Hauptcharaktere: eine unbekannte Frau/Xander
Inhalt: Xander wird entführt
Spoiler: Nein
Chapter: 1
Geschrieben: Juli 2011
Disclaimer: Alle MLT Charaktere sind Eigentum von Nine Network, The South Australien Film Corporation and Millenium Televison. Diese Fanfic wurde lediglich zum Spaß geschrieben und nicht um damit Geld zu verdienen. Jegliche Ähnlichkeiten zu Lebenden und Toten Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt. Alle weiteren Charaktere sind Eigentum des Autors.

created by Ela
In den Straßen der Kleinstadt Gungellan herrschte rege Unruhe. Männer und Frauen, ganz gleich welchen Alters, liefen über das Kopfsteinpflaster und hielten ihre Kinder fest an den Händen. Wieder war ein Kind verschwunden. Das Zweite innerhalb eines Monats. Es war nun nicht mehr nur die Angst und die Verzweiflung, die sich breitmachten unter den Farmern und deren Familien. Jetzt krochen langsam auch Wut und Misstrauen in die Leiber der Menschen und schienen sie innerlich regelrecht zu zerfressen. Tätliche Übergriffe schienen nun keine Seltenheit mehr zu sein. Man wollte doch nur sein Kind, sein eigen Fleisch und Blut, vor der schnellen, bedrohlichen, stillen Gefahr schützen. Trotz der peniblen Achtsamkeit, die die Menschen der Kleinstadt an den Tag legten, versuchten sie, ihren Alltag, ihr Leben so normal, wie es unter diesen Umständen möglich war, weiterzuleben. Die Polizei tappte weiterhin im Dunkeln, zumindest drang nichts von irgendwelchen Fortschritten, die Farmer, Mütter und Väter gleichermaßen beruhigen könnte, an die Öffentlichkeit. Die örtliche Gendarmerie war laut der aktuellen Presse guter Hoffnung und auf dem richtigen Weg, den Täter schon bald zu fassen und hinter Schloss und Riegel für immer wegzusperren. Doch glaubte niemand unter den Anwohnern der Kleinstadt Gungellan und im Umkreis so recht an die Prophezeiungen der hiesigen Boulevardpresse. Schließlich war am vergangenen Tage wieder ein Junge verschwunden und wieder war es die gleiche Vorgehensweise gewesen. Wieder war es ein Junge mit dunklen Haaren und himmelblauen Augen.
Eine blonde Frau lief durch die recht belebten Straßen, ihre grünen Augen funkelten wie Smaragde und erspähten schon ihr nächstes potentielles Opfer. Nach dem ersten Jungen hatte sie Gefallen daran gefunden und nun konnte sie nach dem Zweiten in dieser Gegend nicht mehr aufhören. Es erfüllte sie mit Wärme, ließ sie erschauern und beruhigte sie. Im Grunde befriedigte sie dieses Gefühl noch mehr als Sex. Dieses Glücksgefühl ließ die junge Frau aber auch ungeduldiger werden. Kurz hatte sie mit dem Gedanken gespielt, schon jetzt den großen Coup zu landen, da sie es nicht erwarten konnte das Abbild des Mannes, den sie einmal so sehr geliebt hatte, wie keinen anderen, endlich bei sich zu wissen. Doch sie musste noch viel lernen, musste sicher sein, dass ihr kein Fehler unterlaufen würde, wenn die Zeit gekommen war. Aber dafür musste sie sich in Geduld üben und das war das Schwierigste, so manches Mal einfach nicht möglich. Sie sollte vielleicht auch ihre Vorgehensweise ändern, wenn man sie nicht entdecken sollte. Aber darüber konnte sie sich auch noch später Gedanken machen.
Nun galt es erst einmal, sich mit ihrem nächsten Opfer vertraut zu machen. Herauszufinden, was der kleine Simon-Junge mochte, was er gerne unternahm. Es kribbelte schon jetzt in ihren Fingerspitzen, wenn sie nur daran dachte, wie es sein wird, wenn diese kleinen Hände des Jungen sich in ihren verfingen. Zu sehr auskosten konnte sie ihre Begierde jedoch nicht, denn plötzlich kam ein Sturm auf und sie sah den kleinen brünetten Jungen mit den azurblauen Augen an der Hand seiner Mutter davonlaufen. Etwas enttäuscht zog sich die blonde Frau zurück, lief hinüber zum Truckstop, um Schutz vor dem aufwirbelnden, wütenden Wind zu suchen. Sie tröstete sich damit, dass sie den kleinen Simon-Jungen schon bald ganz für sich allein haben würde.
Der Wind fegte nun tosend über das Land, kroch in jede Ecke, jedes Loch. Wirbelte den staubigen, beinahe ausgetrockneten, roten Sand auf und ließ ihn Zentimeter hoch in die heiße, stickige Atmosphäre tänzeln. Meist war ein Sturm dieser Art ein Vorbote für einen kräftigen Regenschauer. Seit Tagen hatte der Himmel kein Wasser mehr gelassen. Die Farmer warteten sehnsüchtig auf die Regenzeit. Denn so langsam gingen ihnen die Vorräte aus den künstlich angelegten Brunnen und den Billabongs aus. Zudem bestand die Gefahr, dass sich der Busch jeden Augenblick entzünden konnte. Die rote Erde war wie ein pulverisiertes Fass, das nur einen winzigen Funken benötigte, um sich zu entzünden und eine verheerende Katastrophe auszulösen. Dem Drama musste man schnell und sicher entgegen wirken, wenn man seine Existenz nicht in Schutt und Asche untergehen sehen wollte. Dafür galt es nun in höchster Alarmbereitschaft Vorkehrungen zu treffen, die das Schlimmste der Katastrophe abwehren sollten.
Die blonde Frau öffnete die Türe des Truckstop, hörte die Türglocke blechern schrillen und sofort überschwemmten sie alte Erinnerungen, fielen über ihren Leib und rissen sie in einem Strom von Gefühlsduselei mit. Gott, sie verabscheute alles, was mit ihrem alten, vergangenen Leben zu tun hatte. So auch diese trostlose Kaschemme mit deren primitiven Besuchern. Dieser Truckstop war damals schon ein Anziehungspunkt für jeden in der Umgebung. Etwas anderes gab es in dieser Einöde auch nicht und die Menschen in dieser Gegend waren einfach zu armselig und anspruchslos, als dass sie etwas anderes vermissen könnten. Sie lachte leise auf. Ihre Gedanken waren böse, aber sie liebte es, so zu denken. Und noch viel mehr freute sie sich darauf, einem speziellen Menschen das Leben zur Hölle zu machen. Selbstzufrieden blickte sie hinaus aus dem Fenster und sah, wie sich die Bäume hinunter auf die Erde bogen und mit der nächsten Böe wieder zurück in die Atmosphäre schossen. Blätter schaukelten an den Ästen aufgeregt umher, einige von ihnen konnten die Kraft, sich festzuhalten, nicht mehr aufbringen und so wurden sie von den aufbrausenden Windstößen aus ihrer sicheren Haltung gerissen und fortgetragen.
Ein permanentes, fast unerträgliches Trommeln von Fingerspitzen auf Holz ließ sie wieder herumfahren. Ihre Augen funkelten gefährlich und schneidend, wie eine zerbrochene grüne Glasscherbe. Sie entdeckte eine rothaarige Frau an einem der Tische, die ununterbrochen durch die Scheibe des Truckstop hinaus auf die Straße starrte. Sie wirkte leicht nervös. Die Stimme der Truckstop-Lady erreichte ihren feinen Gehörsinn, obwohl diese nicht mit ihr sprach, sondern mit eben dieser Rothaarigen. Sie lauschte der Unterhaltung und bekam heraus, dass deren Mann anscheinend auf dem Weg hierher war. Außerdem schnappte sie auch dessen Namen auf und für einen winzigen Augenblick schien ihr Herzschlag vollkommen außer Kontrolle. Er ließ ihr Herz noch immer heftig ausschlagen und ihren Körper in Aufruhr kommen und dafür hasste sie ihn noch mehr. Die blonde Frau tat so, als würde sie irgendetwas in ihrer Handtasche suchen, während sie ihre funkelnden Augen überdrehte. Das war sie also, die neue Mrs. Ryan. Geschmack hatte er ja noch nie wirklich, dachte sie selbstgefällig und blickte wieder auf.
Ihr Blick fiel auf den Buggy, der neben dem Tisch in unmittelbarer Nähe stand. Ein zufriedenes Glucksen drang aus dem Kinderwagen. Viel konnte sie nicht sehen, aber sie hatte ihn ja schon in einem der Zeitungsartikel bewundern dürfen. Ihr Wunsch, ihn zu besitzen, ganz für sich allein wuchs nun noch mehr. Jetzt, da sie den Jungen live und in Farbe sehen konnte, war dieser Wunsch beinahe unerträglich. Aber es half nichts, sie musste sich noch gedulden.
Blechernes Hupen ertönte und drang dumpf in den spärlich gefüllten Truckstop. Der klappernde Bus kam auf der gegenüberliegenden Straßenseite zum Stehen und wenige Sekunden später öffnete sich die quietschende Türe. Ein kleiner mopsiger Mann mit zu kurz geratenen Beinen und schon stark ergrauten Haaren öffnete die Klappe der Gepäckaufbewahrung. Nach und nach füllte sich die kleine verlassene Straße mit Touristen. Sie spürte einen plötzlichen Luftzug, der sie streifte. Ohne ein Wort zu sagen oder gar nur eine weitere kostbare Sekunde verstreichen zu lassen, war die rothaarige Frau auf ihre Beine gesprungen. An ihr vorbei aus dem Truckstop hinaus zu diesem Bastard geeilt, um ihm überglücklich ihre Arme um seinen Hals zu schlingen. Widerlich, dachte sie erbost und verwünschte ihre Liebe nicht zum ersten Mal, seit sie in der Zeitung gelesen hatte, dass er schon wieder eine andere geheiratet hat und nicht sie. Aber Alex Ryan hatte ihr nicht umsonst so viel Leid und Kummer zugefügt, das schwor sie sich nun schon zum x-ten Mal seit Monaten.
Ihr Kopf schoss wieder zurück zu der Stelle, an der noch vor wenigen Sekunden seine Neue gesessen hatte. Für einen kurzen Moment war der Drang, sich den Kinderwagen zu schnappen und mit diesem samt Kind zu flüchten, immens. Aber sie rügte sich innerlich dafür. Die Zeit war noch nicht reif genug. Vorher musste sie noch etwas üben. Denn beim letzten Mal wäre es beinahe schief gegangen. Ethan Clarks hatte sich ein wenig gesträubt und sie fast wütend gemacht. Sie hatte ihre ganze Überredungskunst aufwenden müssen, damit der kleine Junge sich überreden ließ, mit ihr ein Eis essen zu gehen. Die vielen bunten Smarties hatten es schlussendlich geschafft, ihn zu überzeugen und in ihr Auto zu steigen. Das Kribbeln in ihren Finger und das Ziehen in ihrem Innern wurden nun von der Truckstop-Lady unterbunden. Sie sah, wie die Frau den Buggy vor sich herschob und hinter der Theke abstellte.
Sie überwand die kleine Distanz und stellte sich vor die Ladentheke. Ihre weiblichen, manikürten Finger legten sich auf das dunkle gemaserte Holz und ein zufriedenes Lächeln schlich sich in ihr Gesicht. Sie hatte nun einen äußerst guten Blick in den Kinderwagen und sah, wie Xander selig vor sich her gluckste und mit seinen winzigen Fingern nach den Rasseln griff. Der Kleine war unverkennbar das Abbild von Alex. Er hatte die gleichen Gesichtszüge und dieselben schmalen Lippen wie Alex. Auch die Haarfarbe war schon kaum noch zu unterscheiden, mal ganz zu schweigen von der Farbe seiner Augen.
„Ein hübscher Junge“, bemerkte sie, während sie den kleinen Jungen ansah, und konnte nicht umhin, sich sehnsuchtsvoll zu wünschen, dass er schon bald ihr gehörte. Aus den Augenwinkeln heraus sah sie die Truckstop-Lady nicken und richtete ihre Augen nun von Xander zu der Frau hinüber.
„Sie sind nicht von hier?“ Es war eher eine Feststellung als eine Frage. Die blonde Frau bemerkte, wie die Augen der Truckstop-Lady auf ihren Fingern ruhten und augenblicklich zog sie erschrocken ihre Hände an ihren Körper heran. Sie musste vorsichtiger sein, schärfte sie sich ein und ihr selbstsicheres Lächeln schwand einem zurückhaltenden, schüchternen Lächeln.
„Nein, ich bin eher ein Stadtmensch“, gab sie zurück und versuchte ihre Gelassenheit wiederzuerlangen. „Ich bin auf der Suche nach Arbeit. Vielleicht auf einer Farm, könnte ich mir vorstellen.“ Sie ließ ihre blitzenden Augen zu der Frau vor sich gleiten. Ihre Blicke trafen sich und sie konnte spüren, wie die Truckstop-Lady zusammenzuckte. So war es jedes Mal. Die Menschen in ihrer Umgebung schienen Respekt vor ihr zu haben oder aber Angst. Und das gefiel ihr sehr.
„Ich schätze, da werden Sie im Moment kein Glück haben“, hörte sie die Truckstop-Lady nun sagen. „Es ist schwer, jetzt Arbeit zu finden. Die Leute sind viel zu sehr damit beschäftigt, ihr Hab und Gut zu retten, als dass sie an Aushilfskräfte denken. Vielleicht haben Sie mehr Glück, wenn es geregnet hat.“ Diesmal nickte sie. Es blieb ihr nur die Hoffnung, dass es bald Regen gab und das Outback wieder zum Leben erwachte und sie eventuell die Möglichkeit bekam, auf Drovers Run eine Anstellung zu finden. Sie musste nur überzeugend genug wirken. Schließlich gab es immer Menschen, die das Abenteuer im Land der roten Erde suchten.
Am nächsten Morgen schlug sie wieder zu. Es war einfacher gewesen, als sie gedacht hatte. In der Nacht war ihr ein einschlägiger Gedanke gekommen und den hatte sie einfach in die Tat umgesetzt. Die Farmer hüteten sich davor, ihre Kinder bei dem Wetter mit dem Bus in die Schule des nächstgelegenen Ortes fahren zu lassen, ganz allein. Daher kam ihnen der neue Fahrservice der Gemeinde sehr gelegen und sie gaben ihre Kinder mit ruhigem Gewissen in die Hände einer Frau. Niemand assoziierte eine Frau mit den Entführungen der Jungen. Warum auch? Frauen konnten nicht so grausam sein, sie waren nicht in der Lage anderen Müttern ihre Kinder zu entreißen. Sie hatten ein weicheres Herz, fühlten sich mit Ihresgleichen emotional verbunden und litten unter den tragischen Gegebenheiten mit den Frauen, deren Kinder verschwanden, mit. Ganz egal, ob sie selbst Mutter waren oder nicht. Bei weiblichen Wesen spielte das einfach keine Rolle, sie identifizierten sich mit den anderen Frauen und verließen sich oft auf ihre so genannte weibliche Intuition. So kam es dem Frauenvolk nicht in den Sinn, dass eine von ihnen dafür verantwortlich sein konnte.
Dennoch sollte sie in nächster Zeit die Gegend verlassen. Drei Jungen waren einfach zu viel, sie machten es der Polizei einfacher. Aber nein, dachte sie kichernd. Sie war viel zu clever für diese Landpolizisten. Niemand von diesen trägen Landeiern würde ihr je auf die Schliche kommen. Dazu war sie viel zu gerissen und diese sogenannten Hüter des Gesetzes zu unerfahren. Allerdings sollte sie es auch nicht darauf ankommen lassen. Sie würde noch heute zu schlagen und Xander zu sich holen, entschloss sie sich. Wahrscheinlich in der Nacht, wenn alle schliefen und niemand mitbekam, wie sie in das Haus eindrang und ihn an sich nahm. So ganz ohne Planung ging es jedoch dennoch nicht.
In ihrem kranken Hirn arbeitete es unentwegt und sie legte sich eine Route zusammen, der sie folgen würde und schon am darauffolgenden Tag wäre sie aus dem Land, in Sicherheit. Aber nicht ohne den Jungen, ohne ihren Jungen. Dumpf vernahm sie das Wimmern der Kinder, das über die Kellertreppe hinauf in ihre Ohren drang. Wenn sie nicht bald Ruhe gaben, dann würde sie noch überreagieren und etwas tun, was ihr am Ende leidtat. Mit pochender Schläfe erhob sie sich von dem Holzstuhl. Sie zündete eine Petroleumlampe an und bahnte sich ihren Weg in das Kellergeschoss zu den drei Jungen. Unterwegs begegneten ihr mehrere dieser furchtbar widerlichen Spinnen, die sie aufschreiend und wild umher fuchtelnd aus ihrer Sicht verbannte. Beinahe wäre ihr vor Schreck und Ekel die Lampe aus der Hand geglitten und hätte eine Katastrophe ausgelöst. Aber es war ja noch einmal gut gegangen.
Sie entriegelte die schwere Stahltüre und gab jedem der Jungen einen Schokoriegel in die Hand. Kurzzeitig schien das Wimmern ein Ende zu haben, doch kaum hatte sie die Türe wieder hinter sich ins Schloss fallen lassen, begann das Weinen von vorne. Es machte sie wahnsinnig und ließ sie wütender und zorniger werden. Einen Augenblick spielte sie mit dem Gedanken, ihnen mit irgendetwas den Mund zu verschließen, doch kam sie nicht mehr dazu. Es klopfte an der Haustüre. Das ließ sie aufschrecken und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie verriegelte alle Türen, die zum Kellerraum führten und sie verraten könnten. Man konnte das Weinen und Wimmern der Jungen nicht mehr hören, doch sie hörte es. Laut und deutlich.
Wenige Stunden später wischte sie sich den kalten Schweiß von der Stirn. Dieser Vorfall war nicht geplant gewesen und passte auch nicht in ihr Schema hinein. Aber der überraschende Besucher hatte ihr einfach keine andere Wahl gelassen. Sex zu haben mit einer wildfremden Person war eine Sache, aber seine Nase in Dinge zu stecken, die einen nichts angingen, war die andere Sache. Daher musste sie handeln und hatte womöglich auch überreagiert, aber diese Kinder machten sie schon den ganzen Tag über wahnsinnig wütend, mit ihrem Gejammer und dem Wimmern. Es klingelte noch immer laut und deutlich in ihren Ohren. Und dieser Mann war einfach viel zu neugierig gewesen, hatte zu viele Fragen gestellt. Schließlich hatte er sie in einem Moment erwischt, der sie schwachgemacht hatte und da war es ihr herausgerutscht. Einfach so, ganz ohne Vorwarnung und ohne groß darüber nachgedacht zu haben. Also musste sie handeln und legte ihm einfach ihre kalten, manikürten Finger um den Hals und drückte zu. Er hatte gezappelt, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Sie glaubte nicht, dass so viel Kraft in ihr stecken könnte, bis es passiert war. Sie hatte gesehen, wie sich seine Augen erschreckend weiteten, mit Panik füllten und schlussendlich der letzte zarte Hauch des Lebens aus ihnen gewichen war. Aber nun stand sie vor einem Problem. Der leblose Körper des Mannes musste weg. Nur wohin, fragte sie sich. Fluchend tigerte sie von der einen auf die andere Seite des Wohnzimmers. Sie blieb vor dem Fenster stehen und sah hinaus auf die Farm. Es hatte keinen Regen gegeben. Weder in der Nacht noch im Laufe des heißen Tages. Nun dämmerte es schon bald und noch immer war keine dieser Wolken am Firmament zu sehen, die das erhoffte Wasser lassen würde.
Der Schuppen fiel in ihr Blickfeld und sie erinnerte sich, dass die Vorbesitzer anscheinend einen Anbau geplant hatten oder was auch immer. Zumindest befanden sich in eben diesem Schuppen sämtliche Utensilien zum Mischen einer harten Betonmasse. So könnte sie das Problem zumindest vorerst lösen. Der Geruch von verfaultem Fleisch konnte bei den heißen Temperaturen bestialisch werden und verräterisch sein. Noch mehr neugierige Nachbarn konnte sie sich einfach nicht leisten, trotz dessen sie schon bald die Gegend verlassen würde. Das Wegschaffen und Einbetonieren der Leiche würde Zeit kosten, viel Zeit, die sie eigentlich nicht besaß. Schon bald würde die Sonne hinter dem Horizont versinken und die Schatten der Nacht sich über das Land legen. Es war noch so viel zu planen und sie müsste sich auch noch Gedanken darüber machen, was sie mit ihren Übungsopfern anstellen sollte. Sie konnte sie unmöglich mitnehmen. Vielleicht würde sie, wenn alles nach Plan lief und sie Xander in ein paar Stunden bei sich hatte, der Polizei einen anonymen Hinweis geben.
Die blonde Frau lief über das friedliche Land hinüber in den Schuppen. Es war ihr schon immer unheimlich gewesen. Diese Ruhe, die das Outback hergab, jagte ihr schon damals eine Gänsehaut über den Rücken. Sie war einfach nicht geschaffen für dieses Leben in der Einöde, wusste nichts mit sich anzufangen, so ganz allein. Es wurde Zeit, sich wieder in einer Stadt niederzulassen. Aber vorher hatte sie noch einiges zu erledigen. Sie gab die benötigten Materialien in den Betonmischer und stellte ihn an, ließ das Monstrum laufen. Eine alte verrostete Schubkarre vor sich herschiebend, eilte sie wieder zurück zum Haus.
Die Kraft, die sie vorher noch besessen hatte, als sich ihre Finger kaltblütig um den Hals des Mannes legten, fehlte ihr nun offensichtlich. Der leblose Körper war zu schwer für eine Frau von ihrer Statur. Sie schaffte es noch nicht einmal, ihn in eine Schubkarre zu manövrieren. Der Schweiß lief ihr aus allen Poren und so langsam wurde sie zornig. Aber es brachte nichts, wenn Zorn und Wut Macht über sie hatten. Ganz im Gegenteil, alles wurde nur schwerer zu bewältigen und kostete mehr Kraft, als sie besaß. Mit Ruhe und Gelassenheit funktionierte es letztendlich doch und sie schaffte es, dass bald drauf ein betonierter Grund hinter dem Schuppen klaffte. Sie rieb sich müde über die mit Schweißperlen bedeckte Stirn und konnte sich nun an die letzten Feinschliffe für ihre Flucht machen. Viele Sachen besaß sie nicht. Es war ja auch nicht geplant, sich hier für lange Zeit niederzulassen.
Wenige Stunden später blickte sie von einem erhöhten Hügel hinunter auf das Haus von Drovers Run. Die Zeitungsausschnitte und ihre Fantasie kamen bei Weitem nicht an die Realität heran. Dieses Haus, umgeben von unendlicher Weite, wirkte wie auf ein Gemälde gepinselt. Selbst in tiefster Dunkelheit konnte sie die saftigen, grünen Weiden erkennen, die es zu umarmen schienen. Es wirkte alles so harmonisch und idyllisch. Aber schon bald würden hier die nackte Panik und der pure Überlebenskampf herrschen. Es würden Tränen vergossen und die notwendige Luft zum Atmen genommen werden. Und das alles nur wegen ihr. Sie kicherte leise auf und ihre funkelnden, grünen Augen blitzten in der Dunkelheit, wie die eines Leoparden auf der Jagd nach seiner nächsten Beute.
Sie pirschte sich an das Haus heran und war erstaunt, wie einfach es ihr gelang, dort einzudringen. Kurz blieb ihr der Atem weg, als Geräusche und das Knacken von altem, maroden Holz in ihre Ohren drangen. Ihr Herz schlug nun im Eiltempo und drohte jeden Moment stehenzubleiben, einfach auszusetzen. So kurz vor dem Ziel. Winzig kleine, kalte Schweißtropfen perlten an ihrer Stirn ab. Sie war so weit gekommen und schon bald würde Xander ihr gehören. Man dürfte sie jetzt nicht erwischen, sie durfte sich jetzt nicht verraten. Nicht durch solche dämlichen alten und morschen Holzdielen. Sie blieb stehen. Sill und starr, wie eine Statue. Es war nichts zu hören, bis auf ihren lauten, schallenden Herzschlag und das reißende Rauschen des Blutes durch ihre Adern. Sie musste unbedingt ruhiger werden, ihren vom Adrenalin aufgeheizten Körper wieder unter Kontrolle bekommen. Denn dieses laute Pochen und das dröhnende Rauschen drohten ihr den Verstand zu rauben, sie wütend zu machen. Sie biss sich auf die Unterlippe und presste ihren Mund fest zusammen, damit kein Laut aus ihm heraustrat. Mit leisen Sohlen begab sie sich weiter auf das Kinderzimmer zu. Unterwegs versperrte sie das eigentliche Schlafzimmer von Stevie. Nur um sicherzugehen, dass keine weiteren bösen Überraschungen auf sie warteten.
Irgendwo im Outback begann das Unheil der Nacht seinen Lauf zu nehmen. Orangerote Flammen züngelten in der stickigen Luft, Rauchwolken türmten sich auf. Statt des erhofften Regen hatte sich der Busch nun selbst entzündet. Eine riesige Feuerwalze rollte über das ausgedorrte Land. Den Flammen gefiel die staubtrockene Erde, sie fraßen sich an den Stämmen der Eukalyptusbäume hinauf in die Kronen und züngelten in dem trockenen Geäst, vernichteten mit Habgier. Das Buschfeuer breitete sich in rasender Geschwindigkeit aus. Einzelne Feuerzungen eilten der tosenden Feuerwand voraus. So als wären sie die kleinen Vorläufer der noch kommenden, unüberwindbaren Katastrophe. Gerade noch rechtzeitig hatte sie es geschafft, das Haus von Drovers Run mit Xander auf dem Arm wieder hinter sich zu lassen, bevor die Farm aus der friedlichen Ruhe herausgerissen wurde und Panik ausbrach. Bis man entdeckte, dass der Junge fehlte, war sie schon weit weg und niemand würde sie mit dem Verschwinden des jungen Ryan in Verbindung bringen. Mit leuchtenden Augen und einem selbstzufriedenen Lächeln blickte sie in den Rückspiegel. Sie hatte es tatsächlich geschafft. Es war so einfach gewesen. Xander hatte von der ganzen Aufregung nicht viel mitbekommen und schlummerte nun friedlich in der kleinen Babyschale auf dem Rücksitz ihres Wagens, während sie die einsame, verlassene Straße in Richtung Sydney fuhr. Er war ein Goldstück, das Beste, was ihr im Leben je passiert war und nun gehörte er ihr. Ganz allein.
Eine blonde Frau lief durch die recht belebten Straßen, ihre grünen Augen funkelten wie Smaragde und erspähten schon ihr nächstes potentielles Opfer. Nach dem ersten Jungen hatte sie Gefallen daran gefunden und nun konnte sie nach dem Zweiten in dieser Gegend nicht mehr aufhören. Es erfüllte sie mit Wärme, ließ sie erschauern und beruhigte sie. Im Grunde befriedigte sie dieses Gefühl noch mehr als Sex. Dieses Glücksgefühl ließ die junge Frau aber auch ungeduldiger werden. Kurz hatte sie mit dem Gedanken gespielt, schon jetzt den großen Coup zu landen, da sie es nicht erwarten konnte das Abbild des Mannes, den sie einmal so sehr geliebt hatte, wie keinen anderen, endlich bei sich zu wissen. Doch sie musste noch viel lernen, musste sicher sein, dass ihr kein Fehler unterlaufen würde, wenn die Zeit gekommen war. Aber dafür musste sie sich in Geduld üben und das war das Schwierigste, so manches Mal einfach nicht möglich. Sie sollte vielleicht auch ihre Vorgehensweise ändern, wenn man sie nicht entdecken sollte. Aber darüber konnte sie sich auch noch später Gedanken machen.
Nun galt es erst einmal, sich mit ihrem nächsten Opfer vertraut zu machen. Herauszufinden, was der kleine Simon-Junge mochte, was er gerne unternahm. Es kribbelte schon jetzt in ihren Fingerspitzen, wenn sie nur daran dachte, wie es sein wird, wenn diese kleinen Hände des Jungen sich in ihren verfingen. Zu sehr auskosten konnte sie ihre Begierde jedoch nicht, denn plötzlich kam ein Sturm auf und sie sah den kleinen brünetten Jungen mit den azurblauen Augen an der Hand seiner Mutter davonlaufen. Etwas enttäuscht zog sich die blonde Frau zurück, lief hinüber zum Truckstop, um Schutz vor dem aufwirbelnden, wütenden Wind zu suchen. Sie tröstete sich damit, dass sie den kleinen Simon-Jungen schon bald ganz für sich allein haben würde.
Der Wind fegte nun tosend über das Land, kroch in jede Ecke, jedes Loch. Wirbelte den staubigen, beinahe ausgetrockneten, roten Sand auf und ließ ihn Zentimeter hoch in die heiße, stickige Atmosphäre tänzeln. Meist war ein Sturm dieser Art ein Vorbote für einen kräftigen Regenschauer. Seit Tagen hatte der Himmel kein Wasser mehr gelassen. Die Farmer warteten sehnsüchtig auf die Regenzeit. Denn so langsam gingen ihnen die Vorräte aus den künstlich angelegten Brunnen und den Billabongs aus. Zudem bestand die Gefahr, dass sich der Busch jeden Augenblick entzünden konnte. Die rote Erde war wie ein pulverisiertes Fass, das nur einen winzigen Funken benötigte, um sich zu entzünden und eine verheerende Katastrophe auszulösen. Dem Drama musste man schnell und sicher entgegen wirken, wenn man seine Existenz nicht in Schutt und Asche untergehen sehen wollte. Dafür galt es nun in höchster Alarmbereitschaft Vorkehrungen zu treffen, die das Schlimmste der Katastrophe abwehren sollten.
Die blonde Frau öffnete die Türe des Truckstop, hörte die Türglocke blechern schrillen und sofort überschwemmten sie alte Erinnerungen, fielen über ihren Leib und rissen sie in einem Strom von Gefühlsduselei mit. Gott, sie verabscheute alles, was mit ihrem alten, vergangenen Leben zu tun hatte. So auch diese trostlose Kaschemme mit deren primitiven Besuchern. Dieser Truckstop war damals schon ein Anziehungspunkt für jeden in der Umgebung. Etwas anderes gab es in dieser Einöde auch nicht und die Menschen in dieser Gegend waren einfach zu armselig und anspruchslos, als dass sie etwas anderes vermissen könnten. Sie lachte leise auf. Ihre Gedanken waren böse, aber sie liebte es, so zu denken. Und noch viel mehr freute sie sich darauf, einem speziellen Menschen das Leben zur Hölle zu machen. Selbstzufrieden blickte sie hinaus aus dem Fenster und sah, wie sich die Bäume hinunter auf die Erde bogen und mit der nächsten Böe wieder zurück in die Atmosphäre schossen. Blätter schaukelten an den Ästen aufgeregt umher, einige von ihnen konnten die Kraft, sich festzuhalten, nicht mehr aufbringen und so wurden sie von den aufbrausenden Windstößen aus ihrer sicheren Haltung gerissen und fortgetragen.
Ein permanentes, fast unerträgliches Trommeln von Fingerspitzen auf Holz ließ sie wieder herumfahren. Ihre Augen funkelten gefährlich und schneidend, wie eine zerbrochene grüne Glasscherbe. Sie entdeckte eine rothaarige Frau an einem der Tische, die ununterbrochen durch die Scheibe des Truckstop hinaus auf die Straße starrte. Sie wirkte leicht nervös. Die Stimme der Truckstop-Lady erreichte ihren feinen Gehörsinn, obwohl diese nicht mit ihr sprach, sondern mit eben dieser Rothaarigen. Sie lauschte der Unterhaltung und bekam heraus, dass deren Mann anscheinend auf dem Weg hierher war. Außerdem schnappte sie auch dessen Namen auf und für einen winzigen Augenblick schien ihr Herzschlag vollkommen außer Kontrolle. Er ließ ihr Herz noch immer heftig ausschlagen und ihren Körper in Aufruhr kommen und dafür hasste sie ihn noch mehr. Die blonde Frau tat so, als würde sie irgendetwas in ihrer Handtasche suchen, während sie ihre funkelnden Augen überdrehte. Das war sie also, die neue Mrs. Ryan. Geschmack hatte er ja noch nie wirklich, dachte sie selbstgefällig und blickte wieder auf.
Ihr Blick fiel auf den Buggy, der neben dem Tisch in unmittelbarer Nähe stand. Ein zufriedenes Glucksen drang aus dem Kinderwagen. Viel konnte sie nicht sehen, aber sie hatte ihn ja schon in einem der Zeitungsartikel bewundern dürfen. Ihr Wunsch, ihn zu besitzen, ganz für sich allein wuchs nun noch mehr. Jetzt, da sie den Jungen live und in Farbe sehen konnte, war dieser Wunsch beinahe unerträglich. Aber es half nichts, sie musste sich noch gedulden.
Blechernes Hupen ertönte und drang dumpf in den spärlich gefüllten Truckstop. Der klappernde Bus kam auf der gegenüberliegenden Straßenseite zum Stehen und wenige Sekunden später öffnete sich die quietschende Türe. Ein kleiner mopsiger Mann mit zu kurz geratenen Beinen und schon stark ergrauten Haaren öffnete die Klappe der Gepäckaufbewahrung. Nach und nach füllte sich die kleine verlassene Straße mit Touristen. Sie spürte einen plötzlichen Luftzug, der sie streifte. Ohne ein Wort zu sagen oder gar nur eine weitere kostbare Sekunde verstreichen zu lassen, war die rothaarige Frau auf ihre Beine gesprungen. An ihr vorbei aus dem Truckstop hinaus zu diesem Bastard geeilt, um ihm überglücklich ihre Arme um seinen Hals zu schlingen. Widerlich, dachte sie erbost und verwünschte ihre Liebe nicht zum ersten Mal, seit sie in der Zeitung gelesen hatte, dass er schon wieder eine andere geheiratet hat und nicht sie. Aber Alex Ryan hatte ihr nicht umsonst so viel Leid und Kummer zugefügt, das schwor sie sich nun schon zum x-ten Mal seit Monaten.
Ihr Kopf schoss wieder zurück zu der Stelle, an der noch vor wenigen Sekunden seine Neue gesessen hatte. Für einen kurzen Moment war der Drang, sich den Kinderwagen zu schnappen und mit diesem samt Kind zu flüchten, immens. Aber sie rügte sich innerlich dafür. Die Zeit war noch nicht reif genug. Vorher musste sie noch etwas üben. Denn beim letzten Mal wäre es beinahe schief gegangen. Ethan Clarks hatte sich ein wenig gesträubt und sie fast wütend gemacht. Sie hatte ihre ganze Überredungskunst aufwenden müssen, damit der kleine Junge sich überreden ließ, mit ihr ein Eis essen zu gehen. Die vielen bunten Smarties hatten es schlussendlich geschafft, ihn zu überzeugen und in ihr Auto zu steigen. Das Kribbeln in ihren Finger und das Ziehen in ihrem Innern wurden nun von der Truckstop-Lady unterbunden. Sie sah, wie die Frau den Buggy vor sich herschob und hinter der Theke abstellte.
Sie überwand die kleine Distanz und stellte sich vor die Ladentheke. Ihre weiblichen, manikürten Finger legten sich auf das dunkle gemaserte Holz und ein zufriedenes Lächeln schlich sich in ihr Gesicht. Sie hatte nun einen äußerst guten Blick in den Kinderwagen und sah, wie Xander selig vor sich her gluckste und mit seinen winzigen Fingern nach den Rasseln griff. Der Kleine war unverkennbar das Abbild von Alex. Er hatte die gleichen Gesichtszüge und dieselben schmalen Lippen wie Alex. Auch die Haarfarbe war schon kaum noch zu unterscheiden, mal ganz zu schweigen von der Farbe seiner Augen.
„Ein hübscher Junge“, bemerkte sie, während sie den kleinen Jungen ansah, und konnte nicht umhin, sich sehnsuchtsvoll zu wünschen, dass er schon bald ihr gehörte. Aus den Augenwinkeln heraus sah sie die Truckstop-Lady nicken und richtete ihre Augen nun von Xander zu der Frau hinüber.
„Sie sind nicht von hier?“ Es war eher eine Feststellung als eine Frage. Die blonde Frau bemerkte, wie die Augen der Truckstop-Lady auf ihren Fingern ruhten und augenblicklich zog sie erschrocken ihre Hände an ihren Körper heran. Sie musste vorsichtiger sein, schärfte sie sich ein und ihr selbstsicheres Lächeln schwand einem zurückhaltenden, schüchternen Lächeln.
„Nein, ich bin eher ein Stadtmensch“, gab sie zurück und versuchte ihre Gelassenheit wiederzuerlangen. „Ich bin auf der Suche nach Arbeit. Vielleicht auf einer Farm, könnte ich mir vorstellen.“ Sie ließ ihre blitzenden Augen zu der Frau vor sich gleiten. Ihre Blicke trafen sich und sie konnte spüren, wie die Truckstop-Lady zusammenzuckte. So war es jedes Mal. Die Menschen in ihrer Umgebung schienen Respekt vor ihr zu haben oder aber Angst. Und das gefiel ihr sehr.
„Ich schätze, da werden Sie im Moment kein Glück haben“, hörte sie die Truckstop-Lady nun sagen. „Es ist schwer, jetzt Arbeit zu finden. Die Leute sind viel zu sehr damit beschäftigt, ihr Hab und Gut zu retten, als dass sie an Aushilfskräfte denken. Vielleicht haben Sie mehr Glück, wenn es geregnet hat.“ Diesmal nickte sie. Es blieb ihr nur die Hoffnung, dass es bald Regen gab und das Outback wieder zum Leben erwachte und sie eventuell die Möglichkeit bekam, auf Drovers Run eine Anstellung zu finden. Sie musste nur überzeugend genug wirken. Schließlich gab es immer Menschen, die das Abenteuer im Land der roten Erde suchten.
Am nächsten Morgen schlug sie wieder zu. Es war einfacher gewesen, als sie gedacht hatte. In der Nacht war ihr ein einschlägiger Gedanke gekommen und den hatte sie einfach in die Tat umgesetzt. Die Farmer hüteten sich davor, ihre Kinder bei dem Wetter mit dem Bus in die Schule des nächstgelegenen Ortes fahren zu lassen, ganz allein. Daher kam ihnen der neue Fahrservice der Gemeinde sehr gelegen und sie gaben ihre Kinder mit ruhigem Gewissen in die Hände einer Frau. Niemand assoziierte eine Frau mit den Entführungen der Jungen. Warum auch? Frauen konnten nicht so grausam sein, sie waren nicht in der Lage anderen Müttern ihre Kinder zu entreißen. Sie hatten ein weicheres Herz, fühlten sich mit Ihresgleichen emotional verbunden und litten unter den tragischen Gegebenheiten mit den Frauen, deren Kinder verschwanden, mit. Ganz egal, ob sie selbst Mutter waren oder nicht. Bei weiblichen Wesen spielte das einfach keine Rolle, sie identifizierten sich mit den anderen Frauen und verließen sich oft auf ihre so genannte weibliche Intuition. So kam es dem Frauenvolk nicht in den Sinn, dass eine von ihnen dafür verantwortlich sein konnte.
Dennoch sollte sie in nächster Zeit die Gegend verlassen. Drei Jungen waren einfach zu viel, sie machten es der Polizei einfacher. Aber nein, dachte sie kichernd. Sie war viel zu clever für diese Landpolizisten. Niemand von diesen trägen Landeiern würde ihr je auf die Schliche kommen. Dazu war sie viel zu gerissen und diese sogenannten Hüter des Gesetzes zu unerfahren. Allerdings sollte sie es auch nicht darauf ankommen lassen. Sie würde noch heute zu schlagen und Xander zu sich holen, entschloss sie sich. Wahrscheinlich in der Nacht, wenn alle schliefen und niemand mitbekam, wie sie in das Haus eindrang und ihn an sich nahm. So ganz ohne Planung ging es jedoch dennoch nicht.
In ihrem kranken Hirn arbeitete es unentwegt und sie legte sich eine Route zusammen, der sie folgen würde und schon am darauffolgenden Tag wäre sie aus dem Land, in Sicherheit. Aber nicht ohne den Jungen, ohne ihren Jungen. Dumpf vernahm sie das Wimmern der Kinder, das über die Kellertreppe hinauf in ihre Ohren drang. Wenn sie nicht bald Ruhe gaben, dann würde sie noch überreagieren und etwas tun, was ihr am Ende leidtat. Mit pochender Schläfe erhob sie sich von dem Holzstuhl. Sie zündete eine Petroleumlampe an und bahnte sich ihren Weg in das Kellergeschoss zu den drei Jungen. Unterwegs begegneten ihr mehrere dieser furchtbar widerlichen Spinnen, die sie aufschreiend und wild umher fuchtelnd aus ihrer Sicht verbannte. Beinahe wäre ihr vor Schreck und Ekel die Lampe aus der Hand geglitten und hätte eine Katastrophe ausgelöst. Aber es war ja noch einmal gut gegangen.
Sie entriegelte die schwere Stahltüre und gab jedem der Jungen einen Schokoriegel in die Hand. Kurzzeitig schien das Wimmern ein Ende zu haben, doch kaum hatte sie die Türe wieder hinter sich ins Schloss fallen lassen, begann das Weinen von vorne. Es machte sie wahnsinnig und ließ sie wütender und zorniger werden. Einen Augenblick spielte sie mit dem Gedanken, ihnen mit irgendetwas den Mund zu verschließen, doch kam sie nicht mehr dazu. Es klopfte an der Haustüre. Das ließ sie aufschrecken und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie verriegelte alle Türen, die zum Kellerraum führten und sie verraten könnten. Man konnte das Weinen und Wimmern der Jungen nicht mehr hören, doch sie hörte es. Laut und deutlich.
Wenige Stunden später wischte sie sich den kalten Schweiß von der Stirn. Dieser Vorfall war nicht geplant gewesen und passte auch nicht in ihr Schema hinein. Aber der überraschende Besucher hatte ihr einfach keine andere Wahl gelassen. Sex zu haben mit einer wildfremden Person war eine Sache, aber seine Nase in Dinge zu stecken, die einen nichts angingen, war die andere Sache. Daher musste sie handeln und hatte womöglich auch überreagiert, aber diese Kinder machten sie schon den ganzen Tag über wahnsinnig wütend, mit ihrem Gejammer und dem Wimmern. Es klingelte noch immer laut und deutlich in ihren Ohren. Und dieser Mann war einfach viel zu neugierig gewesen, hatte zu viele Fragen gestellt. Schließlich hatte er sie in einem Moment erwischt, der sie schwachgemacht hatte und da war es ihr herausgerutscht. Einfach so, ganz ohne Vorwarnung und ohne groß darüber nachgedacht zu haben. Also musste sie handeln und legte ihm einfach ihre kalten, manikürten Finger um den Hals und drückte zu. Er hatte gezappelt, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Sie glaubte nicht, dass so viel Kraft in ihr stecken könnte, bis es passiert war. Sie hatte gesehen, wie sich seine Augen erschreckend weiteten, mit Panik füllten und schlussendlich der letzte zarte Hauch des Lebens aus ihnen gewichen war. Aber nun stand sie vor einem Problem. Der leblose Körper des Mannes musste weg. Nur wohin, fragte sie sich. Fluchend tigerte sie von der einen auf die andere Seite des Wohnzimmers. Sie blieb vor dem Fenster stehen und sah hinaus auf die Farm. Es hatte keinen Regen gegeben. Weder in der Nacht noch im Laufe des heißen Tages. Nun dämmerte es schon bald und noch immer war keine dieser Wolken am Firmament zu sehen, die das erhoffte Wasser lassen würde.
Der Schuppen fiel in ihr Blickfeld und sie erinnerte sich, dass die Vorbesitzer anscheinend einen Anbau geplant hatten oder was auch immer. Zumindest befanden sich in eben diesem Schuppen sämtliche Utensilien zum Mischen einer harten Betonmasse. So könnte sie das Problem zumindest vorerst lösen. Der Geruch von verfaultem Fleisch konnte bei den heißen Temperaturen bestialisch werden und verräterisch sein. Noch mehr neugierige Nachbarn konnte sie sich einfach nicht leisten, trotz dessen sie schon bald die Gegend verlassen würde. Das Wegschaffen und Einbetonieren der Leiche würde Zeit kosten, viel Zeit, die sie eigentlich nicht besaß. Schon bald würde die Sonne hinter dem Horizont versinken und die Schatten der Nacht sich über das Land legen. Es war noch so viel zu planen und sie müsste sich auch noch Gedanken darüber machen, was sie mit ihren Übungsopfern anstellen sollte. Sie konnte sie unmöglich mitnehmen. Vielleicht würde sie, wenn alles nach Plan lief und sie Xander in ein paar Stunden bei sich hatte, der Polizei einen anonymen Hinweis geben.
Die blonde Frau lief über das friedliche Land hinüber in den Schuppen. Es war ihr schon immer unheimlich gewesen. Diese Ruhe, die das Outback hergab, jagte ihr schon damals eine Gänsehaut über den Rücken. Sie war einfach nicht geschaffen für dieses Leben in der Einöde, wusste nichts mit sich anzufangen, so ganz allein. Es wurde Zeit, sich wieder in einer Stadt niederzulassen. Aber vorher hatte sie noch einiges zu erledigen. Sie gab die benötigten Materialien in den Betonmischer und stellte ihn an, ließ das Monstrum laufen. Eine alte verrostete Schubkarre vor sich herschiebend, eilte sie wieder zurück zum Haus.
Die Kraft, die sie vorher noch besessen hatte, als sich ihre Finger kaltblütig um den Hals des Mannes legten, fehlte ihr nun offensichtlich. Der leblose Körper war zu schwer für eine Frau von ihrer Statur. Sie schaffte es noch nicht einmal, ihn in eine Schubkarre zu manövrieren. Der Schweiß lief ihr aus allen Poren und so langsam wurde sie zornig. Aber es brachte nichts, wenn Zorn und Wut Macht über sie hatten. Ganz im Gegenteil, alles wurde nur schwerer zu bewältigen und kostete mehr Kraft, als sie besaß. Mit Ruhe und Gelassenheit funktionierte es letztendlich doch und sie schaffte es, dass bald drauf ein betonierter Grund hinter dem Schuppen klaffte. Sie rieb sich müde über die mit Schweißperlen bedeckte Stirn und konnte sich nun an die letzten Feinschliffe für ihre Flucht machen. Viele Sachen besaß sie nicht. Es war ja auch nicht geplant, sich hier für lange Zeit niederzulassen.
Wenige Stunden später blickte sie von einem erhöhten Hügel hinunter auf das Haus von Drovers Run. Die Zeitungsausschnitte und ihre Fantasie kamen bei Weitem nicht an die Realität heran. Dieses Haus, umgeben von unendlicher Weite, wirkte wie auf ein Gemälde gepinselt. Selbst in tiefster Dunkelheit konnte sie die saftigen, grünen Weiden erkennen, die es zu umarmen schienen. Es wirkte alles so harmonisch und idyllisch. Aber schon bald würden hier die nackte Panik und der pure Überlebenskampf herrschen. Es würden Tränen vergossen und die notwendige Luft zum Atmen genommen werden. Und das alles nur wegen ihr. Sie kicherte leise auf und ihre funkelnden, grünen Augen blitzten in der Dunkelheit, wie die eines Leoparden auf der Jagd nach seiner nächsten Beute.
Sie pirschte sich an das Haus heran und war erstaunt, wie einfach es ihr gelang, dort einzudringen. Kurz blieb ihr der Atem weg, als Geräusche und das Knacken von altem, maroden Holz in ihre Ohren drangen. Ihr Herz schlug nun im Eiltempo und drohte jeden Moment stehenzubleiben, einfach auszusetzen. So kurz vor dem Ziel. Winzig kleine, kalte Schweißtropfen perlten an ihrer Stirn ab. Sie war so weit gekommen und schon bald würde Xander ihr gehören. Man dürfte sie jetzt nicht erwischen, sie durfte sich jetzt nicht verraten. Nicht durch solche dämlichen alten und morschen Holzdielen. Sie blieb stehen. Sill und starr, wie eine Statue. Es war nichts zu hören, bis auf ihren lauten, schallenden Herzschlag und das reißende Rauschen des Blutes durch ihre Adern. Sie musste unbedingt ruhiger werden, ihren vom Adrenalin aufgeheizten Körper wieder unter Kontrolle bekommen. Denn dieses laute Pochen und das dröhnende Rauschen drohten ihr den Verstand zu rauben, sie wütend zu machen. Sie biss sich auf die Unterlippe und presste ihren Mund fest zusammen, damit kein Laut aus ihm heraustrat. Mit leisen Sohlen begab sie sich weiter auf das Kinderzimmer zu. Unterwegs versperrte sie das eigentliche Schlafzimmer von Stevie. Nur um sicherzugehen, dass keine weiteren bösen Überraschungen auf sie warteten.
Irgendwo im Outback begann das Unheil der Nacht seinen Lauf zu nehmen. Orangerote Flammen züngelten in der stickigen Luft, Rauchwolken türmten sich auf. Statt des erhofften Regen hatte sich der Busch nun selbst entzündet. Eine riesige Feuerwalze rollte über das ausgedorrte Land. Den Flammen gefiel die staubtrockene Erde, sie fraßen sich an den Stämmen der Eukalyptusbäume hinauf in die Kronen und züngelten in dem trockenen Geäst, vernichteten mit Habgier. Das Buschfeuer breitete sich in rasender Geschwindigkeit aus. Einzelne Feuerzungen eilten der tosenden Feuerwand voraus. So als wären sie die kleinen Vorläufer der noch kommenden, unüberwindbaren Katastrophe. Gerade noch rechtzeitig hatte sie es geschafft, das Haus von Drovers Run mit Xander auf dem Arm wieder hinter sich zu lassen, bevor die Farm aus der friedlichen Ruhe herausgerissen wurde und Panik ausbrach. Bis man entdeckte, dass der Junge fehlte, war sie schon weit weg und niemand würde sie mit dem Verschwinden des jungen Ryan in Verbindung bringen. Mit leuchtenden Augen und einem selbstzufriedenen Lächeln blickte sie in den Rückspiegel. Sie hatte es tatsächlich geschafft. Es war so einfach gewesen. Xander hatte von der ganzen Aufregung nicht viel mitbekommen und schlummerte nun friedlich in der kleinen Babyschale auf dem Rücksitz ihres Wagens, während sie die einsame, verlassene Straße in Richtung Sydney fuhr. Er war ein Goldstück, das Beste, was ihr im Leben je passiert war und nun gehörte er ihr. Ganz allein.
~~~ The End ~~~