.::. Second Life .::.

Post Reply
User avatar
Dianchen
.
.
Posts: 0
Joined: Mon Dec 01, 2014 1:41 pm
Status: Offline

Re: .::. Second Life .::.

#91

Post by Dianchen »

Chapter 38
Stevie hörte, wie jemand an die Badtüre klopfte, dachte jedoch im ersten Moment, sie hätte sich verhört. Vielleicht wünschte sie nur, es würde sie Jemand hören, sie unterstützen, ihr sagen, weshalb ihr Magen so rebelliert. Als es dann doch ein weiteres Klopfen gab, war die Rothaarige sich sicher, dass sie nicht am Durchdrehen war.
„Stevie, ist alles in Ordnung bei dir?“, drang eine vertraute Stimme durch das schwere Holz hindurch. Die Rothaarige atmete erleichtert auf, sie war froh, dass Tess nun endlich da war. Ob sie wohl auch Alex wieder mitgebracht hatte? Stevie seufzte laut und schüttelte mit dem Kopf. Selbst wenn Alex nicht in der Nähe war, so war Tess´ Besuch das Beste, was ihr an diesem Tage passieren konnte. Hatte sie sich doch schon so sehr an Tess gewöhnt und sie auch in ihrem neuen Leben als eine gute Freundin liebgewonnen. Stevie drehte den Hahn auf und erfrischte ihr Gesicht mit etwas kühlerem Wasser. Etliche Gedanken schossen ihr durch den Kopf, während es nochmals an der Türe klopfte.
„Ich bin gleich soweit“, rief sie Tess entgegen und betrachtete sich noch ein letztes Mal im Spiegel. Stevie musste sicher gehen, dass es ihr nicht anzumerken war, wie es ihr im Augenblick erging. Niemand durfte sehen, dass sie seit Minuten über der Toilettenschüssel hing und ihr Frühstück sich wieder verabschiedet hatte. Die Rothaarige strich sich mit einer Hand über das Gesicht und ließ sie anschließend durch ihr Haar streifen. Noch einmal holte sie tief Atem, ehe sie schlussendlich die Türklinke hinunter drückte und mit einem Lächeln in das Zimmer zurücktrat.
„Hey, geht es dir gut?“, fragte Tess und hatte sichtliche Sorgenfalten auf der Stirn. Stevie nickte ihr zu und lief hinüber, um sich auf die Matratze des Bettes niederzulassen. Sie seufzte auf, ließ sich anschließend auf den Rücken fallen und schloss für einen Augenblick die Augen. Es war noch nicht mal Tageshalbzeit angesagt und schon könnte Stevie sich wieder in ihr Bett hinein kuscheln und schlafen. Überhaupt könnte sie den ganzen Tag nur schlafen. Ob das wohl eine Nebenwirkung der Schwangerschaft war? Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern wie es damals gewesen ist. Wie auch, wenn sie bis vor ein paar Tagen noch nicht mal ihren eigenen Namen gewusst hatte.
„Stevie, geht es dir wirklich gut?“ Tess setzte sich neben die Freundin auf das Bett und blickte besorgt auf sie hernieder.
„Hmm...“ Stevie entfuhr ein weiterer Seufzer. Sie rieb sich mit den Fingern über die Schläfen und öffnete anschließend ihre Augenlider.
„Tess, würdest du mit mir spazieren gehen?“, flehte die Rothaarige die Freundin an. „Ich brauch etwas frische Luft zum Durchatmen.“
„Aber natürlich! Wenn das dein Wunsch ist, gerne.“ Tess grinste Stevie an und nickte ihr bestätigend zu. Ihr gefiel die Wandlung ihrer Freundin. Früher war es nicht auszudenken, Stevie so ruhig und gelassen zu sehen, so ganz ohne Sorgenfalten im Gesicht. Vor ihrem Unfall wäre Stevie schon längst wieder in Zweifel verfallen und hätte sich zurückgezogen. Doch heute war das alles anders. Die Rothaarige war viel gelassener und suchte die Spaziergänge zum Nachdenken. Tess wusste, dass Stevie erst dann mit der Sprache herausrücken würde, wie es ihr tatsächlich erging.
„Aber wir sollten Alex Bescheid geben. Nicht, dass er sich wundert und eine Vermisstenanzeige aufgeben muss.“
Stevies Herz machte einen Satz, als Alex´ Name aus dem Mund der Freundin in ihre Ohren drang. Sie hatte so sehr gehofft, Alex würde ebenfalls als Besucher auf ihrer Liste stehen. Es war schon irgendwie unheimlich, dass sie jedes Mal, wenn die Rothaarige nur an ihn dachte, Schmetterlinge im Bauch hatte und enttäuscht war, wenn Alex nicht bei Tess war. Andererseits konnte sie jedoch so mit der Freundin über ihn sprechen. Zumal sie nun unbedingt von ihrer Schwangerschaft erzählen wollte. Stevie hielt es einfach nicht mehr aus, sie musste mit jemanden darüber reden und wer wäre da besser als Tess?

Die Sonne streichelte über ihre Haut, der Wind blies schwach durch ihr Haar. Stevie genoss den Spaziergang sehr. Es war ein wunderbarer Tag, dabei hatte er so furchtbar angefangen gehabt. Die dunklen Wolken jedoch verzogen sich in diesem Augenblick, in dem sie sich bei Tess untergeharkt und mit ihr losgelaufen war.
„Willst du drüber reden, was passiert ist?“, fragte Tess, da sie es nicht mehr aushielt. Nach dem verstörten Zustand von Rose schien ja einiges geschehen zu sein.
„Naja, es gab ganz schön Ärger. Diese Frau, wer immer sie auch ist, hat eine ganz schöne Abneigung gegen mich und hat mir das auch ganz ohne Umschweife vorgehalten. Sie hat mir ziemlich gemeine Dinge an den Kopf geworfen.“ Stevie seufzte laut auf. „Dabei wusste ich nicht mal, was sie eigentlich von mir wollte. Hättest du mir nicht erzählen können, dass ich eine Tochter habe? Ich war sowas von vor den Kopf gestoßen.“
„Entschuldige, daran hatte ich gar nicht mehr gedacht gehabt“, gab Tess leise zu verstehen und drückte Stevie fester an sich heran.
„Schon gut, ich hab es ja überlebt. War ich wirklich so schlimm und habe meine eigene Tochter verstoßen?“
„Das hast du nicht!“ Tess schüttelte kräftig mit dem Kopf. „Du warst fünfzehn und total überfordert. Du hattest gar keine andere Möglichkeit, als Rose zu deiner Schwester zu geben.“ Stevie blieb abrupt und erschrocken zugleich stehen. Mit großen Augen blickte sie die Freundin an.
„Du meinst, dieses unmögliche Frauenzimmer ist meine Schwester gewesen?“ Ungläubig schüttelte die Rothaarige mit dem Kopf. Es war unfassbar für sie. Nicht nur, dass diese Frau, die ihr solche Worte an den Kopf geworfen hatte, so ganz anders war als sie selbst, sie sah auch vollkommen anders aus, gab sich total anders. Stevie und diese Frau waren von Grund auf vollkommen verschiedene Menschen, hatten ganz andere Lebenseinstellungen und Erwartungen von sich und ihren Mitmenschen. Wie konnte diese die Schwester der Person sein, die sie bis aufs Äußerste beleidigt und beschimpft hatte?
„Es tut mir wirklich leid, Stevie, ganz ehrlich. Ich hätte wissen müssen, dass Michelle irgendwann im Krankenhaus auftauchen würde. Aber ich hatte ja nicht ahnen können, dass sie so dermaßen bösartig ist.“ Tess machte sich die größten Vorwürfe. Sie hätte es besser wissen müssen. Aus den Erzählungen von Jodi und Kate wusste sie, dass Stevies Schwester unberechenbar ist und zu allem bereit, wenn es um das Wohl und die Gunst des Mädchens ging, die sie Jahre lang aufgezogen hatte.
„Aber...“ Stevie wollte gerade etwas erwidern, als sie wiederholt von einer Welle der Übelkeit überrollt wurde. Sie hielt sich die Hand vor den Mund und lief im Eiltempo mit großen Schritten auf das nahegelegene, kleine Café zu. Etwas irritiert blickte Tess der Freundin hinterher, ehe sie sich besann und Stevie folgte.
„Stevie?“, ertönte wieder die Stimme von Tess. „Alles in Ordnung?“
Die Rothaarige seufzte. Sie hätte sich ja denken können, dass Tess ihr folgen würde. Doch es war ihr überaus peinlich, sich zu übergeben, während die Freundin direkt hinter ihr stand, nur getrennt durch das schwere Holz der Toilettentüre.
„Tess, könntest du mich einen Augenblick alleine lassen und draußen auf mich warten?“, gab Stevie zurück.
„Schon, aber...“ Tess wollte sich nicht so einfach verscheuchen lassen. Es lag nun einmal in ihrer Natur, sich Sorgen zu machen.
„Bitte, Tess!“, unterbrach die Rothaarige Tess in ihrem ansetzenden Redeschwall erneut. Stevie hörte noch, wie die Freundin ein Ok hauchte und anschließend die Tür wieder ins Schloss fiel.
Tess hatte sich vor dem kleinen Café auf eine der Bänke gesetzt, die auf der gegenüberliegenden Seite zwischen vereinzelten Bäumen standen, und wartete darauf, dass Stevie wieder herauskam. Sie verstand nicht recht, was in Stevie vor sich ging. Dabei hatte sie gedacht, die Freundin würde von nun an immer direkt zu ihr kommen, wenn sie etwas bedrückt. Tess schüttelte mit dem Kopf. Diese Sache mit Rose und Michelle war doch nun gerade erst geschehen und die ersten Gespräche darüber hatten die beiden Freundinnen auch schon geführt. Es wäre sicher noch weiter gegangen, wenn die Rothaarige nicht geradewegs auf eine der Toiletten in dem Café geflüchtet wäre. Sie sollte Stevie einfach nur ein wenig mehr Zeit geben. Tess hob ihr leicht gebräuntes Gesicht ein wenig mehr der Sonne entgegen. Es war ein angenehmer wunderbarer Vormittag. Die Temperaturen noch im absoluten Normbereich, nicht zu heiß, wurde an diesem Tag endlich der langersehnte Regen vorhergesagt. Tess seufzte vernehmlich und holte tief Atem, als sie Stevie auf sich zukommen sah. Die Rothaarige schritt auf Tess zu und setzte sich neben sie auf die Bank. Einen Moment herrschte Stille zwischen den beiden Frauen.
„Es tut mir leid, Tess. Ich wollte nicht so gemein klingen und dich vertreiben“, durchbrach Stevie die Stille und blickte zu ihrer rechten Seite hinüber.
„Es ist nur... ich... also nun ja, diese Sache da ist äußerst peinlich gewesen.“ Nun senkte Stevie wieder ihren Kopf. Es ist tatsächlich komisch gewesen. Auch wenn sie sich im Krankenhaus noch nach jemanden gesehnt hatte, der ihr beistehen würde, so war es in dem Augenblick peinlich gewesen.
„Uhm...mach dir keine Gedanken. Ich kann das verstehen, aber verrätst du mir was eigentlich wirklich los ist oder willst du nicht darüber reden?“ Tess legte Stevie eine Hand auf den bloßen Arm und blickte sie mit einem Lächeln auf den Lippen an.
„Erinnerst du dich noch an unsere erste Begegnung?“ Stevie schluckte schwer. Das würde definitiv nicht einfach werden, aber sie hatte sich Minuten zuvor gesagt, dass es von größter Wichtigkeit sei, wenigstens mit Tess darüber zu reden. Tess jedoch blickte die Rothaarige fragend an. Im Moment schien sie noch nicht so ganz aus den Worten der Freundin schlau zu werden.
„Was meinst du?“, stellte sie daher die Gegenfrage.
Stevie faltete vor lauter Nervosität ihre Hände ineinander und ließ ihre Augenlider nicht von diesen weichen. Sie atmete noch einmal tief durch, ehe sie schließlich doch ihren Blick hob und Tess ansah.
„Ich meine die erste Begegnung im Krankenhaus. Ich hatte diesen Traum und zuvor diese Erinnerungen an die Untersuchung, deine Untersuchung.“ Tess nickte Stevie zu. Sie wollte die Freundin in diesem Augenblick nicht mit irgendwelchen Fragen unterbrechen. Auch wenn es ihr regelrecht auf der Zunge kribbelte, aber diese Sache schien Stevie wichtig zu sein und ihr schwer zu fallen.
„Als ich diesen Erinnerungsflash bekommen hatte, war ich in einem der gefühlten tausend Untersuchungszimmer gewesen und hatte dieses Ultraschallgerät entdeckt und war total stolz auf mich, weil es mir eingefallen ist und ich es erkannt hatte“, fuhr Stevie fort und lächelte, als sie sich an den Moment erinnerte.
„Es war so schön zu wissen, dass ich nicht ganz so verrückt bin, wie ich vorher angenommen hatte, zumal ich mich ja an rein gar nichts erinnern konnte, noch nicht mal an meinen eigenen Namen. Ich hatte dann dort meine letzte Untersuchung gehabt, zumindest an diesem Tag. Danach war ich so geschafft und müde, dass ich sofort eingeschlafen war, als ich wieder die weiche Matratze unter mir gespürt hatte. Dieser Traum, den ich im Schlaf hatte...“ Stevie stoppte kurzzeitig und seufzte tief. Sie blickte in die Ferne und beobachtete auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Pärchen, welches vollbepackt mit Plastiktüten und Kartons zum Auto lief. Die Beiden schienen über irgendetwas heftig zu diskutieren, zumindest hatte es den Anschein.

„Ach, es ist nicht so, dass Männer und Frauen keine Freunde sein können, sondern dass du mit keiner Frau befreundet sein kannst“, sagte Stevie, während sie vollbepackt mit Schachteln und Tüten die Straße überquerte.
„Aber du schon, sehe ich das richtig?“ Alex hob eine Augenbraue an und musterte seine beste Freundin argwöhnisch.
„Oh, ich hab viele männliche Freunde.“ Stevie fiel ihm leicht ins Wort, während sie die ganzen Utensilien für Tess´ und Nicks Hochzeit ins Auto deponierte. Es war offensichtlich, dass Alex ihr diese Bemerkung unter gar keinen Umständen abnehmen würde. So war er nun einmal. Aber Stevie wollte dem nicht nachgeben und beharrte auf ihrer Meinung, genauso sehr wie Alex es tat. Sie musste ihm irgendwie beweisen, dass seine Theorie von der Freundschaft zwischen Mann und Frau absolut veraltet und ungehobelt war.
„Zum Beispiel?“, hörte die Rothaarige Alex noch fragen, dabei machte sie sich schon Gedanken darüber, wen sie als Beispiel alles aufzählen konnte. Gedanklich ging sie im Eiltempo ihre männlichen, möglichen Beispiele durch. Doch die Zeit drängte und somit fiel ihr nur ein einziger Name ein. Kevin Dyson. Es war ja nicht so, dass sie sich den Namen einfach ausgedacht hatte, Kevin war tatsächlich ein sehr guter und enger Freund gewesen und bis heute empfand Stevie ihn als einen wichtigen Part in ihrem Leben. Er hatte sie oft aufgebaut, wenn es ihr schlecht ging, weil sie sich wieder einmal mit Tracey gestritten hatte. Kevin war da, als sie weder ein noch aus wusste, nachdem ihre Eltern sie zum Teufel gejagt und ihr klargemacht hatten, sie wäre fortan nicht mehr in ihrem Hause erwünscht. Er unterstützte sie in ihrer schwersten Stunde, fand aufmunternde und ehrliche Worte, als sie sich hatte überreden lassen, Rose zu Michelle zu geben. Stevie war Kevin in so vielen Dingen dankbar. Manches Mal sehnte sie sich nach dieser Geborgenheit und den Gesprächen.
„Wahre Freundschaft hat nichts mit Zeit zu tun, Alex. Aber auch du bist ein Freund. Vielleicht.“
„ Meinst du? Donnerschlag, das ist ja ganz unglaublich. Ich meine, eben hast du noch gesagt, ich wär nicht fähig mit einer Frau befreundet zu sein.“
„Ja, aber vielleicht bin ich fähig mit dir befreundet zu sein“, konterte Stevie und zuckte mit den Schultern.
„Na, ich muss es ja nötig haben“, gab Alex grinsend zurück und provozierte damit einen erneuten Blitzschlag in seine Richtung. Innerlich feixte Alex so sehr, dass er sich wirklich wahrhaftig zusammennehmen musste, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen.
Image
User avatar
Dianchen
.
.
Posts: 0
Joined: Mon Dec 01, 2014 1:41 pm
Status: Offline

Re: .::. Second Life .::.

#92

Post by Dianchen »

Chapter 39
„Stevie?“ Die Rothaarige blickte etwas benommen auf ihre Freundin und brauchte einen Moment, bis ihr bewusst wurde, wo genau sie sich befand. Tess hatte schon wieder diese Sorgenfalten auf der Stirn. „Geht es dir gut?“, hörte Stevie dumpf die Worte von Tess zu sich hindurch dringen. Noch etwas benebelt von dem gerade Erlebten, blickte Stevie wieder auf die andere Straßenseite hinüber und entdeckte das Pärchen, das noch immer da stand und heftig gestikulierte, während beide ihre Münder fortwährend auf und zubewegten. Die Rothaarige schüttelte mit dem Kopf. Was war das, fragte sie sich und bemerkte, wie ihre Hände zu zittern begannen. Es war eigenartig gewesen. Sollte das eine Erinnerung gewesen sein oder doch nur eine Wunschvorstellung, da sie sich nichts sehnlicher wünschte, als ihre Erinnerungen wiederzuerlangen?

„Tess, ich war hier schon einmal. Ist das so?“ Ängstlich sah Stevie nun wieder zu Tess hinüber und hoffte so sehr, dass sie ihre Frage bejahen würde. „Ich war mit Alex hier. Wir haben über Freundschaften zwischen Männern und Frauen diskutiert und deinen Brautschleier abgeholt, aus dem Geschäft dort drüben.“
Die Rothaarige zeigte mit dem Finger auf ein Schaufenster. Sie war sich absolut sicher, hatte sie doch die Bilder genau vor sich. Es musste einfach echt sein. Es musste einfach eine Erinnerung sein. Für einen Traum oder eine Wunschvorstellung war es geradezu glasklar gewesen.
In Tess´ Augen schwammen die ersten Tränen. Es war ein unglaubliches Gefühl, hautnah mitzuerleben, wie Stevie eine weitere Erinnerung an ihr früheres Leben erhielt. Sie hatte mit der Freundin nicht über ihre Hochzeit, und mit Allem was dazu gehörte, gesprochen und Tess war sich außerdem sicher, dass Alex es ebenso wenig getan hatte. Sie lächelte Stevie an und nickte ihr bestätigend zu.

„Kannst du dich noch an weitere Dinge erinnern?“, fragte die Blondine hoffnungsvoll.
Diesmal war es Stevie, die ihr bejahend zu nickte.
„Wir wurden auf dem Heimweg von einem Erdbeben überrascht und sind mit dem Auto in einen Graben gefahren. Ich weiß noch, dass ich furchtbare Angst hatte, die sündhaft teure Kristallschüssel würde zerbrochen sein bei dem Aufprall. Später, als wir mit dem Auto nicht mehr voran kamen, hat Alex die glorreiche Idee gehabt, das Leck mit Kaugummi zu verschließen.“
Stevie rollte mit den Augen, fuhr aber unbeirrt weiter. Sie hatte Angst, dass die Erinnerung an diesen Tag wieder verschwinden würde, wenn sie nur zu lange innehielt und sich gedanklich damit auseinandersetzte.
„Dann war da noch diese Sache mit dem Schleier. Wieder hatten wir diese Diskussion über Freundschaften zwischen Mann und Frau, als plötzlich ein Windstoß aufkam. Ich hatte ganz vergessen, dass die Schachtel mit dem Schleier noch auf dem Autodach lag. Sie war offen. Alex hatte mich zu sehr abgelenkt mit seinem Kaugummizeugs. Ich vergaß vollkommen, dass der Schleier unbedeckt in der Schachtel lag.“

Stevie stoppte und holte tief Atem. Ihre Stimme und die Worte, die ihr unentwegt aus dem Mund schossen, überschlugen sich und lieferten sich mit ihren Gedanken, die in ihrem Kopf herumwirbelten, eine wahre Schlacht. Ein Mensch konnte gar nicht so schnell Buchstaben zu einem Wort oder gar Satz zusammenformen, wie Stevie im Moment von der Welle der Erinnerung überrollt wurde.

„Natürlich wurde der Schleier weggeweht und wie sollte es anders sein, landete er auch wieder auf dem Boden. Nur dummerweise in einer Pfütze aus dreckigem Regenwasser, gemischt mit rutschigem, schleimigem Matsch. Ich hab noch versucht, durch einen blitzartigen Gedankenstoß, den Schleier herauszufischen. Weiß der Geier, warum ich glaubte, ich könnte ihn unversehrt und vollkommen sauber aus dieser Grütze wieder herausholen. Aber ich habe es getan und verlor die Kontrolle, das Gleichgewicht, und landete mit samt dem Schleier in der Hand in der Pfütze.“

Tess hielt sich die Hand vor den Mund und musste sich beherrschen, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. Nick hatte ihr schon längst von dem Tag berichtet, zumindest so viel wie er von Alex wissen und in Erfahrung bringen konnte. Stevie jedoch erzählte ihr diese Geschichte zum allerersten Mal und dies mit solch einer Euphorie, dass es schwer war, die eigenen Empfindungen und Gefühle zurückzuhalten. Aber Tess riss sich zusammen, sie wollte der Freundin das Vergnügen und die Freude daran nicht nehmen. Die Rothaarige fuhr unbeirrt und unbeeindruckt in ihrem Redeschwall weiter.
„Alex hatte geglaubt, er hätte das Problem mit dem Auto im Griff, als wir plötzlich mitten in der Einöde wiederholt liegengeblieben sind. Der Motor stotterte, bis er dann komplett abwürgte und keinen Mucks mehr von sich gab. Es hieß dann auf den Pannendienst warten und...“

Plötzlich brach Stevie wieder ab und hielt einen Moment inne. Bisher waren ihre ausgesprochenen Worte den Gedanken an diesen Tag weit voraus gewesen. Bis zu diesem einen Punkt. Tess stutzte und wartete darauf, dass Stevie weitererzählen würde. Jedoch kam kein Wort mehr aus dem Mund von Stevie heraus. Ob das wohl ein Zeichen dafür war, dass an diesem Punkt die Erinnerungen endeten? Aber selbst wenn es so wäre, es ist ja zu diesem Augenblick schon eine absolute Freude gewesen, zu wissen, dass es bergauf geht, wenn sie nur alle genügend Geduld und Ausdauer haben würden. Wenn sie nur fest genug daran glauben.

„Sei nicht traurig oder enttäuscht, Stevie“, sagte Tess mitfühlend und strich der ihr mit der Hand über den bloßen Arm. „Das ist ein riesen Fortschritt, du kannst dich zumindest an diesen einen Tag, an etliche Ereignisse, wieder erinnern und das ist schon unheimlich viel wert. Es spielt keine Rolle, ob es sofort und nahtlos weitergeht.“
Stevie hob die Hand und deutete Tess, dass dies gar nicht das Problem war. Es gab ein ganz anderes, größeres Problem, welches sie dazu veranlasste, eine Pause einzulegen.
„Nein, das ist es nicht. Ich... ich glaube, dass ich noch nie in meinem ganzen Leben etwas so derart bereut habe wie an diesem einen Tag.“
Tess sah Stevie fragend an und zog ihre Stirn ein weiteres Mal in Falten. Aus den Worten der Freundin wurde sie nicht schlau, allerdings deutete das darauf hin, dass Stevie weitere Erinnerungen an diesen Tag hatte und wohl selbst etwas erschrocken über die Ereignisse war. Die Rothaarige kicherte leise.
„Ich und Alex... wir...“ Stevie holte tief Atem und hielt sich eine Hand vor den Mund. „Wir haben uns an diesem Tag zum ersten Mal geküsst gehabt.“
„Was?“, entfuhr es der Blondine entsetzt aus dem Mund. Mit weitaufgerissenen Augen starrte Tess die Freundin an. „Das hast du mir gar nicht erzählt“, schüttelte Tess ungläubig mit dem Kopf.

Stevie zuckte nur mit den Schultern. Sie wusste nicht, warum sie Tess davon nichts erzählt hatte. Wahrscheinlich weil sie sich ja mit Alex´ Hilfe ohnehin eine ganz andere Story über ihren Brautschleier ausgedacht und zurechtgelegt hatte.
„Ich weiß, es war dumm gewesen. Aber ich denke, ich wollte dich nicht unnötig aufregen und etwas ausdiskutieren, wo es gar nichts zu diskutieren gab. Es war einfach unwichtig darüber zu reden und außerdem sollte es dein Abend sein und nicht Meiner.“
„Also hör mal, Stevie. Es ist ganz und gar nicht unwichtig, wenn die beste Freundin ihren besten Freund küsst.“
„Ich hab Alex nicht geküsst“, fiel Stevie Tess direkt wieder ins Wort. „Er hat mich geküsst. Oder eigentlich wir beide uns.“
Verwirrt über ihre eigene Aussage musste Stevie lachen.
„Wie auch immer. Das ist unwichtig“, zwinkerte Tess der Rothaarigen zu, die nur mit den Augen rollte. „Ich bin wahnsinnig stolz auf dich und überglücklich, dass du dich daran wieder erinnern kannst. Auch wenn du mich mit deinem Geständnis total überrumpelt hast.“
Stevie schnaubte und seufzte tief. Das würde Tess ihr wohl noch eine Weile vorhalten. Dabei war es für die Rothaarige tatsächlich unwichtig gewesen, immerhin hatte sie sich mit Alex doch darauf geeinigt, es dabei zu belassen. Bei diesem einen Kuss, der mehr ein Sehnen nach etwas darstellte, wozu beide in diesem Augenblick noch nicht bereit gewesen waren.
„Weißt du, was mir nicht mehr aus dem Kopf gehen will?“, stellte Stevie eher sich selbst als Tess diese Frage und atmete vernehmlich durch. Tess zuckte mit den Schultern und wartete auf weitere Ausführungen von Seiten ihrer Freundin.
„Ich habe damals etwas gesagt, wovon ich heute noch immer fest überzeugt bin. Wenn jemand nicht fähig ist, sich zuerst wie ein Freund zu verhalten, dann taugt er auch nicht für eine Beziehung. Warum ich das auch immer zu Alex gesagt hatte, ich finde, es steckt so dermaßen viel Wahrheit drin. Ich meine, vielleicht bin ich einfach nicht dafür geschaffen, eine ernsthafte und aufrichtige Beziehung zu führen, da ich nicht fähig bin, mit einem Mann befreundet zu sein.“
„Nein, Stevie, sag das nicht. Das ist nicht wahr, das weißt du selber. Du und Alex. Ich kann mir keine Frau und keinen Mann vorstellen, zumindest ist mir bis heute noch Niemand über den Weg gelaufen, die fähiger wären, mit einem Mann befreundet zu sein als du oder umgekehrt. Sieh mal, ihr seid schon so lange befreundet. Ein halbes Leben. Ihr seid durch etliche Höhen und Tiefen gegangen, über Steine gestolpert. Riesige Steine, bombastische Steine.“ Tess grinste Stevie an und zwinkerte ihr aufmunternd zu. „Und immer noch seid ihr so eng miteinander befreundet, wie vor Jahren. Die Tatsache zeigt doch ebenso sehr, wie gut du in der Lage bist mit einem Mann befreundet zu sein. Wie sehr du in der Lage bist, mit Alex befreundet zu sein und andersherum scheint es genau dasselbe.“
„Schon möglich“, gab Stevie zurück und blickte wieder hinüber auf die andere Straßenseite. Sie lächelte.

Obwohl dieser Tag nicht gerade ideal angefangen hatte, so schien er gar nicht so schlecht zu werden. Die Sonne schien, Stevie war mit Tess zusammen, an der frischen Luft und sie hatte eine Erinnerung. Wo die Rothaarige sich noch etliche Gedanken und Sorgen gemacht hatte am Morgen, waren sie nun auf einen Schlag verflüchtigt. Es konnte ja nur noch besser werden und schon jetzt konnte Stevie es kaum mehr erwarten nach Hause zu kommen.
Image
User avatar
Dianchen
.
.
Posts: 0
Joined: Mon Dec 01, 2014 1:41 pm
Status: Offline

Re: .::. Second Life .::.

#93

Post by Dianchen »

Chapter 40
Ein merkwürdiges Rascheln ließ Stevie langsam aufwachen. Sie öffnete ihre Lider und blickte im Raum umher. Die Rothaarige entdeckte eine eifrige Schwester, welche summend die weißen Lamellenvorhänge aufzog und das Fenster öffnete. Licht drang in das Zimmer hinein und das Zwitschern der Vögel ließ verlauten, dass es früher Morgen sein musste. Stevie seufzte und schloss für einen winzigen Moment abermals ihre Augen. Sie hatte so einen wunderschönen Traum gehabt und wollte wieder zurück in das Traumland entschwinden. Die Schwester jedoch ließ dies gar nicht erst zu. Sie drehte sich zu der Rothaarigen herum und lächelte sie freudestrahlend an.
„Guten Morgen, Miss Hall. Haben Sie gut geschlafen?“, fragte die dunkelhaarige Schwester, während sie auf Stevie zu gelaufen kam.
„Hmm... zu gut“, erwiderte Stevie mit geschlossenen Augen, öffnete sie aber kurz darauf wieder und blickte in ein fröhliches, lächelndes Gesicht.
„Prima“, jauchzte die Schwester. „Tut mir leid, dass ich Sie schon so früh aus den Federn jage, aber wir haben volles Programm an diesem Morgen. Zuerst Frühstück, dann abschließende Untersuchungen und zu guter Letzt noch die Entlassungspapiere.“
Richtig, heute war ja der große Tag, auf den Tess sich schon so sehr gefreut und sie damit auch noch angsteckt hatte. Stevie seufzte bei Aussicht auf diese lästigen Untersuchungen auf.
„Muss das sein?“, fragte sie daher leicht genervt und versuchte sich aufzurichten. Die Schwester eilte der Rothaarigen zur Hilfe und schüttelte das Kopfkissen etwas auf, um es anschließend als Stütze wieder hinter Stevies Rücken verschwinden zu lassen. „Mir geht es doch gut. Besser denn je!“
„Mag sein, aber es ist Vorschrift und nur zu Ihrem Besten und Ihrer Sicherheit“, antwortete die Schwester, während sie aus dem Zimmer hinaus auf den Flur eilte. Zurück kam sie mit einem weißen Plastiktablett in der Hand und stellte es auf den kleinen Tisch neben Stevies Bett. Sie wünschte einen guten Appetit und verschwand wieder.
Die Rothaarige ließ sich etwas erschöpft zurück in das weiche, flauschige Kissen fallen. Sie atmete tief durch. Stevie war sich im Klaren darüber, dass die Schwester vollkommen Recht hatte und sie wusste auch, dass es nicht schaden würde, wenn man sie noch ein letztes Mal untersuchte. Eigentlich freute sie sich schon darauf. Aber eben besonders auf eine ganz bestimmte Untersuchung. Seit Stevie das erste Mal von ihrem Baby erfahren hatte, ist schon eine Zeit vergangen. Sie war gespannt, wie es sich entwickelt hat und was sie nun auf dem Ultraschallbild alles erkennen konnte. Die Rothaarige seufzte tief. Sie wünschte sich so sehr, dieses Ereignis und diese Freude mit Jemandem teilen zu können. Doch hatte sie am vergangenen Tage nicht die Gelegenheit gefunden, Tess von ihrer Schwangerschaft zu berichten. Denn wieder einmal hatten sie Erinnerungen überrollt, sodass sie das Eigentliche vergaß. Stevie schob die weiße Bettdecke zur Seite und stellte ihre Füße auf dem kalten Boden ab, um sich anschließend ins Bad zu begeben und sich frisch zu machen. Sie konnte es nicht ausstehen, im Schlafanzug am Frühstückstisch zu sitzen.

Hastig eilte Tess in das Arbeitszimmer, als das Telefon unaufhaltsam läutete. Sie war gerade auf dem Sprung und eigentlich schon viel zu spät dran. Die Mädels waren schon längst unterwegs, somit blieb ihr nichts anderes übrig, zumindest diesen Anruf noch entgegenzunehmen. Immerhin könnte es ja auch ein neuer Auftrag oder etwas anderes Wichtiges sein. Die Blondine hob also den Hörer von der Gabel und flötete ein freudiges Drovers Run in die Muschel.
„Grace! Schön von dir zu hören“, sagte Tess lächelnd. Sie kannte die Dritte im Bunde von ihren Cousinen noch nicht, hatte aber schon viel von ihr gehört. Grace lief die Zeit davon, sie hatte schließlich nur diesen einen Anruf und der musste einfach klappen, daher erkundigte sie sich direkt nach Regan, ohne große Umschweife und war umso enttäuschter, als Tess ihr mitteilte, sie würde nicht in der Nähe sein.
„Ich kann Regan und Jaz ausrichten, dass du angerufen hast. Die Beiden freuen sich sicher über eine Nachricht von dir“, sprach Tess weiter und blickte dabei auf die Uhr, die an der Wand hing und unaufhaltsam tickte. Grace seufzte am anderen Ende. Das würde nicht ausreichen, dachte sie bei sich und erklärte Tess die Kurzfassung ihres Anliegens. Die Blondine versprach Grace, sich sofort auf den Weg zu machen und ihre beiden Schwestern zu informieren. Tess schrieb sich noch die Telefonnummer und die Adresse auf, unter der Grace zu erreichen war und legte anschließend auf. Die Blondine seufzte und tippte sogleich die nächste Nummer in das Telefon. Nervös wartete Tess auf ein Freizeichen.
„Alex! Du musst mir unbedingt einen Gefallen tun! Ich schaffe es nicht, Stevie aus dem Krankenhaus zu holen, könntest du das vielleicht machen?“, fragte sie hoffnungsvoll und war erleichtert, dass Alex sofort zu stimmte.

Am späten Vormittag hatte Stevie alle Untersuchungen hinter sich gebracht und saß nun an dem kleinen Tisch, der unter dem Fenster stand. Die Rothaarige sah hinaus auf den blauen Himmel, während sie es nicht mehr erwarten konnte, dass Tess endlich erschien, um sie nach Hause zu holen. In ihrer Hand hielt sie fest umschlossen die Entlassungspapiere. Stevie freute sich schon auf die nächsten Stunden, auch wenn sie nicht wusste, was auf sie zukommen würde, was sie auf Drovers erwartete. Tess hatte ihr schon so manches Mal vorgeschwärmt, wie schön es doch auf Drovers sei, wie viel Einem dieses Land geben konnte. Doch Stevie hatte nicht die geringste Vorstellung darüber, wie es sein würde. Sie hatte stets ein und dasselbe Bild vor Augen. Endlose Weiten, saftig grüne Wiesen und weiter entfernt, im Hintergrund unter dem Horizont, die silbrig blauen Bergwipfel. Die Rothaarige wusste, dass dieses Bild nichts mit dem Land, von dem Tess oft schwärmte, zu tun haben konnte. Und dennoch waren die Bilder in ihrem Kopf so klar, als wäre sie schon einmal dort gewesen.

Nervös blickte Stevie immer wieder zur Türe und fragte sich, wo Tess denn blieb. Das war doch gar nicht ihre Art, zu spät zu kommen. Sie schnappte sich ihre Handtasche und holte ein Bild heraus. Lächelnd sah sie auf das Stück Papier und erhob sich von ihrem Stuhl. Stevie ging ein paar Schritte auf den Balkon hinaus und lehnte sich gegen die Brüstung, während sie noch immer lächelnd auf das Bild sah. Genau zwei Wochen waren vergangen seit sie das letzte Mal ihr Baby sah. Die Rothaarige war fasziniert, wie weit sich das kleine Wesen entwickelt hatte. Der Embryo besaß mittlerweile schon winzige Zehen und kleine Fingerchen. Es war ein unglaubliches Gefühl gewesen, als sie den Herzschlag des Babys hören konnte. Stevie war so überwältigt, dass ihr augenblicklich Tränen über das Gesicht liefen. Diese Emotionen drohten sie nur beim Gedanken daran wieder einzuholen, daher erschrak sie umso mehr, als plötzlich Alex hinter ihr stand. Irgendwie schaffte Stevie es, das Ultraschallbild verschwinden zu lassen, ohne das Alex etwas davon mitbekam. Sie wusste selbst nicht, warum es ihr so schwer fiel gerade mit Alex über das Baby zu sprechen. Wahrscheinlich war es die Tatsache, dass sie sich nicht hundert Prozent sicher sein konnte, Alex würde wirklich der Vater sein. Immerhin hatte Stevie ja noch nicht alle Erinnerungen wiedererlangt. Sie kamen eben nur, wenn sie schlief oder aber sich an Orten aufhielt, die wohl eine Bedeutung für sie hatten.
„Hey“, sagte sie rasch und schlängelte sich an ihm vorbei wieder hinein ins Zimmer. „Wo ist Tess?“
„Uhm... sie lässt sich entschuldigen, aber... es gab einen Anruf...“, sprach Alex, stoppte jedoch schnell. Er war nicht sicher, ob es klug wäre, Stevie den tatsächlichen Grund für Tess´ Abwesenheit zu erzählen. Er beließ es lieber dabei.
„Oh ok. Aber gut, dass du da bist. Ich glaube, ich wäre sonst nie auf Drovers angekommen“, scherzte Stevie. Sie merkte aber schnell, dass Alex irgendwie nicht zum Scherzen aufgelegt war. Ihr Gesichtsausdruck wurde schnell wieder ernst und sie schnappte sich ihre Tasche. „Na gut, dann können wir ja los.“
„Warte einen Moment, Stevie“, sagte Alex und hielt die Rothaarige am Arm fest. Stevie drehte sich zu ihm herum und blickte ihn fragend an.
„Ich hab mit dem Arzt gesprochen. Du solltest dich schonen“, fuhr Alex fort und nahm Stevie die Tasche aus der Hand. Die Rothaarige schluckte schwer. So hatte sie sich das Ganze nicht vorgestellt. Wenn sie soweit gewesen wäre, dann hätte sie Alex selbst von dem Baby erzählen wollen und nicht irgendein dahergelaufener Assistenzarzt.
„Schon, aber die Tasche ist ja nicht schwer. Davon werde ich es schon nicht gleich verlieren.“
Stevie machte Anstalten, Alex die Tasche wieder aus der Hand zu nehmen.
„Nein warte, von was redest du?“
„Von was redest du denn?“, stellte die Rothaarige verwirrt eine Gegenfrage.
„Ich wollte dir eigentlich einen Vorschlag machen. Sieh mal, gestern hattest du doch wieder eine Erinnerung und ich dachte mir, wir fahren nicht direkt nach Drovers.“
Stevie blickte nun noch verwirrter zu Alex auf. Sie war zwar froh, dass sie anscheinend aneinander vorbeiredeten, aber dennoch sprach Alex in Rätseln.
„Was meinst du?“
„Wir könnten doch zuerst auch Banjo holen. Wenn du willst. Vielleicht fällt dir dann wieder ein, was an dem Tag deines Unfalls geschehen ist.“
Alex ging einen Schritt weiter auf Stevie zu und strich ihr eine Strähne hinters Ohr, nahm seine Hand allerdings nicht aus ihrem Gesicht heraus. Er fuhr mit dem Finger ihre Gesichtszüge nach und lächelte Stevie dabei an.
Stevies Herz hüpfte aufgeregt in ihrer Brust umher. Es war ein schönes, angenehmes Gefühl, Alex´ Berührungen wahrzunehmen. Er ist so einfühlsam und zärtlich, dachte sie schmunzelnd und doch war es ein merkwürdiges Gefühl. Sie wusste ja nicht, wie weit sie vor ihrem Unfall gewesen sind. Sie wusste nur, Alex war ihr bester Freund und gerade das machte diese Berührung anders.
Alex hoffte, dass sie dem Vorschlag zustimmen würde. So hatte er noch ein wenig mehr Zeit, die er mit Stevie allein verbringen konnte. Ganz ohne Tess und das Krankenhaus.
„Ok“, sagte Stevie leise und blickte Alex dabei tief in die Augen. Sie legte ihre Finger auf seine Hand und schob sie aus ihrem Gesicht heraus. Dies hier war auf gar keinen Fall der richtige Ort für Zärtlichkeiten.
„Dann lass uns fahren“, sagte sie mit einem Lächeln auf den Lippen und schnappte sich ihre Tasche wieder aus Alex´ Hand heraus. Dieser jedoch schüttelte nur amüsiert mit dem Kopf. Ihren Dickschädel hatte sie also immer noch.
Image
User avatar
Dianchen
.
.
Posts: 0
Joined: Mon Dec 01, 2014 1:41 pm
Status: Offline

Re: .::. Second Life .::.

#94

Post by Dianchen »

Chapter 41
Stevie lag in ihrem Bett, doch eigentlich fühlte es sich nicht an wie ihr Bett. Alles war noch so fremd hier auf Drovers. So sehr hatte sie gehofft, es würde schneller voran gehen mit ihren Erinnerungen, sobald sie einen Fuß auf das Land setzt. Aber die Rothaarige wusste auch, dass sie es nun mal nicht beeinflussen oder erzwingen konnte. So konnte sie nur weiter hoffen. Stevie hatte zwar keine weitere Erinnerung an dem heutigen Tage gehabt, aber dafür war es ein wunderschöner Tag gewesen, den sie zusammen mit Alex, ganz allein mit Alex, verbracht hatte. Die Rothaarige blickte an die weiße Decke hinauf und lächelte. Alex war einfach zu süß. Den ganzen Weg, die stundenlange Autofahrt, hatte er auf sich genommen, nur für sie. Und doch enttäuschte sie ihn auf diese Weise, da sie noch immer nicht in ihr altes Leben zurückgefunden hatte. Stevie wusste, dass Alex es so niemals aussprechen würde. Sie wusste, er würde niemals sagen, wie enttäuscht er über diese Tatsache war. Nur war sie sich auch im Klaren darüber, dass es genau so ist. Stevie konnte es in seinen Augen sehen, sie konnte es spüren, wenn er mit ihr sprach. Dieses Gefühl war einfach da, die Rothaarige konnte es partout nicht abstellen. Immer wieder kam sie zu dieser Erkenntnis, Alex wäre anders ihr gegenüber als früher. Warum sie allerdings immer wieder diese Gedanken hegte, das war ihr im Grunde noch nicht so ganz klar. Es musste irgendetwas mit ihrem Unterbewusstsein zu tun haben. Vielleicht, so dachte Stevie, wäre es auch eine langsame Aufarbeitung ihrer Erinnerungen, die ihr nicht bewusst zu Teil waren, noch nicht. Die Rothaarige seufzte leise und drehte sich auf die Seite. Ihr Blick wanderte zum Fenster hinaus. Ein sternenklarer, dunkler Himmel lag über dem Land, so wunderschön. So etwas hatte sie die Wochen im Krankenhaus nicht sehen können. Wie auch, wenn diese furchtbar weißen, sterilen Lamellenvorhänge stets stur zugezogen waren, sodass sie nicht die geringste Chance hatte, hinauszusehen. Wenn sie nicht schlafen konnte, dann hatte Stevie sich stets von einer Seite auf die andere gewälzt und war irgendwann vor Erschöpfung in einen traumlosen Schlaf gesunken. Doch hier auf Drovers war es anders. Hier hatte sie den klaren Himmel direkt im Blickfeld und konnte in die Weiten des Universums hinaufsehen, konnte die vielen Glanzpunkte am Horizont zählen und dabei in das Land der Träume entschwinden. Und hier hatte sie einen Traum.

Am nächsten Morgen wurde Stevie von den hereinbrechenden Sonnenstrahlen geweckt, die ihr im Gesicht kitzelten. Sie rümpfte die Nase etwas und schlug ihre Augenlider auf. Die Rothaarige konnte sich nicht daran erinnern, jemals so gut und tief und fest geschlafen zu haben. Es ging ihr gut, so gut wie schon lange nicht mehr, so fühlte sie sich zumindest. Noch etwas träge stellte sie ihre Fußsohlen auf dem nackten, noch kühlen Boden ab und tapste, nach einem ausgiebigen Strecken und Recken, in die kleine Küche ihres Cottages. Auf dem Weg dorthin, stieg ihr schon der Duft frischaufgebrühten Kaffees und warmen Brötchen in die Nase und streichelten ihren feinen Geruchssinn. Wahrscheinlich ist es Tess, so dachte Stevie schmunzelnd. Wenn die Freundin so weiter machte, dann würde es schwer werden, sich wieder umzugewöhnen. Die Rothaarige spähte in die Küche hinein und blickte mit vor Erstaunen geweiteten Augen der Person entgegen, die mit dem Rücken zu ihr stand und aus dem Fenster sah. Es war nicht, wie angenommen, Tess, sondern Alex. Stevie konnte nicht leugnen, dass sie sich wirklich sehr über ihn freute und dennoch fragte sie sich, wie sie zu dieser Ehre kam, die ihr zuteil wurde.
„Hast du für mich auch eine Tasse von dem Kaffee?“ Alex fuhr etwas erschrocken herum und lächelte Stevie entgegen.
„Ich hab dich gar nicht kommen hören“, sagte er und schnappte sich die Glaskanne, um eine Tasse für Stevie zu füllen. Die Rothaarige setzte sich auf einen der Stühle, die um den Holztisch herumstanden und blickte um sich. Es überraschte sie sehr und sie konnte ihr Glück kaum fassen. Stevie entdeckte so viele leckere Kleinigkeiten, die auf dem Küchentisch angeordnet waren, dass ihr nur beim Anblick schon das Wasser im Mund zusammenlief. Sie blickte auf und schenkte Alex ein Lächeln, als dieser ihr den Kaffee auf den Tisch stellte.
„Was beschäftigt dich?“, fragte die Rothaarige. Sie umschloss den Pott fest mit beiden Händen und führte ihn zu ihren Lippen, um einen Schluck zu trinken.
Alex sah seine beste Freundin leicht irritiert an und setzte sich mit an den Tisch heran.
„Du warst so in Gedanken, dass du alles um dich herum vergessen hast.“
„Ähm... ich bin den Ablauf des Tages durchgegangen und hab dabei wohl die Zeit vergessen“, antwortete Alex und drehte dabei seine Tasse in seinen Händen.
„Tess ist schon unterwegs und ich hab mir gedacht, du könntest mir ein wenig Gesellschaft leisten, heute.“ Alex zuckte mit den Schultern und blickte anschließend wieder auf. „Wir könnten gemeinsam die Zäune kontrollieren. Killarney ist eh dran.“
„Wo ist Tess denn schon so früh?“, fragte Stevie. Eigentlich hatte sie gehofft, dass die Freundin sich ihrer annimmt und ihr so einiges erklären kann, wie der Ablauf des Tages sein wird. Andererseits war Alex nun da und würde somit ihren Part übernehmen können. Stevie konnte nicht abstreiten, dass ihr diese Option im Grunde die Liebste von allen war. Sie hatte nur nicht damit gerechnet, dass sie Alex schon so schnell wiedersehen würde.
„Farmarbeit“, sagte er knapp und wich ihrem Blick aus. Alex konnte Stevie nicht den wahren Grund für Tess´ Abwesenheit sagen. Zumindest noch nicht. Die Rothaarige nickte nur. Sie wusste genau, dass Alex ihr etwas verschwieg, beließ es aber im Moment dabei. Sie räusperte sich kurz und blickte auf den liebevoll angerichteten Frühstückstisch.
„Du hast dir so viel Mühe gemacht“, gab Stevie mit einem Lächeln zu verstehen. Sie schnappte sich eines der Brötchen.
Alex blickte sie kurz an und beobachte sie einen Moment lang. Er hatte schon jetzt ein schlechtes Gewissen, jedoch hatte er Tess versprochen, nichts zu sagen. Außerdem war er selbst der gleichen Meinung, dass es eben nicht so günstig wäre, wenn Stevie erfahren würde, weshalb Tess nicht anwesend war. Alex grinste. Stevie ließ sich durch nichts aus der Fassung bringen, wenn es um das Frühstück ging, so biss sie genüsslich in das zu recht gemachte Brötchen.
„Also Chef, wie genau hast du dir das gedacht, mit dem Zäune kontrollieren?“
Alex räusperte sich kurz und nahm einen Schluck aus der Kaffeetasse.
„Ganz einfach wir schwingen uns aufs Motorrad und fahren einfach systematisch alle ab.“ Er zuckte mit den Schultern. Anders ging es ja noch nicht. Nach der minimalen Näherung an Banjo am vergangenen Tag, hatte Alex schnell gemerkt, dass Stevie noch Hemmungen hatte in Gegenwart eines Pferdes. Vielleicht war sie sich unterbewusst im Klaren was passiert war. Es musste eben nur noch heraus gekitzelt werden.
„Ok, aber ich kann kein Motorrad fahren.“ Stevie kaute genießerisch und schluckte den letzten Bissen hinunter.
„Musst du auch nicht. Ich fahre und du guckst nur, vor allem dass du nicht hinunter fällst“, sagte Alex grinsend.
„Gut, das dürfte ja nicht so schwierig sein.“

Die beiden wurden von einer aufgeregten Kate unterbrochen, die in das kleine Cottage gestürmt kam. Atemlos blieb sie einen Moment an der Türe stehen.
„Ähm, entschuldigt die Unterbrechung, aber wir haben ein Problem“, sagte Kate und blickte entschuldigend zu Alex und Stevie hinüber.
„Was für ein Problem? Hat Jodi verschlafen oder ist sie gestern gar nicht mehr nach Hause gekommen?“, fragte Alex grinsend und trank einen weiteren Schluck aus seinem Kaffeebecher.
„Was? Ach nein, das ist es nicht. Phönix ist wieder entwischt. Tess ist doch mit Regan unterwegs zur Polizei und alleine schaffen wir das nicht.“ Kate setzte sich für den Moment an den Tisch und verschränkte aufgeregt die Hände in den Schoß.
Na prima, das ist ja wieder einmal typisch Kate, dachte Alex und schüttelte mit dem Kopf. Die ganze Zeit hatten er und Tess versucht, das mit der Polizei von Stevie fernzuhalten und dann sowas. Hoffentlich bemerkte Stevie das nicht, dann würde er ihr unweigerlich davon erzählen müssen. Alex versuchte daher schnell abzulenken.
„Habt ihr gesehen, wie Phönix das Weite gesucht hat?“
„Nein, wir haben nur das weit offenstehende Gatter bemerkt. Ich schätze, dass die Wildpferde wieder da waren. Alex, ich würde dich nicht bitten, zu helfen, wenn es nicht wirklich wichtig wäre.“ Kate senkte den Blick auf ihre Hände. Sie wusste, dass nur Alex und Stevie es schaffen können, Phönix wieder einzufangen. Jedoch war mit Stevie nicht zu rechnen, da sie noch nicht so weit war. Sie hatte von Tess erfahren, dass die Annäherung mit Banjo noch nicht so gelaufen war, wie erwartet.
„Wir schaffen das nicht alleine.“
„Schon gut, schon gut. Ich kann versuchen, es einzufangen.“ Alex trank seinen Kaffee aus und stand anschließend von seinem Stuhl auf.
„Tut mir leid, dass du das jetzt alleine wegräumen musst“, wandte er sich entschuldigend an Stevie.
„Uhm, kein Ding. Aber kann ich nicht auch irgendetwas tun? Ich dreh durch, wenn ich hier ganz alleine rumsitzen muss.“
Stevie stand nun ebenfalls auf und begann die ersten Sachen vom Tisch abzuräumen. Alex grinste sie an. So langsam schien immer mehr die alte Stevie wieder zum Vorschein zu kommen.
„Das wird schwer werden. Du müsstet reiten, aber soweit bist du noch nicht.“ Stevie sank in ihrer Körperhaltung etwas zusammen. Klar, reiten. Ohne geht es auf einer Farm nicht, dachte sie etwas enttäuscht. Alex ging auf Stevie zu und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Es war schwer, für alle.
„Mach dir nichts draus. Das kommt auch wieder. Du musst nur etwas Geduld haben. Vielleicht hilfst du Moira etwas im Haushalt? Ich verspreche dir, dass ich so schnell wie möglich wieder zurück bin.“ Alex drückte Stevie einen federleichten Kuss auf die Haare und drehte sich wieder zu Kate herum.
„Habt ihr auch ein Pferd für mich? Ich bin mit dem Motorrad da“, sagte Alex beim Rausgehen an Kate gewandt.

Stevie sank zurück in den Stuhl. Da ging er dahin, allein, ohne sie und der Vormittag mit Alex ebenfalls. Sie seufzte tief. Was sollte sie nur anstellen, so ganz allein? Im Haushalt helfen, dachte Stevie etwas enttäuscht. So hatte sie sich die aufregende erste Zeit auf Drovers nicht vorgestellt. Alle waren in Eile oder gar nicht erst anwesend. Die Rothaarige kam sich plötzlich so dämlich und nutzlos vor. Vielleicht sollte sie doch noch einmal versuchen, sich einem Pferd zu nähern. Damit machte Stevie sich wieder Mut und räumte den Tisch weiter ab, um dann in Richtung der Paddocks zu laufen und zu versuchen, sich wieder auf ein Pferd zu setzen.
Image
User avatar
Dianchen
.
.
Posts: 0
Joined: Mon Dec 01, 2014 1:41 pm
Status: Offline

Re: .::. Second Life .::.

#95

Post by Dianchen »

Chapter 42
„Wenn du mir nichts tust, dann tue ich dir auch nichts“, sagte Stevie leise, als sie sich Banjo in winzigen Schritten näherte. Vorsichtig strich sie dem Pferd über das glänzende Fell. Zuerst noch ziemlich zaghaft, aber das änderte sich rasch. Der Wallach reagierte auf die liebkosende Streicheleinheit, in dem er die Rothaarige spielerisch anstupste. Stevie kicherte leicht auf. Dem Pferd schien diese Zuneigung irgendwie immer mehr zu gefallen, sodass es gar nicht genug davon zu bekommen schien. Aus einem Instinkt heraus schnappte Stevie sich die Bürste, die in einem Eimer lag und strich dem Pferd damit über das weiche Fell.
„Das gefällt dir, was?“ Stevie lächelte und bürstete weiter über das samtweiche Fell des Pferdes. Es tat anscheinend nicht nur dem Wallach gut, dachte Stevie zufrieden. Auch sie hatte plötzlich nicht mehr so viel Angst oder gar die größten Hemmungen, wie sie vorher noch angenommen hatte.
„Was meinst du, ob wir mal versuchen sollten, miteinander auszureiten?“ Der Wunsch, sich auf den Rücken des Tieres zu setzen und einfach dem Wind entgegen zu reiten überkam Stevie immer mehr. Sie hatte das Gefühl, dieser Augenblick wäre genau der Richtige dafür. Flüsternd sprach sie liebevoll auf das Pferd ein, während sie es sattelte. Noch einmal atmete sie tief durch und positionierte ihren Fuß in dem Steigbügel. Als diese erste Hürde mit dem Aufschwingen geschafft war, fühlte Stevie sich irgendwie anders. Sie wusste, dass sie es schaffen konnte. Die Bilder vom Unfall stahlen sich zwar wieder zurück in ihr Gedächtnis, was im ersten Moment noch sehr erschreckend war, da sie dann doch ziemlich schnell kamen. Aber Stevie versuchte diese so gut es eben ging vorerst zu verdrängen. Später, so beschloss die Rothaarige, würde sie sich eingehender damit auseinandersetzen. Jetzt hatte sie nur das Bedürfnis über das weite wunderschöne Land zu reiten, mit dem Wind im Nacken und der Gewissheit nicht mehr unnütz zu sein.

Während Regan sich mit ihrer Schwester zwischen den Stahlstäben unterhielt und versuchte herauszufinden, weswegen Grace in diese missliche Situation geraten war, klärte Tess mit dem Constable die bürokratischen Einzelheiten. Zumindest versuchte sie es, so gut es eben ging. Diese Situation war ziemlich verzwickt und gar nicht einfach. Der Constable ließ sich nur schwer von der Identifizierung der Festgenommenen überzeugen. Zufälligerweise war er unter dem Publikum des Rodeos gewesen, als der schreckliche Unfall geschah.

„Das ist so blöd. Nur weil ich ein Mal die Geschwindigkeit übertreten habe, nimmt der Typ mich direkt fest.“ Grace verdrehte die Augen und schlug mit der Hand gegen die Gitterstäbe aus Stahl.
„Ich glaube, du bist Opfer einer Verwechslung geworden.“ Regan seufzte. Im Grunde war sie froh über die Fügung des Schicksals. Somit wusste die McLeod, dass es auch ihrer jüngsten Schwester Grace gut ging und sie musste sich nicht auf die elendige, aussichtslose Suche begeben, um sie ausfindig zu machen.
„Der Constable war dummerweise zufällig bei dem Rodeo dabei, als eine Grace Kingston vom Pferd fiel und ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Ich fürchte daher braucht er einfach nur die Bestätigung, dass du die wahre Grace Kingston bist.“
„Na prima! Welcher Idiot beschmutzt meinen Namen?“, wetterte die Blondine sofort los.
„Psst, nicht so laut. Die Sache hat sich inzwischen aufgeklärt. Es war nicht irgendjemand und auch kein Idiot. Stevie hat unter deinem Namen am Rodeo teilgenommen gehabt. Wahrscheinlich weil sie nicht wollte, dass Alex sie so schnell findet und dann hatte sie blöderweise diesen Unfall. Sechs Wochen lang versuchten die Ärzte, die Familie ausfindig zu machen. Es war nicht so ganz einfach gewesen. Was wahrscheinlich auch daran lag, dass du dich Kingston nennst und nicht wie Jaz und ich McLeod.“
Wieder seufzte Regan vernehmlich. Denn in diesem Augenblick wurde ihr wieder einmal mehr bewusst, dass sie sich viel zu sehr voneinander entfernt hatten. Regan spürte dies ja schon bei dem Verhältnis zu Jaz. Die beiden unterhielten sich zwar über normale alltägliche Dinge, aber es herrschte doch immer noch eine gewisse Distanz zwischen ihnen beiden. Eigentlich ja unter allen drei Schwestern. Denn Jaz hatte es abgelehnt mit auf die Polizeiwache zu fahren. Weshalb sie sich dagegen entschied, hatte Jaz nicht gesagt und Regan hielt es für besser, sie nicht weiter darauf anzusprechen. Was wiederum auch nicht wirklich förderlich für das Verhältnis der Schwestern untereinander sein konnte.
„Ich war echt fertig gewesen, zumal sechs Wochen so eine verdammt lange Zeit ist. Es stellte sich schließlich heraus, dass diese Frau im Koma nicht du sondern Stevie war. Das machte die Situation nicht unbedingt leichter. Ich glaube, Tess hat das ganz schön mitgenommen und tut es noch. Sie lässt es sich nur nicht anmerken. Stevie hat bei dem Unfall ihr Gedächtnis verloren und kann sich nun an rein gar nichts mehr erinnern. Gut, so langsam kehren die Erinnerungen wieder zurück, aber es ist eben schwierig, nicht nur für uns“, plauderte Regan aufgeregt weiter. Doch Grace verwirrte diese Schilderung der jüngsten Ereignisse immer mehr. Sie unterbrach ihre Schwester rasch.
„Moment mal! Ich komm da nicht ganz mit. Könntest du vielleicht nicht so hastig und in Rätseln sprechen? Wieso hat Stevie denn unter meinem Namen am Rodeo teilgenommen? Sie hat sich doch selbst schon einen Namen gemacht, was braucht sie meinen dazu?“
Regan zuckte mit den Schultern.
„Ich sagte doch, vermutlich wegen Alex. Genau weiß das niemand. Stevie selbst weiß das ja auch nicht mehr.“

Tess und der Constable kamen auf die beiden Schwestern zu. Der junge Polizist schloss mit seinem üppigen Schlüsselbund die Zelle auf und machte Grace´ Weg in die Freiheit Platz.
„Sie können Anzeige erstatten, Ms. Kingston“, ließ er verlauten und zeigte auf seinen Schreibtisch.
„Äh, nicht nötig. Ich hab meine Freiheit wieder und kann wieder normal durchatmen, alles andere ist unwichtig“, gab die McLeod mit einem zuckersüßen Lächeln auf den Lippen zur Antwort und bahnte sich ihren Weg aus der Polizeiwache hinaus an die frische Luft, in ihre Freiheit.

Stevie hätte schwören können, dass die Sonne nie heller, der Himmel nie blauer gewesen war. Sie wusste, der Tag war einfach für sie geschaffen worden. So wunderschön und unbeschwert. Ganz und gar ohne Druck und Forderungen. Sie ritt auf dem Rücken des braunen Wallachs über sämtliche Felder, Wege, Wiesen. Ein herrliches Gefühl von Freiheit. Aber nicht nur diese Welt, die sich ihr auf dem Rücken eines Pferdes preisgab, bescherte ihr dieses absolut tolle Gefühl. Es sind auch die Erinnerungen, die plötzlich, ganz unverhofft, wieder zurückgekehrt waren. Nun wusste die Rothaarige wieder, was alles in ihrem Leben richtig und was falsch gelaufen war. Sie konnte sich wieder erinnern, aus welchem Grund sie ihr Gedächtnis verloren hatte und vor allem wie es zu ihrem Unfall mit dem Pferd gekommen war. Ein breites und zufriedenes Lächeln lag auf ihrem Gesicht. Stevie freute sich schon auf die Gesichter der anderen, wenn sie ihnen mit stolzer Brust gegenüber stehen und ihnen von ihren zurückgekehrten Erinnerungen berichten würde.

Doch eine Sache wusste sie noch immer nicht. Stets sah sie diese unendlichen Weiten mit den monströsen blausilbrigen Bergen im Hintergrund. Die kantigen Spitzen schneebedeckt. Riesige Rinderherden, die auf den golden glänzenden Weiden grasten. Inmitten von Wiesen und Feldern ein riesiges Haus, wie ein Märchenschloss. Prachtvoll und bezaubernd. Es wirkte wie ein Fels in der Brandung. Ständig hatte Stevie diese Bilder vor Augen und ihr war nicht ganz klar, wo genau sie diese hinstecken sollte. Aber die Rothaarige war so voller Hoffnung und der Überzeugung, dass sie auch diese Bilder irgendwo unterordnen konnte. Vielleicht würde ihr jemand von den Menschen in ihrem Umfeld etwas dazu sagen können. Stevie zügelte ihr Pferd und blieb schließlich stehen. Ihr Blick schweifte einen Moment über das Land und mit geschlossenen Augen zog sie nun die frische Luft ein. Irgendwie war sie intensiver, frischer als jemals zuvor in ihrem Leben.

Ein schnelles und immer lauter werdendes Klacken von Pferdhufen veranlasste die Rothaarige dazu, ihre Lider wieder zu öffnen. Wie ein Blitz schoss ein Pferd an ihr vorbei und verschwand immer weiter in den Wildschutzkorridor hinein. Wenn die Augen ihr nicht einen Streich spielen wollten, dann war das doch Phoenix gewesen. Stevie zog ein wenig ihre Stirn in Falten und überlegte einen Moment. Sie entschloss sich aber dann doch dazu der Stute zu folgen. Ein paar Meter weiter entdeckte die Rothaarige das Fohlen von Blaze. Wieder zügelte Stevie ihren Wallach. Langsam stieg sie vom Pferd und näherte sich auf leisen, langsamen Sohlen der grasenden Stute. Diese schnaufte vor Aufregung oder gar Erschöpfung und blickte mit ihren braunen Augen in die Richtung, aus der Stevie kam.
„Hey Phoenix, ich hab hier was Feines für dich“, sagte die Rothaarige leise und hielt der Stute ein paar Kekse auf ihrer, vom Körper weggestreckten, Hand entgegen. Sie ging immer weiter auf das Pferd zu, bis sie es letztendlich erreicht hatte. Die Stute verschlang genüsslich die Kekse aus Stevies Hand und schnaufte zufrieden. Nach ein paar Streicheleinheiten über den Kopf des Pferdes legte die Rothaarige ihr ein Seil um den Hals. Das wäre geschafft, dachte sie stolz und zufrieden und machte sich mit Phoenix auf den Weg zurück zu ihrem Wallach.

In der Zwischenzeit waren Kate, Jodi und Jaz mit Alex nun auch an dieser Stelle angekommen. Noch etwas zögerlich näherten sie sich der Stute mit der unbekannten Person. Je näher sie kamen, desto klarer wurde das Bild.
„Seht ihr das, was ich auch sehe?“, fragte Jodi verblüfft und blickte zu den anderen hinüber, wandte ihren Kopf aber schnell wieder der unbekannten Person zu.
„Aber das ist doch...“ Jodi schluckte schwer. Ihr war schon immer bewusst gewesen, dass Stevie besser mit solchen Situationen und Pferden umgehen konnte. Jedoch hatte sie nicht damit gerechnet, ausgerechnet Stevie bei Phoenix anzutreffen. Nicht, nach dem Unfall. Nicht, nach dem Wissen, dass die erste Annäherung an ein Pferd nach dem Unfall ein absolutes Desaster gewesen war.
„Stevie“, sprach Kate trocken weiter, so als wäre es etwas Selbstverständliches, die Freundin dort anzutreffen und lächelte.
Die Rothaarige entdeckte ihr erstauntes Publikum und ging mit stolzer Brust auf die kleine Gruppe zu.
„Na was sagt ihr? Ganz die alte Stevie, hä?“, rief Stevie ihnen zu und grinste zufrieden.
„Hättest du gedacht, dass sie das noch so drauf hat?“, fragte Jodi Kate und schüttelte noch immer ungläubig mit dem Kopf.
„Jodi, so etwas verlernt man nicht einfach so von heute auf morgen. Es musste aus Stevie nur wieder heraus gekitzelt werden. Alles eine Frage der Zeit gewesen“, antwortete die Brünette locker.
Alle waren in heller Aufregung und somit bekam niemand mit, wie etwas weiter entfernt eine Horde von Wildpferden sich der Gruppe näherte. Niemand bemerkte, dass Phoenix immer unruhiger wurde. Bis sich die Stute mit einem Mal aufbäumte und aus Stevies Griff herausriss. Die Rothaarige zuckte erschrocken zusammen und fiel zu Boden.
„Stevie“, schrie Alex und stürzte aus dem Sattel heraus auf Stevie zu.
„Verdammt noch mal“, fluchte diese und versuchte sich aufzurichten. Automatisch, aus einem Instinkt heraus, griff die Rothaarige sofort an ihr Unterleib und legte schützend eine Hand darauf ab.
Image
User avatar
Dianchen
.
.
Posts: 0
Joined: Mon Dec 01, 2014 1:41 pm
Status: Offline

Re: .::. Second Life .::.

#96

Post by Dianchen »

Chapter 43
Stevie hatte keine Schmerzen. Es war einfach nur der Schreck gewesen, der sie dazu veranlasste, schützend eine Hand auf das Baby zu legen. Reiner Mutterinstinkt.
„Geht es dir gut? Hast du Schmerzen?“, fragte Alex hastig und half Stevie beim Aufstehen.
„Mir fehlt nichts. Alles in bester Ordnung.“ Mit noch immer wild klopfenden Herzen stützte sich die Rothaarige bei Alex ab und atmete tief durch. Sie blickte ihn aus ihren braunen Augen an. So geht das nicht, sie muss einfach endlich mit jemanden über die Schwangerschaft reden, dachte sie entschlossen. Warum also nicht gleich diese winzigen Schreckenssekunden zum Anlass nehmen und direkt mit Alex darüber reden. Immerhin betraf es ihn genauso wie sie selbst ja auch.
„Hast du nicht vorhin gesagt, die Zäune müssten kontrolliert werden?“, fragte Stevie und klopfte sich entschlossen den Sand von ihren Sachen ab.
„Schon, aber vielleicht solltest du dich besser noch ein paar Tage mehr ausruhen. Wahrscheinlich ist es einfach noch zu früh für dich, wieder zu arbeiten.“
„Alex, mir geht es gut, wirklich“, antwortete Stevie mit fester Stimme. „Phoenix können wir nun sowieso nicht mehr halten. Sie wird immer wieder ausbüxen.“ Mit leicht flehenden Augen blickte sie Alex an. Dieser lächelte schwach. Er konnte Stevie ja doch nichts abschlagen und somit gab er seine Zustimmung.
„Na schön, aber nur unter einer Bedingung. Wir fahren mit dem Pick-Up.“
„Deal“, gab Stevie grinsend zur Antwort.
Alex atmete erleichtert auf. Noch einmal solch einen Schrecken würde er nicht verkraften können. Diese eine Situation am Tag war schon viel zu viel. Alex wusste, dass er Stevie nicht auf ewig schützen konnte, aber sie noch einmal zu verlieren, das könnte er nicht ertragen. Also versuchte er alles daran zu setzen, sie wenigstens anfangs von sämtlicher Gefahr fernzuhalten.

Auf eine der Weiden entdeckten sie tatsächlich einen defekten Zaun. Vermutlich mutwillige Zerstörung. So wie es aussah, wurde der Draht durchtrennt. Ein Blick über die Weide zeigte jedoch im ersten Moment kein Defizit beim Viehbestand. Allerdings musste der Sache dennoch genauer auf den Grund gegangen werden.
Stevie saß auf dem Pick-Up und ließ ihre Beine herunterbaumeln, während Alex sich der Reparatur des Zaunes widmete.
„Das letzte Mal, als wir gemeinsam einen Zaun repariert haben, hast du mir gesagt, dass du mich liebst“, warf Stevie ein und blickte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Sie schirmte die Sonne etwas von ihrem Gesicht ab.
„Das entspricht auch der Wahrheit. Immer noch.“ Alex ließ sich nicht beirren und widmete sich weiterhin dem Zaun vor ihm. Doch plötzlich hielt er inne und sofort schoss sein Kopf nach oben. Er blickte Stevie mit erstaunten Augen an.
„Moment mal! Heißt das, du kannst dich wieder daran erinnern?“
„An jede Einzelheit.“ Stevie nickte Alex lächelnd zu. Es war ein schönes Gefühl, die Gewissheit zu haben, dass sie sich auch an solche schönen Momente wieder erinnern konnte und nicht nur an die furchtbaren Minuten während und vor ihrem Unfall beim Rodeo. Alex ließ nun das Werkzeug auf den Boden fallen und ging mit eiligen großen Schritten auf Stevie zu. Er nahm sie in den Arm und drückte sie fest an sich. Eine immense Freude überwältigte ihn. Nicht nur für Stevie war es eine furchtbare Zeit gewesen, in der sie sich an nichts mehr erinnern konnte. Auch für Tess und die anderen und ganz besonders wohl auch für ihn selbst. Alex konnte nicht beschreiben, wie sehr er sich über diese Tatsache mit den zurückgekehrten Erinnerungen Stevies freute. Aber er wusste auch, dass sie sich dann wohl auch an die weniger schönen Situationen erinnern konnte.
„Dann weißt du auch, was danach passiert ist, oder?“ Alex löste sich von Stevie und sofort sank sein Kopf. Er wich Stevies Blick aus. Noch immer schämte er sich für diese Sache mit dem Kuss und er machte sich die größten Vorwürfe. Wäre dieser Kuss mit Fiona nicht gewesen, womöglich wäre Stevie nie weggelaufen und hätte an diesem Rodeo teilgenommen und somit der Unfall nie passiert.
„Das gehört dazu. Auch die weniger schönen Erinnerungen kommen automatisch mit den Schönen wieder zurück.“ Stevie zuckte mit den Schultern. Sie konnte nicht behaupten, dass sie froh darüber war, das erlebt zu haben. Aber es gehörte nun einmal zu ihrem Leben und im Grunde wollte sie diese Erinnerung nicht zurückhalten. Alex seufzte. Stevie hatte recht, das wusste er und ihm war auch bewusst, dass es irgendwann so kommen musste. Dennoch hatte er gehofft, es würde nie geschehen. Oder zumindest nicht so schnell.
„Alex, ich liebe dich“, hallten Stevies Worte plötzlich durch die Atmosphäre. Alex´ Blick richtete sich wieder auf und er sah sie etwas verwirrt an.
„Was?“, fragte er ungläubig und setzte sich für den Moment neben Stevie auf den Pick-Up.
„Ich liebe dich“, wiederholte Stevie, schenkte ihm ein Lächeln und nahm seine Hand in ihre. Alex erwiderte das ansteckende Lächeln und drückte ihre Hand fest.
„Ich liebe dich auch“, sagte er und wich ihrem intensiven Blick nicht mehr aus.
„Gut“, grinste sie. „Jetzt fehlt nur noch eine Sache, um dieser Situation einen würdigen Abschluss zu geben.“
„Welche?“, fragend blickte Alex sie an.
„Du solltest mich nun küssen“, antwortete Stevie trocken und grinste ihm noch immer entgegen.
Alex Lächeln wurde breiter. Natürlich, dachte er kopfschüttelnd und drückte Stevie seine Lippen auf den Mund.

„Sagt mal, glaubt ihr, dass es tatsächlich etwas gibt, wie eine Bestimmung?“, fragte Jodi nachdenklich, während sie sich ihr Sandwich zu Recht machte. Kate und Jaz sahen sie etwas fragend an.
„Na habt ihr diese innere Verbundenheit von Stevie und Alex nicht auch gespürt? Habt ihr nicht gesehen, wie vertraut und verliebt die beiden sich angesehen haben?“
Jaz schüttelte mit dem Kopf. Natürlich war auch ihr nicht entgangen, dass es etwas Intimes zwischen beiden gegeben haben musste. Jedoch hatte sie es mit der Situation abgetan gehabt, dass Stevie nun mal vor noch nicht allzu langer Zeit einen Unfall mit dem Pferd hatte. Alex war einfach nur besorgt gewesen, es könnte schon wieder etwas Schlimmes passieren. Sie zuckte mit den Schultern. Genau so war es gewesen und nichts anderes sollte da hinein interpretiert werden.
„Ich glaube nicht an solch übersinnliche und dumme Dinge oder gar an Bestimmung." Jaz rollte mit den Augen und betonte das Wort Bestimmung ein wenig sarkastischer als die anderen. "Stevie ist gerade vor ein paar Wochen aus dem Koma erwacht. Das war einfach nur die ganz normale Besorgnis gewesen. Vollkommen natürlich, wenn jemand im näheren Umfeld in Gefahr gerät“, fuhr die Blondine fort und biss anschließend genüsslich in ihr Sandwich.
„Schon, aber das war anders. So wie sich die beiden angesehen haben. So vertraut und verliebt. Wenn wir nicht wirklich wüssten, dass Stevie sich an nichts mehr erinnern kann, dann könnte man meinen, es hätte nie diesen Unfall gegeben. Genauso wenig wie die Erinnerungslücken.“ Kate lief hinüber zum Kühlschrank und holte eine Kanne mit selbstgemachter Limonade heraus, um sie auf den Tisch zu stellen.
„Genau das meinte ich“, unterstrich Jodi die Worte ihrer Freundin. Nachdenklich ließ sie ihr Sandwich zurück auf den Teller sinken. „Es ist schon Wahnsinn und total irre, wenn ein Mensch den anderen im Grunde gar nicht mehr kennt und sich noch ein Mal in ihn verliebt. Das ist wie in diesem Film mit Adam Sandler und Drew Barrymore. Wie hieß der gleich noch mal?“
„50 erste Dates“, gab Kate grinsend zur Antwort.
„Genau den meine ich. Da ist es genauso. Jeden Tag verliebt Lucy sich aufs Neue in ein und denselben Mann. Ohne zu wissen, dass sie ihn eigentlich schon längst kennt. Das muss die wahre Liebe sein.“ Jodi seufzte verträumt und stützte den Kopf in ihren Händen ab. Jaz lachte laut auf und schüttelte wiederholt mit dem Kopf.
„Das ist keine wahre Liebe, sondern einfach nur Verfälschung der Wahrheit. Dieser Mann hat es darauf angelegt und es sich zur Aufgabe gemacht, diese arme Frau immer und immer wieder in die gleiche Situation zu bringen. Soweit ich mich erinnern kann, war dieser Typ ein Weiberheld gewesen. Es hatte einfach an seinem Ego gekratzt, dass er auf eine Frau stieß, die sich nicht ihr Leben lang an ihn erinnern kann.“
„Ach Jaz, du hast überhaupt keinen Sinn für Romantik.“ Jodi winkte enttäuscht ab. „Er hat sich endlich wirklich richtig und ernsthaft in eine Frau verliebt und dann musste er feststellen, dass diese sich nie an ihn erinnern würde. Deshalb bringt er sie jeden Tag dazu, sich in ihn zu verlieben.“

Die Mädels wurden in ihrer Unterhaltung von Regan und Tess unterbrochen, die wieder auf Drovers eintrafen. Grace hatten sie im Schlepptau. So wie es schien, hatte also alles geklappt und die jüngste McLeod Cousine hatte ihre Freiheit zurück, dachte Jodi.
„Hey, ihr seid schon wieder zurück?“, fragte Tess und lief weiter in die Küche hinein. Sie schnappte sich ein Glas und füllte es mit dieser Limonade, die auf dem Tisch stand.
„Wir hatten eine kleine Planänderung und machen gerade nur eine kurze Pause.“ Tess nickte und stellte das Glas aus ihren Händen wieder auf den Tisch zurück.
„Habt ihr Stevie irgendwo gesehen? Wir waren schon drüben im Cottage, doch da ist sie nicht.“
„Stevie ist mit Alex unterwegs und vermutlich sind sie gerade auf irgendeiner Weide und knutschen rum“, gab Jodi noch immer verträumt zur Antwort. Tess blickte fragend zu den anderen.
„Jodi“ Kate gab der Freundin einen leichten Schlag gegen die Schulter und schüttelte mit dem Kopf. „Stevie und Alex kontrollieren die Zäune auf den Grenzweiden.“
„Oh gut. Moira kommt nachher vorbei und schaut sich den Pick-Up an.“
„Äh, das ist nicht nötig. Das hat Alex schon erledigt. Nachdem Phoenix Stevie erschrocken hatte und sie zu Boden fiel, hielt Alex es für besser, wenn sie mit dem Pick-Up die Zäune abfahren“, erklärte Kate.
„Geht es ihr gut?“, fragte Tess schnell und legte die Stirn in ihre typischen Sorgenfalten.
„Bis auf einen Schrecken und der erneuten Flucht von Phoenix, ist nichts passiert. Du kennst doch Stevie, sie lässt sich nicht so schnell unterkriegen.“ Kate legte Tess eine Hand auf die Schulter und lächelte sie an.
„Schon, aber sie ist gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen worden. Was ist, wenn sie eine Gehirnerschütterung oder sowas abbekommen hat?“
„Dann hätte Alex längst alle Alarmglocken läuten lassen“, mischte Regan sich ein und versuchte Tess die Angst wieder etwas zu nehmen.
„Ja, wahrscheinlich hast du recht“, gab Tess zu. „Also habt ihr die Schafe noch nicht geholt?“
Kate, Jodi und Jaz schüttelten entschuldigend mit dem Kopf. Wie auch, sie hatten ja die ganze Zeit über damit verbracht, die entlaufene Stute aufzuspüren.
„Na dann... holen wir sie eben jetzt. Kate und Jodi, ihr begleitet mich.“ Tess schnappte sich ihren Kiandra und setzte ihn auf ihren Kopf. Sie zwinkerte Regan und Grace zu und verschwand dann mit Kate und Jodi aus der Küche.
Image
User avatar
Dianchen
.
.
Posts: 0
Joined: Mon Dec 01, 2014 1:41 pm
Status: Offline

Re: .::. Second Life .::.

#97

Post by Dianchen »

Chapter 44
Am Abend fand auf Drovers ein Barbecue statt. Eine Art Willkommensparty für Stevie und in gewisser Weise auch für Grace. Sie hatte zwar noch nicht wirklich erklärt, dass sie bleiben würde, aber Regan war sich sicher, dass ihre Schwester Drovers nicht mehr verlassen wird. Mit einem zufriedenen Lächeln blickte sie zu Grace hinüber, die mit Jaz etwas weiter abseits saß. Die beiden jüngeren Schwestern hatten einiges zu klären und es schien auch alles ganz gut zu laufen. Zumindest waren sich beide bisher noch nicht an die Gurgel gesprungen und hatten sich sämtliche Haare herausgerissen.
„Geht es dir gut?“, fragte Tess und gesellte sich zu Regan. Diese schenkte ihr ein zufriedenes Lächeln.
„Ich glaube, es ging mir nie besser. Grace und ich haben Frieden geschlossen und so wie es aussieht, ist es bei Jaz und ihr nicht anders“, antwortete die Brünette und zeigte in die Richtung, in der ihre beiden jüngeren Schwestern saßen.
„Das ist schön. Ich freu mich für dich, Regan.“ Tess legte ihrer Cousine eine Hand auf die Schulter.
„Ich danke dir, Tess. Für alles was du für mich getan hast.“ Regan wandte ihren Blick wieder zu Tess und sah diese dankbar an. Tess lächelte und drückte ihre Cousine fest an sich. Sie hatte es gern getan und immer gewusst, dass im Grunde nur verletzte Eitelkeit und gekrängter Familienstolz die Ursache für Regans damaliges Verhalten war.
„Stevie und Alex scheinen alles, was in der Vergangenheit war, wieder vergessen zu haben.“
„Alex ist genauso froh wie wir alle, Stevie wieder bei sich zu haben. Was interessiert da die Vergangenheit, wenn die Zukunft noch vor ihnen liegt“, antwortete Tess und beobachtete genau wie Regan einen Moment die beiden Freunde.
„So wie es aussieht, scheint es nicht nur eine Fortsetzung ihrer Freundschaft zu geben.“ Regan grinste. Es war nicht zu übersehen, dass im Laufe des Tages noch einiges mehr gewesen war zwischen den Beiden, als nur das gemeinsame Flicken beschädigter Grenzzäune. Tess nickte Regan bestätigend zu. Auch ihr war das offensichtlich innere Verhältnis von Stevie und Alex längst nicht mehr verborgen geblieben. Innerlich atmete sie erleichtert auf. Es war schön zu sehen, wie glücklich beide miteinander schienen. Endlich hatte jeder für sich mit der Vergangenheit Frieden geschlossen und somit stand einer glücklichen Zukunft nichts mehr im Wege.
„Und wer ist der geheimnisvolle Fremde da drüben?“, fragte Regan.
„Uhm... Alex hat ihn mitgebracht. Ihm haben wir zu verdanken, dass Stevie nicht aufgeben hat, als sie die sechs Wochen im Koma lag.“
„Ah, der heimliche Verlobte.“ Regan erschrak, als genau in diesem Augenblick der Blick des Fremden in ihre Richtung fiel. Sofort lenkte sie ihre Augen wieder aus seinem Blickfeld hinaus. Warum sie plötzlich so nervös war, konnte sie sich auch nicht recht erklären und trotzdem konnte sie nicht leugnen, dass es ihr gefiel, wie er sie anblickte.
„Hey Traummann“, unterbrach Tess Regans Träumereien und schmiegte sich an die Schulter von Nick. „Schläft die Kleine?“
„Wie ein Baby. Aber sie hat nicht eher ihre Augen geschlossen, bis das Märchen zu Ende war.“ Nick schüttelte leicht amüsiert mit dem Kopf. Jeden Abend die gleiche Prozedur. Claire konnte noch so müde sein, sie schlief einfach nicht ein, bevor man das Märchenbuch wieder geschlossen hatte.

Grace sah hinaus in die Ferne. Diese Sonnenuntergänge waren die Schönsten auf der ganzen Welt. Davon war sie überzeugt. Dieser Ort ist eine Gabe, ein Geschenk Gottes und sie war froh, dass sie nun auch hier sein durfte. Lange Jahre hatte sie nicht damit gerechnet, eines Tages dort zu sein, wo ihr Vater einst glücklich gewesen ist. In den Letzten Jahren hatte sie viel über ihn nachgedacht und hatte sich immer wieder gefragt, warum er nie mehr woanders glücklich war. Nun, da sie selbst sich hier auf Drovers wiederfand, wusste sie es. Ein Mensch konnte diesen Ort nicht wieder vergessen, nicht wenn er sein Herz hier verloren und zurückgelassen hatte. Grace seufzte tief. Sie hatte nicht glauben können, dass Drovers ihr dieses warme und geborgene Gefühl geben konnte, wie Jaz ihr damals von ihren eigenen Erfahrungen berichtet hatte. Aber sie hatte sich getäuscht und wenn sie ehrlich ist, dann war sie froh, dass sie sich irrte. Endlich hatte sie wieder das Gefühl, dass sie glücklich werden könnte, dass sie endlich wieder ein Zuhause haben würde.
„Hey“ Stevie setzte sich zu Grace auf den Rand der Wanne und blickte ebenfalls hinaus auf das weite Land.
„Es ist wunderschön hier“, gab die McLeod verträumt zu verstehen.
„Jaaa“, antwortete Stevie glücklich. „Wenn man erst einmal hier gewesen ist, dann kehrt man entweder immer wieder zurück oder man geht erst gar nicht mehr von hier fort.“ Die Rothaarige blickte lächelnd zu Grace hinüber und wusste, dass diese genau dieselben Gefühle in ihrem Innern hegte. Stevie war sich sicher, dass Grace nicht mehr von Drovers fortgehen würde.
„Grace, es tut mir leid, dass das mit der Polizei so gekommen ist. Ich hatte mir keine Gedanken über die Konsequenzen gemacht, als ich unter deinem Namen am Rodeo teilnahm“, sagte Stevie entschuldigend und versuchte tapfer zu lächeln. Grace zuckte mit den Schultern und blickte weiterhin in die unendliche Ferne.
„Schicksal“, sagte sie trocken. „Wenn du es nicht getan hättest, dann wäre ich heute nicht hier und würde mir den atemberaubenden Sonnenuntergang ansehen können. Ich hätte mich nicht mit meinen Schwestern versöhnt und nicht mit meinem Vater Frieden geschlossen.“ Nun trennte sich Grace kurzzeitig von dem wunderschönen Anblick und sah die Freundin an. „Es hatte also sein Gutes und es gibt nichts, worüber du dir Gedanken machen müsstest. Der Constable hat sich überzeugen lassen und gut ist.“
„Danke“, sagte Stevie schlicht und lächelte noch immer.
„Wofür?“
„Dafür, dass du dich nicht lustig über mich machst oder mir vorhältst, ich müsste mich mit den Federn anderer schmücken oder mir einen Vortrag hältst, dass kein Mann dieser Welt es wert sei, dass man seine eigene Identität aufgibt.“
„Das kommt noch, verlass dich drauf“, gab die Blondine grinsend zurück und blickte wieder in die Ferne, um zu sehen, wie der Feuerball so langsam gänzlich in der Erde zu verschwinden schien.
„Klar, was auch sonst. Aber heute nicht mehr.“ Stevie blickte nun ebenfalls wieder zum Horizont. Grace gab ihrer Freundin einen Hieb gegen die Schulter und grinste sie an.
„Nee, heute nicht mehr.“ Sie legte Stevie einen Arm um die Schultern und drückte sie fest an sich. Ein weiterer Grund nicht mehr von hier weggehen zu wollen, dachte die McLeod zufrieden. Sie hatte Stevie wieder gefunden und es tat gut, sie von nun an wieder um sich herum zu wissen.

„Stör ich?“ Alex war auf der Suche nach Stevie zum Windrad gelaufen und hier fand er sie tatsächlich.
„Hey“ Stevie strahlte ihn an und rückte ein Stück zu Grace hinüber, um Alex Platz zu machen.
„Ich wollte sowieso mal nach Jaz und Regan sehen“, sagte die Blondine und erhob sich vom Rand der Wanne.
„Ich hatte nicht die Absicht jemanden zu vertreiben.“
„Tust du nicht. Die Sonne ist verschwunden und für mich gibt es hier nichts mehr zu bewundern."
Grace entfernte sich von den beiden und grinste. Selbst ihr war es nicht entgangen, dass Stevie und Alex versuchten, vorerst ihre Liebe zu verstecken und sie alles taten, um wenigstens für ein paar Stunden ungestört zu sein. Aus Neugierde drehte sie sich noch ein Mal herum und grinste noch viel breiter. Alex hatte schon einen Arm um Stevie gelegt und zog sie zu sich heran, um sie zu küssen.

„Wo bist du gewesen?“, fragte die Rothaarige dann und bettete ihren Kopf auf Alex´ Schulter.
„Sag ich dir nicht“, antwortete Alex schlicht und sofort schnellte Stevies Kopf wieder in die Höhe. Alex grinste. „Ist eine Überraschung.“
„Oh, ich liebe Überraschungen.“
„Ich weiß.“
„Was ist das für eine Überraschung?“
Alex rollte mit den Augen.
„Stevie, wenn ich dir verrate was die Überraschung ist, dann ist es ja keine Überraschung mehr“, antwortete Alex und stupste Stevie an der Nase. Die Rothaarige seufzte enttäuscht und legte ihren Kopf zurück auf Alex´ Schulter. Alex lehnte seinen Kopf gegen den von Stevie.
„Hast du den Mädels schon gesagt, dass du deine Erinnerungen wieder hast?“ Stevie schüttelte nur mit dem Kopf. „Wann willst du es ihnen sagen?“
„Gleich. Wieso fragst du? Willst du mich loswerden?“
„Nein, ganz sicher nicht. Ich möchte dich danach nur entführen.“
Stevie hob ihren Kopf wieder an und blickte fragend zu Alex hinüber. „Du weißt schon, die Überraschung.“ Er grinste.
„Ah, ok. Dann werde ich mal die Neuigkeiten verbreiten gehen. Aber...“ Stevie hielt in der Bewegung inne und zögerte noch einen kurzen Augenblick. „Ich muss dir aber vorher noch etwas sagen.“
Die Rothaarige ließ sich wieder zurück auf den Rand der Wanne sinken und blickte Alex fest in die Augen. Dabei nahm sie seine Hand und drückte ihm einen Kuss darauf.
„Stevie...“
„Nein warte, lass mich dir erst etwas zeigen und dir erklären, dann kannst du immer noch mit mir schimpfen und mich verjagen.“ Stevie legte ein Lächeln auf ihre Lippen und zog aus ihrer hinteren Jeanstasche das letzte Ultraschallbild hervor. Sie streckte es Alex entgegen und blickte ihn intensiv an. Sie wollte so gern die Reaktion in seinem Gesicht sehen und hoffte, dass er sich genauso sehr auf ihr gemeinsames Baby freuen würde, wie sie es tat.
Image
User avatar
Dianchen
.
.
Posts: 0
Joined: Mon Dec 01, 2014 1:41 pm
Status: Offline

Re: .::. Second Life .::.

#98

Post by Dianchen »

Chapter 45/1
„Alex, darf ich jetzt endlich meine Augen wieder öffnen?“, fragte Stevie ihn aufgeregt und klammerte sich fest an seine Hand.
„Noch einen kleinen Augenblick Geduld, Stevie. Wir sind gleich da.“
Alex führte Stevie zu dem Hügel hinauf und achtete peinlich genau darauf, dass sie auch ja nicht auf die Idee kam, zu schummeln und ihn hinters Licht zu führen, indem sie heimlich ihre Lider öffnete. Stevie bemerkte unter ihren Schuhsohlen, dass sie über einen hügeligen, leicht weichen Untergrund geführt wurde. Es war also keiner dieser typischen Wege oder Straßen in dieser Gegend. Sie mussten sich auf irgendeinem Feld oder irgendeiner Weide im Outback befinden. Als Alex sie ins Auto verfrachtet und losgefahren war, hatte sie ihre Augen noch offen halten dürfen und somit wusste sie, dass er sie irgendwo zwischen Drovers und Gungellan hingeführt haben musste. Alex stoppte und lief schnell fort. Er musste noch etwas erledigen, bevor es soweit war und Stevie ihre Neugierde stillen konnte. Er zündete die vielen kleinen Fackeln an und rückte hier und da noch einmal alles genau zurecht. Es sollte perfekt aussehen, es sollte ein perfekter Abschluss des Tages werden.
„Alex? Darf ich jetzt?“
„Nein, warte noch kurz, nicht bewegen und nicht schummeln, Stevie.“
Die Rothaarige seufzte enttäuscht auf. So langsam verlor sie die Geduld. Aber sie wollte Alex auch nicht den Spaß und die Freude verderben. Alex lief wieder zurück zu Stevie und positionierte sich nun direkt hinter sie. Er ließ noch einmal einen letzten Blick über die Überraschung schweifen und hoffte, dass er auch tatsächlich an alles gedacht hatte. Im Kopf ging er alles durch, an was er denken wollte, wenn sie hier eintrafen. Dann lächelte er zufrieden.
„Jetzt darfst du deine Augen wieder öffnen“, hauchte Alex ihr ins Ohr hinein.
Stevie ließ sich das nicht zweimal sagen und öffnete ihre Lider. Für einen Moment verschlug es ihr die Sprache. Vor ihr befand sich genau derselbe Pavillon mit genau der gleichen Aufmachung wie einen Tag vor ihrem Unfall. Genau wie damals waren nun auch wieder die Fackeln rundherum aufgestellt worden, auf der Decke vor ihnen, direkt unter dem Pavillon, lagen verstreut einzelne Rosenblätter und ließen ihren unverwechselbaren Duft erkennen.
„Wow, wir haben das schon einmal gemacht“, sagte die Rothaarige stolz und lächelte, als sie ihren Kopf kurzzeitig in Alex´ Richtung wendete.
„Hm... genau, und ich dachte mir, wir nehmen genau das als so eine Art Neubeginn.“
„So, dachtest du das?“, stellte sie grinsend fest und blickte wieder zurück auf die zubereiteten Leckereien. Sie konnte nicht glauben, dass Alex all das noch einmal für sie arrangiert hat. Ein verträumtes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht und umspielte zärtlich ihre Lippen. Alex schlang seine Arme um Stevies Taille und gab ihr einen federleichten Kuss auf die Wange. Die Rothaarige schloss für einen Moment ihre Augen und seufzte vernehmlich. Sie fühlte sich wohl und das schönste Gefühl gab ihr in diesem Augenblick Alex. Am Morgen noch wusste sie weder wer sie einmal war, noch war ihr in irgendeiner Weise wirklich klar, was Alex und Tess und Regan und all die anderen in ihrem Leben für eine Rolle gespielt hatten. Sie hatte all das, was sie wusste nur von ihren Mitmenschen erzählt bekommen und genau das war es, was ihr in den letzten Wochen so fremd vorkam. Doch nun stand sie hier auf dem kleinen Hügel, in den Armen von Alex und sie wusste, dass sie hier schon einmal gewesen waren. Diese Tatsache überwältigte sie gerade in diesem Moment noch viel mehr, als das überschwängliche Verhalten von Alex auf das Ultraschallbild, welches sie ihm noch auf Drovers in die Hände gelegt hatte. Es war nicht so, dass Stevie seine Reaktion nicht genossen hatte. Ganz im Gegenteil, es hatte sie außerordentlich überrascht und sie schmunzeln lassen. Aber das hier, das war eben anders, eine ganz andere Situation. Das Picknick gehörte zu ihrer Vergangenheit, an die sie sich eben bis zum Morgen nicht mehr erinnern konnte.
„Woran denkst du? Hätten wir doch auf Drovers bleiben sollen?“, fragte er flüsternd und legte seinen Kopf auf ihren Schultern ab.
„Nein gar nicht, ich finde die Idee toll. Ich dachte nur eben daran, was für ein riesen Glück ich doch habe und womit ich all das verdient habe.“ Stevie breitete dabei die Arme aus und seufzte wiederholt.
„Für meine Beste nur das Beste. Hier können wir unsere eigene kleine Privatparty veranstalten“, gab Alex grinsend zu verstehen und zwinkerte Stevie dabei zu. Er führte sie zu der ausgebreiteten Decke hinüber und wies ihr mit einer galanten Handbewegung ihren Platz zu. Anschließend legte Alex fürsorglich eine Decke um Stevies Schultern und nahm ebenfalls seinen Platz auf der Decke ein. Sie sprachen über die Vergangenheit, lachten und hin und wieder naschten sie von den vielen kleinen Leckereien. Stevie und Alex genossen die Zeit, die sie gemeinsam ganz allein für sich hatten, sonnten sich in ihrer Zweisamkeit.

Während Stevie sich ein wenig lang machte und in einem Moment der Stille für kurze Zeit ihre Augen schloss, holte Alex das Ultraschallbild aus seiner Hose hervor. Ein Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, als er es wiederholt betrachtete.
Ihm war bewusst, dass Stevie die ganze Zeit über nachgedacht haben musste, wann der richtige Zeitpunkt wäre, um mit ihm über das Baby zu sprechen. Ein minimaler Anflug von Enttäuschung überkam ihn und breitete sich in seinem Innern aus. Seine beste Freundin hatte so lange gebraucht, um ihm von ihrer Schwangerschaft zu erzählen. Sie hatte gezögert und dabei hatte er doch alles versucht, ihr diese Sache mit den Erinnerungslücken so angenehm wie möglich zu gestalten. Beinahe jeden Tag hatte Alex sie im Krankenhaus besucht, mit Tess oder ohne. Und trotzdem schien es Stevie schwer gefallen zu sein, mit ihm über solche Dinge unbeirrt zu reden wie eben die Schwangerschaft. Er musste es erst von einem anderen Mann erfahren. Eigentlich sollte das nicht so viel ausmachen, immerhin war Noah nicht mit Stevie liiert, sie kannten sich im Grunde ja nicht einmal wirklich. Und dennoch hatte diese Neuigkeit ausgerechnet von einem anderen Mann im ersten Moment ein fürchterliches Ziehen in der Bauchregion verursacht. Immer wieder hatte er sich die letzten Stunden gesagt, dass er Stevie verstehen kann und dass es mit der Zeit schon wieder vergehen würde. Andererseits, so dachte Alex, war es auch erst ein paar Stunden her, seit sie ihre Erinnerungen wiedererlangt hat.
Alex schüttelte mit dem Kopf. Er verdrängte dieses Gefühl, diese minimale Enttäuschung schnell wieder.
Stevie seufzte und das ließ Alex aufblicken. Sie hatte ihre Augen noch immer geschlossen, aber sie sah zufrieden und glücklich aus.
„Stevie?“
„Hm...“, gab sie wohlig zurück. Alex wartete darauf, dass sie ihn ansah, aber die Rothaarige hielt ihre Augen weiterhin geschlossen.
„Stevie?“, wiederholte Alex. „Würdest du mich bitte ansehen?“
Stevie öffnete ihre Augen und blickte Alex an. Sein Gesichtsausdruck war ernst und irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass er etwas auf dem Herzen hatte und es nun jeden Moment aus ihm herausbrechen würde.
„Wenn du deine Erinnerungen heute nicht wiedererlangt hättest, hättest du mir trotzdem von dem Baby erzählt?“
Stevie setzte sich auf und blickte ihn etwas unsicher an. Sie wusste nicht, wie sie auf diese Frage antworten sollte. Sie hatte so oft versucht mit jemanden zu reden und sie war sich sicher, dass Tess ihr genau dazu geraten hätte, wenn sie nur die Möglichkeit gehabt hätte, von der Schwangerschaft zu berichten. Aber sie hatte diese Möglichkeit nicht. Immer kam irgendetwas dazwischen. Sei es die plötzlich hereinbrechende Übelkeit, die Wut über ihre eigene Schwester oder ein weiterer Erinnerungsflash gewesen.

„Ich würde dir gern sagen, dass es so wäre, aber das kann ich nicht. Ich weiß nicht, ob und wann ich dir von dem Baby erzählt hätte. Ich war mir ja selbst noch nicht einmal im Klaren darüber, wer überhaupt als möglicher Vater in Frage käme“, antwortete Stevie ehrlich und senkte leicht beschämt ihren Blick.
Alex atmete tief durch. Er hatte gehofft, dass Stevie ihm eine andere Antwort geben würde, dass sie ihm das sagen würde, was er sich wünschte zu hören. Aber Alex musste sich auch eingestehen, dass er höchstwahrscheinlich in Stevies Situation wohl nicht anders gehandelt hätte. Er konnte sich eben nicht im Geringsten vorstellen, was in einem Menschen vorgehen muss, dessen Leben mit einem Mal vollkommen ausgelöscht scheint.
„Alex, es...“, begann Stevie und blickte wieder auf. Doch sofort legte Alex ihr eine Hand auf den Arm und schüttelte mit dem Kopf.
„Sag nicht, es tut dir Leid. Das muss es nämlich gar nicht. Ich kann verstehen, dass du nichts gesagt hast. Wie auch, du musstest ja selbst vorerst mit der Situation umgehen können.“ Alex atmete tief durch und lenkte seinen Blick wieder zurück auf das kleine Bild in seinen Händen. Ohne wieder aufzusehen, sprach er weiter.
„Ich habe mir die ganze Zeit über Gedanken gemacht, wie ich wohl reagieren würde, wenn du dazu bereit bist, darüber zu reden und habe gehofft, dass es nicht mehr allzu lange dauern würde. Beide Optionen habe ich zig Mal durchgespielt und dachte...“
Stevie blickte Alex mit großen, erstaunten Augen an. Mit jedem Wort, das sein Mund verließ, zeichnete sich die Verwirrung in ihrem Gesicht mehr ab. Alex hat es die ganze Zeit über gewusst, die ganze Zeit über, schoss ihr plötzlich in den Sinn.
„Moment warte mal, du hast es gewusst?“, unterbrach Stevie ihn fassungslos. Alex nickte zögerlich und blickte nun wieder auf. „Aber... woher?“
„Noah hat es gesagt.“ Alex zuckte mit den Schultern und schenkte Stevie ein zaghaftes Lächeln. „Ihn trifft keine Schuld. Er wusste nicht, dass ich keine Ahnung von dem Baby habe.“
Natürlich, Noah. Wer auch sonst, dachte Stevie. Niemand anders wusste von ihrer Schwangerschaft, bis auf die Ärzte und Schwestern im Krankenhaus, aber diese waren an ihre Schweigepflicht gebunden.
„Außerdem gab es eindeutige Situationen. Ein Wunder, dass Tess nicht ihre Fühler ausgetreckt und dich damit konfrontiert hat“, gab Alex grinsend zu verstehen.
„Eindeutige Situationen?“, fragte sie verwirrt.
„Nun ja, du warst anders als sonst und...“ Stevie rollte mit den Augen und lachte laut auf.
„Aber ich denke, ich war seit ich meine Augen nach sechs Wochen wieder geöffnet habe anders.“
„Wieso lachst du da? Ich weiß, dass du verwandelt warst“, drückte Alex vorsichtig aus. „Aber ich meine, du warst verändert. Du hast emotionaler reagiert und außerdem hat Tess mir erzählt, dass es dir schlecht ging und weißt du noch die Sache mit der Tasche im Krankenhaus? Du hast dich geweigert, sie mir zu geben und meintest, sie wäre nicht schwer und du würdest es dadurch nicht gleich verlieren.“
Das Erstaunen breitete sich noch mehr in Stevie aus.
„Ich hatte keine Ahnung“, gab sie erstaunt zu und schüttelte lachend mit dem Kopf.
„Was gibt es jetzt noch zu lachen?“
„Na ja, du bist ein Mann. Mir war nicht bewusst, dass diese eindeutigen Situationen so eindeutig für dich waren.“
„Willst du damit sagen, dass ich...“ Alex wollte sich verteidigen, wollte die gesamte Männerwelt vor einer Frau verteidigen, doch wurde er von Stevie in seiner Euphorie mit einem plötzlichen Kuss unterbrochen.
„Warum hast du nichts gesagt?“, fragte Stevie schließlich und schmiegte ihr Gesicht an seine Brust.
„Ich bin mir nicht sicher gewesen.“ Alex zuckte mit den Schultern. „Es war ja nur eine Vermutung.“
Stevie lächelte und schloss wiederholt ihre Augen. Sie war froh, dass sie miteinander gesprochen haben und noch viel mehr war sie stolz, dass Alex ihr gesagt hatte, dass er es schon vorher wusste. Es war komisch, es nun zu wissen, aber es machte nicht wirklich viel Unterschied. Alex hatte sich gefreut und er tat es noch immer und das war es, was im Moment zählte. Alles andere war unwichtig.
Image
User avatar
Dianchen
.
.
Posts: 0
Joined: Mon Dec 01, 2014 1:41 pm
Status: Offline

Re: .::. Second Life .::.

#99

Post by Dianchen »

Chapter 45/2
Alex betrachtete nun wieder das Ultraschallbild und ihm wurde erst jetzt richtig bewusst, was es eigentlich bedeutete. Sie würden ein Baby bekommen. Das war alles, was er sich seit jeher gewünscht hatte. Damals mit Claire hatte es begonnen. Mit Claire erlebte Alex, wie es sich anfühlte ein Baby im Bauch einer werdenden Mutter heranwachsen zu sehen. Er bekam die weiblichen Hormone einer Frau während der Schwangerschaft mehr als ein Mal zu spüren, wurde von einer unglaublichen Freude übermannt, als er zum ersten Mal das Baby auf dem Monitor eines Ultraschallgerätes sehen und den lauten Herzschlag hören konnte. Alex war dabei, als Claire das Baby zur Welt brachte und war unglaublich stolz, es dann letztlich in den Armen halten zu dürfen. Auch musste er erfahren, wie es ist, wenn ein Vater um sein Kind kämpfen muss. Er war nicht der biologische Vater, aber das hatte ihn nie davon abgehalten, so zu empfinden und es zu lieben, wie ein richtiger Vater. Trotz der ganzen Freude und der Liebe, die Alex der kleinen Charlotte nie verwehrt hatte, sehnte er sich seit jeher nach einer eigenen kleinen Familie, einem eigenen Kind. In Fiona glaubte Alex die Frau gefunden zu haben, mit der all seine Träume und Sehnsüchte nach einer Familie endlich wahr werden sollten. Aber auch da musste er einen Tiefschlag hinnehmen. Fiona belog ihn und spielte ihm eine Schwangerschaft vor, die es in Wirklichkeit gar nicht gab. Sie brachte ihn in die Situation, einem Baby nachzutrauern, das nie existiert hatte. Alex seufzte auf und atmete tief durch. Ja, Alex Ryan hatte in diesem Punkt seines Lebens schon einiges mitgemacht und beinahe die Hoffnung, eines Tages selbst Vater zu werden, aufgegeben. Doch nun war er hier mit Stevie auf dem kleinen Hügel im Outback in der Abenddämmerung, lauschte dem Wind und hielt das Ultraschallbild in der Hand, das sein Baby zeigte. Ein zufriedenes Lächeln zierte Alex´ Gesicht. Es schien nun all das wahr zu werden, was er seit Jahren suchte. Vielleicht war es nun an der Zeit den nächsten Schritt in seinem scheinbar perfekt wirkenden Leben zu wagen.

„Stevie...“, begann Alex und richtete sich etwas auf. Stevie öffnete die Augen und blickte ihn an. Sie wartete darauf, dass Alex fortfuhr und griff nach einer Weintraube, um sie sich in den Mund zu stecken.
„Ich bin unglaublich glücklich“, sagte Alex schlicht und nahm Stevies Hand in seine. Für einen Augenblick legte er das Ultraschallbild aus seinen Händen und nahm auch noch die andere Hand von Stevie. Alex sah sie an und lächelte.
„Wir haben schon so viel miteinander erlebt, so viel durch gemacht, sind durch Höhen und Tiefen gegangen. Wir haben getrauert, geweint und gelacht. Haben einander schätzen und lieben gelernt und bekommen nun ein Baby. Ich glaube, erst wenn man all das miteinander erlebt hat, kann man behaupten, das hält ein Leben lang, ist für die Ewigkeit bestimmt. Seit Claire habe ich nicht mehr daran geglaubt, je wieder in meinem Leben so glücklich zu werden. Ok, mit Fiona hatte ich eine Zeit lang dieses Gefühl gehabt.“ Alex machte eine kurze Pause und holte tief Atem, während Stevie darauf wartete, dass er fortfahren würde. Sie war neugierig darauf, mehr zu erfahren und konnte sich noch nicht so richtig einen Reim darauf machen, worauf Alex eigentlich hinaus wollte.
„Aber Menschen machen Fehler und sie irren sich. Das ist der Lauf der Dinge, das ist das Leben“, fuhr Alex fort. „Ich habe meinen Fehler gemacht, als ich damals nach dem Cottagebrand in die Stadt geflüchtet bin und mit einer wildfremden Frau zurückkam. Ich stand an einer Weggabelung und musste mich entscheiden, welchen Weg ich nehmen werde und bin letztendlich falsch abgebogen.“ Alex seufzte kurz und holte wieder tief Atem. Er wusste, dass es im Leben immer mal wieder einen entscheidenden Punkt geben musste, an dem man alles, was man in seinem Leben bisher erlebt hatte, Revue passieren lässt und meistens traf man dann eine Entscheidung, die das nächste Kapitel des Lebens aufschlagen würde.
„Alex...“, begann Stevie doch wurde sie sofort von Alex wieder unterbrochen.
„Nein warte. Lass mich noch schnell zu Ende erzählen. Es dauert auch nicht mehr lange.“ Alex lächelte und Stevie atmete tief durch. Es hatte eine Weile gedauert, bis sie begriff, was diese ganzen Erzählungen bedeuten sollten, worauf das Ganze hinauslief und nun, da sie es wusste, konnte sie den entscheidenden Punkt in Alex´ Erzählungen kaum mehr erwarten. Sie biss sich auf die Unterlippe und lauschte gespannt seiner Stimme weiter.
„Was ich eigentlich damit sagen möchte ist, dass ich denke, es ist an der Zeit, eine weitere Entscheidung in meinem Leben zu treffen. Nein, das ist nicht ganz richtig. Ich weiß, dass es Zeit für ein neues Kapitel in meinem Leben ist und da du von nun an für immer dazu gehörst und das neue Kapitel meines Lebens schreibst, frage ich dich, ob du meine Frau werden möchtest?“, endete Alex und blickte erwartungsvoll auf Stevie. Diese hatte schon ordentlich Mühe ihren Körper so ruhig wie möglich zu halten, allerdings war es ihr auch nicht möglich, ihn gänzlich unter Kontrolle zu bekommen. Tränen hatte die Rothaarige schon lange in den Augen und spätestens jetzt liefen sie ihr über das zarte Gesicht. Alex´ Geste ließ ihren Körper noch schwächer werden. Er wischte ihr fürsorglich mit dem Daumen der rechten Hand die Tränen aus dem Gesicht, während seine linke Hand noch immer die von Stevie festhielt.

Stevie atmete tief durch und schloss für einen Augenblick ihre Augen. Für sie fühlte sich alles noch immer wie ein wunderschöner, surrealer Traum an. So lange Zeit hatte sie darauf gewartet, Jahre lang, und beinahe die Hoffnung schon aufgegeben. Zuerst die Sache mit Rose, die sie vollkommen überfordert ihrer Schwester überlassen hatte, ihr jahrelanges Vagabundenleben beim Rodeo. Und als sie endlich Ruhe und ein Zuhause gefunden hatte, da plagten sie schon wieder neue Sorgen. Sie hatte sich verliebt, in ihren besten Freund, und musste den ersten Tiefschlag schon wenig später wieder hinnehmen, als Alex mit einer neuen, anderen Frau wiederkehrte. Jetzt, da sie wieder wusste, was sie alles durchgemacht und erlebt hatte, da konnte sie kaum glauben, endlich am Ziel ihrer Träume angelangt zu sein.
Stevie seufzte tief und öffnete ihre Augen. Sie blickte in dieselben blauen Augen, in die sie schon als junges Mädchen geblickt hatte. Schon damals lösten sie etwas in ihr aus, das die Rothaarige nicht recht erklären konnte. Heute wusste sie, dass der Blick in Alex´ seeklare Augen ihr schon damals etwas mitgegeben hatte. Nur war ihr das vor Jahren nicht so sehr bewusst, wie an diesem Tage hier mit Alex auf dem kleinen Hügel inmitten des australischen Outbacks. Alex erschien ihr auf einmal als Inbegriff all dessen, was die schmerzhafte Leere in ihrem Innern füllen konnte. Stevie war sich nun in genau diesem Augenblick noch sicherer als die Jahre zuvor, in denen sie die Hoffnung hegte, Alex würde sich eines Tages ein Leben mit ihr an seiner Seite wünschen. Ihr Traum sollte nun wahr werden, ihr Wunsch sich endlich erfüllen.
„Alex... ich...“, begann sie zaghaft und hatte ihre Tränen schon lange nicht mehr unter Kontrolle. Stevie spürte Alex´ Nähe, spürte seine Hand, die sich wieder auf ihren Arm legte. Die andere noch immer festumschlungen mit ihrer Hand, blickte er erwartungsvoll auf die Frau vor sich. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis sie endlich etwas sagte und dennoch vernahm er ihre Worte nur gedämpft, von einem Schleier bedeckt. Alex senkte seinen Blick. Er ärgerte sich, dass er nicht noch gewartet hatte, aber er hielt es nicht mehr aus, konnte seinen Wunsch nicht mehr zurückhalten.
„Ich kann verstehen, dass du Zeit zum Nachdenken brauchst. Deshalb sag jetzt lieber nichts. Ich möchte, dass du Ja sagst und daher nimm dir so viel Zeit zum Nachdenken, wie du brauchst.“ Alex gab Stevie einen federleichten Kuss auf die Stirn und lächelte sie zaghaft an.
„Aber ich habe die letzten Jahre genug Zeit zum Nachdenken gehabt“, unterbrach Stevie ihn. „Ich brauch keine Zeit mehr dafür, denn ich weiß schon jetzt die Antwort. Es ist nur alles so plötzlich gekommen, ich hab damit gar nicht gerechnet.“ Stevie löste ihre Hand aus seinem Griff heraus und legte sie Alex auf die Wange. Mit den Fingerspitzen strich sie über sein Gesicht.
„Ja, ich möchte deine Frau werden, Alex. Es gibt nichts, was ich mir in diesem Augenblick sehnlicher wünsche.“
Einen Moment musste Alex die Worte von Stevie auf sich wirken lassen. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie richtig bei ihm ankamen. Sein Lächeln wurde breiter. Am liebsten hätte er sie sofort in die Arme genommen und geküsst, aber zu einem Heiratsantrag gehörte ja noch der Ring. Alex griff in seine Hosentasche und holte das kleine samtene Kästchen hervor. Er öffnete es und nahm den Ring aus der Schatulle heraus.
„Du hast das alles geplant. Wie lange schon?“, fragte Stevie während Alex ihr den Ring über ihren zitternden Finger streifte.
„Seit du im Krankenhaus die Augen wieder geöffnet hast. Du weißt doch, der Prinz küsst Dornröschen wach.“
„Und es ward Hochzeit gefeiert“, ergänzte Stevie mit Tränen in den Augen. Sie konnte sich noch genau an diesen Moment im Krankenhaus erinnern. Das war das erste, was sie gedämpft und bewusst wahrgenommen hatte. Alex war der erste gewesen, den sie nach ihrem Tiefschlaf gesehen hatte. Schon dort in diesem Moment war ihr klar gewesen, dass seine Augen und Alex selber eine ganz besondere Bedeutung in ihrem Leben haben mussten. Stevie fiel Alex um den Hals, sobald der Ring an ihrem Finger steckte und drückte ihren Körper fest an seinen heran. Die Rothaarige wusste, dass Alex das Beste ist, was ihr im Leben bisher passiert war und ihr war auch klar, dass sich diese Tatsache niemals mehr ändern würde. Bis in alle Ewigkeit und noch viel weiter.
Image
User avatar
Dianchen
.
.
Posts: 0
Joined: Mon Dec 01, 2014 1:41 pm
Status: Offline

Re: .::. Second Life .::.

#100

Post by Dianchen »

Epilog
Mit ausgestreckten Füßen saß Stevie auf dem Rand der Wanne, die noch immer dort am Windrad stand. Seit sie vor Jahren das erste Mal nach Drovers kam, stand sie an ein und demselben Fleck und heute, vier Jahre nach ihrer Verlobung mit Alex, stand sie noch immer dort und hatte sich nicht fortbewegt. Unwillkürlich musste Stevie lächeln. Claire und Xander spielten vor ihren Füßen im Sand wie es einst wohl Tess und ihre Schwester Claire getan hatten.

„Hey schöne Frau.“ Alex kam auf das Windrad zu gelaufen und war noch nicht ganz da, als ihn schon zwei winzige Arme umschlungen.
„Hey schöner Mann“, gab Stevie zurück und ließ sich von Alex einen Kuss geben. „Ich dachte, ihr habt so viel zu tun heute?“
„Hm... eigentlich schon, aber du kennst mich doch. Ich habe keine Ruhe, wenn ich nicht weiß, dass es dir und dem Baby wirklich gut geht.“
Stevie schenkte Alex ein warmes Lächeln und strich liebevoll mit dem Finger über seine Wange. Dafür liebte sie ihn noch viel mehr. Auch wenn es manchmal ziemlich anstrengend war, so sehr wie Alex sich um sie und das ungeborene Baby sorgte.
„Uns geht es gut und dein Sohn genießt die Sonne schon den ganzen Vormittag“, sagte Stevie lachend und beobachtete Claire und Xander einen Moment lang.

Claire liebte es Xander immer mal wieder einen nassen Schmatzer auf die Wange zu drücken, während Xander sich mit angewidert, verzerrtem Gesicht die Stelle wieder trocken wischte. Mit seinen drei Jahren war er schon ein ganz großer, zumindest was die kleinen Mädchen in der Nachbarschaft anbelangte. Jede wollte ihren Nachmittag auf Drovers mit dem kleinen Ryan verbringen oder zu seiner Geburtstagsparty eingeladen werden. Besorgt blickte Stevie der Zukunft ihres Sohnes entgegen und dennoch konnte sie sich das Lächeln nie ganz verkneifen. Xander kam jetzt mit seinen drei Jahren schon ganz genau nach Alex und mit den Jahren würde es noch stärker werden. Jedoch trotz dass Xander in der ganzen Nachbarschaft im Umkreis von 50 Meilen der begehrteste Dreijährige war, verbrachte er am liebsten seine Zeit mit Claire. Mal ganz abgesehen von den zig nassen Schmatzern, die er am Tag in seinem Gesicht zu spüren bekam.
„Du solltest nicht so weit weg vom Haus sein, Stevie. Wenn das Baby kommt und du hier draußen bist, merkt das niemand“, ertönte Alex´ Stimme wieder und riss die Rothaarige somit wieder aus ihren Gedanken heraus. Stevie seufzte vernehmlich und zog ihre Stirn leicht in Falten.
„Alex, das hatten wir alles schon mal. Hab ein wenig mehr Vertrauen in deine Nichte und deinen Sohn. Die wissen schon, was dann zu tun ist.“
Alex gab auf. Er hatte ja doch keine Chance gegen Stevie. Sie war stur wie eh und je und hatte ihren eigenen Kopf. Er konnte nur hoffen, dass das Baby kam, wenn Stevie nicht gerade mit den Kindern am Windrad saß.
Moira kam geradewegs zum Windrad gelaufen und holte die beiden Kinder zum Essen herein. Sie grinste als sie schließlich mit den Beiden wieder zurück zum Haus lief. Alex war in letzter Zeit viel öfter auf Drovers anzutreffen, als bei der Arbeit auf Killarney. Sie selbst hatte sich damals so manches Mal gewünscht, dass Hugh sich wenigstens nur halb so fürsorglich um sie gekümmert hätte, wie Alex es nun mittlerweile schon beim zweiten Kind tat.

„Ups“, brachte Stevie plötzlich heraus und griff sich mit der einen Hand an ihren Bauch. Alex horchte auf und blickte seine Frau an.
„Was?“, fragte er besorgt und zog seine Stirn leicht in Falten. Er hatte auf einmal so ein komisches, merkwürdiges Gefühl im Magen und wenn ihn nicht alles täuschte, dann wäre es nun soweit und ihr Baby wollte das Licht der Welt erblicken.
„Ich glaube, meine Fruchtblase ist geplatzt, Alex.“ Stevie lächelte etwas zaghaft. Jetzt würde es mit Sicherheit eine Standpauke von Alex geben und sie musste gestehen, dass er die ganze Zeit über mit seiner Fürsorge Recht behalten hatte. Etwas anderes gab ihr allerdings im Moment etwas mehr zu denken. Sie konnte sich nicht entsinnen, schon eine einzige Wehe vorher gespürt zu haben. Aber ungewöhnlich war es nun auch wieder nicht. Irgendwo hatte die Rothaarige mal gelesen, dass auch so etwas vorkommen kann. Nur allzu oft geschah dies nicht. Aber sie sollte sich nicht unnötig unnütze Gedanken machen, es wird schon seine Richtigkeit haben, dachte Stevie bei sich. Alex griff nach ihrem Handgelenk.
„Aber das kann nicht sein. Bist du sicher?“ Stevie kniff ihre braunen Augen leicht zusammen und blickte Alex etwas missgünstig an. Sie zog ihre Stirn in eine tiefe Falte.
„Glaubst du, es macht mir Spaß, dich zu quälen und damit auch mir das Leben schwer zu machen?“, zischte sie aus fest zusammengepressten Lippen hervor. Stevie griff nach Alex´ Hand und drückte fest zu. In genau diesen Moment wurde sie von einer unglaublichen Welle des Schmerzes heimgesucht, die sie so unerwartet und heftig überrollte, dass es ihr für einen Moment schwarz vor Augen wurde.
„Siehst du, ich habe dir gleich gesagt, es ist nicht gut, wenn du so weit vom Haus weg bist.“ Alex sprang auf und tigerte aufgeregt wie eine Raubkatze umher. Er hatte die ganze Zeit über gewusst, dass es soweit kommen würde.
„Alex!“, zischte Stevie wiederholt. Sie atmete tief durch und wartete bis die plötzlich erscheinende Wehe wieder abgeflacht war. Sie wollte ihr Baby nicht in der Wildnis zur Welt bringen, also stand sie auf und setzte sich in Bewegung. Alex hielt in seiner eigenen Bewegung inne und blickte sie mit erstaunten Augen an.
„Wo willst du denn hin?“, fragte er und lief ihr etwas unbeholfen hinterher. Auch wenn die Situation ernster denn je erschien, so konnte Stevie nicht umhin und musste unwillkürlich auflachen. Dies wiederum hatte nur zur Folge, dass Alex noch bedröppelter dreinschaute.
„Alex, schon vergessen? Das Baby kommt“, sagte die Rothaarige immer noch lachend und blieb einen Moment stehen, da die nächste Wehe wie eine Welle über sie hereinbrach.

Irgendwie hatte Stevie es dann doch mit Alex´ Hilfe geschafft, ins Haus zu gelangen. Die eigentliche Geburt dauerte auch gar nicht so lange, zumindest hatte Stevie irgendwann das Zeitgefühl verloren. Die Rothaarige war wieder einmal mehr fasziniert, wie schnell man die noch so unerträglichsten Schmerzen während des Geburtsvorganges vergessen kann. Sobald eine Mutter ihr Kind in den Armen hält, scheint es, als hätte es diese Schmerzen nie gegeben. Es ist wohl einer der schönsten Momente im Leben einer Frau, wenn die Hebamme der frischgebackenen Mutter ihr neugeborenes Kind in die Arme legt. Alex war, wie schon bei der Geburt seines Sohnes vor vier Jahren, die ganze Zeit über nicht von der Seite seiner Frau gewichen. Selbst nach dem mittlerweile dritten Kind, dass er auf die Welt kommen sah, war er dieser Szenerie nicht müde geworden und hielt es noch immer für das größte und aufregendste Erlebnis in seinem Leben.
Mit stolzgeschwellter Brust und einem breiten Lächeln auf den Lippen saß Alex auf dem Bett neben Stevie und hielt seine Tochter in den Armen, wog sie sanft umher. Erst jetzt bemerkte Alex wie anstrengend für ihn die Geburt seiner Tochter gewesen ist und so fielen ihm langsam aber sicher bei diesen einschläfernden Bewegungen die Augen zu.

Die Türe öffnete sich und Xander lief zu Stevie hinüber und kletterte auf das Bett hinauf. Die Rothaarige hielt einen Finger vor die Lippen und deutete ihrem Sohn so an, nicht allzu laut zu sein, da sein Daddy sich von den Strapazen der anstrengenden Geburt erholen müsse.
„Ist das unsere?“, fragte der Kleine und setzte sich neben Stevie und Alex. Stevie nickte und nahm die Kleine aus Alex´ Armen heraus, um sie Xander entgegen zu halten. Er hielt sie wie ein Großer fest in seinen Armen und sah sie prüfend an.
"Das ist deine Schwester, Eileen", gab Stevie stolz zur Antwort. Bei der Wahl des Namens hatten sie und Alex nicht lange überlegen müssen. Während Xander, der ältere Bruder als der Beschützer galt, war seine Schwester die Strahlende, eben mehr wie ein Diamant.
„Sie sieht komisch aus, so verschrumpelt“, antwortete der Kleine. Stevie musste unwillkürlich lachen.
„Lass das nicht Daddy hören.“ Xander zog die Schultern ein und lächelte. Er drückte seine Schwester fest an sich und gab ihr einen Kuss auf die kleine Stirn.

Stevie lächelte bei dem Anblick. Es hätte für sie nicht besser kommen können. Das Schicksal hatte einen Mann für Stevie bereitgehalten, den sie über alles liebte, sie hatte einen wunderbaren Sohn und nun auch eine wunderschöne Tochter. Sie war glücklich, überglücklich, und froh, dass das Leben und das Schicksal es auch gut meinen konnten. Es mit ihr gut gemeint hatten. Denn nicht immer hält das Schicksal nur wunderbare, schöne Momente für einen bereit. Es kennt kein Gut und kein Böse, keine Armut und keinen Reichtum, kein Jung und kein Alt. Es macht vor nichts und niemanden Halt. Wenn Stevie heute, über vier Jahre nach ihrem Unfall beim Rodeo, zurückblickte, so musste sie feststellen, dass man das Leben nicht immer als selbstverständlich und leicht hinnehmen sollte. Vielmehr sollte man jede Sekunde seines Lebens genießen und auskosten, so als wären es die Letzten. Bei ihr hatte das Schicksal einen Weg gewählt, der zwar steinig und hart gewesen war, aber es hätte auch anders kommen können. Das Schicksal hatte für sie eine zweite Chance bereitgehalten, ihr ein zweites Leben geschenkt. So wie sie selbst nun auch nach ihrem Unfall ein zweites Leben geschenkt hatte.
~~~ The End ~~~
Image
Post Reply