken geriet.
Geistesgegenwärtig stolperte Tess zurück an den Rand der Straße. Sie hatte das Heulen eines Automotors vernehmen können und sie musste dieses Auto unbedingt dazu bewegen, stehen zu bleiben, wenn sie das Leben ihrer Schwester retten wollte. Wenigstens dieses kleine Quäntchen Glück sollte auf der Seite der beiden McLeod Schwestern sein. Tess brachte es tatsächlich fertig, dass der Fahrer des Wagens anhielt und die wirren Worte aufschnappte, die unentwegt aus dem Mund der Blondine heraussprudelten. Tiefe Schluchzer entwichen ihr ohne Unterlass, begleitet von einem furchterregenden Schütteln ihres geschwächten Leibes. Der leicht graumelierte Mann, unter dessen Augen sich tiefe, dunkle Ringe abzeichneten, machte eine akkurate Handbewegung nach der anderen. Ein weiterer Pickup kam zum Stehen und ein etwas jüngerer, kräftiger Farmer ging dem älteren Mann zur Hand.
Tess stand etwas abseits vom Geschehen und beobachtete beide Männer mit Argusaugen, verfolgte jede einzelne ihrer gekonnten Handbewegungen und schien sich langsam wieder etwas zu entspannen. Die Blondine war sich sicher, dass nun, mithilfe dieser beiden Farmer, alles wieder gut werden würde. Sie wusste, die Todesängste, die noch vor wenigen Minuten ihren Körper überschwemmt hatten, waren nun nichts weiter mehr als schreckliche Erinnerungen.
Charlottes Augen waren zusammengekniffen, ihr kleiner Mund weit offen. Sie zappelte mit den winzigen Händchen und die kleinen Füßchen strampelten kräftig in der Luft. Nach einem kurzen Zögern begab Tess sich vorsichtig aus dem Auto heraus. Claire bat sie darum mit so viel Verzweiflung. Sie konnte es nicht ertragen, dass ihre Schwester und deren Tochter in Gefahr schwebten. Und so tat Tess, was sie tun musste und befreite Mebsi.
Als Charlotte in Sicherheit war, eilte Tess zu ihrer Schwester zurück und versuchte mit ihr gemeinsam das eingeklemmte Bein herauszuziehen. Doch die beiden Frauen hatten keine Chance, es war einfach unmöglich. Diese aussichtslose Situation verstärkte sich mit jeder Sekunde, in der das Auto halb über dem Abhang hing. Es würde nur noch eine Frage von Minuten, wenn nicht sogar nur noch von Sekunden sein, bis die Schwerkraft schließlich vollkommen Macht über das Auto hatte und es die Klippe hinunterstürzen würde.
Doch noch war nichts entschieden, noch hatte das Leben den Kampf gegen den Tod nicht verloren. Tess eilte zum Kofferraum des Pickups und schnappte sich das Seil, das darin lag. Sie legte mit zittrigen Händen die Schlaufe um die Anhängerkupplung und rannte mit dem anderen Ende in die Richtung des einzigen Baumes auf der Weide, die unmittelbar an die Klippe grenzte. Doch plötzlich spürte die blonde McLeod einen Ruck, wurde etwas zurückgeschleudert und hätte beinahe den Halt unter ihren Füßen verloren. Mit schmerzverzerrten Augen blickte Tess in die Richtung, in der das Auto noch immer halb über der Klippe hing und nun wieder etwas mehr gefährlich ins Wanken geriet.
Geistesgegenwärtig stolperte Tess zurück an den Rand der Straße. Sie hatte das Heulen eines Automotors vernehmen können und sie musste dieses Auto unbedingt dazu bewegen, stehen zu bleiben, wenn sie das Leben ihrer Schwester retten wollte. Wenigstens dieses kleine Quäntchen Glück sollte auf der Seite der beiden McLeod Schwestern sein. Tess brachte es tatsächlich fertig, dass der Fahrer des Wagens anhielt und die wirren Worte aufschnappte, die unentwegt aus dem Mund der Blondine heraussprudelten. Tiefe Schluchzer entwichen ihr ohne Unterlass, begleitet von einem furchterregenden Schütteln ihres geschwächten Leibes. Der leicht graumelierte Mann, unter dessen Augen sich tiefe, dunkle Ringe abzeichneten, machte eine akkurate Handbewegung nach der anderen. Ein weiterer Pickup kam zum Stehen und ein etwas jüngerer, kräftiger Farmer ging dem älteren Mann zur Hand.
Tess stand etwas abseits vom Geschehen und beobachtete beide Männer mit Argusaugen, verfolgte jede einzelne ihrer gekonnten Handbewegungen und schien sich langsam wieder etwas zu entspannen. Die Blondine war sich sicher, dass nun, mithilfe dieser beiden Farmer, alles wieder gut werden würde. Sie wusste, die Todesängste, die noch vor wenigen Minuten ihren Körper überschwemmt hatten, waren nun nichts weiter mehr als schreckliche Erinnerungen.
Heute
Claire stand am geöffneten Fenster ihres Schlafzimmers. Sie schloss ihre blauen Augen und lauschte dem Zirpen der Grillen. Dem sanften Wiegen der Blätter im Wind, roch den so typischen Duft des Eukalyptusbaumes, der vor dem alten, markanten Backsteinhaus stand, und atmete tief die Luft von Drovers Run ein. Die Sonne umspielte mit ihren warmen Strahlen ihr feines Gesicht. In ihrem Leben hatte Claire all das, was ihr immer wichtig gewesen ist. Sie war glücklich und wieder vereint mit ihrer Schwester, lebte ein Leben in Freiheit, hatte eine ganz wundervolle und bezaubernde Tochter und seit dem vergangenen Tage war Stevie, eine alte Freundin vom Rodeo, wieder in der Gegend. Die Brünette hatte die Freundin sofort eingestellt, als sich herausstellte, dass diese auf der Suche nach einem Grund war, um sich irgendwo niederzulassen. Claire steckte bisher immer all ihre Energie und Kraft in die Farm hinein. Drovers war ihr Leben. Dort geboren und aufgewachsen, hatte die McLeod viele schöne und weniger schöne Stunden auf dieser Farm verbracht. Auch wenn die weniger schönen Ereignisse irgendwie zum Leben dazugehörten, so hätte Claire sich gewünscht, das kürzlich Erlebte wäre nie auf sie zu gekommen. Die Brünette öffnete nun ihre Lider und blickte den Strahlen der Sonne, die auch an diesem Morgen schon hoch oben am Firmament stand, entgegen.
Claire seufzte tief. Tess hatte die Biopsie überstanden und dennoch wusste die McLeod, dass die Gefahr, die ihre Schwester mit sich zu reißen drohte, noch lange nicht vorüber war. Tess verhielt sich merkwürdig, zog sich zurück in ihre eigene, kleine Welt und schrieb ständig irgendetwas auf. Nicht nur dass Tess noch immer ein Stadtmensch war, der Alpakas liebte und echten Kaffee, nun schrieb ihre Schwester anscheinend auch noch Tagebuch. Bei dem Gedanken daran huschte Claire ein Lächeln übers Gesicht. Sie liebte ihre Schwester sehr, trotz ihrer Eigenarten oder vielleicht sogar gerade deswegen. Sie konnte sich ein Leben ohne Tess einfach nicht mehr vorstellen. Tess brachte Leben auf die Farm, ließ sie aufblühen.
Ein letzter tiefer Atemzug und die brünette McLeod stürzte sich wie jeden Tag erneut in den Alltag, der an jedem Morgen ziemlich früh begann. Sie ging die Treppen hinunter in die Küche, nahm sich einen Kaffee und schüttete ihn hastig hinunter. Claire war froh, dass sie in dieser schweren Zeit für ihre Schwester da sein konnte und das gelang ihr nur, durch die Hilfe ihrer Freundin Stevie. Die Freundin griff ihr unter die Arme und kümmerte sich um die täglich anfallenden Arbeiten auf der Farm. Sicher, einiges erledigte Claire noch immer selbst, aber so hatte sie die Möglichkeit, noch etwas mehr Zeit mit Charlotte und auch Tess zu verbringen.
Dennoch hatte die Brünette ein wenig Angst und es bereitete ihr auch Sorgen, dass ihre Schwester sich noch immer nicht aufraffen konnte, das Bett selbst nach zwei Tagen zu verlassen. Vielleicht sollte sie sich einfach ihre Schwester schnappen, sie vor vollendete Tatsachen stellen und in die Stadt fahren. Tess würde auf andere Gedanken kommen können und sie kamen beide endlich mal wieder raus.
Claire betrat die Waschküche und leerte den Trockner, um ihn gleich darauf wieder zu füllen. Meg hatte heute ihren freien Tag und war mit Terry schon ziemlich früh zu ihrem gemeinsamen Haus aufgebrochen. Sie kamen zwar nur schleppend voran und für Außenstehende waren kaum Fortschritte zu bemerken, aber ihnen selbst kam ein einziger Ziegel schon wie ein Meilenstein vor. Ein Meilenstein in eine gemeinsame Zukunft im eigenen Reich.
Claire seufzte tief. Tess hatte die Biopsie überstanden und dennoch wusste die McLeod, dass die Gefahr, die ihre Schwester mit sich zu reißen drohte, noch lange nicht vorüber war. Tess verhielt sich merkwürdig, zog sich zurück in ihre eigene, kleine Welt und schrieb ständig irgendetwas auf. Nicht nur dass Tess noch immer ein Stadtmensch war, der Alpakas liebte und echten Kaffee, nun schrieb ihre Schwester anscheinend auch noch Tagebuch. Bei dem Gedanken daran huschte Claire ein Lächeln übers Gesicht. Sie liebte ihre Schwester sehr, trotz ihrer Eigenarten oder vielleicht sogar gerade deswegen. Sie konnte sich ein Leben ohne Tess einfach nicht mehr vorstellen. Tess brachte Leben auf die Farm, ließ sie aufblühen.
Ein letzter tiefer Atemzug und die brünette McLeod stürzte sich wie jeden Tag erneut in den Alltag, der an jedem Morgen ziemlich früh begann. Sie ging die Treppen hinunter in die Küche, nahm sich einen Kaffee und schüttete ihn hastig hinunter. Claire war froh, dass sie in dieser schweren Zeit für ihre Schwester da sein konnte und das gelang ihr nur, durch die Hilfe ihrer Freundin Stevie. Die Freundin griff ihr unter die Arme und kümmerte sich um die täglich anfallenden Arbeiten auf der Farm. Sicher, einiges erledigte Claire noch immer selbst, aber so hatte sie die Möglichkeit, noch etwas mehr Zeit mit Charlotte und auch Tess zu verbringen.
Dennoch hatte die Brünette ein wenig Angst und es bereitete ihr auch Sorgen, dass ihre Schwester sich noch immer nicht aufraffen konnte, das Bett selbst nach zwei Tagen zu verlassen. Vielleicht sollte sie sich einfach ihre Schwester schnappen, sie vor vollendete Tatsachen stellen und in die Stadt fahren. Tess würde auf andere Gedanken kommen können und sie kamen beide endlich mal wieder raus.
Claire betrat die Waschküche und leerte den Trockner, um ihn gleich darauf wieder zu füllen. Meg hatte heute ihren freien Tag und war mit Terry schon ziemlich früh zu ihrem gemeinsamen Haus aufgebrochen. Sie kamen zwar nur schleppend voran und für Außenstehende waren kaum Fortschritte zu bemerken, aber ihnen selbst kam ein einziger Ziegel schon wie ein Meilenstein vor. Ein Meilenstein in eine gemeinsame Zukunft im eigenen Reich.
*****
Im oberen Stockwerk wartete Tess auf das tägliche Donnerwetter ihrer Schwester. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es jeden Augenblick soweit sein musste. In ein paar Minuten würde die blonde McLeod hören, wie Claire die Stufen nach oben gestiefelt kommt, in Charlottes Zimmer verschwindet, um kurz darauf wie ein Wirbelwind zu ihr zu stürzen. Dann müsste sie wieder total überrascht und erschrocken tun, damit Claire nicht aus ihrer Welt herausgerissen wird. Tess seufzte laut. Es war furchtbar, aber immer wieder sagte sich die Blondine, dass es so viel besser sei, als wenn der Unfall mit dem schlimmsten Ende ausgegangen wäre. Diese Option hätte sie viel weniger ertragen können. Dennoch war Tess so langsam mit ihrem Latein am Ende. Die Ärzte machten wenig Hoffnung auf eine vollständige Genesung. Claire kam bei dem Unfall über der Klippe vor einigen Wochen zwar nicht ums Leben, aber seither litt sie unter dem Verlust des Kurzzeitgedächtnisses. Dieser Verlust bedeutete, dass die ältere der beiden Schwestern immer wieder, Tag um Tag, beinahe das Gleiche erlebte, ähnliche Worte sprach und denselben Wutausbruch bekam, sobald sie die Briefe für Charlotte fand. Auch wenn Tess seit ein paar Tagen jeden Morgen darauf wartete, dass Claire zu ihr gestürzt kam, so erschrak sie sich doch jedes Mal aufs Neue. Denn trotz des Verlustes ihres Kurzzeitgedächtnisses bedeutete es nicht, dass Claire einfühlsamer und Tess vorbereiteter war.
Wie ein Wirbelsturm fegte die Brünette auch an diesem Morgen in das Schlafzimmer. Beide Hände fest in ihre Hüften gestemmt, baute sie sich an der Stelle vor dem Messingbett auf und betrachtete Tess aus schmalen, zusammengekniffenen Augen.
„Was bitte ist das denn?“ Claire wedelte mit dem Papier in der Hand durch die Luft.
„Das sind Briefe an Charlotte“, antwortete Tess schulterzuckend. So, wie sie es immer tat. Die Blondine konnte die Angst und die Wut ihrer Schwester förmlich spüren, sie beinahe greifen.
„Das sehe ich selbst. Warum? Warum hast du sie geschrieben, Tess?“ Claire spannte ihren Körper immer mehr an. Im Grunde hatte sie Angst vor dem, was ihre Schwester ihr nun offenbaren würde und das, obwohl die Brünette es schon vor Minuten insgeheim gewusst hatte. Jedoch ließen Tess´ Worte dennoch ihr Herz einen Schlag aussetzen und sie zuckte erschrocken zusammen.
„Ich wollte nur, dass Charlotte auch etwas von ihrer Tante hat, falls ich vielleicht bald nicht mehr da bin. Deshalb hab ich die Briefe geschrieben.“
„Aber sie wird noch sehr viel von dir haben, Tess. Du wolltest doch nicht mehr weggehen.“ Claire blickte die blonde Schwester an und schüttelte unentwegt mit dem Kopf.
„Das will ich doch auch gar nicht.“ Tess ließ ihren Blick auf ihre ineinander verschränkten Hände hinunter gleiten. Aus Nervosität hielt sie diese fest zusammengedrückt, sodass die Knöchelchen schon weiß hervortraten. Die Blondine hatte plötzlich einen Anflug von einem schlechten Gewissen. Sie empfand es nicht als richtig, ihre Schwester einfach so anzuflunkern. Nur leider blieb ihr nichts anderes übrig, denn wer weiß denn schon, was es für Claire bedeuten würde, wenn sie ihr dir Wahrheit offenbarte? „Nur in Anbetracht der Tatsache ...“, fuhr Tess stockend fort.
„Denk nicht mal dran!“, unterbrach Claire ihre Schwester forsch und ließ ihre blauen Augen funkeln.
Die Wut auf die Krankheit, auf ihre Schwester und auf die offensichtliche Lebensaufgabe kroch immer mehr in ihrem Innern hinauf, sie schien die Brünette förmlich zu verschlingen. Claire ballte ihre Hände fest zu Fäusten zusammen, schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. Sie musste unbedingt ruhig bleiben, denn mit Wut im Bauch und bösen Worten half sie ihrer Schwester ganz sicher nicht. Ihr Körper begann sich, nach ein paar tiefen Atemzügen, so langsam wieder zu entspannen. Claire setzte sich auf die Bettkante neben ihre Schwester und nahm eine ihrer Hände, drückte sie fest.
„Hör mal, Tess, du darfst nicht aufgeben. Ich will dich nicht ein zweites Mal verlieren, brauch dich doch.“ Tränen brannten in ihren blauen Augen und ließen sie rot erscheinen. Auch wenn Claire sich nicht mehr so genau daran erinnern konnte, wie es vor Jahren gewesen war, als Ruth mit Tess einfach abgehauen ist, so schmerzte sie die Vorstellung noch heute sehr.
„Mebsi braucht dich“, fügte sie kaum hörbar hinzu.
„Claire ...“ Tess hob das Gesicht und blickte ihre Schwester an. Sie war erstaunt, überrascht darüber, was für eine Wendung dieses Gespräch, der eigentliche Streit nahm. Tess hatte damit gerechnet, dass Claire nun wieder aus dem Zimmer stürmen und sich bei Charlotte verkriechen und ausweinen würde. Doch aber nicht mit einer Ruhe und der schwesterlichen Zuneigung auf ihrem Bett sitzen würde, die Tess so selten erlebte. Die Verblüffung darüber schien ihr die Kehle zuzuschnüren.
Einen Augenblick überlegte die Blondine, ob dies eventuell doch ein Zeichen dafür war, dass die Situation um Claire mit dem Verlust ihres Kurzzeitgedächtnisses doch nicht so hoffnungslos schien, wie die Ärzte ihr mitgeteilt hatten.
„Wer soll denn hier sonst alles auf den Kopf stellen? Wer, wenn nicht du, kommt auf die verrückte Idee, eine Espressomaschine zu kaufen? Wer kommt denn sonst auf den absurden Gedanken, diese Farm auf Bio umzustellen?“ Ein zaghaftes Lächeln umspielte Claires Lippen. Sie hob eine Hand und strich ihrer Schwester eine verirrte Strähne aus dem Gesicht, klemmte sie ihr hinter das Ohr.
„Wir schaffen das, Tess. Nur gib nicht schon auf, bevor es überhaupt so hoffnungslos ist, um nicht mehr weiter zu kämpfen.“
Aufgrund ihres schlechten Gewissens konnte Tess daraufhin nur schlicht mit dem Kopf nicken. Wie konnte sie nur so herzlos sein und ihre Schwester so sehr anflunkern? Verlegen biss sie sich auf die Unterlippe und senkte ihre Augen. Wieder tröstete sich die Blondine damit, dass sie ihre Schwester ja nur schützen wollte. Tess mochte sich nicht ausmalen, wie hart es Claire treffen würde, würde sie ihr jeden Tag aufs Neue die Wahrheit offenbaren. Stattdessen spielte die blonde Frau ihr immer wieder vor, dass sie noch immer auf die Ergebnisse der Biopsie wartete und es sie innerlich zu zerstören drohte. Auch dieser Moment der Reue und des schlechten Gewissens würde wieder vergehen, so wie es jeden Tag passierte. Schon bald würden sie und Claire sich wieder dem Alltag widmen und die Gedanken an das Gespräch wären Vergangenheit. Bis zum nächsten Morgen.
Wie ein Wirbelsturm fegte die Brünette auch an diesem Morgen in das Schlafzimmer. Beide Hände fest in ihre Hüften gestemmt, baute sie sich an der Stelle vor dem Messingbett auf und betrachtete Tess aus schmalen, zusammengekniffenen Augen.
„Was bitte ist das denn?“ Claire wedelte mit dem Papier in der Hand durch die Luft.
„Das sind Briefe an Charlotte“, antwortete Tess schulterzuckend. So, wie sie es immer tat. Die Blondine konnte die Angst und die Wut ihrer Schwester förmlich spüren, sie beinahe greifen.
„Das sehe ich selbst. Warum? Warum hast du sie geschrieben, Tess?“ Claire spannte ihren Körper immer mehr an. Im Grunde hatte sie Angst vor dem, was ihre Schwester ihr nun offenbaren würde und das, obwohl die Brünette es schon vor Minuten insgeheim gewusst hatte. Jedoch ließen Tess´ Worte dennoch ihr Herz einen Schlag aussetzen und sie zuckte erschrocken zusammen.
„Ich wollte nur, dass Charlotte auch etwas von ihrer Tante hat, falls ich vielleicht bald nicht mehr da bin. Deshalb hab ich die Briefe geschrieben.“
„Aber sie wird noch sehr viel von dir haben, Tess. Du wolltest doch nicht mehr weggehen.“ Claire blickte die blonde Schwester an und schüttelte unentwegt mit dem Kopf.
„Das will ich doch auch gar nicht.“ Tess ließ ihren Blick auf ihre ineinander verschränkten Hände hinunter gleiten. Aus Nervosität hielt sie diese fest zusammengedrückt, sodass die Knöchelchen schon weiß hervortraten. Die Blondine hatte plötzlich einen Anflug von einem schlechten Gewissen. Sie empfand es nicht als richtig, ihre Schwester einfach so anzuflunkern. Nur leider blieb ihr nichts anderes übrig, denn wer weiß denn schon, was es für Claire bedeuten würde, wenn sie ihr dir Wahrheit offenbarte? „Nur in Anbetracht der Tatsache ...“, fuhr Tess stockend fort.
„Denk nicht mal dran!“, unterbrach Claire ihre Schwester forsch und ließ ihre blauen Augen funkeln.
Die Wut auf die Krankheit, auf ihre Schwester und auf die offensichtliche Lebensaufgabe kroch immer mehr in ihrem Innern hinauf, sie schien die Brünette förmlich zu verschlingen. Claire ballte ihre Hände fest zu Fäusten zusammen, schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. Sie musste unbedingt ruhig bleiben, denn mit Wut im Bauch und bösen Worten half sie ihrer Schwester ganz sicher nicht. Ihr Körper begann sich, nach ein paar tiefen Atemzügen, so langsam wieder zu entspannen. Claire setzte sich auf die Bettkante neben ihre Schwester und nahm eine ihrer Hände, drückte sie fest.
„Hör mal, Tess, du darfst nicht aufgeben. Ich will dich nicht ein zweites Mal verlieren, brauch dich doch.“ Tränen brannten in ihren blauen Augen und ließen sie rot erscheinen. Auch wenn Claire sich nicht mehr so genau daran erinnern konnte, wie es vor Jahren gewesen war, als Ruth mit Tess einfach abgehauen ist, so schmerzte sie die Vorstellung noch heute sehr.
„Mebsi braucht dich“, fügte sie kaum hörbar hinzu.
„Claire ...“ Tess hob das Gesicht und blickte ihre Schwester an. Sie war erstaunt, überrascht darüber, was für eine Wendung dieses Gespräch, der eigentliche Streit nahm. Tess hatte damit gerechnet, dass Claire nun wieder aus dem Zimmer stürmen und sich bei Charlotte verkriechen und ausweinen würde. Doch aber nicht mit einer Ruhe und der schwesterlichen Zuneigung auf ihrem Bett sitzen würde, die Tess so selten erlebte. Die Verblüffung darüber schien ihr die Kehle zuzuschnüren.
Einen Augenblick überlegte die Blondine, ob dies eventuell doch ein Zeichen dafür war, dass die Situation um Claire mit dem Verlust ihres Kurzzeitgedächtnisses doch nicht so hoffnungslos schien, wie die Ärzte ihr mitgeteilt hatten.
„Wer soll denn hier sonst alles auf den Kopf stellen? Wer, wenn nicht du, kommt auf die verrückte Idee, eine Espressomaschine zu kaufen? Wer kommt denn sonst auf den absurden Gedanken, diese Farm auf Bio umzustellen?“ Ein zaghaftes Lächeln umspielte Claires Lippen. Sie hob eine Hand und strich ihrer Schwester eine verirrte Strähne aus dem Gesicht, klemmte sie ihr hinter das Ohr.
„Wir schaffen das, Tess. Nur gib nicht schon auf, bevor es überhaupt so hoffnungslos ist, um nicht mehr weiter zu kämpfen.“
Aufgrund ihres schlechten Gewissens konnte Tess daraufhin nur schlicht mit dem Kopf nicken. Wie konnte sie nur so herzlos sein und ihre Schwester so sehr anflunkern? Verlegen biss sie sich auf die Unterlippe und senkte ihre Augen. Wieder tröstete sich die Blondine damit, dass sie ihre Schwester ja nur schützen wollte. Tess mochte sich nicht ausmalen, wie hart es Claire treffen würde, würde sie ihr jeden Tag aufs Neue die Wahrheit offenbaren. Stattdessen spielte die blonde Frau ihr immer wieder vor, dass sie noch immer auf die Ergebnisse der Biopsie wartete und es sie innerlich zu zerstören drohte. Auch dieser Moment der Reue und des schlechten Gewissens würde wieder vergehen, so wie es jeden Tag passierte. Schon bald würden sie und Claire sich wieder dem Alltag widmen und die Gedanken an das Gespräch wären Vergangenheit. Bis zum nächsten Morgen.
*****
Claire war sich zwar nicht sicher, ob Tess nun tatsächlich aus ihrem Zimmer hinaus kommen würde. Aber zumindest, so hoffte sie, wusste ihre Schwester nun, dass es egoistisch und unfair ihr und vor allem Charlotte gegenüber war, wenn sie sich und ihr Leben zu früh aufgab. Vielleicht sollte Claire doch mal ein paar Tage mit Tess wegfahren. Nur Charlotte, Tess und sie selbst. Ganz abgesehen von der Therapie und der Ablenkung, die Claire ihr damit schenken konnte, würde sie auch mal wieder in den Genuss der Großstadt kommen können. Tess war schließlich noch immer ein Stadtmensch, der belebte Straßen mit sämtlichen Straßencafés in allen möglichen Ausführungen liebte. Und vor allem vergötterte sie Kaffee wie kein anderer Mensch, den Claire kannte. Ein Lächeln überkam die brünette McLeod. So war es und es würde mit Sicherheit viel Spaß bringen, wenn sie sich die nächsten Tage von ihrer Schwester in die Geheimnisse der Großstadt einführen lassen würde. Aber vollkommen ohne Vorbereitungen konnte eine Claire McLeod dennoch nicht alles hinter sich lassen. Bevor sie ihre Reispläne weiter ausdehnen konnte, musste sie zunächst ein Mal dafür sorgen, dass auf der Farm alles reibungslos verlaufen würde, wenn sie mit Tess und Charlotte in der Stadt war. Da kam es ihr ganz gelegen, dass sie vor ein paar Tagen Stevie wieder getroffen und eingestellt hatte.
Die Freundin war gerade dabei, den Pickup zu beladen. Jodi und Alex halfen ihr dabei. Claire blieb stehen. Die brünette McLeod betrachtete die Drei einen Augenblick lang und stellte wieder einmal für sich selbst fest, dass es die beste Idee war, Stevie einzustellen. Immerhin hatte sie Jodi vollkommen unter Kontrolle und es stellte sich als ein Leichtes für die Freundin heraus, die Prinzessin zum Arbeiten zu bewegen, ohne dass Protest erfolgte. Es amüsierte sie, zu sehen, wie die rothaarige Freundin das Drovers Küken durch die Gegend scheuchte und zur Eile antrieb. Deutlich konnte Claire aus einiger Entfernung erkennen, dass Jodi genervt mit den Augen rollte und ihre Mundwinkel protestierend nach unten sackten. Trotzdem bewegten sich die Lippen der Blondine nicht einen einzigen Millimeter auseinander. Alex schien sich gleichermaßen wie sie selbst zu amüsieren über den Anblick, der sich ihm bot. Claires Augen ruhten nun auf dem großgewachsenen Mann, mit den muskulösen Armen und den großen Händen. Sie wusste, dass sie es waren. Hatte sie sich doch selbst schon auf seinen Armen befunden.
Die Brünette hielt in ihren Gedanken inne und fragte sich, wie sie auf diese absurde Idee kam. Sie konnte sich an keine Situation erinnern, in der sie sich mit Alex Ryan so nahe gewesen sein mochte, dass er sie auf Händen getragen hatte. Und trotzdem kam ihr dieses Gefühl so vertraut vor. Sie könnte schwören, dass sie seine Arme um ihre zarte Taille schon einmal gespürt hatte. Claire sah es so deutlich vor sich.
Sie konnte sehen, wie Alex´ blaue Augen schelmisch blitzten, konnte deutlich ihr herzhaftes Lachen hören. Der Wind streifte durch ihr braunes Haar, es war frisch an diesem Abend. Die Sonne am Horizont war schon beinahe untergegangen und tauchte das Land in eine orangefarbene, idyllische Atmosphäre. Immer wieder konnte Claire ihre eigene Stimme hören, die jauchzend Alex´ Namen rief und ihn dazu aufforderte, sie auf der Stelle zurück auf den Boden zu stellen. Doch der Dunkelhaarige dachte gar nicht daran und schien sich nur noch mehr dazu ermutigt, Claire glückselig durch die Luft zu wirbeln und den Wind mit ihren braunen Haaren schäkern zu lassen. Auf ihrer Haut tänzelten die restlichen Strahlen der untergehenden Sonne und gaben ihrer dezent braun gefärbten Haut einen schimmernden Glanz, während im Bauch Schmetterlinge wild umherflatterten.
Claire seufzte sehnsuchtsvoll. Sollte das alles nur Einbildung, ein begehrendes Verlangen ihres Innern sein, so hegte sie den Wunsch, dass Alex es tat. Die brünette McLeod schüttelte heftig mit dem Kopf. Was dachte sie nur für einen dämlichen Quatsch. Womöglich setzt ihr die pralle Sonne an diesem Morgen einfach nur sehr zu, dachte Claire, sich beruhigend. Anders konnte sie sich solch einen Blödsinn nicht erklären. Trotzdem war ihr Leib in einem immensen Aufruhr, als Alex´ Blick plötzlich in ihre Richtung glitt. Seine rechte Hand hob er über seinen Kopf, als Zeichen der Begrüßung. Dieses verschmitzte Grinsen in seinem Gesicht konnte Claire sehen, oder vielmehr dachte sie, sie würde es als eben solches wahrnehmen. Augenblicklich erhöhte sich der Herzschlag der brünetten McLeod und schien ihr regelrecht davonzurasen, Adrenalin schoss durch die Venen und Arterien ihres Körpers, gemischt mit brodelndem Blut. Claire spürte, wie ihr Gesicht aufglühte und war froh, dass Alex die dezente Röte ihres Gesichtes aus dieser Entfernung nicht wahrnehmen konnte. Aus Anstand und der Höflichkeit wegen, nickte die Brünette grüßend mit dem Kopf. Sie zog anschließend ihren Hut etwas tiefer ins Gesicht hinein und machte sich auf den Weg zu Alex und den beiden Frauen. Claire hoffte inständig, dass ihr erhitztes Gesicht sich auf den wenigen Metern zu dem Pickup wieder erholen und eine gesunde, nicht verräterische, Farbe annehmen würde.
Stevie schlug die Heckklappe des Pickups zu und machte Anstalten, sich hinter das Steuer zu setzen und auf die Weide zu fahren, um die defekten Zäune wieder in Schuss zu bringen. Sie blieb einen Moment stehen und blickte Alex an. Eigentlich hatte sie erwartet, dass sie sich nun voneinander verabschieden würden, doch schien er nicht wirklich anwesend zu sein. Ihre braunen Augen folgten Alex´ Blick und entdecken Claire, die schnurstracks auf sie zu gelaufen kam, den Blick leicht gesengt und das vermutlich von der Sonne leicht erhitzte Gesicht unter der Hutkrempe versteckend. Sonderbar, stellte Stevie fest. Die Augen der Rothaarigen wanderten zurück zu Alex und auch sein Auftreten war seltsam. Stevie glaubte, so etwas wie ein Lächeln auf seinen Lippen haften zu sehen, was unter normalen Umständen nicht wirklich ungewöhnlich gewesen wäre. Doch irgendwie schien Claire verändert, eben ein wenig verschüchtert, Alex hingegen sich seiner Sache sicherer. Vielleicht fühlte er sich auch geschmeichelt oder gar überlegen, da ihm der veränderte Auftritt von Claire ebenfalls bewusst geworden war. Stevie zuckte mit den Schultern. Wahrscheinlich kam ihr das nur so vor. Sie stieg nun doch in den Pickup ein und ließ den Motor des Isuzu aufheulen, sobald Jodi neben ihr saß. Noch einmal blickte sie Claire und Alex an und schüttelte amüsiert mit dem Kopf, ehe sie schlussendlich vom Hof fuhr.
„Claire“, begann Alex und grinste die Brünette an. „Ich hab dich schon erwartet.“ Claire aber zuckte erschrocken zusammen. Sie hätte damit rechnen müssen, dass sie mit Alex ins Gespräch kommen würde. Schließlich waren sie seit Jahren miteinander befreundet und es war auch unter Nachbarn nicht ungewöhnlich, dass man sich bei Gelegenheit unterhielt. Jedoch war Claire nie aufgefallen, wie sehr Alex´ Stimme sie durcheinanderbringen konnte. Überhaupt konnte Claire sich nicht entsinnen, dass sie je interessanter und männlicher, ja leidenschaftlicher geklungen hätte wie an diesem Tag. Die Art wie Alex ihren Namen aussprach, brachte ihren Körper erneut in Wallungen und ließ ihr Herz heftig ausschlagen.
„Wieso? Was hast du denn mit mir vor?“, hörte die Brünette sich gedämpft sagen. Ihre Stimme kam ihr irgendwie fremd vor. In ihr schwang nicht der feste, sichere Ton mit, den sie sonst an den Tag legte. Aber auch die Worte, die ihrem Mund entglitten, passten so gar nicht in das Bildnis der Claire McLeod.
Alex hingegen war sich sicher wie nie zuvor. Er konnte seine Gefühle nicht mehr ignorieren, er hatte es versucht. Um Claires willen und weil Tess es für das Beste hielt. Oder vielmehr weil ihr dadurch das Leid erspart bliebe, ihrer Schwester jeden Tag aufs Neue die Wahrheit zu sagen. Aber er wollte nicht mehr auf die McLeod verzichten und er wollte sie auch nicht mehr anflunkern. Alex selbst hasste es schon immer, wenn man ihm Lügen auf dem Silbertablett präsentierte. Wie sollte er denn dann damit leben können und seiner besten Freundin jeden Tag etwas vortäuschen, was es in Wirklichkeit gar nicht gab? Alex zuckte mit den Schultern. Claire würde ohnehin eines Tages erfahren, dass das Leben und die Zeit weiterliefen und nicht stehen geblieben waren, wie für sie selbst.
„Alex?“ Claire holte den jungen Mann aus seinen Gedanken wieder zurück in die Wirklichkeit. Fragend blickte die Dunkelhaarige ihn an.
„Äh...der Zaun...oben auf Jacks Folley, den wollte ich mir mit dir ansehen“, stammelte Alex. Vielleicht hätte er sich etwas anderes einfallen lassen sollen, um Claire von Drovers wegzulocken. Nur seine Gedanken hatten ihn zu sehr aus dem Konzept gebracht.
„Wozu? Stevie ist doch schon unterwegs“, winkte die Brünette ab. „Ich...“ Claire hielt inne. Was genau wollte sie noch mal? Sie hatte es doch tatsächlich vergessen. Die Vorstellung von ihr und Alex hatte sich dazwischen gedrängt und nun wusste sie nicht mehr, weshalb sie hier war.
„Schon, aber Stevie ist doch mit Jodi auf der anderen Seite. Du solltest es dir wirklich ansehen“, drängte Alex und versuchte wirklich sein Bestes, um Claire auf diese Weide zu locken, doch einfach schien es nicht. Er musste einfach Nägel mit Köpfen machen und sie vor vollendete Tatsachen stellen, anders ging es nicht. „Also, rein ins Auto.“ Sanft aber bestimmend schob der junge Mann die McLeod zu dem Pickup und öffnete die Beifahrertüre. Er drängte sie in den Sitz und schloss das Auto. Claire zog beide Augenbrauen in die Höhe und beobachtete, wie Alex um den Pickup herum auf die Fahrerseite lief und hinter dem Steuerrad Platz nahm.
„Auf Entführung steht Gefängnisstrafe, das weißt du hoffentlich, Ryan.“
„Schon, aber nur, wenn man sich erwischen lässt.“ Alex grinste Claire an und startete den Motor, um kurz darauf das Auto vom Hof zu lenken. „Außerdem, schwierige Situationen erfordern manchmal außergewöhnliche Maßnahmen.“
Claire verschränkte trotzig die Arme vor ihrer Brust. Sie beschloss, gar nichts mehr zu sagen, hatte sie doch ohnehin keine Chance. Andererseits musste die Brünette sich eingestehen, dass sie es genoss, ein bisschen mehr Zeit mit Alex zu verbringen. Aber offensichtlich zu geben, würde sie es niemals.
Alex spähte aus den Augenwinkeln zu Claire hinüber. Ein Grinsen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Die McLeod verfiel immer in eisernes Schweigen, wenn sie einfach vor vollendete Tatsachen gestellt wurde und nichts mehr zu entgegnen wusste. So war es schon immer gewesen, seit sie sich kannten und das taten sie schon eine Ewigkeit. Es war merkwürdig. Claire war eigentlich immer noch dieselbe, nur wusste sie von alldem, was vor ihrem Unfall geschehen war, nichts mehr. Zumindest nicht viel. Und das, woran sie sich noch erinnern konnte, das hatte beinahe gar nichts mit ihm selbst zu tun. Dabei hatte es kurz vor Claires Unfall einen Moment gegeben, der so magisch schien und doch so schnell, wie ein Herzschlag wieder vorüber war. Es gab keine Möglichkeit aus dem Zauber des winzigen Augenblicks ein noch viel größeres, entscheidendes Erlebnis zu machen. Die Zeit hatte einfach gefehlt. Hätte es vor dem Unfall einen besonderen Moment zwischen ihnen gegeben, wer weiß, vielleicht würde sich Claire dann mehr an diesen erinnern, anstatt Tag um Tag immer wieder den Streit mit Tess zu erleben.
Entgegen der Bitte von Tess und den Einwänden von Meg hatte Alex sich an dem heutigen Tag für Claire etwas Besonderes ausgedacht. Er gab die Hoffnung noch nicht ganz auf und versuchte alles ihm Mögliche, um Claire vielleicht doch noch dazu zu verhelfen, ihr Kurzzeitgedächtnis wiederzuerlangen. Selbst wenn es nur eine verschwindend kleine Chance gab, so wollte und konnte Alex nicht einfach tatenlos zusehen und alles vergessen, was es vor dem Unfall zwischen ihm und Claire gegeben hatte. Alex schlief seit jeher schlechter denn je. Es dauerte jede Nacht seine Zeit, bis er endlich seinen Schlaf fand, vor Erschöpfung. Schlief er dann schon beinahe im Morgengrauen endlich ein, so quälten ihn Alpträume und er wachte wenige Stunden später schweißbedeckt und schwer atmend wieder auf. In jeder Nacht hatte Alex denselben Traum. Immer wieder sah er Claire, wie sie mit dem Pickup die Klippe hinunterstürzte. Dabei war der junge Mann gar nicht dabei gewesen. Alex hatte wie alle anderen auch erst davon erfahren, als Claire mit Tess und Charlotte schon auf dem Weg ins Krankenhaus war. Und dann begann eine furchtbare Zeit des kläglichen Hoffens und Bangens. Die McLeod hatte schwere innere Verletzungen, besonders im Hirn davongetragen, was mit dem Aufschlagen des Kopfes auf das Armaturenbrett von den Ärzten erklärt wurde, und durch das eingeklemmte Bein viel Blut verloren. Aber Claire hatte auch wahnsinniges Glück gehabt, eine Horde von Schutzengeln musste über die McLeod gewacht haben. Zumal schnell Hilfe am Unfallort eintraf und somit verhindert werden konnte, dass der Pickup über die Klippe gänzlich hinunter in die Schlucht stürzte.
Das Auto stoppte und Claire fragte sich, was genau nun mit dem Zaun sei. Sie ließ ihre braunen Augen über die Weide entlang des Zaunes gleiten und konnte nichts erkennen, was nun so wichtig erschien, dass sie es sich mit Alex unbedingt angucken musste.
„Alex, was soll das? Es ist nichts Außergewöhnliches zu erkennen.“ Die brünette McLeod rollte mit den Augen, nachdem von Alex so gar nichts kam, bis auf dieses Grinsen, das ihm schon, seit sie den Hof der Farm verlassen hatten, im Gesicht klebte. Der junge Mann eilte wieder um das Auto herum und hielt Claire die Türe auf. Er machte eine Handbewegung und deutete ihr an, sie solle aussteigen. Doch diese weigerte sich strickt.
„Komm schon, Claire. Du machst alles kaputt“, entgegnete Alex enttäuscht und zog sie aus dem Pickup heraus. Die Brünette schnappte aufgeregt nach Luft. Sie riss sich aus dem Griff von Alex los und funkelte ihn mit ihren Augen böse an.
„Könntest du mir gefälligst mal erklären, was hier vor sich geht?“, schrie Claire aufgebracht und stemmte beide Hände fest in ihre zarten Hüften hinein.
„Du wirst schon sehen“, war alles, was Alex zu entgegnen hatte und schob sie vorwärts, hinauf auf den kleinen Hügel, der direkt vor ihnen lag. Die McLeod ließ schimpfend geschehen, was geschah. Und als sie nach mehreren Unterbrechungen endlich hoch oben auf der Anhöhe ankamen, blieb ihr regelrecht die Spucke weg. Sie hatte große Mühe, ihr Erstaunen und die Ungläubigkeit unter Kontrolle zu bekommen. Claire versuchte ordentlich Atem zu holen und ihren Herzschlag zu beruhigen, doch gelang es ihr nicht. Eine eisige Hand schien sich um ihren Hals zu legen und hielt sie davon ab, in diesem Moment auch nur ein einziges Wort zu sagen. Alles, was sie hervor brachte, war nichts weiter als ein Krächzen aus ihrer trockenen Kehle.
Alex hatte es tatsächlich geschafft, Claire hier hinaufzubringen und sie sprachlos zu machen. Es erfüllte den jungen Mann mit Stolz und er wusste, dass die Brünette nun allen Groll und sämtliche Wut vergessen hatte. Sie war vielmehr mit dem Anblick, der sich ihr bot, beschäftigt und dafür allein schon lohnte sich der ganze Aufwand. Denn nur so konnte Alex das tun, was ihm vorschwebte. Nämlich Claire langsam darauf vorbereiten, dass sie in einer Zeit lebte, die es nicht mehr gab, die schon längst vorüber war.
„Alex, ich...“, mühsam suchte die brünette McLeod nach Worten. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ Nicht im Traum hätte sie damit gerechnet, je in ihrem Leben einmal so etwas zu erleben, so überrascht zu werden. Vor ihrem Auge befand sich ein romantisch gedeckter Tisch, auf dem eine Kerze im Wind wehte und frische Blumen in einer Vase steckten. Zwei Teller mit Besteck und zwei Weingläser standen oben auf und im Hintergrund dudelte leise Musik. Alex hatte sich so viel Mühe gemacht, jedes Detail schien genau den richtigen Platz zu haben. Es gab sogar einen Kellner, über dessen Arm, ein weißes sorgsam gefaltetes Tuch lag.
„Du musst nichts sagen“, entgegnete Alex flüsternd und schenkte Claire ein Lächeln.
Die Brünette wandte ihren Blick von dem märchenhaften Schauplatz vor sich ab und sah Alex mit ihren warmen Augen an. Tränen benetzen die braunen Pupillen und verschleierten ihr die Sicht. Doch etwas ganz anderes klärten sie auf. Claire wurde sich nun bewusst, dass es einen Sinn hatte, weshalb sie sich wünschte, Alex würde sie mit seinen großen Händen berühren und sie auf seinen starken Armen tragen. Claire wusste nun, es hatte eine Bedeutung, dass ihr Herz aus dem Takt geriet, wenn Alex sie ansah und ihr wurde auch klar, dass sie nicht umsonst der Ohnmacht nahe war, wenn Alex mit ihr sprach. Sie hatte sich verliebt. Verliebt in Alex Ryan, in ihren besten Freund. Die Brünette hob eine Hand und legte sie sanft auf die rechte Wange von Alex. Sie strich mit ihren Kuppen über sein Gesicht, spürte unter der zarten Haut ihrer Finger die rauen, hervortretenden Stoppeln seines Dreitagebarts.
Alex´ Herz raste ihm davon, als er diese tiefsinnige Berührung vernahm. Er schloss seine blauen Augen, genoss die unmittelbare Nähe, die sie nun miteinander teilten. Der junge Mann sog die kühle Luft tief ein und spürte den Sauerstoff, der rasant durch seinen Leib strömte. Da war er wieder dieser Moment, der den Zauber der Magie mit sich brachte. Alex wollte ihn festhalten, für immer in seinem Herzen verschlossen. Denn er wusste, dass dieser Moment nicht für immer sein würde und schon bald die bittere Wahrheit Einzug erhielt. Wenn Claire erfuhr, dass sie um Wochen älter war, als sie bisher annahm, und Tess schon längst die Ergebnisse der Biopsie hatte, dann würde von der Magie, die in diesem Augenblick über ihnen schwebte, nichts mehr übrig sein. Sie wäre verpufft, wie eine zarte Seifenblase und Claire wäre aus ihrer Welt herausgerissen. Alex fragte sich, ob es tatsächlich eine gute Idee war, der McLeod die Wahrheit zu gestehen und ihr die Augen zu öffnen. Andererseits würde sie sich ohnehin am nächsten Tag an all das nicht mehr erinnern können und somit musste es ein Versuch wert sein. Wenn Claire es allzu schwer aufnahm, konnte Alex immer noch von seinem Vorhaben mit den Briefen, die er jeden Tag schreiben würde, und dem Video, das alles erklären sollte, absehen. Aber dazu musste er es riskieren. Es war ja schließlich nur ein einziger Tag, der ihr mehr Kummer und Schmerz bereiten würde, zumindest bis es Claire auffiel, dass Charlotte größer und erwachsener wurde und sie selbst in der Zeit festhing.
„Alex...“, trug der Wind seinen Namen in seine Ohren. Der junge Ryan öffnete seine Lider und sofort erblickten seine Augen diese wunderschöne Frau vor sich. Er legte ihr einen Finger auf die Lippen und betrachtete sie einen Augenblick lang intensiv.
„Du bist so wunderschön, Claire“, wisperte Alex mit einem zitternden Klang in der Stimme. „Ich liebe dich. Schon so lange.“ Claires Herz machte einen Satz und schlug anschließend in einem schnelleren Tempo weiter. Ihre Hände benetzte ein dezenter Schweißfilm. Die McLeod lächelte Alex glückselig an.
„Ich liebe dich auch“, entgegnete sie lachend und schlang ihre Arme um Alex´ Hals. Der junge Ryan legte seine Hände behutsam auf dem Körper der Frau vor sich ab und drückte sie fest an sich. Der Duft ihres Parfüms schwebte unmittelbar unter seiner Nase, gemischt mit dem typischen Claire McLeod Duft brachte er ihn schier um den Verstand. Sein Mund suchte ihre Lippen und die Anspannung fiel von ihm, als er gefunden hatte, was er suchte.
Claire war glücklich und lachte ausgelassen über Alex´ Witze und liebevolle Sticheleien. Wo sie diese vor Tagen noch anders aufgefasst hätte, zeugten sie nun für sie von unendlich tiefer Liebe und purer Leidenschaft. Sie verbrachten die nächsten Stunden zusammen, aßen, lachten und küssten sich immer wieder. Es schien, als ob ein neues Kapitel in ihrer beider Leben aufgeschlagen wurde. Doch Alex machte die Tatsache, dass Claire am nächsten Tag nichts mehr von alledem wissen würde, unendlich traurig. Die Brünette bemerkte die plötzliche Veränderung, sah die tiefen Falten auf seiner Stirn. Sie erhob sich aus dem Stuhl und zog Alex mit sich.
„Lass uns ein Stück spazieren gehen und den Sonnenuntergang betrachten.“ Alex nickte stumm und ließ sich von Claire mitreißen. Sie gingen ein Stück und ließen sich schließlich auf einen Baumstamm nieder. Eng umschlungen saßen Claire und Alex da und blickten der untergehenden Sonne entgegen, während die Minuten wie im Fluge verstrichen. Alex hatte es noch immer nicht gewagt, Claire die Wahrheit zu offenbaren. Wieder beschlichen ihn Zweifel, ob er sich das Richtige vorgenommen hatte oder es nicht doch zu sehr nach Eigennutz stank. Er sollte Claire doch schützen vor allem Bösen, vor allen Gemeinheiten. Und dennoch hatte er das Gefühl, als würde er sie nicht immer beschützen können, nicht ewig das Unheil von ihr fernhalten können. Ein Seufzen durchdrang die Stille.
Das tiefe Durchatmen von Alex ließ die Brünette ihren Kopf zur Seite drehen und ihn voller Sorge anblicken. Auch der junge Ryan sah Claire nun mit schmerzverzehrten Augen an.
„Ich... warte einen Augenblick.“ Alex´ Stimme hatte einen festen Ton, seine Augen waren starr auf die McLeod gerichtet. „Rühr dich nicht von der Stelle.“ Lautlos nickend sah die Brünette, wie er sich in Windeseile erhob, zum Pickup hastete und kurz darauf, mit einer Art Buch in der Hand, atemlos wieder zurückeilte. Alex reichte Claire das lederne, gebundene Exemplar. Sein Gesichtsausdruck war ernst, um seine Mundwinkel zuckte es nicht. Er hatte furchtbare Angst vor den nun folgenden Minuten und wusste nicht, wie schwer Claire es nehmen würde, wie hart es sie treffen würde.
„Sieh dir das in aller Ruhe an und...“ Alex blieb das Herz stehen und sein Atem war tief und schwer. Doch nun gab es kein Zurück mehr, nun konnte er Claire nicht mehr beschützen, vor den ganzen tiefen Abgründen auf dieser Welt, dem ganzen Unheil dieser Welt, das schon bald auf sie einstürzen würde. „Ich werde für dich da sein, Claire. Dort hinten beim Auto werde ich auf dich warten. Ganz egal was passiert.“
„Alex...“, brachte die Brünette leise hervor. Doch Alex legte ihr sofort einen Finger auf die Lippen.
„Pssst, sag nichts, sieh es dir einfach an.“ Claire wusste nicht, was das Ganze zu bedeuten hatte, was genau in Alex vor sich ging und was dieses Buch in ihren Händen für eine Rolle spielte. Jedoch schien es ihm äußerst wichtig zu sein und deshalb sagte sie nichts.
Die McLeod schlug das eingebundene Leder auf, sobald Alex etwas Abstand hatte und wenige Sekunden später wurde alles um sie herum schwarz. Die schwarz weißen Bilder, die das cremefarbene Papier zierten, sprudelten auf Claire unaufhaltsam ein. Angst, Wut und Verzweiflung überschwemmten ihren Körper und ergriffen vollkommen Besitz von ihm. Ein eiserner Vorhang hatte sich zu gezogen, ließ keinen Raum mehr für die restlichen, noch verbleibenden, letzten Sonnenstrahlen. Salzwasser stand in ihren Augen und brannte sich schmerzhaft in die zarte Haut hinein, als die Tränen in Strömen über ihre Wangen glitten. Immer wieder schüttelte sie ungläubig mit dem Kopf und sagte sich, das, was sie vor sich sah, konnte alles nicht stimmen, durfte einfach nicht wahr sein. Tiefe Schluchzer übermannten ihren schwächelnden Leib und schüttelten ihn kräftig durch. Claire weinte so bitter viele Tränen, bis nicht ein Tropfen Wasser mehr in ihrem Körper schien und sie zitternd vor Erschöpfung gänzlich zu Boden sank.
Alex hatte sich in den Pickup gesetzt. Er blickte unaufhaltsam, ohne Unterbrechung, zu Claire hinüber, während aus dem Radio Musik in seine Ohren dröhnte. Er sah, wie die McLeod weinend in sich zusammenbrach und ihr Körper sich auf die schon kalte Erde schmiegte. Alex wollte so gern zu Claire stürzen, sie fest in seine Arme schließen und sie still und stumm in den Schlaf wiegen. Doch er hatte sich geschworen, an Ort und Stelle so lange zu verharren bis Claire soweit war, bis zum bitteren Ende. Sie musste tausend Fragen haben, musste unbändige Wut in ihrem Innern spüren. Doch solange sie nicht alles begriffen hatte, konnte er ihr nicht helfen.
Die Sonne versank gänzlich hinter dem Horizont, die Schatten der Nacht senkten sich über das Land. Claire hatte sich seit Minuten nicht mehr von der Stelle gerührt und kein einziger Schrei durchdrang mehr die Stille. Alex hielt es nicht mehr aus, er verließ das Auto und lief hinüber zu der Brünetten, die reglos auf dem kalten Boden lag, in die endlose Leere starrte. Claire spürte seine Nähe, konnte seine Hand vernehmen, die sich leise auf ihre Schulter legte.
„Wie lange schon?“, fragte die McLeod entmutigt. Alles Leben schien aus ihrer Stimme gewichen.
„Du hattest den Unfall vor sechs Wochen“, brachte Alex wispernd hervor. Stille senkte sich wieder über sie. Er wünschte sich so sehr, dass Claire ihn wenigstens anschreien, oder ihn zum Teufel jagen würde. Aber nicht einfach nur so stumm da liegen und gar nichts tun würde.
„Wie ist es passiert?“, hallte wieder ihre Stimme durch die Atmosphäre.
Alex benetzte seine trockenen, spröden Lippen etwas und begann von vorn zu erzählen. Er berichtete Claire von dem Drama des Unfalltages, von der Rettung durch zwei mutige Farmer, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren. Alex erzählte von den Tagen der Hoffnung und des Bangens, als ihr Leben an einem seidenen Faden hing und niemand wusste, ob sie jemals wieder aus dem Koma erwachen würde. Er erwähnte die Diagnose, die die Ärzte mitteilten und den Schock, der allen noch immer tief in den Gliedern saß. Alex ließ nicht ein einziges Detail aus. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen und doch wusste er, dass es sehr schmerzhaft für sie sein musste, sie innerlich auffressen musste. Als Alex alles erzählt hatte, was es zu berichten gab, war es ruhig. Er konnte ihren Atem und seinen lauten Herzschlag hören und sonst war da nichts. Doch Claire durchbrach die Stille um sie beide herum wieder.
„Alex? Bist du noch da?“ Claire konnte ihn nicht mehr hören, konnte seine schützende Hand nicht mehr spüren.
„Ja, ich bin hier“, hauchte Alex leise und wischte sich über seine tränenfeuchten Augen.
„Würdest du mich festhalten?“ Ein Lächeln umspielte Alex´ Lippen, während er sich stumm neben Claire auf die kalte Erde legte und sie eng an seinen Körper heranzog. „Die ganze Nacht?“
„Bist du sicher?“, fragte Alex mit belegter Stimme und schluckte den schweren Kloß in seinem Hals hinunter. Claire nickte entschlossen. „Du wirst mich morgen früh dafür hassen.“
„Nein, das werde ich nicht. Ich hab es aufgeschrieben. Versprich mir, dass du mich nie wieder loslassen wirst.“
„Ich verspreche es“, entgegnete Alex und hauchte Claire einen Kuss auf ihr Haar. Er drückte sie fest an sich und schwor sich, dass er sie tatsächlich nicht mehr loslassen würde, nie wieder in seinem ganzen Leben.
Die Freundin war gerade dabei, den Pickup zu beladen. Jodi und Alex halfen ihr dabei. Claire blieb stehen. Die brünette McLeod betrachtete die Drei einen Augenblick lang und stellte wieder einmal für sich selbst fest, dass es die beste Idee war, Stevie einzustellen. Immerhin hatte sie Jodi vollkommen unter Kontrolle und es stellte sich als ein Leichtes für die Freundin heraus, die Prinzessin zum Arbeiten zu bewegen, ohne dass Protest erfolgte. Es amüsierte sie, zu sehen, wie die rothaarige Freundin das Drovers Küken durch die Gegend scheuchte und zur Eile antrieb. Deutlich konnte Claire aus einiger Entfernung erkennen, dass Jodi genervt mit den Augen rollte und ihre Mundwinkel protestierend nach unten sackten. Trotzdem bewegten sich die Lippen der Blondine nicht einen einzigen Millimeter auseinander. Alex schien sich gleichermaßen wie sie selbst zu amüsieren über den Anblick, der sich ihm bot. Claires Augen ruhten nun auf dem großgewachsenen Mann, mit den muskulösen Armen und den großen Händen. Sie wusste, dass sie es waren. Hatte sie sich doch selbst schon auf seinen Armen befunden.
Die Brünette hielt in ihren Gedanken inne und fragte sich, wie sie auf diese absurde Idee kam. Sie konnte sich an keine Situation erinnern, in der sie sich mit Alex Ryan so nahe gewesen sein mochte, dass er sie auf Händen getragen hatte. Und trotzdem kam ihr dieses Gefühl so vertraut vor. Sie könnte schwören, dass sie seine Arme um ihre zarte Taille schon einmal gespürt hatte. Claire sah es so deutlich vor sich.
Sie konnte sehen, wie Alex´ blaue Augen schelmisch blitzten, konnte deutlich ihr herzhaftes Lachen hören. Der Wind streifte durch ihr braunes Haar, es war frisch an diesem Abend. Die Sonne am Horizont war schon beinahe untergegangen und tauchte das Land in eine orangefarbene, idyllische Atmosphäre. Immer wieder konnte Claire ihre eigene Stimme hören, die jauchzend Alex´ Namen rief und ihn dazu aufforderte, sie auf der Stelle zurück auf den Boden zu stellen. Doch der Dunkelhaarige dachte gar nicht daran und schien sich nur noch mehr dazu ermutigt, Claire glückselig durch die Luft zu wirbeln und den Wind mit ihren braunen Haaren schäkern zu lassen. Auf ihrer Haut tänzelten die restlichen Strahlen der untergehenden Sonne und gaben ihrer dezent braun gefärbten Haut einen schimmernden Glanz, während im Bauch Schmetterlinge wild umherflatterten.
Claire seufzte sehnsuchtsvoll. Sollte das alles nur Einbildung, ein begehrendes Verlangen ihres Innern sein, so hegte sie den Wunsch, dass Alex es tat. Die brünette McLeod schüttelte heftig mit dem Kopf. Was dachte sie nur für einen dämlichen Quatsch. Womöglich setzt ihr die pralle Sonne an diesem Morgen einfach nur sehr zu, dachte Claire, sich beruhigend. Anders konnte sie sich solch einen Blödsinn nicht erklären. Trotzdem war ihr Leib in einem immensen Aufruhr, als Alex´ Blick plötzlich in ihre Richtung glitt. Seine rechte Hand hob er über seinen Kopf, als Zeichen der Begrüßung. Dieses verschmitzte Grinsen in seinem Gesicht konnte Claire sehen, oder vielmehr dachte sie, sie würde es als eben solches wahrnehmen. Augenblicklich erhöhte sich der Herzschlag der brünetten McLeod und schien ihr regelrecht davonzurasen, Adrenalin schoss durch die Venen und Arterien ihres Körpers, gemischt mit brodelndem Blut. Claire spürte, wie ihr Gesicht aufglühte und war froh, dass Alex die dezente Röte ihres Gesichtes aus dieser Entfernung nicht wahrnehmen konnte. Aus Anstand und der Höflichkeit wegen, nickte die Brünette grüßend mit dem Kopf. Sie zog anschließend ihren Hut etwas tiefer ins Gesicht hinein und machte sich auf den Weg zu Alex und den beiden Frauen. Claire hoffte inständig, dass ihr erhitztes Gesicht sich auf den wenigen Metern zu dem Pickup wieder erholen und eine gesunde, nicht verräterische, Farbe annehmen würde.
Stevie schlug die Heckklappe des Pickups zu und machte Anstalten, sich hinter das Steuer zu setzen und auf die Weide zu fahren, um die defekten Zäune wieder in Schuss zu bringen. Sie blieb einen Moment stehen und blickte Alex an. Eigentlich hatte sie erwartet, dass sie sich nun voneinander verabschieden würden, doch schien er nicht wirklich anwesend zu sein. Ihre braunen Augen folgten Alex´ Blick und entdecken Claire, die schnurstracks auf sie zu gelaufen kam, den Blick leicht gesengt und das vermutlich von der Sonne leicht erhitzte Gesicht unter der Hutkrempe versteckend. Sonderbar, stellte Stevie fest. Die Augen der Rothaarigen wanderten zurück zu Alex und auch sein Auftreten war seltsam. Stevie glaubte, so etwas wie ein Lächeln auf seinen Lippen haften zu sehen, was unter normalen Umständen nicht wirklich ungewöhnlich gewesen wäre. Doch irgendwie schien Claire verändert, eben ein wenig verschüchtert, Alex hingegen sich seiner Sache sicherer. Vielleicht fühlte er sich auch geschmeichelt oder gar überlegen, da ihm der veränderte Auftritt von Claire ebenfalls bewusst geworden war. Stevie zuckte mit den Schultern. Wahrscheinlich kam ihr das nur so vor. Sie stieg nun doch in den Pickup ein und ließ den Motor des Isuzu aufheulen, sobald Jodi neben ihr saß. Noch einmal blickte sie Claire und Alex an und schüttelte amüsiert mit dem Kopf, ehe sie schlussendlich vom Hof fuhr.
„Claire“, begann Alex und grinste die Brünette an. „Ich hab dich schon erwartet.“ Claire aber zuckte erschrocken zusammen. Sie hätte damit rechnen müssen, dass sie mit Alex ins Gespräch kommen würde. Schließlich waren sie seit Jahren miteinander befreundet und es war auch unter Nachbarn nicht ungewöhnlich, dass man sich bei Gelegenheit unterhielt. Jedoch war Claire nie aufgefallen, wie sehr Alex´ Stimme sie durcheinanderbringen konnte. Überhaupt konnte Claire sich nicht entsinnen, dass sie je interessanter und männlicher, ja leidenschaftlicher geklungen hätte wie an diesem Tag. Die Art wie Alex ihren Namen aussprach, brachte ihren Körper erneut in Wallungen und ließ ihr Herz heftig ausschlagen.
„Wieso? Was hast du denn mit mir vor?“, hörte die Brünette sich gedämpft sagen. Ihre Stimme kam ihr irgendwie fremd vor. In ihr schwang nicht der feste, sichere Ton mit, den sie sonst an den Tag legte. Aber auch die Worte, die ihrem Mund entglitten, passten so gar nicht in das Bildnis der Claire McLeod.
Alex hingegen war sich sicher wie nie zuvor. Er konnte seine Gefühle nicht mehr ignorieren, er hatte es versucht. Um Claires willen und weil Tess es für das Beste hielt. Oder vielmehr weil ihr dadurch das Leid erspart bliebe, ihrer Schwester jeden Tag aufs Neue die Wahrheit zu sagen. Aber er wollte nicht mehr auf die McLeod verzichten und er wollte sie auch nicht mehr anflunkern. Alex selbst hasste es schon immer, wenn man ihm Lügen auf dem Silbertablett präsentierte. Wie sollte er denn dann damit leben können und seiner besten Freundin jeden Tag etwas vortäuschen, was es in Wirklichkeit gar nicht gab? Alex zuckte mit den Schultern. Claire würde ohnehin eines Tages erfahren, dass das Leben und die Zeit weiterliefen und nicht stehen geblieben waren, wie für sie selbst.
„Alex?“ Claire holte den jungen Mann aus seinen Gedanken wieder zurück in die Wirklichkeit. Fragend blickte die Dunkelhaarige ihn an.
„Äh...der Zaun...oben auf Jacks Folley, den wollte ich mir mit dir ansehen“, stammelte Alex. Vielleicht hätte er sich etwas anderes einfallen lassen sollen, um Claire von Drovers wegzulocken. Nur seine Gedanken hatten ihn zu sehr aus dem Konzept gebracht.
„Wozu? Stevie ist doch schon unterwegs“, winkte die Brünette ab. „Ich...“ Claire hielt inne. Was genau wollte sie noch mal? Sie hatte es doch tatsächlich vergessen. Die Vorstellung von ihr und Alex hatte sich dazwischen gedrängt und nun wusste sie nicht mehr, weshalb sie hier war.
„Schon, aber Stevie ist doch mit Jodi auf der anderen Seite. Du solltest es dir wirklich ansehen“, drängte Alex und versuchte wirklich sein Bestes, um Claire auf diese Weide zu locken, doch einfach schien es nicht. Er musste einfach Nägel mit Köpfen machen und sie vor vollendete Tatsachen stellen, anders ging es nicht. „Also, rein ins Auto.“ Sanft aber bestimmend schob der junge Mann die McLeod zu dem Pickup und öffnete die Beifahrertüre. Er drängte sie in den Sitz und schloss das Auto. Claire zog beide Augenbrauen in die Höhe und beobachtete, wie Alex um den Pickup herum auf die Fahrerseite lief und hinter dem Steuerrad Platz nahm.
„Auf Entführung steht Gefängnisstrafe, das weißt du hoffentlich, Ryan.“
„Schon, aber nur, wenn man sich erwischen lässt.“ Alex grinste Claire an und startete den Motor, um kurz darauf das Auto vom Hof zu lenken. „Außerdem, schwierige Situationen erfordern manchmal außergewöhnliche Maßnahmen.“
Claire verschränkte trotzig die Arme vor ihrer Brust. Sie beschloss, gar nichts mehr zu sagen, hatte sie doch ohnehin keine Chance. Andererseits musste die Brünette sich eingestehen, dass sie es genoss, ein bisschen mehr Zeit mit Alex zu verbringen. Aber offensichtlich zu geben, würde sie es niemals.
Alex spähte aus den Augenwinkeln zu Claire hinüber. Ein Grinsen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Die McLeod verfiel immer in eisernes Schweigen, wenn sie einfach vor vollendete Tatsachen gestellt wurde und nichts mehr zu entgegnen wusste. So war es schon immer gewesen, seit sie sich kannten und das taten sie schon eine Ewigkeit. Es war merkwürdig. Claire war eigentlich immer noch dieselbe, nur wusste sie von alldem, was vor ihrem Unfall geschehen war, nichts mehr. Zumindest nicht viel. Und das, woran sie sich noch erinnern konnte, das hatte beinahe gar nichts mit ihm selbst zu tun. Dabei hatte es kurz vor Claires Unfall einen Moment gegeben, der so magisch schien und doch so schnell, wie ein Herzschlag wieder vorüber war. Es gab keine Möglichkeit aus dem Zauber des winzigen Augenblicks ein noch viel größeres, entscheidendes Erlebnis zu machen. Die Zeit hatte einfach gefehlt. Hätte es vor dem Unfall einen besonderen Moment zwischen ihnen gegeben, wer weiß, vielleicht würde sich Claire dann mehr an diesen erinnern, anstatt Tag um Tag immer wieder den Streit mit Tess zu erleben.
Entgegen der Bitte von Tess und den Einwänden von Meg hatte Alex sich an dem heutigen Tag für Claire etwas Besonderes ausgedacht. Er gab die Hoffnung noch nicht ganz auf und versuchte alles ihm Mögliche, um Claire vielleicht doch noch dazu zu verhelfen, ihr Kurzzeitgedächtnis wiederzuerlangen. Selbst wenn es nur eine verschwindend kleine Chance gab, so wollte und konnte Alex nicht einfach tatenlos zusehen und alles vergessen, was es vor dem Unfall zwischen ihm und Claire gegeben hatte. Alex schlief seit jeher schlechter denn je. Es dauerte jede Nacht seine Zeit, bis er endlich seinen Schlaf fand, vor Erschöpfung. Schlief er dann schon beinahe im Morgengrauen endlich ein, so quälten ihn Alpträume und er wachte wenige Stunden später schweißbedeckt und schwer atmend wieder auf. In jeder Nacht hatte Alex denselben Traum. Immer wieder sah er Claire, wie sie mit dem Pickup die Klippe hinunterstürzte. Dabei war der junge Mann gar nicht dabei gewesen. Alex hatte wie alle anderen auch erst davon erfahren, als Claire mit Tess und Charlotte schon auf dem Weg ins Krankenhaus war. Und dann begann eine furchtbare Zeit des kläglichen Hoffens und Bangens. Die McLeod hatte schwere innere Verletzungen, besonders im Hirn davongetragen, was mit dem Aufschlagen des Kopfes auf das Armaturenbrett von den Ärzten erklärt wurde, und durch das eingeklemmte Bein viel Blut verloren. Aber Claire hatte auch wahnsinniges Glück gehabt, eine Horde von Schutzengeln musste über die McLeod gewacht haben. Zumal schnell Hilfe am Unfallort eintraf und somit verhindert werden konnte, dass der Pickup über die Klippe gänzlich hinunter in die Schlucht stürzte.
Das Auto stoppte und Claire fragte sich, was genau nun mit dem Zaun sei. Sie ließ ihre braunen Augen über die Weide entlang des Zaunes gleiten und konnte nichts erkennen, was nun so wichtig erschien, dass sie es sich mit Alex unbedingt angucken musste.
„Alex, was soll das? Es ist nichts Außergewöhnliches zu erkennen.“ Die brünette McLeod rollte mit den Augen, nachdem von Alex so gar nichts kam, bis auf dieses Grinsen, das ihm schon, seit sie den Hof der Farm verlassen hatten, im Gesicht klebte. Der junge Mann eilte wieder um das Auto herum und hielt Claire die Türe auf. Er machte eine Handbewegung und deutete ihr an, sie solle aussteigen. Doch diese weigerte sich strickt.
„Komm schon, Claire. Du machst alles kaputt“, entgegnete Alex enttäuscht und zog sie aus dem Pickup heraus. Die Brünette schnappte aufgeregt nach Luft. Sie riss sich aus dem Griff von Alex los und funkelte ihn mit ihren Augen böse an.
„Könntest du mir gefälligst mal erklären, was hier vor sich geht?“, schrie Claire aufgebracht und stemmte beide Hände fest in ihre zarten Hüften hinein.
„Du wirst schon sehen“, war alles, was Alex zu entgegnen hatte und schob sie vorwärts, hinauf auf den kleinen Hügel, der direkt vor ihnen lag. Die McLeod ließ schimpfend geschehen, was geschah. Und als sie nach mehreren Unterbrechungen endlich hoch oben auf der Anhöhe ankamen, blieb ihr regelrecht die Spucke weg. Sie hatte große Mühe, ihr Erstaunen und die Ungläubigkeit unter Kontrolle zu bekommen. Claire versuchte ordentlich Atem zu holen und ihren Herzschlag zu beruhigen, doch gelang es ihr nicht. Eine eisige Hand schien sich um ihren Hals zu legen und hielt sie davon ab, in diesem Moment auch nur ein einziges Wort zu sagen. Alles, was sie hervor brachte, war nichts weiter als ein Krächzen aus ihrer trockenen Kehle.
Alex hatte es tatsächlich geschafft, Claire hier hinaufzubringen und sie sprachlos zu machen. Es erfüllte den jungen Mann mit Stolz und er wusste, dass die Brünette nun allen Groll und sämtliche Wut vergessen hatte. Sie war vielmehr mit dem Anblick, der sich ihr bot, beschäftigt und dafür allein schon lohnte sich der ganze Aufwand. Denn nur so konnte Alex das tun, was ihm vorschwebte. Nämlich Claire langsam darauf vorbereiten, dass sie in einer Zeit lebte, die es nicht mehr gab, die schon längst vorüber war.
„Alex, ich...“, mühsam suchte die brünette McLeod nach Worten. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ Nicht im Traum hätte sie damit gerechnet, je in ihrem Leben einmal so etwas zu erleben, so überrascht zu werden. Vor ihrem Auge befand sich ein romantisch gedeckter Tisch, auf dem eine Kerze im Wind wehte und frische Blumen in einer Vase steckten. Zwei Teller mit Besteck und zwei Weingläser standen oben auf und im Hintergrund dudelte leise Musik. Alex hatte sich so viel Mühe gemacht, jedes Detail schien genau den richtigen Platz zu haben. Es gab sogar einen Kellner, über dessen Arm, ein weißes sorgsam gefaltetes Tuch lag.
„Du musst nichts sagen“, entgegnete Alex flüsternd und schenkte Claire ein Lächeln.
Die Brünette wandte ihren Blick von dem märchenhaften Schauplatz vor sich ab und sah Alex mit ihren warmen Augen an. Tränen benetzen die braunen Pupillen und verschleierten ihr die Sicht. Doch etwas ganz anderes klärten sie auf. Claire wurde sich nun bewusst, dass es einen Sinn hatte, weshalb sie sich wünschte, Alex würde sie mit seinen großen Händen berühren und sie auf seinen starken Armen tragen. Claire wusste nun, es hatte eine Bedeutung, dass ihr Herz aus dem Takt geriet, wenn Alex sie ansah und ihr wurde auch klar, dass sie nicht umsonst der Ohnmacht nahe war, wenn Alex mit ihr sprach. Sie hatte sich verliebt. Verliebt in Alex Ryan, in ihren besten Freund. Die Brünette hob eine Hand und legte sie sanft auf die rechte Wange von Alex. Sie strich mit ihren Kuppen über sein Gesicht, spürte unter der zarten Haut ihrer Finger die rauen, hervortretenden Stoppeln seines Dreitagebarts.
Alex´ Herz raste ihm davon, als er diese tiefsinnige Berührung vernahm. Er schloss seine blauen Augen, genoss die unmittelbare Nähe, die sie nun miteinander teilten. Der junge Mann sog die kühle Luft tief ein und spürte den Sauerstoff, der rasant durch seinen Leib strömte. Da war er wieder dieser Moment, der den Zauber der Magie mit sich brachte. Alex wollte ihn festhalten, für immer in seinem Herzen verschlossen. Denn er wusste, dass dieser Moment nicht für immer sein würde und schon bald die bittere Wahrheit Einzug erhielt. Wenn Claire erfuhr, dass sie um Wochen älter war, als sie bisher annahm, und Tess schon längst die Ergebnisse der Biopsie hatte, dann würde von der Magie, die in diesem Augenblick über ihnen schwebte, nichts mehr übrig sein. Sie wäre verpufft, wie eine zarte Seifenblase und Claire wäre aus ihrer Welt herausgerissen. Alex fragte sich, ob es tatsächlich eine gute Idee war, der McLeod die Wahrheit zu gestehen und ihr die Augen zu öffnen. Andererseits würde sie sich ohnehin am nächsten Tag an all das nicht mehr erinnern können und somit musste es ein Versuch wert sein. Wenn Claire es allzu schwer aufnahm, konnte Alex immer noch von seinem Vorhaben mit den Briefen, die er jeden Tag schreiben würde, und dem Video, das alles erklären sollte, absehen. Aber dazu musste er es riskieren. Es war ja schließlich nur ein einziger Tag, der ihr mehr Kummer und Schmerz bereiten würde, zumindest bis es Claire auffiel, dass Charlotte größer und erwachsener wurde und sie selbst in der Zeit festhing.
„Alex...“, trug der Wind seinen Namen in seine Ohren. Der junge Ryan öffnete seine Lider und sofort erblickten seine Augen diese wunderschöne Frau vor sich. Er legte ihr einen Finger auf die Lippen und betrachtete sie einen Augenblick lang intensiv.
„Du bist so wunderschön, Claire“, wisperte Alex mit einem zitternden Klang in der Stimme. „Ich liebe dich. Schon so lange.“ Claires Herz machte einen Satz und schlug anschließend in einem schnelleren Tempo weiter. Ihre Hände benetzte ein dezenter Schweißfilm. Die McLeod lächelte Alex glückselig an.
„Ich liebe dich auch“, entgegnete sie lachend und schlang ihre Arme um Alex´ Hals. Der junge Ryan legte seine Hände behutsam auf dem Körper der Frau vor sich ab und drückte sie fest an sich. Der Duft ihres Parfüms schwebte unmittelbar unter seiner Nase, gemischt mit dem typischen Claire McLeod Duft brachte er ihn schier um den Verstand. Sein Mund suchte ihre Lippen und die Anspannung fiel von ihm, als er gefunden hatte, was er suchte.
Claire war glücklich und lachte ausgelassen über Alex´ Witze und liebevolle Sticheleien. Wo sie diese vor Tagen noch anders aufgefasst hätte, zeugten sie nun für sie von unendlich tiefer Liebe und purer Leidenschaft. Sie verbrachten die nächsten Stunden zusammen, aßen, lachten und küssten sich immer wieder. Es schien, als ob ein neues Kapitel in ihrer beider Leben aufgeschlagen wurde. Doch Alex machte die Tatsache, dass Claire am nächsten Tag nichts mehr von alledem wissen würde, unendlich traurig. Die Brünette bemerkte die plötzliche Veränderung, sah die tiefen Falten auf seiner Stirn. Sie erhob sich aus dem Stuhl und zog Alex mit sich.
„Lass uns ein Stück spazieren gehen und den Sonnenuntergang betrachten.“ Alex nickte stumm und ließ sich von Claire mitreißen. Sie gingen ein Stück und ließen sich schließlich auf einen Baumstamm nieder. Eng umschlungen saßen Claire und Alex da und blickten der untergehenden Sonne entgegen, während die Minuten wie im Fluge verstrichen. Alex hatte es noch immer nicht gewagt, Claire die Wahrheit zu offenbaren. Wieder beschlichen ihn Zweifel, ob er sich das Richtige vorgenommen hatte oder es nicht doch zu sehr nach Eigennutz stank. Er sollte Claire doch schützen vor allem Bösen, vor allen Gemeinheiten. Und dennoch hatte er das Gefühl, als würde er sie nicht immer beschützen können, nicht ewig das Unheil von ihr fernhalten können. Ein Seufzen durchdrang die Stille.
Das tiefe Durchatmen von Alex ließ die Brünette ihren Kopf zur Seite drehen und ihn voller Sorge anblicken. Auch der junge Ryan sah Claire nun mit schmerzverzehrten Augen an.
„Ich... warte einen Augenblick.“ Alex´ Stimme hatte einen festen Ton, seine Augen waren starr auf die McLeod gerichtet. „Rühr dich nicht von der Stelle.“ Lautlos nickend sah die Brünette, wie er sich in Windeseile erhob, zum Pickup hastete und kurz darauf, mit einer Art Buch in der Hand, atemlos wieder zurückeilte. Alex reichte Claire das lederne, gebundene Exemplar. Sein Gesichtsausdruck war ernst, um seine Mundwinkel zuckte es nicht. Er hatte furchtbare Angst vor den nun folgenden Minuten und wusste nicht, wie schwer Claire es nehmen würde, wie hart es sie treffen würde.
„Sieh dir das in aller Ruhe an und...“ Alex blieb das Herz stehen und sein Atem war tief und schwer. Doch nun gab es kein Zurück mehr, nun konnte er Claire nicht mehr beschützen, vor den ganzen tiefen Abgründen auf dieser Welt, dem ganzen Unheil dieser Welt, das schon bald auf sie einstürzen würde. „Ich werde für dich da sein, Claire. Dort hinten beim Auto werde ich auf dich warten. Ganz egal was passiert.“
„Alex...“, brachte die Brünette leise hervor. Doch Alex legte ihr sofort einen Finger auf die Lippen.
„Pssst, sag nichts, sieh es dir einfach an.“ Claire wusste nicht, was das Ganze zu bedeuten hatte, was genau in Alex vor sich ging und was dieses Buch in ihren Händen für eine Rolle spielte. Jedoch schien es ihm äußerst wichtig zu sein und deshalb sagte sie nichts.
Die McLeod schlug das eingebundene Leder auf, sobald Alex etwas Abstand hatte und wenige Sekunden später wurde alles um sie herum schwarz. Die schwarz weißen Bilder, die das cremefarbene Papier zierten, sprudelten auf Claire unaufhaltsam ein. Angst, Wut und Verzweiflung überschwemmten ihren Körper und ergriffen vollkommen Besitz von ihm. Ein eiserner Vorhang hatte sich zu gezogen, ließ keinen Raum mehr für die restlichen, noch verbleibenden, letzten Sonnenstrahlen. Salzwasser stand in ihren Augen und brannte sich schmerzhaft in die zarte Haut hinein, als die Tränen in Strömen über ihre Wangen glitten. Immer wieder schüttelte sie ungläubig mit dem Kopf und sagte sich, das, was sie vor sich sah, konnte alles nicht stimmen, durfte einfach nicht wahr sein. Tiefe Schluchzer übermannten ihren schwächelnden Leib und schüttelten ihn kräftig durch. Claire weinte so bitter viele Tränen, bis nicht ein Tropfen Wasser mehr in ihrem Körper schien und sie zitternd vor Erschöpfung gänzlich zu Boden sank.
Alex hatte sich in den Pickup gesetzt. Er blickte unaufhaltsam, ohne Unterbrechung, zu Claire hinüber, während aus dem Radio Musik in seine Ohren dröhnte. Er sah, wie die McLeod weinend in sich zusammenbrach und ihr Körper sich auf die schon kalte Erde schmiegte. Alex wollte so gern zu Claire stürzen, sie fest in seine Arme schließen und sie still und stumm in den Schlaf wiegen. Doch er hatte sich geschworen, an Ort und Stelle so lange zu verharren bis Claire soweit war, bis zum bitteren Ende. Sie musste tausend Fragen haben, musste unbändige Wut in ihrem Innern spüren. Doch solange sie nicht alles begriffen hatte, konnte er ihr nicht helfen.
Die Sonne versank gänzlich hinter dem Horizont, die Schatten der Nacht senkten sich über das Land. Claire hatte sich seit Minuten nicht mehr von der Stelle gerührt und kein einziger Schrei durchdrang mehr die Stille. Alex hielt es nicht mehr aus, er verließ das Auto und lief hinüber zu der Brünetten, die reglos auf dem kalten Boden lag, in die endlose Leere starrte. Claire spürte seine Nähe, konnte seine Hand vernehmen, die sich leise auf ihre Schulter legte.
„Wie lange schon?“, fragte die McLeod entmutigt. Alles Leben schien aus ihrer Stimme gewichen.
„Du hattest den Unfall vor sechs Wochen“, brachte Alex wispernd hervor. Stille senkte sich wieder über sie. Er wünschte sich so sehr, dass Claire ihn wenigstens anschreien, oder ihn zum Teufel jagen würde. Aber nicht einfach nur so stumm da liegen und gar nichts tun würde.
„Wie ist es passiert?“, hallte wieder ihre Stimme durch die Atmosphäre.
Alex benetzte seine trockenen, spröden Lippen etwas und begann von vorn zu erzählen. Er berichtete Claire von dem Drama des Unfalltages, von der Rettung durch zwei mutige Farmer, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren. Alex erzählte von den Tagen der Hoffnung und des Bangens, als ihr Leben an einem seidenen Faden hing und niemand wusste, ob sie jemals wieder aus dem Koma erwachen würde. Er erwähnte die Diagnose, die die Ärzte mitteilten und den Schock, der allen noch immer tief in den Gliedern saß. Alex ließ nicht ein einziges Detail aus. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen und doch wusste er, dass es sehr schmerzhaft für sie sein musste, sie innerlich auffressen musste. Als Alex alles erzählt hatte, was es zu berichten gab, war es ruhig. Er konnte ihren Atem und seinen lauten Herzschlag hören und sonst war da nichts. Doch Claire durchbrach die Stille um sie beide herum wieder.
„Alex? Bist du noch da?“ Claire konnte ihn nicht mehr hören, konnte seine schützende Hand nicht mehr spüren.
„Ja, ich bin hier“, hauchte Alex leise und wischte sich über seine tränenfeuchten Augen.
„Würdest du mich festhalten?“ Ein Lächeln umspielte Alex´ Lippen, während er sich stumm neben Claire auf die kalte Erde legte und sie eng an seinen Körper heranzog. „Die ganze Nacht?“
„Bist du sicher?“, fragte Alex mit belegter Stimme und schluckte den schweren Kloß in seinem Hals hinunter. Claire nickte entschlossen. „Du wirst mich morgen früh dafür hassen.“
„Nein, das werde ich nicht. Ich hab es aufgeschrieben. Versprich mir, dass du mich nie wieder loslassen wirst.“
„Ich verspreche es“, entgegnete Alex und hauchte Claire einen Kuss auf ihr Haar. Er drückte sie fest an sich und schwor sich, dass er sie tatsächlich nicht mehr loslassen würde, nie wieder in seinem ganzen Leben.
Epilog
Einfach war es nicht und es schien auch für Claire nichts mehr so zu sein, wie es einmal war. Vielleicht gab es ja doch Wunder. Auch wenn die besten Ärzte ihnen allen nach wie vor wenig Hoffnungen auf eine vollständige Wiederherstellung des Kurzzeitgedächtnisses von Claire machten, hatte Alex dennoch das Gefühl, als würde es mit jedem Tag einen winzigen Schritt besser werden. Zumindest war die Idee mit den Briefen, die Alex mit Claire jeden Tag schrieb, eine wunderbare Idee gewesen, die ihr half, etwas besser mit ihrer Situation umzugehen. Anfangs war Tess noch strikt dagegen, dass ihrer Schwester jeden Tag die Wahrheit vor Augen gehalten wurde und sie dadurch meist stundenlang weinte. Aber schon bald sah auch die blonde McLeod ein, dass sie den Unfall mit deren fatalen Folgen nicht für immer von Claire fernhalten konnte. Schließlich hatte die Erde nicht aufgehört, sich zu drehen. Das Leben lief weiter. Manchmal gut und manchmal schlecht. Alex blickte zur Seite und sah die Frau an, deren Glück es war, seine Liebe für immer in ihrem Herzen zu tragen und nicht nur sie war es, die sich Tag für Tag immer wieder aufs Neue in ihn verliebte.
~~~ The End ~~~