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#71

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Chapter 19
Hey schöne Frau, schön dass du schon mal bis hierher gefunden hast. Wie wär´s, bereit für eine kleine Überraschung? Habe ich mir gedacht. Folgendes: Was machst du am Liebsten? Mit wem?… Und wo?… Genau….nun gehe doch mal rechts um das Hotel herum und lass dich auf die erste Überraschung ein. Ich bin schon total auf dein Gesicht gespannt.

Nach dem ersten Lesen der Worte, die auf das kleine Stückchen Papier gebracht waren, malte Stevie sich schon die komischsten Fantasien aus. Immer wieder las sie von vorne die aneinander gereihten Buchstaben und versuchte zu erraten, wer ihr diese Nachricht hinterlassen hatte. Jedoch kam sie zu keinem befriedigenden Ergebnis. Nur allein das Interesse schnell mehr zu erfahren, leitete sie aus dem Hotel heraus.
Stevie liebte Überraschungen, also ging sie auf direktem Wege aus dem Hotel. Sie bog nach rechts ab, so wie es auf dem Zettel stand und war tatsächlich abermals überrascht. Etwas weiter abseits auf einer Wiese stand Banjo und futterte seelenruhig ein paar Grashalme. Stevie schüttelte mit dem Kopf und ging auf den braunen Wallach zu. Sie streichelte ihm liebevoll über seine Mähne und entdeckte dabei einen weiteren Zettel, der am Sattel klemmte.

Schön dich auch hier begrüßen zu dürfen. Ich habe mir schon gedacht, dass du Banjo findest, denn ich weiß wie sehr du Überraschungen liebst. Wie ich dich kenne platzt du bestimmt schon vor Neugierde, aber ein bisschen gedulden musst du dich noch. Nun zum nächsten Schritt: Steig auf Banjo, reite Richtung Drovers und lass dich noch einmal überraschen.

Völlig darauf bedacht ihre Neugierde dann endlich befriedigt zu wissen, tat Stevie was ihr befohlen und ritt Richtung Drovers. Obwohl sie sich noch nicht im Klaren darüber war, wie sie denn auf diesem verlassenen Weg überrascht werden sollte. Sie grübelte wie es nun weitergehen würde. Jedoch kamen ihr immer wieder Zweifel. Nicht zu fassen, dass sie sich auf so etwas eingelassen hatte. Mitten in der Einöde. Mitten in der Dunkelheit und dann auch noch ganz allein. Als Frau. Stevie schüttelte mit dem Kopf. Die Zweifel und die Angst, die sie überkamen, konnten ihre Neugierde aber nicht so ganz verdrängen. Stevie hoffte nur, dass ihre Neugierde sie nicht in ein Verbrechen leiten würde und sie von irgendeinem Fremden überfallen und sogar umgebracht werden würde. Aber nein! Stevie verwarf diesen Gedanken sogleich wieder. Derjenige kannte sie einfach zu gut. Er kannte Banjo, ihr Pferd und er kannte Drovers.
In ihren Gedanken versunken, hatte sie überhaupt kein Zeitgefühl mehr. Erst, als das Pferd etwas mehr vor sich hintrottete, wurde ihr bewusst, dass sie schon eine ganze Weile auf dem Rücken des Wallachs saß. So gern sie sonst auch im Sattel saß, hielt sie es kaum mehr aus endlich mehr zu erfahren. Stevie wollte nun unbedingt wissen, wie es weitergeht und vor allem wo. Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, dass Marcus dahinter stecken könnte. Sollte dies der Fall sein, so war sich Stevie sicher, dass sie ihm womöglich nicht noch ein Mal widerstehen könnte. Sie mochte ihn sehr und je mehr sie über ihn nachdachte, desto mehr sehnte sie sich nach Marcus. Augenblicklich erschien sein Gesicht vor ihr und sie konnte deutlich seine weichen Gesichtszüge sehen. Seine strahlenden Augen, wenn er lachte. Wie sie im Sonnenlicht ihre Farbe wechselten. Seine geschwungenen Lippen, die sich zu einer Aneinanderreihung von Buchstaben bewegen.
Stevie wunderte sich sehr über ihre eigenen Gedankengänge und Vorstellungskraft. Sie schüttelte mit dem Kopf und versuchte sich auf irgendetwas anderes zu konzentrieren. Doch auch was? Hier in dieser Gegend gab es doch nichts. Außer die vereinzelten Sträucher und Bäume an den Rändern der Straße. Doch natürlich, die gespenstische Dunkelheit. Aber was sollte sie sich schon darüber ausmalen? Wie sollte sie über diese Finsternis nachdenken, ohne wieder in eine leichte Panik zu verfallen?
Und doch wanderten ihre Gedanken schließlich wieder zu einem Mann. Sie wollte gar nicht mehr an den einen Mann denken. Doch konnte sie sich nicht mehr dagegen wehren und ihre Gedanken wanderten doch wieder zu Alex. Wieder hatte Stevie die letzen Minuten, in denen sie ihn das womöglich letzte Mal für eine sehr lange Zeit gesehen hatte, vor Augen. Sie merkte, wie sich vereinzelte Tränen aus ihren Augen auf ihr Gesicht verirrten und im nächsten Moment schämte sie sich dafür. Sie wollte ihn doch vergessen und nie wieder auch nur eine einzige Träne vergießen, wegen ihm. Warum nur brachte Alex sie immer wieder aus dem Konzept? Immer wieder stellte Stevie sich die Frage, warum Alex sie nicht aufgehalten hatte, als sie ging. Wieso er einfach nur so dastand und in die Leere starrte.

Nun sah sie etwas weiter entfernt eine Art Verkehrsschild leuchten. Sie ritt ein wenig schneller darauf zu und als sie angekommen war, musste sie schmunzeln. Nicht über das Schild, das war nur ein einfaches Verkehrsschild mit einem Pfeil, der nach links in kleinen Weg zeigte, sondern wie sie nun schon das dritte Mal überrascht wurde. Dieser kleine Weg, in den der Pfeil zeigte, war über und über mit Rosen bestreut, sodass es viel zu schade war zum drüber reiten. Links und Rechts am Rande waren versetzt kleine Fackeln in den Boden gesteckt. Stevie hatte bisher gar nicht bemerkt, wie kalt ihr vorher eigentlich war. Jetzt spürte sie die unheimliche Wärme, die mit den Fackeln aufstieg.
Stevie war sichtlich gerührt von dem Aufwand, der ihretwegen betrieben wurde. Nach ein paar Minuten kam sie auf eine kleine Anhöhe zu und sah schon von weitem, dass dort oben ein wundervoll beleuchteter Pavillon stand. Sie stieg nun von Banjo ab, band ihn rasch an einen Baum fest und ging völlig nervös mit schnellen Schritten auf die Anhöhe zu. Sie war so aufgeregt, dass sie hin und wieder über ihre eigenen Füße stolperte. Als Stevie oben auf dem kleinem Hügel angekommen war und all das aus der Nähe betrachtete, war sie nun mittlerweile das vierte Mal überrascht worden. Sie stand unmittelbar vor dem beleuchteten Pavillon. Dieser war rundherum mit kleinen bunten Laternchen behangen, die ein wenig Partystimmung vermittelten. Dies wurde allerdings durch massenweise Kerzen und Fackeln ausgeglichen. Direkt unter dem Pavillon war eine flauschige Decke ausgebreitet auf der liebevoll Obst, kleine Schnittchen, Kuchen, jede Menge Getränke und massenweise Schokolade in den verschiedensten Variationen, angerichtet worden waren. Auch hier lagen überall zur Dekoration auf der ganzen Decke Rosen und Rosenblätter verstreut. Stevie schloss die Augen und sog den wunderbaren Duft der Rosen ein, der ungemein stark in der Luft lag. Sie genoss einfach nur den Augenblick. Nun dachte sie auf einmal wieder an Alex, sie wusste nicht warum, aber irgendetwas sagte ihr, dass er die ganze Sache eingefädelt hatte.

Etwas abseits stand er, der heimliche Verehrer und beobachtete Stevie. Er sah, wie sie aus dem Staunen gar nicht mehr heraus kam. Ihre ganze Gestik und Mimik verriet, wie sehr sie sich darüber freute. Sie verriet ihm seine innigste Zuneigung zu dieser Frau. Just in diesem Moment, wie sie so dastand und sich die Hand vor den Mund hielt, ihre Augen strahlten vor Überraschung und sie sich sanft eine wild umherflatternde Strähne ihres widerspenstigen Haares hinter die Ohren klemmte, just in diesem Moment wurde ihm wieder einmal mehr klar, wie sehr er sie liebte. Wie sehr er sie verehrte, ja sogar vergötterte und wie sehr er sie brauchte. Obwohl sie nur wenige Meter von ihm entfernt stand, war sie unendlich weit weg. Er vermisste sie wahnsinnig und hatte dieses unendliche Verlangen, sie ganz fest in seine starken Arme zuschließen. Einfach nur den Duft ihrer Haare in seiner Nase einzufangen. Er sehnte sich so sehr danach in ihre bezaubernden, haselnussbraunen Augen zusehen und sich an ihrem unglaublich sexy Lächeln zu erfreuen. Es verlangte ihn so sehr sich an ihren sanften Berührungen zu verzehren, dass es ihm einen starken Stich ins Herz versetzte. Als er an ihre letzte Begegnung dachte, bei der sie ihn abwies, einfach so verschwand und ihn stehen ließ. Plötzlich war sie wieder da diese Unsicherheit und Angst, vor einer weiteren Zurückweisung. Nichtsdestotrotz er musste sich nun langsam erkenntlich zeigen. Er hatte ja nicht umsonst all die Mühe auf sich genommen. All die Zeit investiert und außerdem könnte er es nicht ertragen, sie enttäuscht zusehen. Obwohl sie auch dann wunderschön war. Ja, das war sie wahrhaftig. Er wollte nun unbedingt sehen, wie sich freute. Wie sie strahlte. Wie sie lächelte. Das Schlimmste, was ihm passieren konnte, war, dass sie ihn abweisen würde. Ihm sagen würde, dass sie ihn nicht liebte oder ihn nicht wieder sehen möchte und einfach geht. Der junge Mann schüttelte den Kopf und ermahnte sich in seinen Gedanken. Es würde schon nicht so schlimm werden. Stevie würde ihm schon nicht den Kopf abreißen. Alles Andere bekämen sie schon irgendwie hin. Schließlich war er doch Alex Ryan, in dessen Händen noch jede Frau zu Wachs geworden ist. Alex grinste bei seinen doch ziemlich überheblichen Gedankengängen. Aber so war es doch schon immer gewesen. Auch wenn er insgeheim tief in seinem Innern nicht sonderlich glücklich dabei gewesen war. Seit Claires Tod sehnte er sich eine Zeit herbei, die ihn wieder lieben und leben ließ. Er wünschte sich eine Frau an seiner Seite, die ihn verstand. Ihn unterstützte und bei der er so sein konnte, wie er nun mal war. Sich eben nicht verstellen musste. Oft genug hatte Alex gedacht, er hätte diese eine Frau gefunden und doch zerbrach wieder alles. Immer wieder stand er von neuem vor einem Scherbenhaufen, der sich nur schwer wieder zu einem ganzen Bild zusammenfügen ließ. Doch dieses Mal war er sich sicher. So sicher wie noch nie zuvor. Es fühlte sich richtig und gut an. Es war einfach perfekt. Sie war perfekt. Stevie.
Langsam und leise schlich Alex sich nun von hinten an sie heran. Hielt ihr seine Hände vor die Augen. Stevie erschrak etwas, als sie Schritte vernahm. Sie konnte den Sand, der durch das Auftreffen der Füße aufgewirbelt wurde, auf ihrer Haut spüren, je näher die Schritte kamen. Als Stevie jedoch die Berührung seiner Hände auf ihrem Gesicht fühlte, zuckte sie etwas zusammen. Sie spürte, wie ihr Herzschlag allmählich schneller und kräftiger wurde. Sie glaubte es laut schlagen zuhören. Stevie glitt mit ihren Händen über die seinen, so als würde sie ertasten wollen wer er war. Sie war völlig überwältigt von den ganzen Eindrücken und Gefühlen zuvor, sodass sie sich einfach fallen ließ. Sie wusste eigentlich schon längst wer hinter ihr stand, sie spürte es ganz deutlich. Sie befand sich in einem immensen Zwiespalt ihrer Gefühle. Sie wollte einerseits, dass es Alex war und andererseits hoffte sie, er wäre es nicht. Hatte sie sich doch fest vorgenommen, ihn zu vergessen. Nur wie sollte sie ihn vergessen, wenn er doch alles dafür tat, um sie von ihrem Vorhaben abzubringen? Sie umwarb? Ihr all diese Überraschungen machte? Stevie ermahnte sich, jetzt nur nicht wieder schwach zu werden. Sie nahm also all ihren Mut zusammen, drehte sich um und sah nun direkt in seine Augen. In diese Augen, die sie all ihre Vorsätze und ihren neu gewonnen Mut vergessen ließen.
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#72

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Chapter 20
FSK 16

Stevie stand wie angewurzelt da und ließ sich von Alex´ Blick gefangen nehmen. Sie hatte nicht die Kraft sich seiner Aura wieder zu entwinden. Denn Willen für diesen Moment längst verloren. Ihr Herz schrie nach Alex. Nach seinen zarten Berührungen und seiner sanften Stimme. Jedoch schaltete sich langsam ihr Verstand wieder ein. Stevie konnte sich dem nicht wieder hingeben. Zu lange und zu holprig war der Weg gewesen, den sie ging. Zu viele Tränen hatte er gekostet und zu viel Leid abverlangt. Ihre Liebe zu Alex hatte gelitten unter den Umständen der Liebe und das sollte nun endgültig ein Ende haben. Jedoch fiel es ihr unendlich schwer, nicht an all die vergangenen Ereignisse zu denken. Nichts war Stevie je wichtiger gewesen in den letzten Jahren, seit sie nach Drovers kam, als die Freundschaft zu Alex zu hegen und zu pflegen. Dann kam ein Tag, ein einziger Moment, und alles hatte sich verändert. Ihre Gefühle für Alex, ihren besten Freund, hatten sich verändert und dies brachte viel Leid mit sich. Anfangs das Kämpfen gegen ihre Gefühle und für die Freundschaft. Dann tauchte plötzlich Fiona in Alex´ Leben auf und alles schien nur noch komplizierter. Vergebens hatte Stevie versucht, Alex rechtzeitig die Augen zu öffnen und letztendlich fand sie sich mit der neuen Frau an seiner Seite mehr oder minder ab. Doch hielt das Schicksal nicht an. Es nahm weiter seinen Lauf und schlug erbärmlich zu. Fiona belog Alex und dachte sich, so die Liebe und Zuneigung von ihm festhalten zu können. Für immer. Jedoch hatte sie bei dieser ganzen Sache vergessen, dass es eine Ryan-Frau gab, die ihr in mancher Hinsicht recht ähnlich schien. Sandra. Die Lügen von Fiona kamen schlussendlich ans Licht und von da an schien ihr Kampf um Alex verloren. Sie trennten sich und doch hatte Alex seine Frau von einer anderen, über all die Jahre ihm verborgenen, Seite kennen gelernt.

Nun stand Alex also hier. Das Schicksal hatte ihn hier auf diesen kleinen Hügel irgendwo im Outback gebracht und er blickte der Frau in die Augen, die er von ganzem Herzen liebte. Er fühlte sich gefangen in dem Blick des Augenpaares, welches auf ihn gerichtet war und das bescherte ihm eine Gänsehaut. Langsam erhob Alex eine Hand und führte sie in das liebliche Gesicht von Stevie. Sanft berührte er mit den Fingerspitzen ihre Wange und lächelte sie zärtlich an. Die Frau vor ihm schien sich nicht dagegen zu wehren. Vielleicht hatte ihre Liebe doch noch eine Chance und sie könnten noch einmal ganz von vorne beginnen. Alex ergriff mit der anderen Hand die ihrige und verschränkte seine Finger mit ihren. Er führte Stevie auf die Decke und beide setzten sich.
Stevie sah auf ihre Hände. Die eine Hand noch immer mit der von Alex verkeilt, die andere zu einer Faust zusammen ballend, vor lauter Nervosität. Sie wagte es nicht, ihren Blick zu erheben und Alex anzusehen. Zu groß war die Angst davor, alles zu vergessen was geschehen war.
„Warum tust du das, Alex?“, fragte Stevie ihn mit zitternder Stimme und starrte noch immer auf ihren Schoss. Warum sie ihm diese Frage stellte, dass wusste Stevie auch nicht. Sie war sehr gerührt von alledem hier. Jedoch machte es die Situation nicht einfacher und ihre Entscheidung nicht leichter.
Alex drehte sich etwas mehr zu Stevie hin und blickte sie an. Sein Herz schlug noch immer schnell und irgendwie schien ihm dieser Moment leichte Angst einzujagen. Stevie wäre längst gegangen, wenn sie ihn nicht wollen würde. Ihn nicht lieben würde. Alex wusste, dass die Zeit jetzt gekommen war, um Stevie seine Liebe zugestehen. Gerade vorher hatte er doch mit Nick noch darüber gesprochen gehabt. Nur, schienen ihm in dieser Sekunde nicht die richtigen Worte in den Sinn zukommen. Alex versuchte es dennoch und räusperte sich etwas.
„Stevie“, begann er leise und bemerkte, dass seine Stimme zu versagen drohte und brach. So sehr war Alex aufgeregt. Deswegen brauchte er dringend etwas Flüssigkeit. Er löste seine Hand aus Ihrer und nahm sich die Flasche Sekt aus dem Sektkühler heraus. Seine Finger zitterten. So sehr. Dann plötzlich, spürte Alex wieder Stevies Finger. Auf seinen Händen. Ein Blitz durchzuckte seinen Körper. Alex drohte so langsam die Fassung zu verlieren. Noch mehr zu verlieren. Stevie nahm ihm die Flasche aus der Hand und goss die zwei Gläser voll. Sie reichte ihm eines davon.
„Sekt?“, fragte die Rothaarige anschließend und lächelte ihn verlegen an. Alex war Stevie unsagbar dankbar in diesem Augenblick. Es wäre zu peinlich gewesen, wenn er den Sekt verschüttet hätte. Die Situation schien sich somit auch etwas zu lockern. Stevie hielt ihm das Glas entgegen und wollte ihm zu prosten. Alex tat es ihr gleich und die Gläser klirrten gegeneinander. Nur, was ist das anstoßen mit Sekt, wenn man nicht einen Trinkspruch dazu hat.
„Ich trinke auf dich, auf mich und auf unsere gemeinsame Zukunft“, sagte Alex deshalb und blickte Stevie dabei tief in ihre braunen Augen. Stevie hätte sich beinahe verschluckt.
„Alex...“, brachte sie gebrochen hervor. Sicher, irgendwann musste das kommen. Jedoch hatte Stevie gehofft, dass es für sie nicht so schwierig werden würde. Alex hatte sich so viel Mühe gegeben und genau das war es doch, was ihre Entscheidung zu gehen nur schwerer machte.
„Nein, Stevie“, unterbrach Alex sie in ihren Gedanken. „Lass mich bitte kurz ausreden.“ Alex hatte Angst, dass er seinen Mut und die gefundenen Worte wieder verlieren würde. Es war ihm wichtig, dass Stevie wusste was er für sie empfand. Die Rothaarige blickte wieder in ihren Schoss. Mit verkrampften Fingern hielt sie nun das Sektglas in den Händen und drehte es nervös in diesen. Alex atmete noch ein Mal tief durch und begann wieder zu sprechen.
„Weißt du, als ich in der Stadt war, ist mir etwas klar geworden. Ich habe etwas vermisst und erkannt, dass ich nicht dort bleiben konnte. Ich war mir urplötzlich sicher, ich müsste wieder zurückkommen. Zurück zu dir, Stevie“, sagte Alex und blickte Stevie dabei an.
Stevie hörte gar nicht, was genau Alex sagte. Sie lauschte einfach nur dem Klang seiner Stimme. Die Schwingungen drangen durch die Ohren in ihren Körper und ließen sie innerlich zittern.
„Stevie?“ Die Rothaarige schreckte auf und sah zu Alex. Sie schämte sich plötzlich, da sie Alex nicht wirklich zugehört hatte.
„Was genau willst du mir damit sagen, Alex?“, fand sie dann anscheinend die richtigen Worte. Denn Alex blickte nun zu Boden. Doch fasste er sich rasch und sah Stevie wieder in die Augen. Er lächelte.
„Was ich meine, ist, keine ist wie du. Du verzauberst mich, Stevie. Ich liebe dich. Schon so lange.“
„Aber...“, unterbrach sie Alex in seinem Redefluss, „...Fiona. Du bist mit ihr verheiratet“, sagte sie wehmütig. ´Und nicht mit mir´, beendete sie den Satz in ihren Gedankengängen.
Da war er wieder der Schmerz in seinem Herzen. Wieder wurde Alex auf den Boden der Tatsachen katapultiert, wie ein Boomrang, der wieder zurück zur Erde schießt. Alex wurde erst durch den ganzen Ärger um Fiona bewusst, was ihm hätte schon längst klar sein müssen. Alex fühlte sich immer wohl in Stevies Nähe. Sie war immer und überall für ihn da gewesen. Seit er sie kannte. Sei es die schwere Zeit nach Claires Tod oder die Erkenntnis, dass Harry verstorben war. Stevie half ihm darüber hinweg zu kommen. Wieder zu leben und letztendlich auch wieder zu lieben. Sie war es gewesen, die ihn aus dem tiefen, dunklen Loch herausholte. Sie rettete ihm das Leben und das nicht nur ein Mal. Stevie war seit jeher seine beste Freundin. Seine Seelenverwandte. Mit keinem anderen Menschen konnte Alex so reden und lachen, wie mit ihr. Bei keinem anderen Menschen konnte er so sich so fallen lassen, wie bei ihr. Bei Stevie konnte er stets er selbst sein. Bei ihr konnte er Alex sein.
„Stevie, ich liebe dich. Ich möchte den Rest meines Lebens mit dir verbringen. Das Alles hier hat für mich keinen Sinn, ohne dich.“ Alex stellte das leere Glas auf die Decke und breitete dabei seine Arme aus. „Es ist nicht mal halb so lebenswert, ohne dich“, hängte er noch hinten dran. Dann kehrte eine kurze Stille ein. Das nutzte Alex, um ein wenig näher zu Stevie zu rücken. Mit jedem Wort, das Alex´ Lippen verließ, machte ihr Herz einen Satz und mit jedem Sprung setzte sich der Herzschlag rasanter fort. Je mehr Alex sagte, was er dachte und fühlte, desto schwieriger wurde es für Stevie ihrem Verstand die Oberhand zu lassen. Diese Ruhe machte ihr nun mehr zu schaffen, als sie bisher angenommen hatte.
„Stevie...ich...“, durchbrach Alex´ Stimme die Stille wieder. Doch Stevie unterbrach Alex sogleich wieder, indem sie ihm einen Finger auf seine Lippen legte. Dieser Moment, der wie ein Herzschlag schien, sollte den restlichen Verlauf des Tages noch verändern.

Die Berührung ihrer zarten Finger auf seinen Lippen ließ Alex erschauern. Sein Herz hämmerte in seiner Brust wie ein Pressluftbohrer, der sich durch die Asphaltdecke drängte. Langsam bewegten sich ihre Lippen aufeinander zu. Als sie sich endlich zu einem Kuss trafen, glaubte Stevie, sie könnte das Blut in seinen Adern rauschen hören. Der Kuss wurde leidenschaftlicher und alles um sie beide herum verschwand. Sie nahmen nur noch den jeweils anderen wahr. Ihre Lippen entfachten das majestätisch lodernde Feuer der Leidenschaft und Begierde füreinander. Mit jedem Zentimeter, den sich ihre Hände gegenseitig über den Körper des Anderen vor wagten, kroch das Feuer hinterher und zog brennende Spuren auf der Haut. Ohne sich küssend voneinander zu trennen, schälten sich Stevie und Alex die Kleider vom Leib. Sie streichelten und liebkosten ihre Körper bis sie das Spiel nicht mehr ertragen konnten. Schließlich fanden sie sich in einer gemeinsamen Vereinigung wieder und gaben sich dem überbrodelnden Verlangen hin. Adrenalin und kochendes Blut vermischten sich und schossen in einem reißenden Strom durch die Körper der Liebenden. Sie gaben sich einem letzten Kuss hin, als die Flamme des heißen Verlangens ihre Körper durchzuckte. Stevies tiefes kehliges Stöhnen vermischte sich mit dem von Alex. Völlig ermattet und mit rasant klopfenden Herzen blieben beide nach dem Liebesakt aneinander gekuschelt liegen und horchten dem schnellen aber doch beruhigenden Herzschlag des jeweils Anderen.

Stevie dachte daran, wie es wohl sein würde, wenn Alex nicht in ihrer Nähe wäre. Wenn sie weit weg von alledem hier wäre. Wahrscheinlich wäre sie nur ein halber Mensch, der jede körperliche Aktivität automatisch über sich ergehen lässt, weil er es muss… Stevie löste sicher von Alex und setzte sich aufrecht hin. Sie streifte sich ihr weinrotes Hemd über und zog es ein wenig zu. Langsam wurde es frischer. Die Beine eng an ihre Brust gezogen und den Kopf auf den Knien abstützend, richtete sich ihr Blick weiter weg auf den Horizont, wo der Feuerball die Erde küsste. Sie in eine wunderschöne Farbenpracht, eine Mischung aus Purpurrot und Orange, tauchte. Dieses Schauspiel ließ Stevie ein wenig ruhiger werden und sie fragte sich, was genau in den letzten Stunden mit ihr passiert war. Sie ließ alles noch einmal Revue passieren, sah es direkt vor sich und doch wirkte es auf sie irgendwie surreal. Irgendetwas in ihrem Innern hatte sie dazu gedrängt, sich dem Schicksal und dem Verlangen hinzugeben und sie bereute nichts von alledem. Die Rothaarige ließ ihren Blick wieder auf den Mann, der neben ihr friedlich schlummerte, wandern. Sie legte ihren Kopf auf den Knien ab und beobachtete ihn einen Moment lang. Dabei schloss sie ihre Augen und wieder war das Bild da. Egal, ob sie die Augen geöffnet oder geschlossen hatte, immer sah sie ihn. Alex. Sie sah, wie ihr Blick über sein Gesicht streifte. Sah seine Augen, die so tief und blau wie der Ozean waren. Wie sie strahlten, wenn sie auf ihre Person gerichtet waren. Sah die kleinen Fältchen, die sich um seine Augen zogen, wenn er lachte. Stevie sah die kleinen Grübchen, die sich bildeten, wenn er grinste. Die leidenschaftlich geschwungen Lippen, die nahtlos in diese Grübchen überzugehen schienen. Plötzlich überkam sie wieder dieser Gedanke, einfach zu bleiben. Nicht fort zu gehen. Einfach hier bleiben und die Momente, die schöne, kommende Zeit mit Alex zu genießen. Doch sie hatte genug von alledem. Sie wollte nicht mehr verletzt werden und früher oder später würde es doch wieder geschehen. Jedoch hatte sie keine Chance gegen ihre plötzliche Sehnsucht.
Stevie vermisste seine Hände, die sie berühren. Vermisste seine Augen, die sie ansehen und dessen Blick, der sich auf ihrem Körper einbrennt. Sie vermisste seine leidenschaftlichen Lippen auf den Ihren. Sie vermisste Alex…
Der Klang ihres Namens, den der Wind zu ihr hinüber trug, ließ sie aufschrecken und erst jetzt realisierte sie, dass ihre Augen nass und ihr Gesicht feucht waren. Alex hatte sich gedreht, schlummerte jedoch noch immer tief und fest. Er musste von irgendetwas träumen. Er musste von ihr träumen. Schnell rieb sie sich die Tränen aus den Augen und wischte sich die Nässe aus dem Gesicht. Es versetzte ihr einen Stich in der Brust. Ein unerträgliches Ziehen in ihrem Herzen, wenn sie nur daran dachte, wie schwer es in der ersten Zeit ohne Alex werden würde. Doch sie musste es einfach versuchen. Sonst würde sie sich nie von Alex lösen können.

Stevie erhob sich von der flauschigen Decke. Sie suchte sich ihre Kleider zusammen und zog sich an. Die Rothaarige versuchte all ihre Gedanken über die Sehnsucht nach ihm wieder in ein Hinterstübchen, in irgendein Gewinde ihres Hirns zu verdrängen. Doch gelang ihr das ganz und gar nicht. Noch nicht. Aber es würde mit der Zeit besser werden. Davon war sie jedenfalls überzeugt. Also hob sie ihren Snowy River von der Decke auf und ging langsam und mit schweren Beinen zu Banjo. Noch ein letztes Mal blickte Stevie auf Alex, der von alledem nichts mitbekam und friedlich schlummerte. Sie band ihr Pferd von dem Baum los und ritt zurück zum Hotel. In eine neue Zukunft.
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Chapter 21
Der Mond erhob sich am Horizont und warf einen schwachen bläulichen Glanz zur Erde herab. Stevie ritt auf Banjo die verlassene Straße entlang zurück nach Gungellan. Sie fühlte sich leer und ausgebrannt, die Glieder waren schwer. Den Kopf abstützend auf dem Schopf des Wallachs, liefen ihr unaufhaltsam Tränen über das Gesicht. Es schmerzte so sehr. Das Herz. In den letzten Minuten fragte Stevie sich immer wieder, warum sie nicht einfach gegangen war, als Alex vor ihr stand. Warum hatte sie nicht einfach auf den Verstand gehört? Jetzt war der Schmerz, der sich um ihr Herz klammerte, noch unerträglicher. Kaum auszuhalten. Stevie wurde nun nicht mehr von diesem berauschenden Gefühl heimgesucht. Dieses Glücksgefühl, welches sie schweben ließ. Nun war dieses Empfinden quälend und stechend. Es biss sich durch ihren geschwächten Körper und riss alles nieder, was sich ihm in den Weg stellte. Wie eine Abrissbirne. Monströs und böse und nur trockenen Staub hinterlassend, der in den Augen tränt und die Sicht versperrt.

Der Zorn des Himmels ließ sie aufschrecken. Für einen Moment blieb sie still, bewegte sich nicht mehr. Aus Angst somit nur noch alles zu verschlimmern. Doch half es nichts. Wolken türmten sich auf und entluden sich Sekunden später über dem Outback. Donner krachte über sie. Gefolgt von gespenstisch zischenden Blitzen, die über dem schwarzen Himmel zuckten. Das Wasser des Firmaments ergoss sich auf dem Erdball und tauchte dessen Grund und Boden in eine überdimensionale Pfütze. Der Wind fegte über das Land. Wog die Äste und Blätter wild umher.
Kurz kam Stevie Alex wieder in den Sinn. Sie sollte umdrehen. Das wäre doch ein guter Grund um zu bleiben. Jedoch verwarf die Rothaarige den Gedanken sogleich wieder. Alex würde schon klar kommen und er war ja auch geschützt von dem Pavillon. Wo sich zwischenzeitlich die Tränen für kurze Zeit verflüchtigt hatten, verirrten sie sich nun wieder auf ihrem Gesicht und brannten in die gerötete Haut. Die Sehnsucht hielt nun wiederholt Einzug und erschwerte ihr das Atmen. Stevie musste sich dem einfach stellen und versuchen darüber hinweg zu kommen. Eine andere Wahl blieb ihr nicht.

Sie trat dem Pferd in die Flanken und verfiel in einen Galopp. Durchnässt und zitternd vor Kälte kam sie kurze Zeit später im Hotel in Gungellan an. Doch anders als zuvor gedacht, machte sie sich nicht ins Hotelzimmer, um dort zu nächtigen. Sondern packte eilig ihre sieben Sachen zusammen, zahlte die Rechnung und verließ den Ort, der ihr so viele Erinnerungen bescherte. Wenn sie nur weit genug weg war, so dachte sie, würde die Erinnerung schon mit der Zeit verblassen.

Alex schlug die Augen auf und blinzelte leicht. Er brauchte einen Moment, um sich der Situation bewusst zu werden. Wiederholt kamen ihm die Szenen vom Abend zuvor in den Sinn. Mit wieder geschlossenen Augen lag Alex da und tauchte in den Glanz und das Funkeln der Nacht ein. Ein zufriedenes und vollkommen ausgefülltes Lächeln erschien auf seinem Gesicht und setzte sich für einen Augenblick darauf fest. Jedoch erstarrte es genauso schnell wieder, wie es gekommen war. Ein Blick zur rechten und auch zur linken Seite machte Alex bewusst, dass Stevie nicht mehr da war. Die Kälte der flauschigen Decke neben sich verriet ihm, wie lange sie schon weg sein musste. Ein Stechen zog durch seinen Körper und ließ ihn frösteln. Stevie hatte ihn verlassen, ihn allein zurückgelassen. Tiefe Wunden verursachte diese Erkenntnis in seinem Herzen. Der Schmerz war kaum auszuhalten und wandelte sich schnell in Wut und Enttäuschung. Wozu hatte er sich all die Mühe gemacht? Alex schüttelte mit dem Kopf. Natürlich wusste er, wofür der ganze Aufwand gewesen war. Er kannte Stevie inzwischen besser als jeder Andere und wusste somit auch, dass er nicht aufgeben würde. Noch nicht verloren hatte. Die Hoffnung stirbt zuletzt, so hieß es doch. Wenn Alex ehrlich zu sich selbst war, dann hätte er sich denken müssen, dass es letztlich so geschehen musste. Dass es nicht einfach werden würde. Dennoch schmerzte es sehr. Aber noch war ja nicht aller Tage Abend. Hopfen und Malz sind ja bekanntlich auch nicht so schnell verloren. Alex erhob sich von der nackten, noch taufrischen Erde und machte sich daran, sämtliche Utensilien einzusammeln und fuhr vorerst zurück nach Killarney.

Stevie fuhr die letzten Meter der verlassenen und unbefestigten Straße auf Birdsville zu. In dem kleinen Örtchen, das für gewöhnlich nicht mehr als 115 Einwohner zählte, war in dieser Woche besonders viel Trouble. Alljährlich wurde dort ein Rodeo veranstaltet, das für eine Woche zahlreiche Besucher anzog. Die Rothaarige bog in die Straße ein, in der sich das Hotel befand. Vielleicht hatte sie ja Glück und es gab noch ein Zimmer. Jedoch musste sie sich mit dem Ute etwas einfallen lassen. Sie war sich sicher, dass Alex nicht so einfach aufgeben würde und sie wahrscheinlich bereits schon suchte. Stevie parkte das Auto in einer kleinen Gasse hinter dem hiesigen Hotel und stieg aus. Sie reckte und streckte sich etwas. Müdigkeit übermannte sie in diesem Augenblick immer mehr. Stevie war beinahe die ganze Nacht durchgefahren. Zwischendurch, als sie die Augen gar nicht mehr offen halten konnte, hat sie für ein paar Stunden eine Pause gemacht gehabt. Ausreichend war dies jedoch nicht gewesen. Stevie blickte hoch zum Himmelszelt und schirmte mit der Hand die Sonne etwas ab. Ein wunderschöner blauer Himmel erstreckte sich über sie. Vereinzelt konnte sie ein paar Schleierwolken sehen. Etwas weiter entfernt, fern ab von dem ganzen Rodeo-Trouble, erstreckten sich endlos weite Wiesen und Felder. Zur anderen Seite hinaus konnte man die Simpsonwüste erkennen.

Ein lautes, schrilles Hupen ließ Stevie aufschrecken. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie mitten auf der Straße stehen geblieben war. Nun machte sie einen Schritt zur Seite und wieder ertönte dieses schrecklich energische Hupen des Autos. Stevie hob abwehrend die Hand und schüttelte verständnislos mit dem Kopf. Dann ging die Rothaarige einfach weiter und lief die kleine Gasse entlang, die direkt zu dem Hotel führte. Die winzige Straße wirkte trostlos und verlassen. Grau schien in Grau überzugehen. Irgendwie schien Stevie sich hier nicht wirklich wohl zu fühlen. Die Menschen kamen ihr doch verfremdeter vor und auch die Umgebung, so schön sie auch anzusehen sein mochte, bescherte ihr nicht das Gefühl von Glück, Freude und irgendwie auch das von Geborgenheit. Es war einfach nicht dasselbe. Schmerzlich wurde Stevie wieder einmal mehr bewusst, was es bedeutete Sehnsucht zu haben. Sehnsucht nach zu Hause. Nach Drovers.
Wieder schlich sich der Schmerz des vergangenen Abends in ihr Herz und klammerte sich fest. Schnürte es eng, sodass sie kaum Luft bekam. Die ganze Nacht während der Autofahrt hatte sie an nichts anderes als an Alex denken können. Wenigstens in den letzten Minuten konnte sie für einen Moment die ganzen Bilder auf sich wirken lassen, die diese kleine Stadt hergab. Stevie wusste, dass es nicht einfach werden würde ohne Alex und die erste Zeit schon gar nicht. Aber das, was sie nun fühlte, war weitaus schlimmer und unerträglicher, als es jemals in ihrer Vorstellungskraft lag. Jetzt brach dieses fürchterliche Gefühl wiederholt über sie wie eine Lawine herein. Die junge Frau lehnte sich an das harte Gestein der Hausmauer und sank an dieser in sich zusammen auf den Boden. Sie schluchzte so laut, dass sie vorerst gar nicht bemerkte, wie sie ein junger Mann ansprach. Stevie erschrak leicht, als sie die doch recht sanfte Stimme vernahm und blickte mit Tränen überströmtem Gesicht auf. Sie beteuerte dem Fremden, dass es ihr gut gehen würde. Sie nur etwas Heimweh hätte. Auch wenn der Mann sie ungern allein lassen wollte in ihrem Zustand, tat er es dennoch auf Stevies Bitten hin. Die Rothaarige erhob sich von dem nackten, noch kalten Boden. Sie hatte einfach nicht das Bedürfnis und auch nicht das Verlangen nach Gesellschaft. Nach männlicher schon gar nicht. Stevie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und hatte sich soweit wieder im Griff, dass sie zumindest nicht gleich wieder in Tränen ausbrechen würde.

Wenige Zeit später betrat sie das kleine ländliche Hotel und ließ ihren Blick erst einmal umherschweifen. Von außen konnte man nicht erahnen, was dieses kleine Hotel hergab. Es hatte so einen Touch von Gemütlichkeit und irgendwie wirkte schon die winzige Hotellobby beruhigend auf sie. Die Einrichtung war gänzlich in einem schönen hellen Holz gehalten und an den Wänden hingen Bilder und Gemälde. Die Rothaarige ging auf die kleine Rezeption zu und erkundigte sich nach einem freien Zimmer. Jedoch konnte man ihr keine günstige Antwort geben. Was hatte sie auch erwartet? Das einzige Hotel weit und breit an einem Tag, an dem das Rodeo in der Gegend beginnen sollte. Wie konnte sie daran glauben, dass sie noch ein freies Hotelzimmer ergattern könnte? Etwas geknickt verließ sie die Hotellobby und machte sich auf zum Rodeoplatz, um wenigstens ein kleines Erfolgserlebnis an diesem Morgen zu haben. Viel war auf dem Platz, auf dem das Rodeo stattfinden sollte, noch nicht los. Wahrscheinlich würden die ersten Teilnehmer in ein paar Stunden auftauchen. Stevie lief über den mit Sand belegten Boden zum Wettkampfplatz hin. Gebannt stand die Rothaarige an dem metallenen Gitter gelehnt und beobachtete einen Moment die Szenerie.

Alex befand sich in der Zwischenzeit ebenfalls auf dem Weg nach Birdsville. Nick hatte ihm doch gesagt gehabt, dass er den Ort und das Wissen, wo dieses Rodeo stattfinden sollte, aus der Zeitung hatte. Also war er nach Killarney gefahren, packte sich ein paar Sachen ein und machte sich auf, um Stevie zu suchen und auch zu finden. Unterwegs hatte Alex noch auf Drovers angerufen und Bescheid gegeben. Nick konnte ihn zwar nicht ganz verstehen. Jedoch biss er auch auf Granit bei seinem Bruder. Um nichts auf der Welt hätte er Alex von dieser Aktion abhalten können. Also beschloss Nick, dass sein Bruder eben die Erfahrung machen sollte. Er hoffte nur inständig, dass es gut ausgehen würde und er Stevie überzeugen konnte, wieder mit ihm zurückzukehren.
Sämtliche Gedanken wirbelten in Alex´ Kopf umher. Die größte Sorge jedoch war, dass Stevie nicht zu diesem Rodeo gefahren war. Immerhin vermuteten die beiden Brüder ja nur, dass es die Rothaarige zu diesem Event nach Birdsville zog. Selbst, wenn Stevie nicht dorthin fuhr, wäre Alex´ Suche nach der Frau, die er über alles liebte, nicht beendet. Er würde nicht eher wieder zurückkehren, wenn er nicht alles Erdenkliche getan hätte, um sie zu finden und dazu zu bewegen mit ihm zurück nach Hause zu kommen. Die Landschaft, sofern Alex sie intensiv wahrnehmen konnte, flog nur so an ihm vorüber. Bäume streckten ihre Äste hinaus. So als wollten sie ihn irgendwie aufhalten. Doch gab Alex nicht viel auf dieses seltsame Schauspiel. Er würde nicht umkehren. Um keinen Preis auf der Welt.

Stevie stand noch immer an dem kalten Metall gelehnt und beobachtete die wenigen Teilnehmer, die sich auf dem Platz auf ihren Wettkampf vorbereiteten. Der feine, leicht rötliche Sand wirbelte auf bei den grazilen Bewegungen der Reiter und verflüchtigte sich allmählich in der Luft. Die Sonne brannte auf den Erdball und trocknete den Boden noch weiter aus. Die Oberfläche lechzte nur so nach Wasser. Doch ein Blick gen Himmelszelt verriet, dass es in nächster Zeit noch keine Chance auf Regen gab. Gut für die Rodeoteilnehmer. Eine Wettkampfabsage konnte Stevie nun ganz und gar nicht gebrauchen. Noch eine Enttäuschung an diesem Tag, wäre nicht zu verkraften.

Die Rothaarige stieß sich leicht von dem metallenen Gatter ab und stapfte in Richtung des Schiedsgerichts auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes. Dort war hinter dem mit Fahnen und Wimpeln der Nation und des hiesigen Territoriums ausgeschmückten Podest, für Laudator und Kampfgericht, ein Tisch aufgestellt worden. Dieser hatte ebenfalls die Ausschmückung der australischen Nationalflagge. Dahinter saßen zwei Männer, die angestrengt ihre Köpfe über die Unterlagen gesenkt hatten. Die Reiter, die im letzten Moment noch teilnehmen wollten, hatten so noch die Möglichkeit, sich auf die Teilnehmerliste setzen zu lassen. Zu ihnen gehörte auch Stevie. Die Anmeldefrist via Internet hatte sie ja nicht einhalten können, da zu diesem Zeitpunkt noch kein Grund für die Rückkehr zum Rodeo bestand. Vor ihr standen noch zwei weitere Last-Minute-Teilnehmer. Eine blonde Frau, mit schätzungsweise nicht mal 20 Jahren und ein Mann. Stevie begutachtete den Dunkelhaarigen und als sie in dessen grinsendes Gesicht blickte, zuckte sie leicht zusammen. Er war der ein wenig aufdringlich wirkende, aber doch äußerst attraktive und freundliche Mann, der ihr zuvor, als sie in Birdsville ankam, nicht mehr von der Seite weichen wollte.

„Hey, wir haben uns noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Noah. Noah Callaghan“, sagte der junge Mann und streckte ihr seine Hand entgegen. Stevie reichte ihm lächelnd ihre Hand. Sie hatte nicht genügend Zeit zu antworten, da die Frau vor ihnen gerade etwas beleidigt an ihnen vorbei rauschte und Noah ziemlich unsanft anrempelte. Noah blickte der Blondine leicht giftig hinterher und wandte sich anschließend dem kleinen kahlköpfigen Mann hinter dem Tisch zu. Er ließ sich auf die Teilnehmerliste schreiben und machte dann mit galanter Bewegung Platz für Stevie. Diese lächelte ihm dankbar entgegen und drehte sich schnell aus seinem Blick. Mit seiner Anwesenheit und Aufmerksamkeit verwirrte er sie, sodass Stevie aus Angst seinem Blick und seiner Nähe entweichen musste. Und das so schnell wie nur irgend möglich. Sie war froh, dass in diesem Moment der kleine Kahlköpfige nach ihrem Namen fragte. So musste sie nicht weiter über Noah nachdenken. Die Rothaarige musterte den kleinen Mann vor sich und ärgerte sich innerlich ein wenig, da dieser nicht ein Mal aufblickte und sie dabei ansah, als er sich nach ihrem Namen erkundigte. Ziemlich genervt und unfreundlich, wie Stevie fand. Aber sie musste sich ja nicht zu intensiv mit ihm beschäftigen.
„Wollen Sie nur meine kostbare Zeit vertrödeln oder auf die Liste geschrieben werden?“, entwich wieder die Stimme aus dem Mund des Mannes. Stevie rollte genervt mit den Augen und räusperte sich kurz. Sie musste sich extrem zusammennehmen, um ihm nicht gleich eine schnippische Antwort zu geben. Immerhin hatte dieser Kerl das Zepter in der Hand und wenn Stevie ihm nicht freundlich entgegenkam, dann würde er sie womöglich nicht mit auf die Teilnehmerliste setzen. Das wäre doch eine herbe Enttäuschung für die Rothaarige. Also räusperte sie sich und gab dem Mann die gewünschte Antwort.

„Grace Kingston“, entfuhr es Stevie aus dem Mund. Im ersten Moment erschrak sie über die gesprochenen Worte. Sie hatte sich während der Fahrt nach Birdsville schon Gedanken darüber gemacht gehabt, einfach unter anderem Namen an dem Rodeo teilzunehmen. Jedoch verwarf sie diesen Gedanken immer wieder und nun rutschte ihr doch ein anderer Name hinaus. Der Kahlköpfige hob nun seinen Kopf und blickte Stevie musternd an. Dann setzte er zu einem Lächeln an.

„Miss Kingston. Was für eine Ehre, dass Sie ausgerechnet in unser verschlafenes Nest gefunden haben, um am Rodeo teilzunehmen“, sagte der winzige Zwerg oberfreundlich und erhob sich von seinem Stuhl. Er reichte Stevie gerade mal bis zum Kinn und hatte eine recht unsymmetrische Figur für einen Mann. Er lächelte sie immer noch fortwährend an und streckte ihr seine Hand mit den kleinen Wurstfingern entgegen. Stevie ergriff dessen Hand etwas widerwillig und lächelte leicht gequält zurück. Sie hegte die größte Abneigung gegen diesen Mann und wusste nicht genau warum. Froh war sie, als dieser sich endlich wieder setzte und sie auf die Liste schrieb. Damit wäre das erledigt, dachte Stevie und ging einen Schritt zur Seite. Der mopsige Mann wünschte ihr noch viel Glück und Erfolg, ehe er seinen Kopf wieder über die Liste vor sich senkte und den Nächsten nach dem Namen fragte.
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#74

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Chapter 22
Stevie lief wieder über den Platz zurück in Richtung des kleinen Hotels. In der hinteren kleinen Gasse hatte sie ihren Ute geparkt und Banjo steckte noch immer in der schmalen, beklemmenden Box fest. Sie wollte den Wallach befreien und ihm ein wenig Bewegung verschaffen. Noah war ihr gefolgt und hatte sie auf halber Strecke eingeholt. Er hatte richtig Mühe mit Stevie Schritt zu halten. Die Rothaarige stoppte und holte tief Atem. Dann blickte sie den jungen Mann an.
„Hören Sie, ich bin schon ein großes Mädchen. Ich brauche weder ein Kindermädchen noch einen Aufpasser. Ich komm ganz gut alleine zurecht“, fuhr sie ihn an und bereute es im nächsten Moment auch schon wieder. Noah schien nett zu sein und sie konnte nicht leugnen, dass er verdammt gut aussah. Jedoch hatte sie nicht das Bedürfnis auf Gesellschaft, auch wenn es solch nette war. Noah lächelte verlegen. Er hatte es wohl ein wenig übertrieben. Nur Stevie hatte es ihm irgendwie angetan und somit wollte er nicht unbedingt locker lassen. Zumal sie doch zuvor sagte, dass sie Heimweh hätte. Es lag nun mal in seiner Natur, Menschen und ganz besonders wunderhübschen Frauen die Fröhlichkeit und insbesondere das Lachen wieder zugeben, wenn es ihnen nicht gut ging.
„Wie wäre es mit einem Kaffee?“, fragte er stattdessen und gab so gar nichts auf ihre zuvor gemachte Äußerung. Stevie seufzte etwas, gab aber schließlich nach. Vielleicht würde er sie ja dann in Frieden lassen, wenn sie den Kaffee mit ihm getrunken hatte.

Die beiden waren gerade in einem kleinen Café verschwunden, als Alex die winzige Stadt Birdsville erreichte. Nicht weit entfernt von dem Rodeoplatz parkte er seinen Wagen und stieg aus. Sein Blick wanderte etwas umher und er versuchte sich ein Bild von dem Treiben zu machen. Stevie konnte er jedoch nirgends entdecken. Ihm fiel der Tisch mit den zwei Männern auf und somit ging er direkt auf diesen zu. Dort angekommen, erkundigte er sich nach Stevie. Beide schüttelten mit dem Kopf. Niemand hatte sie gesehen und Alex selber sah sie auch nirgends. Nicht einmal das Auto oder Banjo konnte er ausmachen. Alex drehte sich noch mal zu den beiden Männern um und fragte sie nach einem anderen Rodeo in der Gegend. Doch auch dieses Mal schüttelten sie die Köpfe. Nun war doch die Situation eingetroffen, die Alex nicht erleben wollte. Er hatte so sehr gehofft, Stevie hier anzutreffen. Mit ihr reden zu können, sie erklären zu lassen. Doch war die Hoffnung in dem Augenblick verpufft, als er die so sehr unerwünschte Antwort bekam. Ein wenig geknickt, begab Alex sich also wieder zu seinem Auto und legte für einen winzigen Moment seinen Kopf auf das Lenkrad. Er schloss die Augen und dachte nach. Er überlegte, wie er wohl als nächstes fortfahren sollte. Wo er sie noch suchen konnte. Immer wieder sah er die Bilder vom Abend zuvor vor seinem inneren Auge. Sie liefen an ihm vorbei wie ein Film. Im Moment wusste er noch nicht, was für ein Ende dieser Film haben sollte. Alex hoffte noch immer auf ein gutes Ende. Ein Ende voller Freude und Glück. Nach einem Moment, in dem er in Erinnerungen schwelgte, erhob Alex seinen Kopf wieder und drehte den Zündschlüssel herum. Er lenkte seinen Ute auf die kleine Hauptstraße und fuhr aus dem Ort heraus. Wo sein Ziel lag, das wusste Alex nicht. Wahrscheinlich war es das Beste, sich in dem nächsten Ort ein Hotelzimmer zu nehmen und dort ein paar Stunden zu schlafen. Danach konnte er über alles Weitere nachdenken und sich überlegen, wo es Stevie sonst noch hingezogen haben könnte.
Alex fuhr immer weiter nördlich. Irgendwo musste doch hier auf dieser Straße ein anderer Ort sein. Ein Blick auf die Karte sagte ihm, dass in etwa 250 km der nächste Ort kommen musste. Das bedeutete rund zweieinhalb Stunden Autofahrt. Zeit, in der er wieder viel zu viel über Stevie und die vergangene Nacht nachdenken würde. Zeit, in der er sich Gedanken und Vorwürfe machen würde, warum er Stevie nicht hat aufhalten können und sich wie der letzte Trottel verhalten hatte. Alex wusste nicht, weshalb er Fiona geküsst hatte. Dabei lief alles so wunderbar und perfekt mit Stevie. Endlich hatten sie sich gefunden. Er war der wohl glücklichste Mensch auf Erden gewesen und dann nur eine einzige Sekunde, die alles jäh wieder zerstörte. Eine Sekunde, in der er nicht Herr seiner selbst war und alles schien mit einem Male verloren.

Noah war echt zu süß. Einfach wunderbar zuvorkommend und ganz Gentlemanlike. Stevie genoss seine Nähe langsam immer mehr. Sie war dankbar und glücklich über jede nur erdenkliche Abwechslung. Auch, wenn die Rothaarige anfangs nicht ganz von Noah und seinem Auftreten überzeugt war. Denn außer dass er verteufelt gut aussah, gab er ihr teilweise das Gefühl, als würde er sich aufdrängen wollen. Nur um in ihrer Nähe sein zu wollen. Das konnte sie nun auf den Tod nicht ausstehen. Jedoch hatte Stevie sich getäuscht. Noah unterhielt sie gut und er hatte das spezielle Talent sie von ihren Sorgen abzulenken und sie wieder zum Lachen zu bringen.
„Was halten Sie von einer Runde Pool?“, fragte Noah und war gespannt, was Stevie ihm antworten würde. Das Billardspielen war neben dem Rodeoreiten eine seiner größten Leidenschaften überhaupt. Im ersten Moment schluckte Stevie schwer. Wie sollte sie mit einem Mann so ohne weiteres Pool spielen können ohne dabei an Alex und ihre gemeinsam verbrachten Stunden beim Billard zu denken? Jedoch blickte Noah sie aus seinen treuherzigen Augen so liebevoll an, sodass der Rothaarigen gar nichts anderes übrig blieb, als dem zu zustimmen.
„Warum eigentlich nicht. Ein wenig Zeit bleibt uns ja noch bis zum ersten Wettkampf.“ Stevie lächelte ihrem Gegenüber zaghaft zu. Wieder, wie schon so oft in den Letzten Minuten, blickte sie Noah in seine strahlenden Augen und bekam dabei mächtiges Herzklopfen. Stevie schüttelte innerlich heftig mit dem Kopf. Sie wollte es nicht erneut so weit kommen lassen. Nicht wieder wollte sie sich in nächster Zeit auf einen Mann einlassen. Da sie ja doch von neuem nur enttäuscht werden würde. So wie bei Alex. Zum wiederholten Male wanderten Stevies Gedanken zu Alex. Genau das wollte sie doch verhindern. Noah sprang in dem Moment von seinem Stuhl auf und reichte ihr seine Hand. Stevie blickte nun verwirrt von seinen Augen hinunter zu seiner Hand, die er ihr entgegenstreckte. Noah brachte sie nicht nur mit seiner Aufmerksamkeit durcheinander. Auch seine Gesten, wie eben diese, ließen sie ganz aus ihrem Konzept kommen. Stevie ergriff seine Hand und ließ sich von ihrem Stuhl hinaufziehen. Gemeinsam gingen die Beiden hinüber zu einem der Billardtische. Noah wollte Stevie gern den Vortritt lassen, reichte ihr den Queue und machte eine galante Handbewegung. Stevie lächelte ihrem Gegenüber zaghaft zu. Sie wagte es nicht Noah in die Augen zu sehen. Die Rothaarige setzte zum ersten Stoss an, doch leider ging der daneben. Nun war ihr Mitspieler an der Reihe. Zeit genug für Stevie wieder ordentlich Luft zu holen. Noah schob eine Kugel nach der anderen in die Taschen. Verdammt er sah nicht nur verteufelt gut aus, er konnte auch noch außerordentlich perfekt Billard spielen. Stevie beobachtete den Mann vor sich nun aufmerksamer. Noah hatte unglaublich weiche Gesichtszüge, die zärtlich von vereinzelten dunklen Haarsträhnen umspielt wurden. Wenn er lachte, dann kamen seine weißen Zähne zum Vorschein, die einen absolut sexy Kontrast zu seiner braungebrannten Haut bildeten. Die kleinen Grübchen, die seinen Mund umgaben, wenn er sie zu einem Lächeln verzog, drohten Stevie nahezu um den Verstand zu bringen. Die endlos erscheinenden Wimpern in dem perfekten Gesicht des jungen Mannes waren zusammen mit den tiefbraunen Augen eine fast mörderische Waffe. Gerade jetzt während des Spiels, bei dieser Körperhaltung, blieb Stevie für einen Moment der Atem weg. Noch dazu war Noah gerade dabei sich sein Hemd, welches die ganze Zeit über lässig über seinem Shirt lag, auszuziehen. Vorher konnte man nur erahnen, wie perfekt er gebaut ist. Doch jetzt gab er mehr von sich und seiner anmutigen Statur preis, als ihr lieb war. Sein Körperbau glich dem eines durchtrainierten Athleten. Die Muskeln waren nahezu perfekt ausgeprägt und kamen genau an den richtigen Stellen wunderbar zur Geltung. Noch nie war Stevie so eine Art von Mann unter die Augen gekommen. Er war wirklich nicht der Typ Mann, den man für gewöhnlich als süß oder niedlich bezeichnen konnte. Nein, dieser Mann war außergewöhnlich schön. Makellos schön.
Stevie war so vertieft in ihren Betrachtungen, dass sie sich ganz und gar nicht mehr auf das Billardspiel konzentrierte und somit auch nicht mitbekam, wie Noahs letzter Stoss daneben ging. Verdutzt schaute er zu der Rothaarigen hinüber, da sie auch keine Reaktion zeigte, als er sie ansprach. Plötzlich traf sein Blick auf ihren. Stevie erschrak leicht und drehte sich ein wenig beschämt von Noah weg. Sie nahm einen Schluck von ihrem Wasser und atmete tief durch, ehe sie sich wieder zu ihm herumdrehte. Auf Noahs Gesicht legte sich ein breites unwiderstehliches Grinsen nieder, was ihm eine noch viel exotischere Präsenz verlieh. Dieser Mann war einfach unglaublich umwerfend. Stevie musste sich dringend eine Ausrede einfallen lassen, damit sie aus seinem Umfeld heraus kam. Also entschuldigte sie sich bei Noah und bedankte sich für die wunderbaren letzten Stunden. Für die Ablenkung, die er ihr geschenkt hatte. Danach lief sie schnell aus dem Café heraus auf ihren Ute zu. Sie musste sich unbedingt beruhigen. Denn wegen eines Mannes, dessen Aufmerksamkeit sie ganz weich und verletzlich werden ließ, wollte sie nicht schon wieder leiden. Sie wollte nicht schon wieder enttäuscht und fallengelassen werden. Hätte sie auch nur ansatzweise geahnt, wie sehr sie auf Noah noch angewiesen sein würde, dann hätte sie vermutlich nicht so plump und abwehrend gehandelt…
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#75

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Chapter 23
Endlich, nach einer ununterbrochen, stetig gleich bleibenden Zeit auf der tristen, verlassenen Straße von Birdsville in Richtung Norden, erreichte Alex einen kleinen Ort Namens Boulia. Die winzige Gemeinde schien noch kleiner und unbewohnter als der Ort, den er vor noch nicht einmal drei Stunden verlassen hatte. Es war auch nicht sonderlich schwer hier in der Ecke des öden Outbacks den hiesigen Pub ausfindig zu machen. Alex parkte sein Auto und ging auf das kleine Lokal zu. Er setze zuerst den einen Fuß hinein und zog sogleich den Anderen hinterher. Die paar Leutchen, welche in dem kleinen Wirtshaus saßen, richteten neugierig ihre Augenpaare auf den großen Fremden. Alex wurde gemustert von den Männern und Frauen wie ein Stück Vieh auf einer dieser typischen Auktionen, die er oft besuchte. Einen Moment betrachtete er die Menschen ebenso intensiv, wie sie es bei ihm taten. Dann wagte er einen Schritt weiter hinein. Noch einen. Und noch einen. Alex kam sich so vor als wäre er in einem Wild-Western-Streifen gelandet. Dort wurden Fremde genauso von oben nach untern und von unten nach oben beäugt. Doch wurden die Fremden, oft düsteren Gestalten, zu Duellen der Männlichkeit herausgefordert. Was wiederum meist bedeutete, dass einer der Beiden Duelllisten wohl nicht mehr heil aus der Sache herauskam.
Alex zuckte innerlich leicht zusammen, als sich von hinten eine Hand auf seine Schulter legte. Er drehte sich herum und blickte den Mann aus zusammengekniffenen Augen an. Er war schon fest darauf vorbereitet sich zu wehren. Jedoch machte das Verhalten des Mannes klar, dass dieser wohl nicht mehr in der Lage sein sollte einen Streit anzuzetteln. Geschweige denn als Gewinner des Duells hervor gehen würde. Er hielt sich an Alex´ Schulter nur fest, da sein Zustand es ihm nicht mehr gestattete, selbstständig auf den Beinen zu stehen. Ein anderer Mann trat nun auf Alex zu und stütze den betrunkenen Mann, dessen Finger sich noch immer in Alex´ Schulter krallten. Kopfschüttelnd sah Alex den beiden Männern einen Moment nach und ging dann auf die kleine Bar des Pubs zu. Hinter dem Tresen stand der Wirt des Lokals. Bekleidet mit einem zerrissenen karierten Hemd und einem leicht zerschlissenen Cowboyhut auf dem Kopf. Der Mann hatte ein doch recht schon gelbliches Stück Stoff in der Hand und wischte damit über die Theke aus dunkelrotem Holz. Irgendwie schien Alex dieser Ort nicht ganz geheuer. Er hatte etwas Gespenstisches an sich. Für gewöhnlich machte er sich nichts aus solchen Sachen. Er musste ja nicht lange bleiben. Wollte er auch nicht. Nur für einen Tag und die darauf folgende Nacht. Dann würde er weiterziehen und die Suche nach Stevie fortsetzen. Aber zuerst einmal musste Alex sich klarmachen, nach was genau er Ausschau halten sollte und vor allem wo er anfangen sollte.
Der Mann hinter der Theke hatte dieses gelbliche Stück Stoff, was er für einen Lappen hielt, beiseite gelegt und schenkte nun seine ganze Aufmerksamkeit dem Fremden. Er blickte Alex aus seinen winzigen Augen mit den grauen Pupillen an. Alex erschauderte etwas. Der Anblick des Mannes hinter dem Tresen ließ seine Abneigung zu allem, was mit dieser Stadt und dieser Kaschemme zu tun hatte, immer weiter hervortreten. Nicht nur, dass dieser winzige Gnom schon von seiner Kleidung her keinen sonderlichen Eindruck hinter ließ. Auch sein Auftreten den Gästen gegenüber war nicht gerade sehenswert. Hoffentlich waren die Zimmer nicht in demselben Zustand, wie alles andere. Aber Alex hatte einfach keine andere Wahl. Er musste sich hier für die Nacht niederlassen. Denn er war müde. Müde von der langen Fahrt. Der nächste Ort war in dieser Gegend einfach zu weit weg und noch ein Mal etliche Kilometer in den nächsten Ort hinter sich zu bringen, dazu war Alex im Augenblick einfach nicht im Stande. Sicher war es auch nicht, dass in der nächsten Ortschaft die Menschen und der einzige Pub einen besseren Eindruck machen würden. Die raue, verrauchte Stimme des Wirtes riss Alex aus seinen Gedanken.
„Was kann ich für dich tun, Fremder?“
Alex blickte auf. Er machte sich normalerweise nichts daraus, wenn man ihm gleich sehr persönlich kam. Aber mit Fremder angesprochen zu werden, war nicht gerade die Höflichkeit schlechthin.
„Hätten Sie vielleicht noch ein Zimmer frei?“
Es fiel ihm nicht leicht diese Frage über die Lippen zubringen, jedoch war es nicht anders möglich. Der Mann mit dem verschlissenen Cowboyhut nickte etwas mürrisch und tapste ein paar Schritte in die Richtung, in der an der Wand eine Art Kasten hing und sich die ganzen Zimmerschlüssel befanden. Dieser Pub hatte also mehr als ein Zimmer zur Verfügung. Kein Wunder. Der Eindruck dieser Örtlichkeit hatte auch keine anderen Erwartungen geschürt auf Alex. Er versuchte diese Sache so schnell wie nur irgend möglich hinter sich zu bringen und ließ sich einen Zimmerschlüssel geben und bestellte sich einen großen, starken Kaffee. Den könnte er nur zu gut gebrauchen in diesem Moment. Denn es graulte ihm schon jetzt, sich in die obere Etage zu begeben.

Stevie lief durch die Straßen von Birdsville. Leicht planlos. Ein paar Minuten später fand sie jedoch ein schönes Fleckchen, wo sie sich für einen Augenblick niederlassen und einfach nur an nichts denken konnte. Die Rothaarige bemerkte anfangs gar nicht, dass sie die kleine Stadt schon verlassen hatte. Sie blieb an einer Stelle stehen und blickte zurück. Birdsville war nur noch leicht an den Silhouetten ausfindig zu machen. Stevie ließ sich nun auf einen Stein nieder und blickte über das weite Land hinaus. Ein schöner Anblick. Etwas beruhigend wirkte es auf sie. Doch auch wenn diese Landschaft sie zu beeindrucken schien, so konnte man es nicht vergleichen mit dem, was sie auf Drovers kennen gelernt hatte. Stevie versuchte wirklich alles, um nicht immer und immer wieder an die Vergangenheit zu denken. Aber leicht war es nicht. Ganz und gar nicht. Wenn man erst ein Mal so etwas wie Drovers gesehen und auch Jahre seines Lebens dort verbracht hatte, dann war es schwer sich nicht mehr daran zu erinnern. Das Land war womöglich voll mit wundervollen Ecken, mit Sicherheit. Doch war es auch das Drumherum, was Drovers so besonders machte. Die Menschen machten diesen Ort zu etwas Individuellem. Die Liebe dieser Menschen zueinander machte Drovers außergewöhnlich. Man konnte gar nicht anders, als sich an diesem Fleckchen wohl zu fühlen. Sich geborgen zu fühlen. Die Sehnsucht und der damit verbundene Schmerz drohten Stevie wieder zu überfallen. Das jedoch wollte und konnte sie nicht. Nicht schon wieder und nicht jetzt. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es schon bald losgehen würde. Das Rodeo. Also rappelte sich die Rothaarige auf und lief zurück nach Birdsville. Sie musste sich auf den Wettkampf vorbereiten und Banjo hatte sicher auch so langsam genug davon, die ewig lange Zeit in dieser fürchterlichen Enge zu verbringen.
Stevie führte den Wallach aus dem Anhänger heraus und ging ein paar Schritte mit ihm. Anschließend tränkte sie das Pferd und tat ihm noch etwas Gutes, in dem sie ihn striegelte und abbürstete. Banjo genoss diese Prozedur immer sehr. Was sicher auch nicht oft vorkam, dass ein Pferd so sehr mit dem zufrieden war und sich das ewiglange Striegeln und Bürsten gefallen ließ. Aber der braune Wallach liebte es sehr und somit war nicht nur ihm die notwendige Massage getan, sondern auch Stevie selbst war damit geholfen. Denn dadurch festigte sich die Bindung zwischen Pferd und Mensch nur noch mehr und machte es zu etwas Besonderem. Und hatten Beide erst ein Mal Gefallen daran gefunden, so fand man einen Freund fürs Leben.

Zu Alex´ Erstaunen waren die Zimmer in einem sehr guten und sauberen Zustand. Zumindest dieses, welches ihm zugewiesen wurde. Es hatte sogar etwas Gemütliches an sich und irgendwie wirkte es auch beruhigend. Zu beruhigend wohl, denn nicht lange nachdem Alex sich auf das Bett gelegt hatte, war er eingeschlafen. Erst das Klingeln des Telefons, welches keine Ruhe mehr zu geben schien, riss ihn aus seinem unruhigen Schlaf. Alex schreckte auf und setzte sich aufrecht hin. Für einen kurzen Moment musste er sich sammeln und sich bewusst machen, wo genau er sich befand. Das Telefon jedoch surrte munter weiter und gab keine Ruhe.
„Alex Ryan“, murrte Alex in den Hörer.
„Alex, wo steckst du?“, fragte Nick. Alex wollte sich eigentlich auf Drovers melden. Aber da nach Stunden noch immer nichts von ihm zu hören war, wollte Nick einfach nur wissen, ob er Stevie nun schon gefunden hatte.
„Fest“, erwiderte Alex wortkarg. Ihm war einfach nicht wohl dabei, einen so gutgelaunten Menschen an der Strippe zu haben. Das machte ihm nur wieder mehr bewusst, wie ausweglos und hoffnungslos seine Suche bisher verlaufen war.
„Das klingt wirklicht nicht toll. Geht es dir gut? Warst du denn bei dem Rodeo schon gewesen?“
„Ja, natürlich. Aber leider ohne Erfolg. Ich hab nur keinen blassen Schimmer wo ich in dieser gottverdammten Gegend noch nach ihr suchen sollte.“
„Hast du dir mal die Zeitung von heute angesehen?“
Alex vernahm ein Rascheln am anderen Ende der Leitung.
„Was soll das bringen? Mich interessiert nicht sonderlich, was heute auf der Farm von Hinz und Kunz aufregendes geschehen ist und welches Rind sich nun wieder verlaufen hat oder Menschen mit einem Grasbüschel verwechselt hat.“ Alex rollte leicht genervt mit den Augen. Sein Bruder konnte manchmal die blödesten Ideen haben. Auch wenn sie noch so vernünftig schienen.
„Naja, ich denke das könnte dich allerdings interessieren. Denn in der Zeitung ist eine Grace Kingston abgebildet. Man erwartet sie auf dem Rodeo.“
„Muss man die kennen?“
„Nicht wirklich. Also ich denke nicht. Aber hier zu dem Bild gibt es noch einen kleinen Artikel, in dem Stevie auch erwähnt wird.“
Nun wurde Alex hellhörig und er spitzte seine Ohren. Nick konnte ihn so manches Mal zur Weißglut bringen mit seiner Gelassenheit und seine spitzen Bemerkungen machten die Situation auch nicht viel erträglicher.
„Mensch Nick, könntest du vielleicht eventuell mal etwas präziser werden? Lass dir doch nicht immer alles aus der Nase ziehen.“
„Ich dachte mir nur, dass es für dich von Bedeutung sein könnte, wenn du das weißt. Denn in dem Artikel steht, dass diese Kingston und Stevie früher gemeinsam auf den Rodeos anzutreffen waren. Vielleicht kann sie dir weiterhelfen und weiß wo Stevie sich aufhält.“
„Danke Nick!“, rief Alex in den Hörer, legte auf und warf das Telefon achtlos auf das Bett. Er schnappte sich seinen Zimmerschlüssel und eilte die Treppe hinunter zu dem Mann hinter dem Tresen.

Die Menschen klatschten und jubelten. Die letzte Teilnehmerin vor Stevie war gerade zum Ende gekommen. Ihre Zeit war gut gewesen. Was Stevie nur noch nervöser machte und sie dazu trieb sich die Fingernägel, bis es schmerzte, abzukauen. Wieso machte ihr das nur so zu schaffen? Sie war doch sonst nicht so. Eigentlich konnte sie sich sicher sein, dass alles gut lief. Aber dennoch machte ihr die Zeit der Vorreiterin ziemlich zu schaffen.
Stevie brachte sich und Banjo nun in die Position. Jetzt würde es ernst werden. In der Startbox atmete sie noch ein Mal hörbar tief durch und positionierte sich so gut, dass sie einen schnellen Start hinlegen konnte. Die Rothaarige gab schließlich mit einem Kopfnicken das Zeichen, dass sie bereit war. Das Gatter der Box schnellte zu beiden Seiten auf und das Kalb bekam einen Vorsprung von etwa zwei bis drei Metern. Bis sie sich jedoch mit Banjo in Bewegung setzte, hatte das Kalb schon an die zehn Meter Vorsprung bekommen. Nun hieß es Schnelligkeit und Geschicklichkeit beweisen. Stevie holte rasch auf und hatte nach wenigen Sekunden eine Distanz von etwa fünf Meter, genau die richtige Entfernung für die Lassoaktion. Mit der rechten Hand ließ sie die Schlinge über dem Kopf kreisen, und warf sie im richtigen Moment in Richtung Kalb. Die Schlinge legte sich um den Hals des Kalbes und nun war es nur noch eine Frage von Sekunden, bis sich das Kalb nicht mehr vom Fleck bewegen konnte. Jedoch war das Tier ein stures und viel zu geschicktes. Mit der Schlinge um den Hals lief es nicht mehr davon, sondern direkt auf Stevie und ihr Pferd zu. Für gewöhnlich verhielt es sich in der Disziplin des Ropings so, dass der Reiter, nachdem die Schlinge um den Hals des Kalbes befördert wurde, sein Pferd stoppte und sich das Lasso dadurch straffte. Aber dieses Kalb, welches nun auf Stevie direkt zukam, war anders als gewöhnlich. Die nächsten Sekunden liefen wie ein schlechter Film ab. Das Kalb war so aufgebracht, dass es in seiner Angst und Panik gegen die Vorderbeine des Pferdes rannte und der Wallach somit nach vorn einknickte. Die Zuschauer verstummten augenblicklich und hielten vor Entsetzten den Atem an. Wie in Zeitlupe beobachteten sie wie die Rothaarige den Halt an Zügel und Sattelhorn verlor und in hohem Bogen vornüber den Kopf des Pferdes flog. Das Geräusch, welches nun in die Ohren der Menschen drang, konnte sogar in den hintersten, letzten Reihen vernommen werden. Stevie prallte mit voller Wucht gegen die stählernen Absperrgitter und blieb schließlich reglos am Boden liegen.
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Chapter 24
Einige Wochen nach dem Unfall...

Alex fuhr mit seinem schwarzen Ute über die staubtrockenen Straßen des öden Outbacks. Immer weiter Richtung Killarney. Die Sonne brannte stark auf die Erde hinab. Heizte nicht nur seinen Wagen auf.
Die ganze Gegend hatte Alex in den letzten Wochen abgesucht. Überall, wo es ein Ereignis gab, hatte er Halt gemacht. Sich umgesehen. Die Leute nach Stevie ausgefragt. Doch niemand konnte ihm eine befriedigende Antwort geben. Nirgends konnte Alex sie entdecken. Sogar in Melbourne war er gewesen. Bei ihrer Schwester und bei Rose. Aber auch da war sie nicht aufgetaucht. Hatte sich nicht ein Mal gemeldet. Kein Lebenszeichen von sich gegeben. Immer wieder hielt er Kontakt nach Drovers. In der Hoffnung, sie würde doch wieder auftauchen. Zurückkehren. Nach Hause. Zu ihren Freunden. Ihrer Familie. Zu ihm.

Müde strich Alex sich mit der Hand über das Gesicht. Seit fast vierundzwanzig Stunden hatte er kein Auge mehr zu getan. Fand er doch einmal Ruhe, lag er nur stumm und gedankenverloren auf irgendeiner Matratze in irgendeinem Motel. Seit Wochen schlief Alex nicht mehr richtig. Viel zu sehr war er darauf erpicht, Stevie zu finden. Seine Gedanken kreisten immer wieder darum, wo er als nächstes hinfahren konnte. Wo er als nächstes nach Stevie suchen sollte. Doch jetzt, nach fast sechs Wochen, hatte er die Hoffnung aufgeben, sie jemals wieder zu finden.
Alex bog in die Einfahrt von Killarney ein und lenkte das Auto schließlich auf den Hof. Er stellte den Motor aus und verharrte noch einen Moment still und regungslos. Sein Kopf war schwer und leer. Er krallte seine Hände um das runde, mit Leder überzogene, Lenkrad und legte müde und am Ende seiner Kräfte den schweren Kopf darauf ab. Für einen kurzen Moment schloss Alex seine Augen. Er wusste, dass er Stevie nun endgültig verloren hatte. Jetzt, da er die Hoffnung aufgegeben hatte. Jetzt, da er am Ende seiner Kräfte angelangt war. In seinem Kopf drehte sich alles. So sehr, dass ihm schlecht wurde. Immer wieder fragte er sich in den letzten Wochen, wie es hatte nur soweit kommen können. Weshalb hatte er Stevie nicht aufgehalten? Wieso hatte er sie einfach gehen lassen? Doch so sehr er auch versuchte eine passende und zufriedenstellende Antwort darauf zu finden, es gelang ihm einfach nicht.

Ein dumpfes Klopfen an der Fensterscheibe des Utes ließ Alex aufschrecken. Er blickte auf und musste leicht blinzeln. In den Minuten, die sein Kopf schwer und müde auf seinen Händen lag, hatte er nicht bemerkt, wie sich seine Augen mit Tränen füllten und nun über seine Wangen liefen. Wieder ertönte das dumpfe Pochen gegen die Scheibe. Träge bewegte Alex seinen Kopf zur Seite und entdeckte Marcus. Schnell rieb er sich mit den Händen über die Augen und versuchte so zu vertuschen, dass er geweint hatte. Dann stieg Alex aus seinem Auto aus.
„Du siehst müde aus“, sagte Marcus sanft und legte seinem Bruder beruhigend eine Hand auf die Schulter. Alex nickte nur stumm und sah auf den Boden. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Viel zu sehr hat die Erkenntnis, dass er Stevie nicht finden würde, in den letzten Stunden an seinen Nerven gezerrt.
„Komm mit rein ins Haus und ruhe dich erst ein Mal aus.“ Marcus stieß seinen Bruder leicht in die Richtung des Hauses, zog seine Hand aber nicht von dessen Schulter weg.

Die beiden Brüder betraten das Wohnzimmer und für einen Moment blieb Alex regungslos mitten im Raum stehen. Resigniert sah er sich um. Ließ seine Augen umher schweifen. Mit hängenden Schultern ging er schließlich auf die Couch im Wohnzimmer zu und ließ sich seufzend darauf nieder. Erschöpft schloss Alex die Augen. Sechs Wochen lang war er durch jede verdammte und noch so kleine Stadt im Outback gepilgert. Hatte in sämtlichen Pubs und Motels nach Stevie gefragt und in jedem wenigstens eine halbe Stunde verweilt. Nur um dann doch wieder enttäuscht und vollkommen geknickt weiter ziehen zu müssen. In die nächste Stadt. In den nächsten Pub. Das nächste Motel.
Marcus stand vollkommen hilflos da und blickte auf seinen Bruder. Irgendwie musste er nun versuchen Alex auf andere Gedanken zu bringen. Er musste versuchen, dass sein Bruder etwas zur Ruhe kam und wieder Kraft tanken konnte, ehe er wieder los zog.
„Wie wäre es mit einem kühlen Bier? Oder vielleicht willst du erst einmal etwas essen?“, fragte Marcus. Er machte sich Sorgen um ihn. Alex hatte auch schon mal bessere Tage gehabt. Leicht mitgenommen und vollkommen ausgelaugt sah er aus. Was ja auch kein Wunder war, so lange wie er nun nach Stevie schon suchte.
„Kein Hunger“, erwiderte Alex resigniert und blickte Marcus mit leeren Augen an. „Aber Bier hört sich nicht übel an“, hängte er noch hinten dran. Alex rieb sich müde die Schläfen. Das war jetzt wohl genau das Richtige für ihn. Ein kühles Bier auf der Veranda. Marcus verschwand aus dem Wohnzimmer und Alex versuchte sich ein Lächeln auf das Gesicht zu zaubern. Entschlossen stand er schließlich auf und ging im Wohnzimmer umher. Sein Blick fiel auf den Schreibtisch, der unmittelbar vor dem Fenster stand. So viel ungeordnete Blätter. Alex schüttelte mit dem Kopf. Viel zu lange hatte er Marcus und Nick mit den ganzen Arbeiten auf der Farm allein gelassen. Auch wenn keiner von Beiden je ein Wort darüber verloren hatte, so glaubte Alex, dass sie wirklich viel zu tun hatten, während er einem Hirngespenst nach dem Anderen nachjagte. Gedankenverloren ließ Alex seine Finger über die Schriftstücke gleiten. Wonach er Ausschau hielt oder suchte, das wusste er selbst nicht genau. Unter sämtlichen kreuz und quer gelegenen Blättern fiel ihm eines in die Hände, was Alex kurzerhand innerlich zusammenzucken ließ. Er zog es unter all den anderen hervor und betrachtete es einen Moment. Zärtlich strich er mit dem Zeigefinger über die Buchstaben der Unterschrift, die in allergrößter Eile niedergeschrieben wurden. Ein winziges, verträumtes Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Er konnte sich noch genau an den Moment erinnern, als Stevie ihm das Papier in die Hand gedrückt hatte. Für einen Augenblick schloss Alex die Augen und sah die Bilder genau vor sich.

Stevie hatte mal wieder eine ihrer bescheuerten und unüberlegten Ideen gehabt. Natürlich, wie sollte es anders sein, ging der Versuch, ihrer Freundin auf eine so unüberlegte Weise helfen zu wollen, in die Hose. Die Rothaarige hatte versucht das bisschen Geld, was Drovers für die notwendigen Materialien noch erübrigen konnte, bei einem Pokerspiel zu vermehren. Unüberlegt. Doch im Grunde nur wahnsinnig gut gemeint. Stevie hatte wohl nicht damit gerechnet, dass es auch anders ausgehen könnte und sie letztlich vollkommen leer und ohne Geld da stehen würden. Wie sie das nun Tess erzählen sollte, das wusste sie selber nicht genau. Ein total schlechtes Gewissen plagte sie. Wieder einmal hatte sie erst gehandelt und dann darüber nachgedacht. Stevie ärgerte sich sehr über sich selbst. Wann würde sie endlich aus ihren Fehlern und unüberlegten Sachen lernen? Nur solange sie immer wieder mit dem Schrecken davon kommen würde, wohl eher nicht. Jedes Mal, wenn sie in irgendeiner Weise unvernünftig gehandelt hatte, schaffte sie es doch wieder auf seltsame Art und Weise, dass alles gut wurde. So auch in diesem Fall. Die einzige Möglichkeit, die ihr nun noch blieb, war, dass sie irgendwie versuchen musste, Tess wieder zu beruhigen. Ihr zeigen, dass sie es Ernst meinte, mit der Hilfe. Das Geld hatte sie wieder zurückbekommen, aber diese Sache stimmte Tess nun auch nicht glücklich. Wie sollte sie denn ihrer Freundin Vertrauen schenken, wenn sie doch jedes Mal auf andere Hirngespinste kam?
Stevie musste mehr Zeit schinden, um sich genauestens zu überlegen, was sie nun tun könnte. Aber diese Zeit, die hatte sie nicht. Sie wusste keinen Ausweg mehr. Doch kam ihr seltsamer Weise Alex in den Sinn. Wieso auch immer, aber er schien ihr die beste Lösung für dieses Dilemma zu sein. Wahrscheinlich würde Alex sie auslachen oder aber wütend reagieren. Nur hatte Stevie keine andere Wahl. Sie musste es einfach riskieren.

Wenig später parkte die Rothaarige ihren Wagen auf dem Hof von Killarney. Sie blieb noch einen Moment im Auto sitzen und biss sich nervös auf die Unterlippe. Ihr Herzschlag schallte durch den stillen Innenraum des Wagens. So laut, dass sie glaubte, es wäre ein Erdbeben im Anmarsch. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Wie konnte sie nur eine Sekunde daran denken, dass Alex sie aus dieser Misere wieder heil herausholen würde? Für einen Augenblick dachte Stevie darüber nach, einfach wieder kehrt zu machen und eine andere Möglichkeit zu suchen. Doch blieb ihr nichts anderes mehr übrig, da Alex just in dieser Sekunde über den Hof stiefelte. Mit einem Blick zur rechten Seite entdeckte er sofort den weinroten Ute und lief auf Stevie zu. Die Rothaarige selber versuchte sich noch irgendwie zu verstecken und rutschte automatisch in ihrem Sitz etwas nach unten, versuchte aus Alex´ Blickfeld zu entschwinden. Als wenn sie dadurch von ihm nicht gesehen werden würde. Stevie schüttelte mit dem Kopf und richtete sich wieder auf. Mit einem leicht unsicheren Lächeln auf den Lippen kurbelte sie schließlich die Fensterscheibe hinunter und blickte Alex entgegen.
„Du siehst aus, als ob du einen Einbruch planst“, rief Alex ihr mit einem breiten Grinsen im Gesicht entgegen. Stevie räusperte sich verlegen und versuchte so locker wie möglich aufzutreten. Dennoch hatte die Rothaarige immer im Hinterkopf, weswegen sie eigentlich tatsächlich auf Killarney aufgelaufen war.
„Irgendwie schon…“, sagte sie mit trockener Stimme und sah sich etwas ertappt um. „Ich würde dich gerne um einen Gefallen bitten wollen“, vollendete Stevie ihren Satz. Ihr Herz schlug noch immer sehr schnell und je länger Alex mit seiner Antwort wartete und sie so schief angrinste, desto nervöser wurde sie.
„Das muss ja sehr dringend sein, wenn du dafür extra zu mir kommen musst.“ Alex lehnte sich an das Auto und verschränkte die Arme vor seiner Brust. Mit einem Grinsen auf dem Gesicht sah er zu Stevie hinüber, die nun endlich den Mut gefunden hatte, aus dem Wagen aus zu steigen.
„Naja…also die Sache ist die…die Bank…wir brauchen ganz dringend einen Käufer und ich habe was gut zu machen…bei Tess…“ Stevie versteckte vor lauter Nervosität die Hände in den hinteren Hosentaschen und sah verlegen auf den Boden. Wieder dachte sie daran, einfach zu gehen und zu versuchen Tess auf eine andere Weise zu helfen. Aber leider saß ihr die Zeit im Nacken. Es blieben den Mädels nur noch wenige Stunden und wenn sie dann nichts vorweisen konnten, dann würde die Farm in den Besitz der Bank übergehen.
„Und was hab ich mit der ganzen Sache zu tun?“ Alex schüttelte mit dem Kopf. So gerne er Stevie und vor allem auch Tess helfen wollte, so hatte er doch gar keine Ahnung, wie genau das aussehen sollte.
„Naja…ich dachte…vielleicht könntest du…“, druckste Stevie herum und sah aus Scham noch immer nicht zu Alex auf. Stattdessen blickte sie stur auf ihre Füße, die die staubtrockene Erde von einer Seite zur anderen schoben.
„Stevie…“, begann Alex, doch wurde er von Stevie sogleich wieder unterbrochen.
„Ich hab Mist gebaut, Alex. Ich brauche jetzt meinen besten Freund“, fuhr sie ihm dazwischen. Jetzt war es draußen. Was nun passieren würde, darauf hatte sie keinen Einfluss mehr. Zaghaft versuchte Stevie auf zu sehen und seinen Blick einzufangen. Alex hob eine Augenbraue in die Höhe und sah seine beste Freundin argwöhnisch an.
„Was Stevie?“, fragte er Stevie und drehte sich etwas mehr in ihre Richtung, sodass er sie genau beobachten konnte. Jede Reaktion in ihren Augen und jede noch so kleine Zuckung in ihrem Gesicht vernehmen konnte.
„Ich…ich hab…“, stotterte die Rothaarige jedoch nur vor sich her. Die ganze Sache schien doch schwieriger, als sie vorher angenommen hatte. Dabei war es doch gar nicht so schwer, einfach zu sagen, was sie angestellt hatte. Immerhin wusste sie doch, dass sie nur eine teilweise Schuld trug.
„Jetzt sag nicht, du hast gepokert?“
„Ich wurde gelinkt, Alex. Ich konnte diesmal wirklich nichts dafür“, wich die Rothaarige seiner Frage geschickt aus. Aber genau so war es doch gewesen. Hätte dieser Typ, der ihr mit dieser fiesen Grimasse gegenüber saß, nicht ein hinterhältiges Spiel mit der Kellnerin abgezogen, dann wäre Stevie das Geld gar nicht erst losgeworden und alles wäre gut gewesen. Aber das konnte sie nun nicht mehr rückgängig machen. Leider. Genauso wenig die augenblickliche Missgunst von Tess ihr gegenüber. Aber vielleicht würde Alex sie retten. Ihr aus der verfahrenen Situation heraushelfen und somit auch ihre Existenz vor dem Ruin bewahren.


„Was ist das?“, wurde Alex aus seinen Gedanken gerissen. Marcus war neben Alex getreten und hielt in den Händen zwei kühle Flaschen Bier. Er lugte über die Schulter seines Bruders und richtete seine Augen auf das Blatt Papier.
„Der Terminvertrag mit Drovers“, gab Alex ihm zur Antwort und blickte noch einige Sekunden gedankenverloren auf das Stück Papier in seinen Händen.
„Sie fehlt dir, nicht wahr?“
Alex legte den Vertrag wieder zurück auf den Schreibtisch und drehte sich zu Marcus herum. Aus leeren Augen blickte er seinen Bruder an und legte schließlich kraftlos eine Hand auf Marcus´ Schulter.
„Sei mir nicht böse. Ich glaube, ich möchte doch lieber noch einen Moment für mich allein sein.“ Alex versuchte sich ein Lächeln abzugewinnen und mit einem entschuldigenden Blick wandte er sich dann wieder ab und ging aus dem Wohnzimmer hinaus. Er lief direkt zu den Paddocks und sattelte sein Pferd. Wenig später machte Alex sich auf dem Rücken des Tieres auf den Weg. Irgendwohin. Ziel und Richtung waren vollkommen gleichgültig…
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#77

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Chapter 25
Mittlerweile hatte Alex sein Tempo heruntergesetzt und trottete gedankenverloren über die Weiten des Landes auf dem Rücken seines Pferdes. Eigentlich war er viel zu müde, aber jetzt in Gesellschaft sein, das konnte er auch nicht. Auch wenn es noch so lieb und nett gemeint war von Marcus. Eigentlich hatte Alex sich ja auch auf die chillige Zeit mit einem kühlen Bier auf der Veranda gefreut. Jedoch hatte er nicht ahnen können, dass er so schnell an Stevie erinnert wird, wenn er sich in seinem eigenen Wohnzimmer aufhält. Blöde Sache. Ausgerechnet dieses eine bestimmte Schriftstück musste ihm in die Hände fallen. Auch wenn es mit Sicherheit weitaus schönere Momente gab, an die Alex lieber dachte, war jeder dieser mit Stevie erlebten Augenblicke einzigartig. Eben etwas Besonderes. So wie auch dieser Moment, als sie vor ihm stand, wie ein kleines Mädchen, das etwas Schlimmes verbrochen hatte. Alex schmunzelte. Er dachte oft an diese kleinen und prägenden Momente. Denn auf ihre wundersame Art und Weise schaffte die Rothaarige es ja doch immer wieder, dass diese Augenblicke unvergesslich blieben. Stevie brachte Alex jedes Mal zum Schmunzeln und Lachen, waren sie noch so verrückt die Ideen. Sie steckte ihre Mitmenschen mit ihrer Fröhlichkeit und Heiterkeit an, zog sie vollkommen in ihren Bann. Daher wusste Alex stets, wenn er einmal Kummer oder Sorgen hatte oder einfach nur mal überhaupt nichts sagen wollte, dann brauchte er sich nur in sein Auto zu setzten und nach Drovers zu fahren, um sich dann in der Gesellschaft von Stevie zu sonnen. Danach ging es ihm wieder besser und die grauen Wolken waren einem strahlendblauen Himmel gewichen.

Seit Claire starb, hatte Alex nicht oft solche Menschen getroffen, die das gnadenlose Talent besaßen, mit ihrer bloßen Anwesenheit einen ganzen Raum zum Strahlen zu bringen. Claire war schon wunderbar und einzigartig gewesen. Mit ihr hatte Alex oft lachen und über belanglose Dinge diskutieren und philosophieren können. Doch das Schicksal hatte ihm das Beste und Liebste im Leben genommen. Alex glaubte, in ein tiefes, schwarzes Loch zu fallen und nie wieder einen Weg zu finden, um diesem zu entkommen. Nie wieder das Tageslicht erblicken zu können. Doch dann trat Stevie in sein Leben. Eigentlich war sie ja schon immer da gewesen. Irgendwie. Nur hatte Alex sie nie so wirklich wahrgenommen, bis zu dem Tag, an dem Claire starb. Von da an war sie immer an seiner Seite. Um Alex herum war es fortan nicht mehr nur eine einzige graue Masse, sondern so langsam erblühte alles wieder zu neuem Leben. Er nahm dann zwar auch wieder den Schmerz und das Leid intensiver wahr, aber eben auch die schönen Dinge, die das Leben zu bieten hatte. Er lernte wieder zu lachen, zu leben und auch zu lieben. Auch wenn er Stevie nie richtig gesagt hatte, wie er sich in ihrer Gegenwart fühlte, so konnte er stets sicher sein, dass sie es insgeheim wusste.

Alex bemerkte gar nicht, wie er immer weiter von seinem Weg abkam. Seinem Weg… Hatte er den einen Weg? Ein Ziel? Bis vor knapp zwei Monaten glaubte Alex noch, dass er ein Ziel hätte. Aber nun…nun schwand auch der noch so kleinste Hoffnungsschimmer immer mehr ins Nichts. Der letzte Strohhalm war nun auch verwelkt und eingeknickt. Alex glaubte nicht mehr daran, dass er Stevie jemals wiedersehen würde. Er blickte nun auf und ließ seine Augen über das weite Land vor sich schweifen. Was brachte ihm schon das Wissen und die Erkenntnis, ein so großes Anwesen zu besitzen, wenn man nie in seinem Leben glücklich sein darf? Hier gab es alles, was das Herz eines jungen Mannes begehrt. Das Herz eines jungen Mannes, der noch am Anfang seines Lebens steht und für den es noch nichts Wichtigeres gibt, als das Leben auf einer Farm und dessen Arbeit. Nur Alex stand schon lange mitten im Leben. Für ihn war es mit Sicherheit genauso wichtig, dass die Farm lief und gut bewirtschaftet wurde. Aber er sehnte sich auch nach Mehr. Dieses Anwesen beherbergte genügend Arbeit, ein wunderschönes Haus mit einem liebevoll angelegten Garten, ein Zuchtgestüt und jede Menge Rinder, aber eine Sache, die gab es auf dieser Farm nicht. Die Liebe und Geborgenheit einer Frau. Wenn Alex am Abend, geschafft von der Arbeit auf der Farm, das große Haus betritt, dann wartet dort Niemand auf ihn. Es ist Niemand da, der sich nach seinem anstrengenden Tag erkundigt. Niemand, der sich um das entspannte Wohl des Hausherrn kümmert. Keine Kinder, die herumtollen und einem noch die letzte Ruhe nehmen. Kein Essen, welches liebevoll auf den Tisch gestellt wurde und im ganzen Haus duftet, steht für ihn bereit.
Nein, wenn Alex Ryan am Abend nach Hause kommt, dann ist er ganz allein in dem großen Haus. Harry wurde das Leben genommen, Sandra wurde der Polizei übergeben und Liz gondelte irgendwo in der Weltgeschichte herum. Fiona, seine Frau, hatte Alex zum Teufel gejagt und Nick war bei Tess auf Drovers, wenn sie sich nicht gerade in Argentinien aufhielten. Der einzige Mensch, der hin und wieder noch auf Killarney am Abend anzutreffen wäre, war Marcus. Aber selbst dessen Anwesenheit wurde in letzter Zeit rar. Denn sein Halbbruder war mehr im Pub in Gungellan auf der Suche nach der richtigen Frau, als zu Hause. Dieser Zustand wird sich auch nicht in den letzten sechs Wochen geändert haben. Alex wird wieder Abend für Abend allein sein in dem großen Haus. Jetzt, nachdem er wieder eine Frau, die er liebt, verloren hatte, sei es auch nicht unbedingt durch den Tod, fühlte Alex sich verlassen und vollkommen allein. Bei Claire wusste er stets wo sie standen. Sie hatten realistische Erwartungen. Eben wie bei guten Freunden. Es war alles so viel einfacher und unkomplizierter. Mit Stevie fühlte er sich auch oft schwerelos und überaus glücklich. Doch mit ihrer Liebe kamen auch immer mehr Probleme. Und nun war sie nicht mehr da. Alex wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich die innere Ausgeglichenheit und Ruhe wieder zu finden, die er mit Claire an der Seite oft genossen hatte.

Am nächsten Tag sah die Welt nicht anders aus. Alex trug noch immer diese Leere in sich. Die Nacht verlief ziemlich unruhig. Wenn er sich nicht gerade umherwälzte, dann fand er sich in schlechten Träumen wieder und riss schweißüberströmt seine schweren Augenlider auf. Alex ließ seinen Blick zur rechten Seite auf den kleinen digitalen Wecker gleiten und seufzte. 03:45. Was für eine blöde Zeit. Noch viel zu früh zum Aufstehen und arbeiten. Aber sich in dem Bett noch weiter hin und herzuwälzen, war auch keine ideale Lösung. Also setzte Alex sich aufrecht hin und stellte die nackten Fußsohlen auf den abgekühlten Bodenfliesen ab. Nach einer ausgiebigen Dusche fand er sich schließlich in der Küche wieder und trank einen Kaffee nach dem Anderen. Alex blickte gedankenverloren vor sich her. Wenn das so weiterging, dann würde er noch verrückt werden. Auch wenn die Zeit noch immer nicht gekommen war, sodass er sich in die tägliche Farmarbeit stürzen konnte, machte Alex sich dennoch auf, um in den Schuppen zu gehen. Irgendetwas ließ sich mit Sicherheit finden. Und wenn es nur das Reparieren der alten Wasserpumpe sei. Aber so sehr er sich auch anstrengte, ihm wollte nicht mal so eine einfache Arbeit gelingen. Was war nur los? Sonst funktionierte das Ablenken durch irgendwelche Arbeiten doch auch immer. Wütend schmiss Alex den Schraubenschlüssel zurück in den Werkzeugkasten. Er wischte sich mit dem Arm über die Stirn, ließ seinen Blick hinauswandern. Es wurde langsam hell draußen und lange würde es wohl nicht mehr dauern, bis die Sonne aufging.

„Hey“, erklang eine weibliche Stimme und Alex erschrak fürchterlich. So sehr, dass er sich im ersten Moment mit der Hand an der Brust festhalten musste. Alex blickte wieder auf und sah direkt in ein blau-grünes Augenpaar. Er wunderte sich. Hatte er die letzten Minuten nicht richtig wahrgenommen und war die Zeit nun verrannt? Etwas benommen blickte er noch immer seiner Schwägerin entgegen.
„Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken“, sagte Tess mit ihrer sanften Stimme und ging weiter in den Schuppen hinein. Sie setzte sich auf eine der Kisten, die neben der Werkbank herumstanden. Alex räusperte sich und wandte sich wieder der Wasserpumpe vor sich zu. Wo er vorher noch wutentbrannt den Schraubenschlüssel in den Werkzeugkasten gefeuert hatte, kramte er ihn nun wieder heraus und machte sich verbissen wieder an die Reparatur.
„Es ist ziemlich früh für einen Besuch“, sagte Alex resigniert. „Hättest auch bis zum Mittag warten können.“
„Ich konnte nicht schlafen.“ Tess machte eine Pause und sah sich etwas um. „Du anscheinend auch nicht.“
„Deswegen musstest du nicht extra herkommen. Ein Anruf hätte es auch getan.“
„Sicher. Ich wollte nur sehen, wie es dir geht. Was du so treibst.“
Alex reagierte auf diese Aussage hin nicht mehr. Er war es leid, dass ständig jemand anrief oder vorbeikam, um nach ihm zu sehen. Zu sehen, wie er sich durchbiss. Wie schlecht es ihm ging. Tess bemerkte, dass Alex wohl nicht so sehr in Plauderstimmung schien. Sie hatte auch nichts anderes erwartet. So war Alex nun mal. Schon immer. Dennoch konnte sie nicht umhin, wenigstens zu versuchen, mit ihm zu reden.
„Charlotte kommt heute wieder zu Besuch…“
„Tess!“, unterbrach Alex seine Schwägerin. Er wusste, worauf das hinauslief. Alex wusste aber ebenso, dass Tess letztendlich ja doch bekam, was sie wollte. Sie war eben eine McLeod. Immer mit dem Kopf durch die Wand, koste es was es wolle. Er würde nämlich nicht auf Charlotte verzichten wollen. Auch wenn es noch so sehr schmerzte, Drovers zu betreten, mit dem Wissen, dass ihn alles an Stevie erinnerte.
„Ich dachte mir, vielleicht möchtest du etwas mit ihr unternehmen…“ Tess jedoch überhörte Alex´ Unterbrechung geschickt und sprach unbeirrt weiter. Sie wusste, dass ihm das nicht gefiel, dass es eigentlich nicht ganz fair war, wenn sie so versuchte, ihn mit der Situation um Stevie zu konfrontieren.
„Tess!“, wiederholte Alex noch einmal. Dieses Mal jedoch war sein Tonfall weitaus energischer als zuvor. Doch Tess hielt auch ein weiteres Mal nichts auf Alex´ gewollte Unterbrechung und versuchte ihn noch zu übertönen.
„Bei der Gelegenheit könntest du heute Abend vorbeischauen und jede Menge Appetit mitbringen. Wir wollen ein Barbecue veranstalten, mit allem Drum und Dran“, sprach die Blondine unbeeindruckt zu Ende und blickte Alex dabei fest an. Dieser jedoch schmiss zum wiederholten Male den Schraubenschlüssel in den Werkzeugkasten zurück. Ein lautes Scheppern hallte durch den Schuppen und Tess zuckte dabei etwas zusammen. Sie hatte Alex doch ein wenig provoziert. Vielleicht auch ein wenig zu sehr.
„Macht es eigentlich Spaß, Menschen zu quälen, die am Boden liegen? Wieso könnt ihr Frauen eigentlich nie Ruhe geben? Da kann man noch so sehr am Ende sein, ihr checkt es einfach nicht! Wisst einfach nie, wann ihr aufhören müsst!“ Alex hatte sich so in Rage geredet, dass seine Stimme sich überschlug. Alex´ Gesichtsausdruck ließ einfach keine andere Vermutung zu, als dass er sehr gereizt, wütend und verletzt war. Seine Augen waren schmal und dunkel vor Zorn, seine Schläfen zuckten. Seine Hände ballten sich fest zu Fäusten, sodass die Blutzufuhr nicht mehr genügend gegeben war. Alex atmete tief durch, schloss dabei seine leeren, müden Augen.
„Ich möchte dir nur helfen, Alex.“ Tess hatte plötzlich ein schlechtes Gewissen. Sie sah ihm entschuldigend entgegen. Doch er blickte sie nur resigniert an und zuckte mit den Schultern.
„Lass es einfach sein, Tess!“ Damit ließ Alex sie stehen und flüchtete aus dem Schuppen hinaus. Er wollte jetzt nur noch eines, reiten. Sich auf dem Rücken seines Pferdes, des besten Freundes, wieder zu finden, bedeute einen winzigen Hauch von Freiheit, Glück und vielleicht auch Geborgenheit. So konnte Alex wenigstens für einen bescheiden längeren Augenblick vergessen, was sein Herz zerreißen ließ. Schmerzen und bluten ließ…
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#78

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Chapter 26
Müde trottete der junge, dunkelhaarige Mann über den leeren Stationsflur des Krankenhauses. Seit einigen Wochen schlief er nicht mehr richtig. Irgendwo auf dem riesigen Kontinent gab es sicher noch mehr Menschen, die nicht mehr ruhig schliefen, weil hier in dem Krankenhaus eine junge Frau lag, die nicht aus dem Koma aufwachen wollte. Zurzeit war Noah die einzige Person, die sie jeden Tag besuchte. Sich mit ihr unterhielt, ihr die Hand hielt. Erfolglos haben die Ärzte bis zum heutigen Tage versucht, die Familie der jungen Frau ausfindig zu machen. Es gab nicht einen einzigen Anhaltspunkt, woher sie kam und ob es überhaupt Familie gab, die sich um sie sorgte und nach ihr suchte. Aber er gab weder die Hoffnung noch die Suche auf. Irgendwo musste es einfach jemanden geben, der zu ihr gehörte.

Noah betätigte den kleinen Knopf an dem Kaffeeautomaten und wartete darauf, dass es ein klickendes Geräusch geben würde und der Becher nach unten gedrückt wird, um dass dann ein plätscherndes Geräusch folgen konnte und der Kaffee in den weißen Styroporbecher lief. Erschöpft ließ er sich neben dem Automaten auf einen der weißen Plastikstühle nieder und legte das Buch aus seiner Hand, mit dem gelben Softumschlag, neben sich auf den anderen Stuhl. Noah wartete auf das Ende der Geräusche, die der Automat von sich gab. Ein letztes Mal zog dieser Wasser nach und verstummte dann. Er nahm sich den Becher unter der Vorrichtung weg und umschloss ihn mit seinen Händen. Es fand noch kein reges Treiben auf der Station statt. Nur hin und wieder lief eine Stationsschwester über den Flur und verschwand in einer der Glaskabinen, um wenige Minuten später wieder herauszukommen und in der nächsten zu verschwinden. Der junge Mann seufzte und rieb sich müde mit der einen Hand über die Schläfen. Was würde der heutige Tag bringen? Würde es heute ein Erfolgserlebnis geben? Würde man an diesem Tag endlich jemanden ausfindig machen können, der zur Familie dieser Frau gehörte? Er hoffte es. So sehr. Noah kannte diese Frau doch eigentlich gar nicht und dennoch fühlte er sich irgendwie für sie verantwortlich. Immerhin war er der Letzte gewesen, der sich mit ihr unterhalten hatte. Der Letzte, der ihr wunderbares Lächeln gesehen hatte.

Totenstille herrschte auf dem Platz. Es drang nicht einmal das Atmen der Menschen mehr durch, als Stevie regungslos auf dem sandigen Boden liegen blieb. Alle Augenpaare waren auf sie gerichtet und starrten sie an. Bis der Erste endlich aus seiner Starre erwachte und auf den Platz lief, schien eine Ewigkeit zu vergehen. Schnell waren Ärzte und Sanitäter um die junge Frau versammelt und trugen sie schließlich vom Platz. An diesem Tag war nichts mehr so, wie es zuvor noch war. Die Wettkämpfe fanden dennoch weiterhin statt, aber die ausgelassene Stimmung und die Freude wollten nicht mehr so sehr aufkommen. Jeder hatte immer noch dieses eine Schreckensbild vor Augen, das einen wohl nicht mehr so schnell loslassen würde. Noah lief auf die kleine Menschentraube zu und versuchte sich bis zu Stevie hindurchzukämpfen. Er schaffte es auch, aber ließ man ihn anschließend auf dem Platz alleine zurück. Stevie musste in ein Krankenhaus gebracht werden, denn selbst wenn die ersten lebensrettenden Maßnahmen noch an Ort und Stelle vollzogen wurden, so reichte die Versorgung bei Weitem nicht aus. Wenige Stunden später lief Noah über den Parkplatz des Krankenhauses direkt auf die riesige Glastüre zu und verschwand im Innern des Gebäudes. Am Informationstresen wurde er auf die Intensivstation im dritten Stock verwiesen, woraufhin er sich noch in letzter Sekunde durch die offen stehende Fahrstuhltüre schlängelte. Im dritten Stock des Krankenhauses lief er eilig über den Flur der Station zu einem Zimmer, in dem einige Schwestern standen und plauderten. Der junge Mann erkundigte sich nach Stevie und man vertröstete ihn für den Moment, da sie noch immer im Operationssaal lag. Stunden später kam ein Mann in einem weißen Kittel auf ihn zu gelaufen und erkundigte sich nach seinem Namen und dem Verhältnis zu der Patientin. Auch wenn Noah für gewöhnlich nicht der Typ war, der anderen Menschen etwas vorgaukelte, so sah er in diesem Augenblick einfach keine andere Möglichkeit. Er behauptete deshalb, dass er der Verlobte der Frau sei und somit erhielt der junge Mann fortan Neuigkeiten, wenn es welche gab. Dadurch durfte Noah auch zu Stevie, als sie aus dem Operationssaal in eine dieser typischen Glaskabinen gebracht wurde.

Etwas verängstigt betrat der Dunkelhaarige den Raum. Überall hingen Schläuche und es piepte aus dem Gerät, das unmittelbar neben dem Bett unterhalb des Fensters stand. Es war ein schrecklicher Piepton, aber er war kontinuierlich und gleichmäßig. Noah setzte sich auf einen der Stühle, die neben dem Bett standen. Er war unsicher. Immerhin kannte er die Frau ja noch nicht lange. Um genauer zu sein überhaupt nicht. Er kannte ihren Namen und er wusste, dass sie traurig war. Noah blickte mit großen Augen um sich und wieder zurück auf das schlafende Gesicht der Frau, die regungslos in dem Bett lag. Sie sah friedlich aus. Er fragte sich, wann sie ihre wunderschönen Augen wieder aufschlagen würde.

Der junge Mann erschrak leicht, als Jemand in den Raum trat.
„Sie können sich ruhig mit ihr unterhalten“, sagte eine Schwester und ging an Noah vorbei zu dem piependen Monitor. Sie notierte sich etwas auf einem Zettel und blickte dann auf die schlafende Frau hinunter.
„Aber sie hat die Augen geschlossen“, brachte der dunkelhaarige Mann brüchig hervor. Die Schwester schenkte ihm ein Lächeln und nickte.
„Wird sie mich denn verstehen?“
Wieder nickte die Schwester und nahm nochmals das Papier zur Hand, um sich weitere Notizen zu machen.
„Die Forschung behauptet, dass Menschen, die in einem komatösen Schlaf liegen, sämtliche Bewegungen und Gespräche um sich herum wahrnehmen können. Das ist keine absolute Garantie. Aber es schadet den Patienten auch nicht, wenn man sich mit ihnen unterhält oder ihnen sogar etwas vorsingt.“ Die Schwester legte Zettel und Stift wieder zur Seite und lächelte Noah noch einmal aufmunternd zu.
„Nur keine Scheu. Vielleicht wird das Aufwachen dadurch auch etwas beschleunigt“, sagte die junge Frau und verschwand anschließend wieder aus dem Zimmer.

Noah blieb zurück. Noch unsicherer, als vorher schon. Was sollte er ihr denn auch schon erzählen? Er kannte sie ja nicht. Der junge Mann starrte weiterhin auf die schlafende Frau. Er wollte ihr unbedingt helfen, wünschte sich, dass sie wieder erwachte. Da fiel ihm plötzlich die Zeitschrift ein, die er sich vor ein paar Stunden gekauft hatte, als er auf Neuigkeiten wartete. Noah hatte Stevie doch beim Rodeo kennen gelernt. Vielleicht war es gut, wenn er ihr etwas über Pferde und Rodeos erzählte. Er nahm sich also die Zeitschrift hervor und begann aus dieser vorzulesen…


Seit dem Tage waren sechs Wochen vergangen. Seither kam Noah jeden Tag und hatte jeden Tag etwas anderes zu berichten. Er hatte sich sogar ein neues Buch zugelegt. Einen Roman. Oft saß er den ganzen Tag an Stevies Bett und las ihr Kapitel für Kapitel aus dem Buch vor. Unter normalen Umständen würde er das Buch nicht lesen, aber er hielt es für eine gute Idee, wenn Stevie etwas darüber erfuhr. Sie mochte Pferde und nebenbei erfuhr sie auch noch etwas über drei Schwestern, die normalerweise nicht unterschiedlicher sein konnten. Anfangs hatte Noah noch so seine Bedenken, da mit der Zeit immer mehr zum Vorschein kam, dass es in dem Roman nicht nur um die drei Schwestern ging, sondern auch um eine ganze Reihe von Morden, die geklärt werden mussten. Aber Stevie reagierte nicht abgeneigt oder beängstigt auf das Vorlesen. Ganz im Gegenteil. Manchmal glaubte Noah, dass Stevie enttäuscht sei, wenn er nichts aus dem Buch vorlesen mochte. Sie atmete dann stets unruhig und der Piepton auf dem Überwachungsmonitor war schneller und unregelmäßiger.

Mit eiligen Schritten kam ein Mann in einem weißen Kittel auf Noah zugeeilt und rief aufgeregt seinen Namen.
„Mr. Callaghan, ich habe Neuigkeiten!“, rief er und stoppte vor dem jungen Mann. Noah blickte aus seinen müden Augen auf und musterte den Arzt erwartungsvoll.
„Wir haben herausbekommen, dass Ms. Kingston noch zwei Schwestern hat, die den Namen McLeod tragen“, sagte der Arzt und setzte sich für den Moment neben Noah auf einen der weißen Plastikstühle.
„Aber das ist ja ganz wunderbar!“, brachte Noah freudig heraus und seine tiefbraunen Augen funkelten vor Freude. „Haben Sie die beiden Frauen denn schon erreicht? Kommen sie her? Werden sie ihrer Schwester helfen wieder gesund zu werden?“ Noah war so aufgeregt und glücklich über die Tatsache, dass es doch Verwandte gab. Die Fragen sprudelten nur so aus ihm heraus und seine Stimme schien sich mit jedem Satz nur noch mehr zu überschlagen. Der Arzt bremste den jungen Mann in seiner Euphorie ein wenig und lächelte aufmunternd.
„Wir sind dabei. Eine gewisse Jasmine McLeod ist leider zurzeit nicht zu erreichen, da sie sich in Europa aufhält. Die andere Dame mit dem Namen Regan McLeod versuchen wir noch ausfindig zu machen, aber wir sind guter Hoffnung, dass wir die Frau schon am Mittag am Telefon haben werden.“
Noah sprang aus dem Stuhl heraus auf und fiel dem Arzt um den Hals. Etwas Besseres hätte man ihm heute nicht mitteilen können, bis auf die Tatsache, dass Stevie aus dem Koma wieder aufgewacht ist. Wenn auch das nicht der Fall war, so glaubte Noah nun ganz fest daran, dass es jetzt nur noch eine Frage der Zeit war, bis sie die Augen wieder öffnete. Wieder versuchte der Arzt Noah in seiner Euphorie etwas zu bremsen. Er hatte schließlich noch eine andere Nachricht zu überbringen.

Regan lief eilig zurück ins Haus, als das Telefon klingelte. Gerade waren sie, Tess und Jodi dabei aufzubrechen und Kate auf die Westweide zu folgen. Sie mussten die Rinder von der Weide holen, damit sie schon am nächsten Morgen zum Verkauf abgeholt werden konnten.
„Drovers Run, Regan McLeod am Apparat“, presste die junge Frau atemlos hervor. Am anderen Ende meldete sich eine piepsige weibliche Stimme, die ihr etwas mitzuteilen hatte, das es in sich hatte. Nachdem Regan wieder aufgelegt hatte, ließ sie sich geschockt in den Ledersessel fallen und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Wie konnte das nur passieren? Grace? Krankenhaus? Koma?
Jodi und Tess machten sich schon Gedanken und liefen Regan nach ins Büro. Sie mussten sich beeilen, denn sie hatten noch einiges mehr auf dem Tagesprogramm an diesem Tag.
„Regan, wo bleibst du denn? Wir wollen los“, rief Jodi und kam um die Ecke gelaufen. Regan saß noch immer fassungslos auf dem Stuhl und schüttelte mit dem Kopf.
„Was ist passiert?“, fragte Tess und trat neben ihre Schwester. „Regan?“
„Das kann nicht sein, das darf einfach nicht sein“, sagte Regan immer und immer wieder, während sie nicht aufhörte mit dem Kopf zu schütteln. Tess und Jodi traten weiter in das Büro hinein und sahen ein wenig ängstlich auf die junge Frau.
„Was kann nicht sein? ...Regan?“
Regan blickte auf und stammelte etwas von Krankenhaus und Koma vor sich her. Tess gab nicht locker, bis sie endlich zusammenhängende Informationen herausbekommen hatte und wusste, um wen es sich dabei handelte. Sofort beschloss sie, mit Regan ins Krankenhaus zu fahren. Sie konnte ihre Cousine unmöglich in diesem Zustand alleine Autofahren lassen. Sie gab Nick noch rasch Bescheid und machte sich dann mit Regan auf den Weg ins Krankenhaus.
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Chapter 27
Mit einem flauen Gefühl im Bauch und verkrampften Händen saß Regan im Auto und blickte aus dem Fenster. Die Landschaft flog nur so an ihr vorüber, doch das nahm die junge Frau heute gar nicht wahr. Die Gedanken in ihrem Kopf überschlugen sich und immer wieder sagte ihr diese eine Frauenstimme, dass Grace, ihre Schwester, einen schweren Reitunfall gehabt haben soll und nun seit mittlerweile schon sechs Wochen im Koma lag. Vergeblich hat das Krankenhaus versucht, die Familie ausfindig zu machen, sagte ihr die Dame am Telefon. Ganze sechs Wochen lang. Regan schüttelte mit dem Kopf. Sie hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, dass es eines Tages einmal zum Problem werden könnte, wenn Grace den Namen der Mutter trägt. Aber genau so war es nun gekommen. So viel Zeit war verstrichen. Zeit, die doch so kostbar ist. Gerade in solch einer Situation. Zeit, die sie als Schwester hätte nutzen können, um Grace zu helfen, ihre Augen wieder zu öffnen.
„Möchtest du mir sagen, was dir durch den Kopf geht?“, fragte Tess nach langem Schweigen und blickte kurzzeitig zu Regan hinüber. Regan zuckte nur mit den Schultern und sah weiterhin in die Ferne.
„So lange Zeit, Tess“, brachte sie schließlich mühsam heraus und seufzte tief. „Sie hätte schon längst wieder wach sein können und ihre oberklugen Sprüche klopfen müssen.“ Regan spielte angstvoll mit dem Zipfel ihres braunen Hemdes und drehte ihn etwas nervös in ihren Fingern umher.
„Vielleicht, vielleicht auch nicht“, gab Tess, in der Hoffnung, es würde etwas ermunternd sein, zurück. Versuchte sich aber weiterhin auf die Straße mit dessen Verkehr zu konzentrieren.
„Ich habe mal gelesen, dass es früher viele Todesopfer gab oder Menschen, die Jahre gebraucht haben, um aus dem Koma wieder zu erwachen, weil es ihnen an menschlicher Zuneigung und Geborgenheit gefehlt hat.“
„Gut möglich. Aber meinst du nicht, dass man das nicht unbedingt vergleichen sollte?“
„Wieso nicht? Es ist keine Garantie, schon klar. Aber zumindest lässt es darauf schließen. Es waren alles Weisenkinder, verstehst du?“ Regan blickte Tess nun von der Seite her an. Ihre Augen spiegelten eine Mischung aus Angst und totaler Leere wieder. Tess glaubte immer mehr, dass sie sich so langsam begann, Vorwürfe zu machen. Da sie von alledem erst nach sechs Wochen erfahren hatten.
„Hm…nur trotzdem ist es doch so, dass die Medizin und die Forschung heutzutage viel weiter sind als vor Jahren.“
„Schon. Aber warum ist Grace dann in den letzten sechs Wochen nicht aufgewacht?“
„Du weißt doch gar nicht, was bei deiner Schwester genau passiert ist, wie ihr momentaner Zustand ist. Vielleicht braucht sie auch einfach nur einen Grund zum Aufwachen, einen Anstoß.“
„Also doch Zuneigung und Geborgenheit.“
„Natürlich, das gehört doch zur Heilung dazu“, antwortete Tess und lächelte. Regan erwiderte kurzzeitig das Lächeln ihrer Cousine und blickte dann wieder, in ihren Gedanken versunken, aus dem Seitenfenster des Autos heraus. Die Stille hielt zum wiederholten Mal Einzug. Eine bedrückende Stille, in der jede der beiden Frauen für sich versuchte zu verstehen, Antworten zu finden.

Leise zog Noah den Stuhl etwas näher zu Stevie an das Bett heran. Er nahm ihre Hand und strich ihr sanft mit dem Daumen über den Handrücken. Immer wieder hallten die Worte des Arztes in seinem Kopf. Er freute sich sehr über die Erkenntnis, dass die Schwester von Stevie dann doch so schnell ausfindig gemacht wurde. Nun waren sie und ihre Familie sicher auf dem Weg hierher und Noah wurde mit jeder Minute nervöser. Warum konnte er selbst nicht so genau sagen. Wahrscheinlich, weil er vermutlich das letzte Mal an ihrem Bett sitzen und ihre Hand halten würde. Etwas wehmütig war Noah schon über diese Tatsache. Der junge Mann saß still und stumm an ihrem Bett und betrachtete Stevie einen Moment lang. Heute mochte er nicht sonderlich viel sagen oder gar vorlesen. Stevie bemerkte das und das spiegelte sich in ihrer Verfassung wieder. Immerhin hatte sich so etwas wie eine innere Verbundenheit zwischen ihnen aufgebaut. Auch wenn die Medizin und die Forschung sich nicht einig darüber waren, wie viel und ob überhaupt Menschen im Koma wirklich von der Anwesenheit und den Geschehnissen um sie herum mitbekommen würden oder viel mehr im Nachhinein sowieso nichts mehr von alledem wussten, war Noah sich sicher, dass Stevie so vieles wahrgenommen haben musste. Er konnte sich noch an so einige Situationen erinnern, wenn er manches Mal zu Besuch kam und Stevie ziemlich unruhig war. Dann setzte er sich einfach zu ihr, hielt ihre Hand fest in seiner und sprach mit Stevie. Er erzählte ihr dann stets alltägliche Dinge und eben die neusten Ereignisse, die sich in der Umgebung zu getragen hatten. Es dauerte jedes Mal seine Zeit, bis Stevie sich wieder entspannte und ruhiger wurde. Deswegen blieb Noah oft auch über Nacht und las aus Büchern vor. Er hatte dann stets das Gefühl, dass sie sich wieder wohl und glücklich fühlte. Zumindest soweit, wie die Situation und auch ihr Zustand es zuließen. Aber heute war Noah so gar nicht in der Stimmung. Er freute sich riesig für Stevie und konnte es kaum erwarten, ihr von den Neuigkeiten zu berichten. Jedoch machte ihm die andere Offenbarung, die der Arzt ihm mitgeteilt hatte, etwas zu schaffen. Er konnte nur hoffen, dass Stevie ihr Bewusstsein schnellst möglich wiedererlangte und gesund wurde. Es wäre doch wirklich ein wenig ungerecht, wenn sie die schönste Zeit in ihrem Leben einfach so verschläft. Mal ganz abgesehen davon, dass es äußerst schade wäre, wenn niemand mehr in ihre feurigen Augen blicken und ihr ansteckendes Lächeln sehen dürfte.

Tess lenkte das Auto auf den belebten Parkplatz des Krankenhauses. Regan trommelte nervös mit den Fingern auf ihrem Knie herum. Diese Parkplatzsuche zerrte quälend an ihren Nerven. Etwas erleichtert atmete Regan schließlich aus, als sich dann endlich eine Parklücke gefunden hatte. Dennoch bekam sie urplötzlich Angst. Ihre Hände zitterten. Tess bemerkte die leichte Zögerung und die innere Unruhe ihrer Cousine. Sie konnte sich nur zu gut in Regan hineinversetzen. Sie wusste wie es ist, wenn man Angst hat. Wenn einem das Gefühl der Panik, einen Menschen zu verlieren, überschwemmt, sodass man nach Luft ringen muss, um selbst zu überleben. So musste es sich anfühlen, wenn einem buchstäblich das Herz aus der Brust gerissen wird, wenn man zu ersticken drohte. Tess wusste auch, dass man in einer solchen Situation irgendwann einfach keine Tränen mehr hatte. Auch wenn es dann noch lange nicht aufhörte, zu schmerzen. Aber so war es ja im Falle von Regans Schwester nicht. Zwar wusste Niemand so recht, wie es weitergehen würde und wann sie wieder aus ihrem Tiefschlaf erwachen würde, aber sie lebte. Das war Gewissheit. Beruhigend versuchte Tess für Regan da zu sein, indem sie ihre Hand schützend auf dessen Schulter legte. Sie versuchte ihr so das Gefühl zu geben, dass sie ihr zur Seite stand, sie immer da sein würde. Dass sie nicht allein war und eigenständig mit der Situation fertig werden musste. Regan versuchte etwas zaghaft zu lächeln. Sie hatte furchtbare Angst vor den kommenden Momenten. Sie wusste ja nicht, was sie nun erwartete, wie schlimm es wirklich um ihre Schwester stand und vor allem was sie nun tun konnte, um ihr in irgendeiner Weise zu helfen.
„Eigentlich müsste ich schon über den Parkplatz auf die Eingangstür zu laufen und es nicht erwarten können, Informationen zu bekommen“, sagte Regan beinahe flüsternd. Sie verschränkte die Hände ineinander und presste sie ängstlich fest zusammen, sodass die Knöchelchen schon weiß hervortraten.
„Dann müsstest du mich beruhigen, weil sich meine Stimme überschlägt und ich nichts Zusammenhängendes mehr sagen kann.“ Regans Stimme zitterte, in ihren Augen schwammen die ersten Tränen.
„Wir schaffen das, gemeinsam“, erwiderte Tess lächelnd. Regan nickte mutig und betätigte den Türgriff. Gemeinsam liefen die beiden Frauen über den Parkplatz auf das große, graue Gebäude zu.

Noah hielt es nicht mehr aus und verließ das Zimmer, in dem Stevie friedlich schlief. Er wusste, dass er nicht mehr wieder kommen würde. Er wurde hier nun nicht mehr gebraucht. Mit dieser Erkenntnis und hängenden Schultern stampfte der junge Mann über den Stationsflur. Er blieb stehen und blickte noch einmal zurück. Noah hatte es nicht übers Herz gebracht, Stevie etwas von den Neuigkeiten zu berichten. Er wollte sie nicht unnötig aufregen, ihren Zustand nicht noch mehr verschlechtern. Außerdem lag es nicht in seinem Ermessen, solch eine Nachricht zu überbringen. Er war dazu einfach nicht befugt. Noah sagte auch nichts davon, dass er nun nicht mehr wiederkommen würde. Er war sich sicher, dass Stevie das ohnehin schon spürte. Aber er könnte ihrer Familie nicht gegenübertreten, ihnen nicht in die Augen sehen, nachdem er sich mit einer Lüge Informationen beschafft hatte. Informationen, die eigentlich nicht für seine Ohren bestimmt waren, ihn nichts angingen. Noah redete sich ein, dass er aus einer Notsituation heraus gehandelt hatte, es ja nicht unbedingt zu seinem eigenen Nutzen gewesen ist. Er wollte einfach nur für sie da sein, ihr helfen. So konnte der Dunkelhaarige mit einem besseren Gewissen weiterleben. Für einen kurzen Moment dachte Noah daran, dass es nicht die feine Art ist, sich so einfach aus der Affäre zu ziehen, nur eine andere Möglichkeit gab es in dieser Sache für ihn nicht.

Regan und Tess liefen über den Flur der Station und blickten in jede einzelne dieser Glaskabinen mit gemischten Gefühlen. Man konnte von außen, trotz der transparenten Wände, nicht viel erkennen. Sie sahen jedoch so viel, dass ihnen ein eisiger Schauer den Rücken hinunter kroch. In jedem dieser Raumunterteilungen waren Überwachungsmonitore und sämtliche andere Geräte untergebracht. Ob sie nun in Gebrauch waren oder nicht, es bereitete eine Gänsehaut am ganzen Körper, die sie nicht so einfach ignorieren konnten. Die beiden Frauen mussten diesen schaurigen Gang auch noch bis zum Ende durchlaufen. Unterwegs stießen sie beinahe mit Noah zusammen, gingen aber unbeirrt weiter und kamen endlich, nach endlos erscheinender Zeit, am letzten Zimmer an. Regan blickte ängstlich zu Tess hinüber. Diese lächelte und nickte Regan aufmunternd zu. Gemeinsam traten sie mit klopfendem Herzen in das Zimmer hinein.

Noah war eigentlich schon wieder umgekehrt und wollte weiter über die Station laufen, als ihm die beiden Frauen auffielen. Wieder drehte er sich herum und blickte ihnen nach. Er sah, wie sie letztlich vor dem Zimmer von Stevie stehen blieben und anschließend darin verschwanden. Eine von den beiden Frauen gehörte also zu Stevies Familie. Jedoch konnte Noah sich nicht recht entscheiden, welche genau die Schwester sein sollte. Irgendwie passten sie beide nicht in das Bild, sie sahen so ganz anders aus als die Frau, die er jeden Tag besucht hatte, dachte Noah. Er schüttelte mit dem Kopf. Das ging ihn nun wirklich überhaupt nichts an. Wichtig war, dass nun endlich die Familie und mit Sicherheit auch Freunde von Stevie gefunden und informiert wurden.
Noah ging nun also seines Weges weiter und verließ mit einem merkwürdigen Gefühl im Bauch das Krankenhaus. Er war traurig. Das war er wirklich. Jedoch war es so nun einmal das Beste für alle Beteiligten. Vielleicht würde er sich in ein paar Tagen dazu überwinden können, im Krankenhaus anzurufen und sich nach Stevies Gesundheitszustand erkundigen. Das war das Einzige, was er sich noch erlauben konnte und vielleicht auch ein kleines bisschen sein Recht. Der junge Mann stieg in seinen Wagen und fuhr davon...
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Chapter 28
Vor dem Bett stand eine, mit weißem Stoff überzogene, Raumabtrennung. Diese waren typisch für Krankenhäuser und Arztpraxen. Oft waren sie auch in Untersuchungszimmern zu finden, hinter denen man sich als Patient an- und auskleiden konnte. Mit diesen Abtrennungen wurden in dem Krankenhaus auf der Station die Betten etwas von der Sicht nach außen hin abgeschottet. Man konnte so also die Privatsphäre der Patienten weiterhin bewahren, obwohl sowieso schon nur autorisierte Personen Zutritt auf die Intensivstation hatten.

Mit wild klopfendem Herzen und einer unkontrollierbar, rasanten Atmung gingen Regan und Tess immer weiter in das Zimmer hinein. Zuerst fiel ihnen gleich der piepende Überwachungsmonitor auf. Krankenhäuser waren für gewöhnlich sowieso schon unangenehm. Auch wenn der typische Geruch wohl unweigerlich dazugehörte, war die Intensivstation das Schlimmste, was ein Krankenhaus zu bieten hatte. Hier schien alles noch weitaus mehr steriler zu sein. Zu dem charakteristischen Desinfektionsgeruch kam auf dieser Station nun auch noch das intensivere Aroma hinzu, welches wohl schwerlich zwischen Krankheit, Leben und Tod zu unterscheiden war. Wer sich in diesem Teil eines Krankenhauses ohne jegliche körperliche, emotionale Regung aufhalten konnte, der schreckte wohl vor nichts zurück.

Regan warf einen letzten, ängstlichen Blick auf Tess, die dicht neben ihr stand. Diese wiederum ergriff entschlossen die Hand ihrer Cousine und nickte ihr zu. Gemeinsam gingen die beiden Frauen mit vereinten Kräften hinter die Abtrennung des Raumes. In diesem Moment wusste Regan nicht genau, ob sie nun erleichtert sein sollte oder nicht. Denn auch wenn die Frau nicht Grace ist, war es furchtbar.
„Oh Gott!“ Die Braunhaarige blickte zu Tess hinüber. Aber auch dieser stand der Schock regelrecht ins Gesicht geschrieben. Es vergingen einige Sekunden. Sekunden, in denen beide, sowohl Regan als auch Tess, versuchten zu verstehen, Antworten zu finden. Sie konnten beide für sich nicht unbedingt behaupten, dass sie gefasster gewesen wären, hätten sie tatsächlich Grace dort in dem Bett vorgefunden. Wahrscheinlich traf es die beiden Frauen gerade deshalb so heftig, weil sie eben mit Stevie nie im Leben gerechnet hätten.
„Wie…wie ist das möglich?“ Regans Stimme glich kaum mehr einem Flüstern. Tess jedoch zuckte nur mit den Schultern und starrte auf die Frau, die regungslos in dem Krankenhausbett lag. Angeschlossen an dem Monitor, der unaufhaltsam diese fürchterlichen Geräusche von sich gab. In die Venen des linken Armes führte außerdem ein Schlauch, der von einem Metallständer kam, unmittelbar neben dem Bett stehend. Dort rauschte irgendeine durchsichtige Flüssigkeit hindurch, direkt in den Einstich der linken Armbeuge. Tess erschauerte beim Anblick der Bilder, die sich vor ihrem Gesicht abzeichneten. Die quirlige Blondine fühlte sich mit der Situation etwas überfordert, eben vollkommen überrumpelt. Es war für beide gleichermaßen ein Rätsel, wie es zu solch einer Verwechslung kommen konnte.

Beide Frauen zuckten leicht zusammen, als jemand die Klinke der Türe hinunter drückte und in das Zimmer eintrat. Die Schwester lief an ihnen vorbei, in das Zimmer hinein. Regan fand als Erste die Sprache wieder.
„Entschuldigen Sie, aber die Frau ist nicht Grace Kingston.“
Die Schwester blickte etwas verwirrt von Regan zu Tess und dann wieder zurück zu Regan. Sie räusperte sich kurz und nahm die Krankenakte zur Hand, welche auf dem Tisch an der Wand lag.
„Wie kommen Sie darauf, dass es sich bei der Frau nicht um Grace Kingston handelt?“, fragte die Schwester noch immer verwirrt ohne aufzusehen und blätterte in der Akte in ihren Händen herum.
„Ich kenne diese Frau, aber sie ist definitiv nicht Grace, nicht meine Schwester.“
„Das kann ich nur bestätigen.“ Tess´ Stimme klang leise und ein Zittern lag darin. Die Schwester murmelte etwas Unverständliches vor sich hin und legte die Akte auf ihren Platz zurück. Dann wandte sie sich wieder an die beiden Frauen vor sich.
„Könnten Sie mich freundlicherweise zum Stationsarzt begleiten?“ Regan nickte und folgte der Schwester hinaus aus dem Zimmer von Stevie.

Tess sah ihrer Cousine nach. Am Liebsten wäre sie sofort hinterher gegangen. Doch konnte sie sich keinen Millimeter von der Stelle rühren. Stattdessen wanderte ihr Blick wieder zurück zu Stevie. Nach einer gefühlten Ewigkeit fand sie endlich den Mut und ging weiter auf das Bett zu. Sie setzte sich auf einen der Stühle und ließ immer noch geschockt und etwas ängstlich ihren Blick im Zimmer umherschweifen. So als würde sie aus dieser Sicht etwas Anderes, Angenehmeres, entdecken können. Doch dem war nicht so und letztlich blieben ihre Augen doch wieder an Stevie hängen. Mutig ergriff Tess die Hand ihrer Freundin und augenblicklich stiegen all die Erinnerungen wieder in ihr empor. Erinnerungen an das erste Aufeinandertreffen, den Kampf gegen Missgunst und für die wachsende Freundschaft zueinander. Das aufgebaute Vertrauen und das Glück einander haben zu können. All diese Erinnerungen über die Höhen und auch Tiefen ihrer gewachsen Freundschaft überschwemmten die junge Frau so derart schnell, dass ihr augenblicklich Tränen in die Augen schossen. Doch versuchte Tess sich zusammen zu nehmen. Es trug sicher nicht zur Heilung bei, wenn sie an Stevies Bett saß und Tränen fließen ließ. Die blonde Frau wischte sich die Flüssigkeit aus den Augen heraus und nahm sich zusammen. Sie atmete vorsichtig leise noch einmal tief durch und rückte noch ein Stückchen näher an das Bett heran, in dem ihre Freundin lag und sich nicht rührte.
„Stevie“, fing sie leise an zu sprechen. Etwas merkwürdig war es für Tess schon, da sie sich sicher sein konnte, dass Stevie ihr nicht antworten würde. Jedoch schadete es mit Sicherheit auch nicht.
„Was machst du nur für Sachen? Wir…“ Tess brach wieder ab und schluckte schwer. Sie merkte, wie ihre Stimme zu zittern begann. Wieder musste die blonde Frau tief durchatmen. Sie durfte Stevie einfach nicht das Gefühl geben, als würde man ihr Vorwürfe machen oder mit der Situation nicht umgehen können.
„Zuhause ist alles beim Alten geblieben. Kate ist übereifrig wie eh und je und Jodi hat nur Augen für ihre neueste Eroberung.“ Tess lächelte. Jodi konnte wirklich unverbesserlich sein, wenn es um einen Mann ging. Manchmal fragte sich Tess, wann sie endlich erwachsen werden würde. In diesem einen Punkt vermutlich nie. Jedenfalls nicht so lange ihr nicht der einzig Richtige über den Weg gelaufen kam.
„Marcus und Nick planen eine Kreuzung von Anguesrindern und Wagyus. Sie glauben, dass es sich lohnen würde. Und Alex…“ Abrupt brach die blonde Frau sofort wieder ab. Sie war nicht sicher, ob es klug wäre, Stevie von Alex zu berichten. Andererseits wäre es auch nicht richtig, ihr das zu verheimlichen, so dachte Tess.
„Er vermisst dich, Stevie. Sehr sogar.“ Sofort wanderten ihre Gedanken wieder zurück zu den frühen Morgenstunden. Sie hatte Alex schon lange nicht mehr in einer solchen Verfassung gesehen. Sie wusste auch, dass Alex sich bisher immer wieder gefangen hatte. Jedoch schien ihr das in diesem Fall nicht so. Von Nick hatte Tess Einzelheiten über das Brüdergespräch erfahren gehabt und auch Marcus hatte verlauten lassen, dass Alex in einer sehr schlechten emotionalen Verfassung feststeckte. Ihr war bisher nicht klar gewesen, wie sehr Alex all dies mitgenommen hatte. Wie würde es ihm erst gehen, wenn er davon erfuhr, warum Stevie all die Wochen nirgends aufzufinden war? Tess blickte mit einem starren festen Blick auf ihre Freundin und versuchte nach Worten zu suchen, die passend waren in diesem Augenblick. Doch fielen ihr keine solcher Worte ein, die verraten hätten, wie sehr Stevies Weggang an den Nerven von Alex und auch den ihren zerrte. Etwas erleichtert war die junge Frau, als sich wieder eine Regung an der Zimmertüre tat. Sie blickte sich um und sah Regan im Rahmen stehen, die ihr ein Handzeichen gab. Noch einmal blickte Tess zurück zu Stevie und drückte fest deren Hand.
„Ich bin gleich wieder zurück“, flüsterte sie ihrer Freundin zu und lächelte. Dann ging sie hinaus auf den Flur zu Regan.

Alex war gerade dabei sich dem umgeknickten Baum am Zaun der Westweide zu widmen, als sein Satellitentelefon klingelte. Etwas entnervt legte er die Kettensäge zurück auf die Ladefläche seines Utes und ging zur Fahrerkabine hinüber. Alex schnappte sich vom Beifahrersitz das Telefon und meldete sich freundlich, während er sich lässig an das Auto lehnte und seine Füße übereinander schlug.
„Tess“, sprach Alex ins Telefon hinein. „Wenn es um heute Abend geht, dann können wir direkt wieder auflegen.“
„Es geht um Stevie.“ Tess´ Stimme klang brüchig und sie hatte Mühe nicht gleich die Fassung zu verlieren und in Tränen auszubrechen. Sie hatte bisher noch keine Möglichkeit gehabt, ihre Emotionen herauszulassen.
„Auch über das Thema möchte ich nicht sprechen.“ Alex verdrehte die Augen. Gaben denn die Menschen um ihn herum nie Ruhe? Sicher, sie machten sich Gedanken und Sorgen um ihn. Jedoch Alex war schon immer der Typ, der sich lieber selbst und allein damit auseinander setzte. Hin und wieder war er einfach froh, jemanden zu haben, aber das schien ihm nicht mehr angebracht. Jetzt schon gar nicht mehr, nachdem Stevie nun auch weg war. Es würde seine Zeit brauchen, bis er wieder einen Menschen so sehr an sich heran lässt. Sofern er das überhaupt noch mal zulassen würde.
Am anderen Ende der Leitung war ein tiefes Seufzen zu hören. Alex war sich nicht ganz sicher, was das zu bedeuten hatte. Er war auch unsicher darüber, ob er ein leises Schluchzen vernahm oder was das Geräusch, das folgte, war.
„Tess?“ Da seine Schwägerin nicht reagierte, musste Alex sich vergewissern, ob alles in Ordnung war. Irgendwie hatte er plötzlich ein komisches Gefühl. In seinem Magen rumorte es heftig, da er nicht wusste, was nun auf ihn zu kommen würde.
„Regan und ich sind im Krankenhaus, Alex“, begann Tess, deutlich um Fassung ringend, wieder zu sprechen. Es war schwer, aber sie musste Alex davon erzählen.
„Ja, Nick hat etwas davon erwähnt. Wie geht es Regans Schwester denn?“
„Was?“ Tess brauchte einen Moment, ehe ihr bewusst wurde, dass ja noch niemand wusste, wer wirklich in dem Bett unweit von ihr lag. „Es ist Stevie, Alex. Stevie hatte den Unfall. Nicht Grace.“
Wieder vernahm Alex ein Schluchzen am anderen Ende. Eines, das lauter und deutlicher klang als diese zuvor. Bis Tess´ gesprochene Worte zu ihm durchdrangen, schien eine Ewigkeit zu vergehen. Hatte er sich verhört? Das konnte unmöglich wahr sein. Nick hatte ihm doch erzählt, dass Regans Schwester Grace einen Rodeounfall hatte. Das Krankenhaus hatte doch angerufen und die junge McLeod darüber informiert. Wie konnte denn nun plötzlich die Rede von Stevie sein? Alex schüttelte mit dem Kopf. Es war unmöglich. Das entsprach einfach nicht der Wahrheit. Tess musste sich täuschen. Er hatte Stevie doch überall gesucht und auf keinem Rodeo hatte er sie gefunden. Sie stand auf keiner der Teilnehmerlisten. Tess musste sich einfach irren. Doch diese sprach weiter und erzählte ihm jede Einzelheit. Sämtliche Kleinigkeiten. Alles was sie wusste. Alex hörte das alles gar nicht mehr. Die Stimme seiner Schwägerin schien endlos weit weg zu sein. Sie drang nur noch dumpf bis zu ihm durch. Wie hinter einem eisernen Vorhang. Viel lauter hörte Alex sein Herz, das rasant und hart gegen den Brustkorb hämmerte. Panik und Angst schossen in einem reißenden Strom durch die Blutlaufbahn seines Körpers. Seine Hände bebten vor Angst und Verzweiflung, in seinem Kopf überschlugen sich sämtliche Gedanken und überschwemmten Alex wie eine riesige Welle, die krachend über ihn herein brach. In Trance legte Alex auf und setzte sich in sein Auto. Sein Ziel vor Augen, ließ er Staub aufwirbelnd alles zurück und fuhr zu Stevie ins Krankenhaus…
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